SPD, Grüne und FDP (Kapital sowieso) wollen höhere Höchstarbeitszeit: Wir sollen uns flexibel an die Bedürfnisse des Kapitals anpassen

Dossier

Arbeit ohne EndeViele reden über geplante Klimamaßnahmen der Koalition, ein geringerer Fokus liegt auf den Arbeitsmarktpolitischen Plänen von SPD, Grünen nud FDP, obwohl sich auch hier ein Blick in die Sondierungsvereinbarungen lohnt. So soll unter bestimmten Voraussetzungen eine Aufweichung des Arbeitszeitgesetzes möglich werden. Was von den ersten Ankündigungen zu halten ist, darüber haben wir mit Elmar Wigand von der Aktion Arbeitsunrecht gesprochen.“ Beitrag vom 22. Oktober 2021 beim Radio Dreyeckland externer Link Audio Datei, siehe einen weiteren Beitrag zum Thema:

  • [DGB] Längere Arbeitszeiten? Kein Zurück in die Vergangenheit! New
    „… Mehr schwitzen und härter arbeiten lautete die Losung der Arbeitgeber. Und natürlich ist die Vier-Tage-Woche grundsätzlich böse. (…) Forderungen dieser Art sind nicht nur ein fantasieloser Affront gegenüber Millionen von Beschäftigten, die jeden Tag mit großem Einsatz ihre Arbeit leisten. Es ist vor allem ein Angriff auf ihre Zeitautonomie, die sie sich in den vergangenen Jahrzehnten mühsam (gewerkschaftlich) erkämpft haben. Dahinter steckt eine völlig verquere Logik, nach der Wohlstandzuwächse auf Mehrarbeit beruhen. Aber die Geschichte entwickelter Ökonomien ist eine Geschichte der Produktivität. Durch sie lässt sich – wie die Vergangenheit gezeigt hat – die Wirtschaftsleistung mit weniger (Erwerbs-)Arbeitsstunden steigern. (…) Auch beim Vorschlag nach der Steuerbefreiung von Überstunden handelt es sich um eine populistische Nebelkerze. 2022 wurden in der Bundesrepublik über 1,4 Mrd. Überstunden geleistet, 839 Mio. davon ohne Bezahlung (…) Wer meint, mit längeren Arbeitszeiten dem Fachkräftemangel begegnen zu können, verkennt zudem den Bumerang-Effekt. Schon jetzt bezweifeln 40 Prozent der Beschäftigten, dass sie ihre Tätigkeit bis zur Rente ausüben können. (…) Kurzum: Allgemein länger arbeiten ist keine Option. Für ausreichend Fachkräfte und Wertschöpfung gibt es andere Lösungen. Wollen die Arbeitgeber Potenziale heben, müssen sie endlich mehr für die Ausbildung junger Menschen tun. Statt prekärer Jobs sind tarifierte Arbeitsplätze mit flexiblen Zeitmodellen, bei denen die Beschäftigten gesund bleiben, gefragt. Ebenso liegt es an den Unternehmen, ihre Arbeitsorganisation zu verbessern und mit Investitionen ihre Produktivität zu erhöhen. (…) Eine stärkere Erwerbsbeteiligung von Frauen, die oft ungewollt in Teilzeit stecken, bedarf vor allem politischer Maßnahmen. Diese müssen einen forcierten Ausbau der Kinderbetreuungsmöglichkeiten zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf, eine Abschaffung des Ehegattensplittings, eine Minijob-Reform und ein erweitertes Rückkehrrecht in Vollzeit beinhalten. Offensichtlich haben Politik und Arbeitgeber reichlich Arbeit vor sich.“ #schlaglicht 04/2024 vom 1. Februar 2024 vom DGB Niedersachsen externer Link
  • Müssen die Deutschen mehr arbeiten? Lieber Bullshitjobs streichen und in Produktivität investieren
