Druck durch „agilen Überlebenskampf“

isw-Wirtschaftsinfo 52 vom 27. November 2017Ein Modebegriff wird in immer mehr Betrieben zum Thema: „Agilität“ – auch innerhalb der IG Metall wird der Begriff unkritisch übernommen: „Agil können wir nur werden, wenn wir nicht den einzelnen Betrieb, die einzelne Branche, das einzelne Feld beackern, sondern flächendeckend in Baden-Württemberg aufschlagen“, erklärt  IG-Metall-Bezirksleiter Roman Zitzelsberger. Was es mit dem Begriff so auf sich hat, wird innerhalb der Gewerkschaften kaum hinterfragt. Es klingt fast nach der Logik der Medienkonzerne (…) Aber die „schöne neue Arbeitswelt“ ist fernab der Rhetorik für die Beschäftigten gar nicht so schön: „Wer jedoch keine Verantwortung übernehmen möchte und nicht lösungsorientiert denkt, wird im agilen Arbeitsumfeld unglücklich werden“, macht Zasadzin für die ING-DiBa deutlich. (…) Unternehmen bieten Lernprogramme per Internet oder Smartphone an. Was im ersten Moment modern klingt, da Lernprogramme inzwischen abwechslungsreiche Animationen bieten, wird jedoch vom Management gezielt zur Kostensenkung genutzt. Zunehmend versuchen Betriebe, die Lernzeiten in die Freizeit zu „delegieren“, da das Material über Internet zuhause bearbeitet werden kann. Die Forderungen „Lernt agil, organisiert selbst“, heißt dann in der Praxis auch: Lernen nebenbei am Küchentisch (…) „Natürlich gibt es Veränderungen, die für viele Leute schwer sind. Aber die Alternative wäre, den Job zu verlieren“. So liefern die Tendenzen zu agiler Arbeit – aus Beschäftigtensicht – immer mehr Argumente für eine Arbeitszeitverkürzung…“ Artikel von Marcus Schwarzbach vom 27.8.2018 – wir danken!

Druck durch „agilen Überlebenskampf“

Ein Modebegriff wird in immer mehr Betrieben zum Thema: „Agilität“ – auch innerhalb der IG Metall wird der Begriff unkritisch übernommen: „Agil können wir nur werden, wenn wir nicht den einzelnen Betrieb, die einzelne Branche, das einzelne Feld beackern, sondern flächendeckend in Baden-Württemberg aufschlagen“, erklärt IG-Metall-Bezirksleiter Roman Zitzelsberger (www.jungewelt.de/artikel/338310.organizing-der-gewerkschaften-aus-erfahrung-kl%C3%BCger.html externer Link). Was es mit dem Begriff so auf sich hat, wird innerhalb der Gewerkschaften kaum hinterfragt. Es klingt fast nach der Logik der Medienkonzerne: „Um sich am Markt zu behaupten, müssen Unternehmen agil sein“, behauptet das Handelsblatt und betont anhand von Beispielen: „Wer überleben will, sollte auf Veränderung setzen“ (www.handelsblatt.com/unternehmen/beruf-und-buero/the_shift/fuehrungskraefte-agiles-management-wer-ueberleben-will-sollte-auf-veraenderung-setzen/22838020.html externer Link).

Ein Blick auf Äußerungen von Unternehmensvertreter und deren Beratern verdeutlicht, was „agile Führung“ für die Beschäftigten bedeutet. Die ING-DiBa will die „erste agile Bank in Deutschland werden“, verkündet der Bankvorstand. „So sind wir schneller, um mit der Dynamik des digitalen Bankings mithalten zu können„, sagt Nick Jue, Vorstandsvorsitzender der ING-DiBa (https://www.presseportal.de/pm/59133/3855718 externer Link). Dabei soll an Erfahrungen in Holland angeknüpft werden. „Wir haben agiles Arbeiten freilich nicht erfunden. Für uns ist es aber neu, weil wir eine sehr große Organisation sind. Knapp drei Jahre hat der Change-Prozess in den Niederlanden gedauert“ (https://financefwd.com/de/ing-diba-ceo-nick-jue-im-interview-es-geht-mir-nur-um-eines-speed externer Link). Die Vorteile: „Schnellere Wertschöpfung, mehr Effizienz, höhere Mitarbeiterzufriedenheit, mehr Innovation“, verspricht Nadine Zasadzin, die ING-DiBa-Verantwortliche für „agile Transformation“. Agile Teams „machen keine Doppelarbeit“, lautet die Vorgabe.

Auch die Europäische Fachhochschule (EUFH) in Brühl arbeitet mit agiler Führung. Das Thema „Veränderung“ sei „positiv zu besetzen und klarzumachen: Agilität ist kein neuer Trend, sondern die Zukunft“, fordert Sven Schnitzler vom EUFH-Management und bringt die „Grundprinzipien der modernen, agilen Arbeitsweise auf den Punkt: flache Hierarchien, Transparenz und Eigenverantwortung“. Seine Workshops zu „agiler Führung“ stossen in „den Chefetagen auf großes Interesse“ (www.handelsblatt.com/unternehmen/beruf-und-buero/the_shift/fuehrungskraefte-agiles-management-wer-ueberleben-will-sollte-auf-veraenderung-setzen/22838020.html externer Link). „Agilität ist der einzige Weg, um auch in Zukunft am Markt erfolgreich zu sein“, sagt Thomas Belker, Personalvorstand des Versicherungskonzerns Talanx. Agilität sei „mehr als ein Modewort“. „Manager im agilen Bereich haben aktuell und auch künftig sehr gute Berufsaussichten“, betont er. Um die Beschäftigten für den „notwendigen Wandel zu sensibilisieren, sind agile Experten gefragt“ (www.handelsblatt.com/unternehmen/beruf-und-buero/the_shift/fuehrungskraefte-agiles-management-wer-ueberleben-will-sollte-auf-veraenderung-setzen/22838020.html externer Link).

