Null soziale Sicherheit bei Minijobs – DGB kritisiert Ampel-Pläne der Ausweitung

Dossier

Niedriglohn: Habe Arbeit, brauche Geld„Minijobs sollen nicht als Ersatz für reguläre Arbeitsverhältnisse missbraucht oder zur Teilzeitfalle besonders für Frauen werden. Im Koalitionsvertrag der Ampel wird eindeutig erklärt, dass dies verhindert werden soll. Gleichzeitig will die Ampel die Minijobgrenze auf 520 Euro erhöhen und dynamisieren. Diese Ausweitung riskiert aber genau das Gegenteil: Noch mehr Minijobs, die den Beschäftigten null soziale Sicherheit bieten. Eine Minijobreform steht dringend an! (…) Damit es sich für Beschäftigte lohnt, mehr Stunden zu arbeiten, spricht sich der DGB für eine volle Übernahme des Sozialversicherungsbeitrags durch den Arbeitgeber ab dem ersten verdienten Euro aus. (…) Da dies für Haushalte mit geringem Einkommen problematisch sein könnte, fordert der DGB, gleichzeitig Geringverdiener*innen steuerlich zu entlasten…“ DGB-Stellungnahme vom 6. Dezember 2021 externer Link und dazu:

  • Das „System Minijob“ als weiterhin wachsende gewerkschaftliche Dauerbaustelle New
    „… Im Jahr 2003 wurden die Minijobs von der rot-grünen Regierung grundlegend reformiert, um vor allen Dingen die illegale Arbeit in privaten Haushalten als Reinigungs- oder Nachhilfekräfte einzudämmen und sie sollten zu einem Sprungbrett in den ersten Arbeitsmarkt als Vollzeitkraft werden. Die Minijobber werden heute aber weniger im Privathaushalt eingesetzt, sondern vor allem in der Gastronomie, in Werkstätten und im Gesundheitswesen. Auch das Ziel der Verringerung der illegalen Arbeit wurde nicht erreicht, trotz Ausweitung der Minijobs. (…) Etliche Unternehmen haben das Konstrukt Minijob genutzt, um ihre Vollzeitstellen durch mehrere Minijobber zu ersetzen und flexibler zu sein. Viele Minijobs ersetzen heute die früheren vollzeitbeschäftigten Menschen. Für die fest angestellte Kassiererin arbeiten dann drei Minijobber oder in der Gastronomie ersetzen drei studierende junge Leute den langjährig vollzeitbeschäftigten Kellner.
    Minijobber haben für die Unternehmen auch noch den Vorteil, dass sie sich nicht gewerkschaftlich organisieren und höhere Löhne fordern, sie wagen es nicht zu streiken oder gar einen Betriebsrat zu gründen. (…)
    In Minijobs sind Verstöße gegen die gesetzlich vorgeschriebenen Ansprüche noch immer an der Tagesordnung. So erhält etwa ein Drittel der Beschäftigten keinen bezahlten Urlaub und beinahe genauso viele müssen auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall verzichten. Seit Jahren wird bei jeder Lohnerhöhung oder Erhöhung des Mindestlohns von der organisierten Unternehmerschaft die Erhöhung der 450 Euro-Grenze gefordert, denn wenn in einem Minijob mehr als 450 Euro verdient wird, müssen die Beschäftigten sozialversicherungspflichtig angestellt werden. Das soll ja auf jeden Fall verhindert werden, denn die Befreiung von der Sozialversicherungspflicht macht diese Beschäftigungsform für die Unternehmer erst so attraktiv. Deshalb wird auch flächendeckend getrickst, z.B. indem man den Mindestlohn unterläuft, die Arbeitszeit reduziert, Arbeitsmittel in Rechnung stellt und Trinkgelder anrechnet, um die 450 und nun die 520 Euro-Grenze nicht zu überschreiten. (…) Weil