    „… Die Rufe werden lauter. Danach, dass die Deutschen wieder länger arbeiten müssten. (…) „Es gibt weltweit und historisch keine Gesellschaft, die ihren Wohlstand dadurch erhalten hat, dass sie weniger arbeitet“, so Lindner im Mai bei einer Rede. CDU-Generalsekretär Linnemann stimmt mit ein und will Überstunden und Rentner-Arbeit steuerfrei stellen. (…) Und mal ehrlich: Länger zu arbeiten, ist doch eine einfallslose Forderung, oder? Viel klüger wäre, Jobs zu streichen, die dem Land keinen Wohlstand bringen – sogenannte Bullshitjobs – und die Arbeitskräfte dort einzusetzen, wo sie dringend gebraucht werden. Warum braucht es zum Beispiel 96 gesetzliche Krankenkassen mit 96 eigenen Verwaltungen und Marketingabteilungen? Einen echten Markt gibt es dort ohnehin nicht, fast alles ist staatlich vorgegeben: die Beitragssätze, die Leistungen und so weiter. (…) Auch könnte man Tausende Buchhalter, Steuerberater und Finanzbeamte entlasten, indem man das Steuersystem verschlankt. Bagatellsteuern wie die Kaffeesteuer oder die Schaumweinsteuer könnte man streichen. (…) Oder, ganz verrückt: Den ÖPNV kosten- und ticketfrei machen. Einerseits würden ihn mehr Menschen nutzen, andererseits spart man die ganze Ticketinfrastruktur. Die ganzen Schalter, die aufgestellt, gewartet, programmiert und betreut werden müssen; die Handwerker, die Ingenieure, die IT-Spezialisten, die damit zu tun haben; die Service-Mitarbeiter, die verzweifelten Kunden beim Ticketkauf helfen müssen; und die ganzen Ticketkontrolleure. Schätzungsweise 20 Milliarden würde an Einnahmen in der Staatskasse zwar wegfallen, ein Teil aber über höhere Steuereinnahmen wieder hineinkommen, weil die Menschen das gesparte Geld woanders ausgeben. Seit 2020 experimentiert Luxemburg bereits mit kostenlosem ÖPNV, da könnte sich Deutschland etwas abgucken. (…) Die Liste ließe sich weiterführen. Es gibt noch viel mehr Bereiche, in denen wir Arbeitskraft verschwenden. Je mehr Boomer in Rente gehen, desto weniger können wir uns das aber leisten. Genauso wenig wie eine marode Infrastruktur, ein unterfinanziertes Bildungssystem oder eine schleppende Digitalisierung. Genau das bremst seit Jahren das Produktivitätswachstum. Mehr Produktivität ist aber der Schlüssel zum Wohlstand. Dafür braucht es mehr Investitionen, weniger Bullshitjobs – und höhere Löhne. Denn je höher die Löhne, desto eher lohnt sich, Menschen durch Maschinen oder Künstliche Intelligenz zu ersetzen. Ein Mindestlohn von 15 statt 12 Euro wäre also eine Produktivitätspeitsche. Vor allem ist Produktivität der einzig nachhaltige Schlüssel, um Wohlstand in einer alternden Gesellschaft zu mehren. Was Lindner, Linnemann und Steinbrück vorschlagen, ist hingegen eine Schein-Lösung. Überstunden und Rentner-Arbeit gehen für die Betroffenen nämlich früher oder später an die Substanz und sorgen nicht für mehr Produktivität!“ Kolumne von Maurice Höfgen vom 24. September 2023 in der Berliner Zeitung online externer Link

  • Arbeitgeber fordern »mehr Bock auf Arbeit«. Eine gute Work-Life-Balance bekomme man auch mit 39 Stunden pro Woche hin… 
    „Deutschland fehlen Hunderttausende Fachkräfte, zugleich wollen viele lieber früher als später aufhören. Der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA), Steffen Kampeter, sieht das äußerst kritisch. Er fordert längere Arbeitszeiten – und mehr Lust auf Arbeit. »Wir brauchen mehr Bock auf Arbeit«, sagte er in einem Interview mit dem Fachinformationsdienst »Table.Media«. Eine gute Work-Life-Balance »bekommt man auch mit 39 Stunden Arbeit in der Woche hin«, sagte er. (…) Seine Aussagen stehen im Gegensatz zu dem, was kürzlich eine große Studie unter 2900 Beschäftigten zur Arbeitszeit ergeben hat. Forscher hatten untersucht, was passiert, wenn sie einen Tag pro Woche weniger arbeiten. Ergebnis: Trotz der geringeren Wochenarbeitszeit stiegen Zufriedenheit und Gewinn. Kampeter dagegen sagt: »Wir werden länger arbeiten müssen.