Besonders Haltung und Denkweise der Beschäftigten sind für Zasadzin entscheidend. „Dazu gehöre „Lust auf Verantwortung“, so Zasadzin von der ING-DiBa (www.handelsblatt.com/unternehmen/beruf-und-buero/the_shift/fuehrungskraefte-agiles-management-wer-ueberleben-will-sollte-auf-veraenderung-setzen/22838020.html externer Link).

Agile Führung sei „geprägt von Transparenz, Vertrauen, Dialog und kurzfristigem Feedback. Fehler werden konstruktiv angesprochen“, betont das Handelsblatt Vorteile aus Sicht der Beschäftigten. „In klassisch hierarchischen Organisationen herrscht dagegen eine Kultur aus engen Regeln“ und „wenig Entscheidungsfreiheit für den einzelnen Mitarbeiter“ (www.handelsblatt.com/unternehmen/beruf-und-buero/the_shift/fuehrungskraefte-agiles-management-wer-ueberleben-will-sollte-auf-veraenderung-setzen/22838020.html externer Link).

Oft ist auch von „Selbstorganisation“ die Rede. Von „drei Stufen des selbstorganisierten Arbeitens“ spricht Jaakko Johannsen von der Unternehmensberatung System Worx. „Auf der niedrigsten Stufe entscheiden die Teammitglieder eigenständig, wie sie ihre Arbeit am besten erledigen. Auf der zweiten Stufe entscheiden sie zusätzlich auch über die Güte der Arbeitsinhalte, setzen also eigene Standards und kontrollieren sich selbst. Auf der dritten Stufe agiert das Team eigenständig unternehmerisch und entscheidet über die eigenen Arbeitsinhalte, Ziele und Art der Bearbeitung. Auf dieser Stufe sind die Führungsrollen flexibel auf verschiedene Personen aufgeteilt“ (www.haufe.de/personal/hr-management/selbstorganisation-voraussetzungen-und-beispiele_80_458186.html externer Link).

Aber die „schöne neue Arbeitswelt“ ist fernab der Rhetorik für die Beschäftigten gar nicht so schön:
Wer jedoch keine Verantwortung übernehmen möchte und nicht lösungsorientiert denkt, wird im agilen Arbeitsumfeld unglücklich werden“, macht Zasadzin für die ING-DiBa deutlich. Agilität werde oft skeptisch betrachtet und mit „erhöhtem Abstimmungsaufwand“ gerechnet. Das Gegenteil sei aber der Fall, betont Julia Collard von der EUFH: Agilität habe „Prozesse optimiert, Kosten stark reduziert und den Gewinn erhöht“. Die Beschäftigten müssen dabei alles geben, um „sich ständig zu verbessern“, Frank Schabel, „Experte für agiles Management“ der internationalen Unternehmensberatung Hays (www.handelsblatt.com/unternehmen/beruf-und-buero/the_shift/fuehrungskraefte-agiles-management-wer-ueberleben-will-sollte-auf-veraenderung-setzen/22838020.html externer Link).

Selbst wenn keine großen „Transformationsprojekte“ angestoßen werden, werden die Ansätze „agiler Führung“ im Betrieb – etwa beim Thema „Qualifizierung“. Virtuelles Lernen wird unter dem Schlagwort „E-Learning“ vorangetrieben werden, Unternehmen bieten Lernprogramme per Internet oder Smartphone an. Was im ersten Moment modern klingt, da Lernprogramme inzwischen abwechslungsreiche Animationen bieten, wird jedoch vom Management gezielt zur Kostensenkung genutzt. Zunehmend versuchen Betriebe, die Lernzeiten in die Freizeit zu „delegieren“, da das Material über Internet zuhause bearbeitet werden kann. Die Forderungen „Lernt agil, organisiert selbst“, heißt dann in der Praxis auch: Lernen nebenbei am Küchentisch (siehe auch: (https://www.isw-muenchen.de/2018/07/digitalisierung-die-beschaeftigten-allein-gelassen externer Link).

Es geht mir vor allem um eines: Speed“, verdeutlicht Bankvorstand Nick Jue, welcher Leistungs- und Zeitdruck durch agile Führung auf die Beschäftigten zukommt (https://financefwd.com/de/ing-diba-ceo-nick-jue-im-interview-es-geht-mir-nur-um-eines-speed externer Link). „Die Frage ist, was hier sanft sein kann“, wenn es um Veränderungen geht, erklärt Elke Katz, „Chief Digital Officer“ beim Verpackungshersteller Ratioform. „Noch unsanfter wäre, wenn wir nichts Neues entwickeln, nicht digitalisieren würden“. Und verdeutlicht in Richtung Belegschaft: „Natürlich gibt es Veränderungen, die für viele Leute schwer sind. Aber die Alternative wäre, den Job zu verlieren“ (www.wiwo.de/erfolg/management/ratioform-cdo-elke-katz-die-frage-ist-ob-digitalisierung-sanft-sein-kann/22780914.html externer Link).

So liefern die Tendenzen zu agiler Arbeit – aus Beschäftigtensicht – immer mehr Argumente für eine Arbeitszeitverkürzung…

Marcus Schwarzbach, Autor des isw-wirtschaftsinfo 52 „Agil und ausgepresst“, (www.isw-muenchen.de/produkt/wirtschaftsinfo-52 externer Link)

Siehe vom Autor u.a. auch im LabourNet Germany:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=136724
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