das so einfach vonstattenging, kamen nun all diejenigen aus der Deckung, die das „System Minijob“ weiter ausbauen wollten. Sie forderten die Anhebung der Verdienstgrenze für Minijobs von 450 auf 520 Euro im Monat. Dabei suggerierten sie, dass der Lohn bei den Minijobs genauso wie die Löhne insgesamt regelmäßig steigen sollte und die letzte „Steigerung“ im Jahr 2013 erfolgt sei. Doch das ist reine Augenwischerei, wie man seit der Einführung des Mindestlohns und der jährlichen Steigerung sehen konnte, denn dann müssen weniger Arbeitsstunden abgeliefert werden, um die Verdienstgrenze nicht zu überschreiten. (…)
    Die Anhebung der Verdienstgrenze ist ein herber Rückschlag bei der Bekämpfung des Niedriglohnsektors. Denn mehr als 75 Prozent der geringfügig Beschäftigten arbeiten zu Niedriglöhnen. Es ist außerdem ein Rückschlag für die Förderung einer gleichberechtigten Erwerbsarbeit von Frauen, da die Minijob-Arbeitsverhältnisse die Ideologie eines kleinen Zuverdienstes für „Hausfrauen“ weiterhin verfestigen. Auch wird die Anhebung auf 520 Euro dazu führen, dass der Versicherungsschutz für viele Tausend Beschäftigte verloren geht, sie erhalten dann weder Arbeitslosen- noch Kurzarbeitergeld. (…) Es ist höchste Zeit, dieses Arbeitsmodell endlich aufzugeben. Anstelle der Bastelei an den Verdienstgrenzen ist eine grundlegende Revision der Minijobregelungen überfällig.“ Beitrag vom 29. November 2023 im gewerkschaftsforum.de externer Link („Minijobs – die gewerkschaftliche Dauerbaustelle“)
  • Zahl des Monats: 1,6 Millionen Minijobber erhalten nur den gesetzlichen Mindestlohn 
    „Rund 1,6 Millionen Menschen arbeiteten im Oktober 2022 in Deutschland in einem sogenannten Minijob, in dem sie lediglich den gesetzlichen Mindestlohn erhielten. Der Anteil der Minijobs an allen Beschäftigungsverhältnissen zum Mindestlohn liegt bei fast 63 Prozent. Demgegenüber machen Minijobs insgesamt nur einen Bruchteil aller Beschäftigungsverhältnisse aus. Das zeigt: Minijobs sind nicht nur schlecht sozial abgesichert und bremsen Beschäftigte aus, sondern sind auch noch besonders schlecht bezahlt. Viele Minijobbende orientieren sich zusammen mit ihren Arbeitgebern bei der Gestaltung der wöchentlichen Arbeitszeit an der so genannten Geringfügigkeitsgrenze von derzeit 520 Euro im Monat. Aufgrund der mageren Entlohnung müssen sie dann mehr Stunden arbeiten, um auf dasselbe Gehalt zu kommen. Ein gutes Geschäft für Arbeitgeber, aber ein schlechtes für Arbeitnehmer*innen. (…) Doch letztlich schadet das Modell Minijob allen: Minijobs – fachsprachlich: geringfügig entlohnte Beschäftigungsverhältnisse – setzen Fehlanreize zur Begrenzung der Arbeitszeit. Besonders für Frauen erweisen sie sich immer wieder als Karrierebremse. Zugleich sind geringfügig Beschäftigte für ihre Tätigkeit weit überdurchschnittlich oft überqualifiziert. Fachkräfte, die andernorts von Arbeitgebern gesucht werden, werden also durch Minijobs gebunden. Auch deshalb ist es unverständlich, dass Minijobs 2022 sogar noch ausgeweitet wurden, obwohl die Bundesregierung sich in ihrer Fachkräftestrategie vorgenommen hat, inländische Fachkräftepotenziale besser auszuschöpfen. Schließlich entgehen auch der Sozialversicherung durch das Modell Minijob Beiträge – und den Minijobbenden die soziale Absicherung…“ Meldung der DGB-Gegenblende vom 6. Oktober 2023 externer Link