« Die Rente mit 63 nannte der frühere CDU-Bundestagsabgeordnete eine »offenkundige Fehlleistung der Politik« Je besser Ausbildung und Gehalt, desto früher verabschiedeten sich inzwischen Mitarbeiter in den Ruhestand, beklagt Kampeter. In diesem Jahr würden 250.000 Beschäftigte abschlagsfrei in die Frührente gehen. »Dadurch verlieren wir viele hervorragende Mitarbeiter in den Betrieben.« (…) Auch in den Schulen müsse Leistung wieder eine größere Rolle spielen, forderte der Verbandsvertreter in dem Interview. »Leistung ist was wert. Mehr noch: Wir brauchen Leistung.« Zugleich fordert Kampeter »Kitaplätze für alle«, denn in dieser Phase würden die Grundlagen gelegt.“ Meldung vom 24. Februar 2023 im Spiegel online externer Link – wenn Leistung was wert sein soll, warum entspricht dann die Wertverteilung nicht dem Prinzip Arbeitsleistung vor leistungsloser Abzocke durch Kapitalanlagen?

  • Bayerns Arbeitsministerin will tägliche Höchstarbeitszeit erhöhen – ver.di Bayern, DGB und die SPD lehnen (noch?) schnell und scharf ab
    • Flexibler länger arbeiten: Bayerns Arbeitsministerin Ulrike Scharf möchte in Ausnahmen mehr als die bisher zulässigen zehn Stunden Arbeitszeit am Stück zulassen.
      „… An diesem Mittwoch hat Thomas Domani wieder eine Veranstaltung, wie sie nach eigenem Bekunden typisch ist: Sein Betrieb, der Lehrieder Catering-Party-Service, versorgt als Partner der Nürnberger Messe Kongressbesucher kulinarisch bis in die frühen Morgenstunden hinein. Dazu plant Geschäftsführer Domani – auch Nürnberger Kreisvorsitzender des Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga – in der Regel mit zwei Schichten, damit das Personal nicht länger arbeitet als zulässig. Trotzdem gebe es immer wieder Momente, in denen so viel zu tun sei, dass man den einen oder anderen Mitarbeiter gerne um zwei Stunden freiwillige Arbeitszeitverlängerung bitten würde. Darf man aber nicht. Dabei würde der Mitarbeiter ja, sofern er das möchte, „nur die Arbeit vorziehen“, sagt Domani. „Dafür kriegt er dann am Freitag frei und hat ein langes Wochenende.“ Davon hätten seiner Meinung nach alle Seiten etwas. „Diese Beweglichkeit muss eine Chance kriegen.“ Mehr Beweglichkeit bei den Arbeitszeiten: Das könnte sich auch Bayerns Arbeitsministerin Ulrike Scharf (CSU) gut vorstellen. Bevor sie am Mittwoch zur Sozialministerkonferenz ins Saarland reiste, schickte sie ein paar Worte voraus. Die Arbeitszeitgesetze müssten sich endlich an „die Lebenswelten der Menschen anpassen“, heißt es in einer Mitteilung ihres Hauses. Dazu sei es ein „erster wichtiger Schritt“, Arbeitszeiten von mehr als den bisher gültigen zehn Stunden täglich zu ermöglichen. Freiwillig natürlich, nur für einzelne Arbeitstage „und unter Beachtung des Arbeitnehmerschutzes“. Bei Arbeitgebervertretern kommen solche Sätze in der Regel gut an; die bayerische Dehoga-Zentrale in München etwa äußerte prompt Zustimmung. (..) Hier mehr Bewegung hineinzubekommen, könnte auch für andere Branchen wie den Bau interessant sein – und hat Bayern 2019 schon mal mit einem Antrag im Bundesrat versucht. Nun also ein neuer Anlauf, den Ministerin Scharf auf Nachfrage unter anderem mit der Arbeitszeitrichtlinie der EU begründet. (…) Absehbar ist, dass der bayerische Vorstoß nicht überall auf so viel Begeisterung stoßen wird. Die Gewerkschaften etwa sehen Aufweichungen traditionell kritisch: als ein mögliches Einfallstor für Arbeitgeber, um auf Kosten der Beschäftigten Mehrarbeit einzuführen. Auch Arbeitsmediziner warnen vor Überforderung. Dabei ist die Arbeitsbelastung jetzt schon in vielen Branchen Thema, etwa in der Gastronomie. In einer Umfrage der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG), welche Aspekte des Arbeitsalltags Beschäftigte als belastend empfinden, wurden Zeitdruck und Stress am zweithäufigsten genannt. Kurzfristige Schichtänderungen sowie lange Arbeitstage und Überstunden rangierten auf Platz drei und vier. Als schlimmer – beziehungsweise verschlimmernd – wurde allein der Personalmangel empfunden. Auch in anderen Bereichen ist Mehrarbeit durchaus üblich. Soloselbständige etwa schaffen mitunter weit über die täglichen acht Stunden hinaus, teils gerne, teils notgedrungen…“ Artikel von Maximilian Gerl vom 30. November 2022 in der Süddeutschen Zeitung online externer Link
    • ver.di Bayern lehnt längere Arbeitszeiten ab
      „Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) lehnt die von Bayerns Arbeits- und Sozialministerin ins Gespräch gebrachte Verlängerung der täglichen Höchstarbeitszeit auf mehr als zehn Stunden kategorisch ab. „Der Vorschlag greift fundamentale Schutzrechte der Arbeitnehmer*innen an und ist auch in allen anderen Belangen kontraproduktiv und sogar schädlich“, kritisierte die Landesbezirksleiterin von ver.di Bayern, Luise Klemens. Der Vorschlag von Staatsministerin Scharf ist aus ver.di-Sicht absolut kontraproduktiv. „Arbeitszeiten ausdehnen und gleichzeitig die Schutzrechte der Arbeitnehmer*innen einhalten – das ist der Versuch der Quadratur des Kreises“, erklärte Klemens. Auch aus arbeitsmedizinischer, vielfach durch Studien belegter Sicht seien Arbeitszeiten jenseits zehn Stunden schädlich. „Sie fördern nachgewiesenermaßen Stress und Burn-Out – dass das eine Sozialministerin ignoriert, ist sehr befremdlich“, sagte Klemens: „Sie wird damit ihrer Rolle wenig gerecht und offenbart überraschend einseitige, wirtschaftsliberale Ansichten“, so Klemens. Das Aufheben von Standards als vermeintliche Wohltat für Arbeitnehmer*innen zu verkaufen, sei fast schon peinlich. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf würde außerdem, anders als von der Ministerin angeführt, nicht verbessert, sondern sogar verschlechtert – die Entgrenzung der Arbeit führe zu einem weiteren Verfall des Familienzusammenhalts. „Aus Mangel an Argumenten präsentiert die Ministerin hier ein mehr als durchsichtiges Feigenblatt“, erklärte Luise Klemens.“ ver.di-Bayern-Pressemitteilung vom 30. November 2022 externer Link
    • „Belegschaften wie eine Zitrone ausquetschen“: Ampel lehnt längere Arbeitszeiten ab
      Bayerns Arbeitsministerin will tägliche Arbeitszeiten von mehr als zehn Stunden ermöglichen. Die Kritik aus Berlin erfolgt schnell und scharf. (…) Kühnert nannte die Argumentation perfide und empfahl Scharf, ihre Jobbeschreibung in „Arbeitgeberministerin“ zu ändern. „Statt die Bundesregierung bei ihren Bemühungen zu unterstützen, dringend benötigte Fachkräfte durch die Stärkung von Frauenerwerbstätigkeit und Einwanderung zu gewinnen und damit für Entlastung bei den Arbeitnehmern zu sorgen, will die CSU lieber die derzeitigen Belegschaften wie eine Zitrone ausquetschen“, kritisierte Kühnert. Mit der SPD werde es keine Ausweitung der Arbeitszeit geben. „Wer Fachkräfte gewinnen will, muss die Beschäftigungsbedingungen verbessern, Einwanderer anwerben und die Frauenerwerbsquote etwa durch mehr Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessern“, sagte Kühnert. (…) Anja Piel, Vorstandsmitglied im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), griff den Vorstoß scharf an. „Arbeitszeiten hochzusetzen ist eine Schnapsidee“, sagte sie dem Tagesspiegel. Lange Arbeitszeiten würden krank machen, zudem steige ab neun Stunden Arbeitszeit das Risiko von Fehlern und Unfällen exponentiell. „Der fadenscheinige Versuch, die Herausforderungen des Fachkräftemangels allein den Beschäftigten aufzubürden ist eine billige Scheinlösung ohne sozialen Kompass“, kritisierte Piel. (…) Die Bundestagsfraktion der Union zeigte sich dagegen bedingt offen für längere Arbeitszeiten. „Es muss verantwortungsvoll geklärt werden, wo es vertretbar ist“, sagte Axel Knoerig, Vorsitzender der Arbeitnehmergruppe der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, dem Tagesspiegel. „Der Weg kann nur über Tarifverträge führen“, sagte er…“ Artikel von Felix Hackenbruch und Maria Fiedler vom 30.11.2022 im Tagesspiegel online externer Link
    • Wir wissen aus Erfahrung, dass solche Testballons ihre Funktion und auch leider Wirkung haben…
  • [Arbeitgeberverband Gesamtmetall gibt Sigmar Gabriel recht] „Wir werden länger und mehr arbeiten müssen“ – Arbeitszeiterhöhung als Lösung für den Fachkräftemangel antizyklisch und dysfunktional
    • „Wir werden länger und mehr arbeiten müssen“
      „… Der Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, Stefan Wolf, hat sich für ein späteres Renteneintrittsalter bei gleichzeitig steigender Wochenarbeitszeit ausgesprochen. „Schaut man sich die demografische Entwicklung und die Belastungen der Sozial- und Rentenkassen an, dann sind die Reserven aufgebraucht“, sagte Wolf den Zeitungen der Funke Mediengruppe. „Wir werden länger und mehr arbeiten müssen.“ Wolf zufolge sollte das Renteneintrittsalter stufenweise auf 70 Jahre angehoben werden, „weil das Lebensalter immer weiter steigt“. Ansonsten werde „das System mittelfristig nicht mehr finanzierbar sein“, sagte der Präsident des Arbeitgeberverbandes der Metall- und Elektroindustrie. (…) Der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie, Siegfried Russwurm, hatte sich für eine Wochenarbeitszeit von 42 Stunden ausgesprochen. Sie sei leichter umzusetzen als eine allgemeine Einführung der Rente mit 70. Der ehemalige SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel unterstützte den Vorschlag der 42-Stunden-Woche. Damit stieß er auf Kritik. Zahlen des Statistischen Bundesamts zufolge haben 4,5 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im vergangenen Jahr Überstunden gemacht – jeder Fünfte sogar unbezahlt. Eine neue EU-Richtlinie soll ab August Arbeitgeber dazu verpflichten, ihre Beschäftigten darüber aufzuklären, ob die Firmen Überstunden überhaupt anordnen können und inwiefern sie diese bezahlen oder anders ausgleichen.“ Meldung vom 1. August 2022 in der Zeit online externer Link – siehe dazu:
    • Arbeitszeiterhöhung als Lösung für den Fachkräftemangel?
      42 Stunden pro Woche arbeiten und mit 70 in Rente gehen – so könnte die neue Arbeitszeitregelung für Mitarbeitende aussehen, wenn es nach einigen Politikern und Wirtschaftsvertretern geht. (…) Auch ob eine offizielle Erhöhung der Arbeitszeit auf eine 42-Stunden-Woche wirklich hilft, die Arbeitskraft von fehlendem Personal zu ersetzen, ist aufgrund der bereits geleisteten Überstunden fraglich: Wie Zahlen des Statistischen Bundesamts belegen, arbeitet ein Großteil der Angestellten in der Bundesrepublik inoffiziell bereits mehr als 40 Stunden. Demnach machen 4,5 von 37,8 Millionen Beschäftigten in Deutschland jede Woche Überstunden. Zwei Drittel davon sogar mehr als fünf Stunden wöchentlich.
      Laut Kritikern der Arbeitszeiterhöhung belastet das die Mitarbeitenden und erhöht die Gefahr von negativem Stress und Burnout. Außerdem passe der Vorschlag nicht in die Zeit und zu den Bedürfnissen der Arbeitnehmer externer Link und Arbeitnehmerinnen, die nach einem nicht von der Arbeit dominierten Leben strebten. Familienfreundlich sei die 42-Stunden-Woche auch nicht, was den Fachkräftemangel nach Meinung von Ronja Ebeling noch verstärken könnte. Die Beraterin und Generation-Z-Expertin schreibt auf Linkedin externer Link: „Wenn Wirtschaft und Politik nicht wollen, dass sich der demografische Wandel in Zukunft fortsetzt oder gar verstärkt, sollten sie alles daran setzen, ein familien- und frauenfreundliches Arbeitsumfeld zu schaffen. Eine 42-Stunden-Woche und geplante Überstunden sind leider das komplette Gegenteil.“ Mit einer 42-Stunden-Woche würde Deutschland eine entgegengesetzte Richtung als andere europäische Länder einschlagen. So testen mehr als 70 Unternehmen in Großbritannien externer Link gerade die Vier-Tage-Woche mit 32 Stunden und folgen damit Island, das ein ähnliches Arbeitszeitmodell vor rund drei Jahren getestet hat. Insgesamt 86 Prozent der Arbeitnehmer in Island haben nun kürzere Arbeitszeiten oder zumindest die Möglichkeit dazu externer Link. Und auch Arbeitgeber in der Bundesrepublik haben diesen Weg eingeschlagen, etwa der Maschinenbauer Wenzel externer Link oder der Hotelbetreiber 25hours externer Link.“ Artikel von Lena Onderka vom 1. August 2022 in Personalwirtschaft.de externer Link
    • zum Thema Rente siehe unser Dossier: [Bis auf 72] Forderung nach höherem Rentenalter: „Gewinnmaximierung auf dem Rücken der Arbeitnehmer“
  • Forderungen nach längeren Arbeitszeiten: Krisenmanagement für das Kapital – Bundeskanzler Olaf Scholz verschleiert, dass in Deutschland ein knallharter Klassenkampf von oben tobt
    „Das Land steuert auf eine soziale Vollkatastrophe zu, und was sagt der Bundeskanzler dazu? „You’ll never walk alone.“ Fußballfans bekommen Gänsehaut, wenn Zehntausende im Anfield-Stadion diesen Satz singen und damit ihr „Wir“ als Liverpool-Fans konstituieren. Wenn er aus dem Mund von Olaf Scholz kommt, wirkt er hilflos. (…) „Wollen wir Menschen nicht lieber wieder mehr verdienen lassen, indem wir etwas länger arbeiten?“, fragt der Ex-SPD-Außenminister und durch diverse Aufsichtsratsposten eng mit der Wirtschaft verbandelte Sigmar Gabriel rhetorisch in der BamS, wo man solche rhetorische Fragen eben stellt. Wenn wir „unseren Wohlstand“ erhalten wollten, kämen jetzt zehn Jahre auf uns zu, in denen es „anstrengender“ würde als in den letzten. „Kleinteilige Sozialprogramme“ seien da keine „nachhaltige Antwort“. (…) Auch wenn sich nicht erschließt, warum hier ausgerechnet Gabriel befragt wird, reiht sich seine Wortmeldung in aktuelle Krisenlösungsvorschläge deutscher Kapitalinteressenvertreter ein, etwa jene von Finanzminister Christian Lindner („Wir sind in einer fragilen Lage. Was wir jetzt brauchen sind (…) mehr Überstunden, um unseren Wohlstand zu sichern“) oder Industrieverbandspräsident Siegfried Russwurm („optionale Erhöhung der Wochenarbeitszeit“, „42-Stunden-Woche“) oder Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger („Dynamisierung des Renteneintrittsalters“). Es ist kein Zufall, dass fast alle ihre Appelle mit einem „Wir“ formulieren. Die Ansprache verschleiert, dass diejenigen, die angesichts der Krise mehr Arbeit einfordern, für ihren Wohlstand, den sie als Wohlstand aller ausgeben, nie selbst gearbeitet haben. Dass dieser Wohlstand schon immer von jenen erarbeitet wurde, von denen die Profiteure sich jetzt auch noch mehr Überstunden, eine längere Arbeitswoche und eine spätere Rente wünschen. (…) „Walk on. With hope in your heart. And you’ll never walk alone“, heißt es im Song von Richard Rodgers und Oscar Hammerstein II. Wenn Scholz es zitiert, verschleiert auch er, dass in Deutschland gerade ein knallharter Klassenkampf von oben tobt. Wer sich von der Hoffnung auf ein „Wir“ benebeln lässt, der wird diesen Kampf ganz sicher verlieren.“ Kolumne von Volkan Agar vom 28. Juli 2022 in der taz online externer Link
  • Vorschlag von Sigmar Gabriel: So reagieren Gewerkschaften und Arbeitgeber auf Ruf nach 42-Stunden-Woche 
    Der ehemalige SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hat angeregt, die Wochenarbeitszeit zu erhöhen. Beim Deutschen Gewerkschaftsbund kommt das gar nicht gut an.
    Der Fachkräftemangel ist allgegenwärtig. Restaurants schließen, an den Flughäfen bilden sich riesige Warteschlangen, und Handwerker sind auf Monate ausgebucht. Während sich die Lage für Verbraucher immer weiter verschlechtert, ist die Politik noch unentschlossen, was sie dem entgegensetzen soll. Aus der Wirtschaft werden die Rufe nach einer Arbeitszeitverlängerung und einem späteren Renteneintritt laut. Zuletzt hatte der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie, Siegfried Russwurm, eine 42-Stunden-Wochen vorgeschlagen. Nun legte der ehemalige SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel nach: „Wollen wir Menschen nicht lieber wieder mehr verdienen lassen, indem wir etwas länger arbeiten?“, fragte er in der „Bild am Sonntag“. (…)
    Beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) kommt Gabriels Vorstoß gar nicht gut an. „Längere Arbeitszeiten, egal ob innerhalb der Woche oder am Ende des Erwerbslebens, sind der fadenscheinige Versuch, die Herausforderungen von Alterssicherung und Fachkräftemangel allein auf dem Rücken der Beschäftigten zu stemmen – billige Scheinlösungen ohne sozialen Kompass“, sagte Vorstandsmitglied Anja Piel unserer Redaktion. Es sei deshalb allerhöchste Zeit, einen Schlussstrich unter die Debatte über diesen „verantwortungslosen Vorschlag“ zu ziehen. Piel hält ihn für längst überholt: Seit Jahren würden in Deutschland auf gleichbleibend hohem Niveau rund 1,7 Milliarden Überstunden pro Jahr geleistet, zum großen Teil unbezahlt. Außerdem weist sie darauf hin, dass lange Arbeitszeiten nachweislich zu Burnout, Schlaganfällen und Herz-Kreislauf-Erkrankungen führten. Ab neun Stunden Arbeitszeit am Tag steige dazu die Wahrscheinlichkeit, Fehler zu machen oder gar einen Unfall zu haben. