Löhne: Was bleibt für mich?

Verständlich, dass viele Menschen an der Marktwirtschaft zweifeln: Ihre Löhne steigen viel zu langsam. Artikel von Mark Schieritz vom 28. August 2015 in der Zeit online externer Link

  • Aus dem Text: „… Die vergangenen dreißig Jahre allerdings waren für viele Beschäftigte in der westlichen Welt verlorene Dekaden. Während die Gewinne der Unternehmen immer schneller steigen, gehen Arbeiter und Angestellte sogar in wirtschaftlich guten Zeiten oftmals leer aus. In den sieben führenden Industrienationen ist der Anteil der Arbeitnehmerverdienste an der gesamten jährlichen Wirtschaftsleistung von mehr als 70 Prozent im Jahr 1971 auf zuletzt nur noch 64 Prozent gefallen. Die Gewerkschaften sind – trotz Kita-Streik und Bahnchaos – nur noch ein Schatten ihrer selbst, Billigwaren aus Asien überschwemmen die Märkte, und immer leistungsfähigere Maschinen und Roboter machen dem Menschen seine Rolle als Krone der Schöpfung streitig. Der große Lohnklau ist die vielleicht wichtigste Ursache für die ökonomischen Weltprobleme im 21. Jahrhundert: Er hat dafür gesorgt, dass die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinandergegangen ist, er ist ein Grund dafür, dass immer mehr Menschen an der Marktwirtschaft zweifeln, und er ist mit dafür verantwortlich, dass in der Weltwirtschaft eine Krise auf die andere folgt, weil nachhaltiges Wachstum nicht möglich ist, wenn die Einkommen stagnieren. (…) Deutschland ist von amerikanischen Verhältnissen noch weit entfernt. Doch auch hierzulande werden die Arbeitnehmer kurzgehalten – obwohl die Wirtschaft stark ist wie selten zuvor und die Unternehmen Rekordgewinne einstreichen. Nach Schätzungen des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung in Essen steigen die Tariflöhne im Jahr 2015 aber unter dem Strich um lediglich 2,7 Prozent. Selbst die konservative Bundesbank hält ein Plus von rund drei Prozent für sinnvoll. (…) Der Niedergang der Gewerkschaftsbewegung ist inzwischen ein wesentlicher Grund für die Lohneinbußen der Arbeitnehmer. In einem Arbeitspapier kommen Florence Jaumotte und Carolina Osorio Buitron – zwei Ökonominnen des Internationalen Währungsfonds – zu dem Ergebnis, dass die Schwächung der Gewerkschaften etwa zur Hälfte zum Anstieg der Ungleichheit in den vergangenen Jahren beigetragen habe, indem sie „die Verhandlungsmacht der Arbeiter im Vergleich zu Topverdienern und Kapitaleigentümern reduziert“ habe. (…) Der Staat ist mit der Rolle als Reparaturbetrieb für ein derartiges Versagen überfordert. Eine politisch organisierte Umverteilung wie beim bedingungslosen Grundeinkommen oder bei anderen Lohnzuschüssen stößt in der Praxis schnell an Akzeptanzgrenzen. Die Erfahrung lehrt, dass die Menschen gegen höhere Löhne wenig einzuwenden haben, weil sie als Entgelt für eine entsprechende Mehrleistung angesehen werden. Der Empfang von Transferzahlungen hingegen gilt schnell als Schmarotzertum…“
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