  • [Minijob-Dossier des DGB Rheinland-Pfalz/Saarland] Was Bund, Land und Betriebe gegen das süße Gift der Minijobs tun können 
    Rheinland-Pfalz, das ist eine der vielen Erkenntnisse, die aus dem am (heutigen) Mittwoch auf einer Pressekonferenz des DGB Rheinland-Pfalz / Saarland vorgestellten Minijob-Dossier hervorgehen, ist der bundesweite Hotspot der geringfügigen Beschäftigung. Und das ist alles andere als eine Spitzenposition, auf die das Bundesland mit Stolz verweisen könnte. Bund, Land und Unternehmen müssen dringend gegensteuern. „Minijobs sind bis auf die Einkommenssteuer und die Sozialversicherung ganz normale Arbeitsverhältnisse. Das haben einige Arbeitgeber aber nicht begriffen und halten den Beschäftigten elementare Rechte und Ansprüche vor“, stellt Susanne Wingertszahn, Vorsitzende des DGB Rheinland-Pfalz / Saarland, fest. Mehr als jede/r siebte Beschäftigte/r im Land ist Minijobber*in – und zwar im Haupterwerb. Aber Minijobs sind die Armutsfalle Nummer eins – vor allem für Frauen. Nicht zu vergessen, dass Minijobs zu Mindereinnahmen im ohnehin klammen Sozialversicherungssystem führen – umso mehr, da sie sozialversicherungspflichtige Jobs verdrängen. „Deshalb fordert der DGB, dass Sozialversicherungsschutz bereits ab dem ersten Euro besteht“, so Susanne Wingertszahn. „Die Einkommensgrenze für Minijobs auf 520 Euro zu erhöhen und sie damit vordergründig noch attraktiver zu machen, war ein Fehler“, so Wingertszahn. So wurde das süße Gift der Minijobs noch weiter aufgesüßt…“ Pressemitteilung vom 12.07.2023 des DGB Rheinland-Pfalz/Saarland externer Link zum Minijob-Dossier externer Link „Minijobs – das süße Gift. Geringfügige Beschäftigung in Rheinland-Pfalz und dem Saarland“
  • Gleicher Lohn für gleiche Arbeit auch im Minijob 
    „Gleicher Lohn für alle: Minijobberinnen und Minijobber dürfen bei gleicher Qualifikation und gleicher Arbeit nicht weniger verdienen als andere Arbeitnehmer. Das hat das Bundesarbeitsgericht bestätigt. (…) Gleicher Lohn für gleiche Arbeit – der Grundsatz der Gleichbehandlung gilt auch beim Verdienst. Minijobberinnen und Minijobber, die die gleiche Qualifikation besitzen und die gleiche Tätigkeit ausüben wie ein vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer, müssen denselben Stundenlohn erhalten. Dem Minijobber nur den Mindestlohn zu zahlen, genügt dann nicht. Eine geringere Arbeitszeit ist kein Grund für eine Benachteiligung in Form eines niedrigeren Stundenlohns. (…) In dem Fall, den das Bundesarbeitsgericht im Januar 2023 beurteilt hat, forderte ein teilzeitbeschäftigter Rettungssanitäter von seinem Arbeitgeber dieselbe Bezahlung wie seine vollzeitbeschäftigten Kolleginnen und Kollegen. Der als Minijobber beschäftigte Rettungssanitäter erhielt trotz gleicher Qualifikation und gleicher Arbeit nur einen Stundenlohn von 12 Euro statt 17 Euro. Der Arbeitgeber begründete die niedrigere Bezahlung pro Arbeitsstunde mit geringerer Planungssicherheit und dem damit einhergehenden höheren Planungsaufwand, schließlich könne er die hauptamtlichen Rettungssanitäter zu festen Diensten und Schichten einteilen. Minijobberinnen und Minijobber können ihre Arbeitszeit hingegen flexibel und frei gestalten. Dies bedeute mehr Aufwand für den Arbeitgeber. Das Landesarbeitsgericht München sah in dem geringeren Stundenlohn des Minijobbers eine Benachteiligung. Die aufgeführten Gründe des Arbeitgebers – niedrigere Planungssicherheit, höherer Aufwand – stellen keinen sachlichen Grund dar, der eine Ungleichbehandlung erlauben würde. Das Bundesarbeitsgereicht bestätigt, dass die freie oder vorgegebene Einteilung der Arbeitszeit unerheblich für das unterschiedlich hohe Gehalt der Beschäftigten ist. Im Minijob haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei gleicher Qualifikation und gleicher Arbeit also Anspruch auf denselben Stundenlohn wie Voll- und Teilzeitbeschäftigte. (…) Hat eine Minijobberin oder ein Minijobber Anspruch auf denselben Stundenlohn wie ein anderer Beschäftigter, ist trotzdem die Minijob-Grenze zu beachten. Im Minijob darf durchschnittlich nicht mehr als 520 Euro monatlich verdient werden. Überschreitet der Lohn diese sogenannte Geringfügigkeitsgrenze, liegt in der Regel kein Minijob mehr vor. Die Beschäftigung ist dann sozialversicherungspflichtig…“ Rechtsinfo vom 23. Februar 2023 der Minijob-Zentrale externer Link
  • Das Dilemma mit den Minijobs – die Verdienstgrenze wurde wieder einmal angehoben 
    „… Die Zahl der Neben-Minijobs hatte bis zum Rückgang in der Krise über Jahre hinweg stark zugenommen. Nun hat sich die Prekarität vieler Minijobs besonders deutlich gezeigt: Weil für geringfügig entlohnte Beschäftigungsverhältnisse nicht in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt wird, konnten sie auch nicht über Kurzarbeit abgesichert werden. Die Auswirkungen wurden dadurch noch verschärft, dass 450-Euro-Minijobs, die insbesondere in Branchen wie Gastronomie und Handel verbreitet sind,  unter den Kontaktbeschränkungen am meisten litten. Problematisch sind Minijobs auch in normalen Zeiten, weil von den Beschäftigten oftmals wichtige Rechte wie der Mindestlohn, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und Urlaub nicht eingefordert werden. Für viele geringfügig entlohnte Beschäftigte ist es nicht möglich, ihre Arbeitszeit auszuweiten. Dadurch ergeben sich insbesondere für verheiratete Frauen Nachteile bei der Alterssicherung. (…) Seit Jahren wird bei jeder Lohnerhöhung oder Erhöhung des Mindestlohns von der organisierten Unternehmerschaft die Erhöhung der 450 Euro-Grenze gefordert, denn wenn in einem Minijob mehr als 450 Euro verdient wird, müssen die Beschäftigten sozialversicherungspflichtig angestellt werden. Das soll ja auf jeden Fall verhindert werden, denn die Befreiung von der Sozialversicherungspflicht macht diese Beschäftigungsform für die Unternehmer erst so attraktiv. (…) Die Verdienstgrenze für die geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse wurde zum 1.10.2022 von 450 Euro auf 520 Euro heraufgesetzt und soll immer wieder dynamisiert werden. Die Verdienstgrenze bei „Midijobs“, für die geringere Sozialversicherungsbeiträge gezahlt werden müssen, ist auf 1.600 Euro erhöht worden. Der Übergang zwischen Mini- und Midijob soll auch erleichtert werden, indem die Sozialversicherungsbeiträge im Übergang zu Midijobs noch einmal gesenkt werden.
    Die Stundenlöhne geringfügig Beschäftigte liegen derzeit im Durchschnitt zwischen 10 und 11 Euro. Das Gros wird damit deutlich unter Tarif und unter den Stundenlöhnen der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten im gleichen Betrieb und mit vergleichbarer Tätigkeit bezahlt, das ist ein eindeutiger Rechtsverstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Dieser Verstoß wird aber mit dem Sonderstatus dieser Beschäftigtengruppe legitimiert: Wenn Beschäftigte monatlich bis zu 520 Euro verdienen oder als Saisonkräfte nur bis zu 3 Monate im Jahr eingesetzt werden, zahlen sie bekanntlich keine Steuern und Sozialversicherungsbeiträge. Auch von den Beiträgen zur Rentenversicherung können sie sich befreien lassen, was auch die meisten Minijobber tun. Sie bekommen also ihren Stundenlohn „brutto für netto“. Hier müssen die Unternehmen zwar über 30 Prozent an Lohnnebenkosten zahlen und damit mehr als für Beschäftigte mit Sozialversicherung. Trotzdem lohnt sich der Einsatz für sie, weil sie diese steuer- und sozialrechtliche Sonderstellung ausnutzen und die Stundenlöhne weit unter das Niveau der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten absenken. (…) All das ist rechtswidrig; es wird aber von vielen Beschäftigten nicht als ungerecht empfunden, da sie ja „Brutto für Netto“ bekommen. Die Anhebung der Verdienstgrenze ist ein herber Rückschlag bei der Bekämpfung des Niedriglohnsektors. (…) Es ist höchste Zeit, dieses Arbeitsmodell endlich aufzugeben. Anstelle der Erhöhung der Verdienstgrenzen ist eine grundlegende Revision der Minijobregelungen überfällig.“ Redaktioneller Beitrag vom 19. Oktober 2022 in gewerkschaftsforum.de externer Link

  • Zwölf Euro – war’s das? Mindestlohn und Tariftreue: Zu den Plänen der Ampel-Koalition für Niedriglohn-Beschäftigte 
    „… Die Koalition zieht [mit dem Mindestlohn von 12 Euro ab Oktober] eine neue Lohn-Untergrenze ein, an die sich alle Unternehmen halten müssen – nicht mehr und nicht weniger. Wird der Plan umgesetzt, haben rund sieben Millionen Menschen Anspruch auf ein höheres Gehalt – Paketzusteller und Reinigungskräfte ebenso wie Beschäftigte im Einzelhandel und Gastgewerbe, die besonders oft wenig Geld für ihre Arbeit erhalten. Das ist eine klare Verbesserung. Sie führt aber nicht unmittelbar dazu, dass der Niedriglohnsektor schrumpft. Denn auch zwölf Euro pro Stunde sind ein Niedriglohn – die Schwelle lag zuletzt bei 12,27 Euro. Hinzu kommt, dass die Ampel Minijobs, also geringfügige Beschäftigung, weiterhin fördern will, die besonders schlecht bezahlt werden und besonders betrugsanfällig sind. Rund 77 Prozent aller geringfügig Beschäftigten erhielten zuletzt einen Niedriglohn. Oft werden sie nur bei Anwesenheit bezahlt. »Sie erhalten meist keinen bezahlten Urlaub und keine Lohnfortzahlung bei Krankheit, obwohl sie Anspruch darauf haben«, sagt Bosch. Damit wird der gesetzliche Mindestlohn faktisch unterlaufen. Dennoch will die Ampel diese Beschäftigungsform, die sich enorm ausgebreitet hat – rund sieben Millionen Menschen hatten zuletzt einen Minijob –, nicht zurückdrängen, im Gegenteil: Künftig sollen Minijobs bis zu einem Monatseinkommen von 520 Euro erlaubt sein, bislang liegt die Grenze bei 450 Euro. Damit gibt es für Unternehmen keinen Grund, Minijobs in weniger betrugsanfällige sozialversicherungspflichtige Stellen umzuwandeln, wenn der Stundenlohn steigt und damit auch die Monatsvergütung. Und was ist mit sogenannten Sekundäreffekten eines Mindestlohns auf Beschäftigte, deren Gehalt darüber liegt? (…) Zwar werden Gewerkschaften versuchen, die Abstände zwischen den Lohngruppen wieder herzustellen: Wenn Ungelernte künftig 12 Euro erhalten, sollen Angelernte mehr bekommen. Allerdings sind die Gewerkschaften gerade in betroffenen Branchen wie dem Gastgewerbe oft schwach, die Tarifbindung ist häufig sehr gering. Genau hier sollte die Politik nach Boschs Ansicht ansetzen: Wenn sie den Niedriglohnsektor austrocknen wolle, müsse sie die Tarifbindung stärken. (…) Die Ampel plant nicht, allgemeinverbindliche Tarifverträge zu erleichtern. Immerhin unterstützt sie einen Vorschlag der EU-Kommission für eine Arbeitsmarkt-Richtlinie. Danach müssen Staaten, in denen weniger als 70 Prozent der Beschäftigten tarifgebunden sind, einen Plan zur Förderung der Tarifbindung vorlegen. Deutschland müsste demnach etwas tun. Das Beispiel Frankreich zeigt, wie die Politik den Niedriglohnsektor begrenzen kann. Dort sind laut Bosch fast alle Tarifverträge allgemeinverbindlich, und zwar komplett: Alle Unternehmen einer Branche müssen Ungelernte wie Fachkräfte nach Tarif bezahlen. Wenn der gesetzliche Mindestlohn steige, werde in der Regel das gesamte »Tarifgitter« nach oben geschoben. Darum ist der Anteil der Niedriglohn-Beschäftigten in Frankreich mit 8,6 Prozent weit unter dem EU-Durchschnitt.“ Artikel von Eva Roth vom 11. März 2022 in neues Deutschland online externer Link
  • Schluss mit den Minijobs: Weg in die Altersarmut ist programmiert – IG BAU erinnert anlässlich des 8. März: Vor allem Frauen arbeiten als geringfügig Beschäftigte 
    „Am 8. März ist wieder Weltfrauentag. An diesem Tag erinnern wir uns daran, dass wir die Frauenrechte noch mehr ausweiten müssen. Wir benennen konkrete Themen, die Frauen direkt benachteiligen und was notwendig ist, um die Situation zu verbessern.“ Das sagt das Bundesvorstandsmitglied der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt, Ulrike Laux, die unter anderem für die Bereiche Industrielle Dienstleistungen, Gebäudereiniger-Handwerk und Frauen zuständig ist. Sie denkt dabei an die Erhöhung der Minijobverdienstgrenze von 450 auf 520 Euro zum 1. Oktober dieses Jahres, die die Bundesregierung vor kurzem beschlossen hat. „Minijobs führen fast zwangsläufig in die Altersarmut, das sagen – und nicht nur – wir schon lange. Viele schaffen im Laufe ihres Lebens nicht den Sprung in eine sozialversicherungspflichtige Anstellung. Und wenn die Grenze nach oben gesetzt wird, bleibt die ‚Nettozahlung‘ erstmal attraktiv trotz aller Nachteile.“ Davon betroffen sind vor allem Frauen. Nach der jüngsten Erhebung der Minijobzentrale gab es Ende Dezember des vergangenen Jahres im gewerblichen Bereich knapp 6,3 Millionen Minijobber*innen, 80 Prozent davon sind nicht rentenversicherungspflichtig. Der Anteil der Frauen an der Gesamtzahl liegt bei rund 57 Prozent. Noch drastischer sieht es bei den Minijobber*innen in den Privathaushalten aus: Von den gut 284 000 Stellen sind 87 Prozent nicht rentenversicherungspflichtig, der Frauenanteil liegt sogar bei 89 Prozent. Im Gebäudereiniger-Handwerk arbeiten zirka 700 000 Beschäftigte, mehr als ein Drittel von ihnen sind in einem Minijob, auch hier sind die meisten Frauen. „Hier muss dringend gegengesteuert werden. Die Pandemie hat doch gezeigt, dass die Minijobber*innen die ersten waren und auch noch sind, die ihre Beschäftigung verlieren. Arbeitslosen- oder Kurzarbeitergeld: null Anspruch. Vom ersten Cent an sollte jede Arbeit sozialversicherungspflichtig sein“, sagt Laux. Sie erinnert in diesem Zusammenhang schließlich daran, dass auch den Sozialversicherungen insgesamt und damit dem Gemeinwohl richtig viel Geld verloren geht.“ Pressemitteilung der IG BAU vom 4. März 2022 externer Link
  • Was bedeutet der Mindestlohn 2022 für den Minijob? Die aktuelle Arbeitszeit-Tabelle für den Minijob 
    Minijobber mit Mindestlohn dürfen 2022 nicht mehr als 45 Stunden im Monat arbeiten. Seit dem 1. Januar 2022 beträgt der gesetzliche Mindestlohn 9,82 Euro. Ab 1. Juli 2022 steigt der gesetzliche Mindestlohn auf 10,45 pro Stunde. Ab Oktober 2022 soll der gesetzliche Mindestlohn sogar auf 12 Euro pro Stunde erhöht werden. Für Minijobberinnen und Minijobber bedeutet jede Mindestlohnerhöhung auch: kürzere monatliche Arbeitszeiten. Auch wer in einem 450-Euro-Job („Minijob“) arbeitet, hat Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn. Der gesetzliche Mindestlohn beträgt seit dem 1. Januar 2022 9,82 Euro und steigt zum 1. Juli 2022 auf 10,45 Euro. Das heißt, dass Minijobber*innen von Januar bis Juni pro Monat nicht mehr als 45 Stunden (9,82 Euro x 45,82 = 450,00 Euro) arbeiten müssen. Ab Juli sind es dann nur noch 43 Stunden pro Monat. Mehr in unserer Arbeitszeit-Übersicht für Minijobs…“ DGB-Meldung vom 23.02.2022 externer Link

  • Aufruf zum Mitzeichnen: Ausweitung Minijobs stoppen! – Appell an die Politik 
    Mit einem öffentlichen Aufruf machen Gewerkschaften, Sozialverbände und prominente Unterstützer*innen gegen die Neuregelung der Hinzuverdienstgrenze bei Minijobs mobil. „Wir protestieren gegen die geplante Ausweitung der so genannten Minijobs und fordern die Abgeordneten aller demokratischer Parteien auf, dieses Vorhaben der Regierungskoalition zu stoppen“, heißt es in dem Aufruf, den die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) am Mittwoch zur Unterzeichnung und Weiterverbreitung veröffentlicht hat. Am heutigen Mittwoch soll der entsprechende Gesetzentwurf vom Bundeskabinett beschlossen werden.
    „Die Ausweitung der Hinzuverdienstgrenze auf 520 Euro ist eine krasse Fehlentscheidung der Ampelkoalition. Damit ist Altersarmut, insbesondere von Frauen, programmiert. Denn sie werden die Hauptleidtragenden dieser Entscheidung sein“, kritisierte der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke. Von der Neuregelung betroffen seien bundesweit rund sieben Millionen Beschäftigte, rund 70 Prozent der ausschließlich geringfügig entlohnten Beschäftigten seien Frauen.
    Trotz der negativen Effekte des deutschen Minijob-Modells würden mit der geplanten Anhebung „sozialpolitische Fehler der Vergangenheit fortgeschrieben“, heißt es weiter im Aufruf. Den Trägern der gesetzlichen Sozialversicherung werde damit zudem ein Einnahmeminus in Höhe von rund 800 Millionen Euro aufgebürdet. Dabei habe gerade die Pandemie deutlich gemacht, wie krisenanfällig Minijobs seien.“ ver.di-Aufruf vom 23.02.2022 externer Link zur Petition auf ihrer Themenseite externer Link (mit weiteren Informationen)
  • Auch jenseits der Minijobs: Im Kleingedruckten der geplanten Anhebung der Geringfügigkeitsgrenze ist für manche Arbeitgeber eine harte Nuss eingebaut worden: Die tägliche digitale Arbeitszeiterfassung 
    „Bereits im November 2021 wurde hier im Lichte des damals vereinbarten Koalitionsvertrages der neuen Ampel-Koalition in dem Beitrag Ein klassisches Tauschgeschäft: Der eine bekommt einen höheren Mindestlohn, der andere eine Verfestigung und Ausweitung der Minijobs. (…) Nun hat sich die Debatte über das mittlerweile als Referentenentwurf aus dem BMAS vorliegende geplante „Zweite Gesetz zu Änderungen im Bereich der geringfügigen Beschäftigung“ (Stand: 01.02.2022) vor allem und verständlicherweise festgebissen an der Anhebung der Geringfügigkeitsgrenze und der nachfolgenden automatischen Dynamisierung im Gefolge zukünftiger Mindestlohnanpassungen. Denn damit wird die jahrelange und durch zahlreiche Studien gestützte kritische Diskussion über eine Abschaffung bzw. eine Begrenzung dieser Beschäftigungsform in die Tonne gehauen. (…) Aber in dem nun vorliegenden Referentenentwurf aus dem Bundesarbeitsministerium ist gleichsam im „Kleingedruckten“ noch eine andere Regelung enthalten, die nun so manchem Arbeitgeber weit über die Frage, ob den 12 Euro Mindestlohn „zu hoch“ sind, umtreiben wird. (…) Im vorliegenden Referentenentwurf für ein Zweites Gesetz zu Änderungen im Bereich der geringfügigen Beschäftigung sind neben den Regelungen die Minijobs (und den Midijobs, hier soll die Höchstgrenze für eine Beschäftigung im Übergangsbereich von monatlich 1.300 Euro auf 1.600 Euro angehoben werden) auch Änderungen des Mindestlohngesetzes, des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes, des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes sowie des Gesetzes zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft enthalten. Genau hier verbergen sich die angesprochenen Neuregelungen die Arbeitszeiterfassung betreffend. (…) Insofern ist das tatsächlich eine ganz erhebliche Ausweitung der bestehenden Arbeitszeiterfassungsvorschriften auch für Arbeitnehmer außerhalb der geringfügig Beschäftigten, denn die Verpflichtung, dass der Beginn der täglichen Arbeitszeit jeweils unmittelbar bei Arbeitsaufnahme sowie Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit jeweils am Tag der Arbeitsleistung elektronisch und manipulationssicher aufzuzeichnen und elektronisch aufzubewahren ist, galt bislang nur für die Beschäftigten in der unter das GSA Fleisch fallenden Teile der Fleischwirtschaft. Dass die Arbeitgeber in den genannten Branchen (sowie alle Arbeitgeber von Minijobbern) künftig die tägliche Arbeitszeit ihrer Beschäftigten stets sofort und digital dokumentieren müssen, um sie für Kontrollen bereitzuhalten, entspringt den Erfahrungen, die in den vergangenen Jahren in der Kontrollwirklichkeit des Arbeitsschutzes sowie vor allem der Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Zolls, der für die Mindestlohnkontrollen zuständig ist, gemacht werden mussten. Viele Mindestlohnbetrügereien sind aufgrund der möglichen nachträglichen Manipulation von Arbeitszeiterfassungsdokumentationen nicht nachweisbar gewesen…“ Beitrag von Stefan Sell vom 15. Februar 2022 auf seiner Homepage externer Link
  • Null soziale Sicherheit bei Minijobs – DGB legt Stellungnahme vor
    Minijobs sollen nicht als Ersatz für reguläre Arbeitsverhältnisse missbraucht oder zur Teilzeitfalle besonders für Frauen werden. So steht es auch im Koalitionsvertrag. Sogenannte Minijobs sollten deshalb ab dem ersten Euro Einkommen voll in die Sozialversicherung einbezogen werden. Die im Referentenentwurf des BMAS geplante Ausweitung der Geringfügigkeitsgrenze auf 520 Euro bedeutet aber: Es gibt zukünftig noch mehr Minijobs, die den Beschäftigten null soziale Sicherheit bieten. (…) Der DGB fordert eine umfassende Reform der sogenannten Minijobs. Der aktuelle Vorschlag des Ministeriums greift hier zu kurz: Die Anhebung und Dynamisierung der Geringfügigkeitsgrenze werden die Situation der geringfügig Beschäftigten nicht verbessern. Künftig werden noch mehr Menschen betroffen sein. Der Entwurf sieht keine Verbesserungen beim Sozialversicherungsschutz für geringfügig Beschäftigte vor. Die Hürden zur Ausweitung der Arbeitszeit werden nur gemildert, aber nicht beseitigt. Der gleitende Anstieg der Sozialversicherungsbeiträge darf nicht in einer Form umgesetzt werden, die den Sozialversicherungen Geld entzieht. Das geht zu Lasten der Versichertengemeinschaft. DGB fordert: Längst überfällige Minijobreform endlich angehen…“ DGB-Meldung vom 11.02.2022 externer Link zur DGB-Stellungnahme externer Link

Siehe auch:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=195950
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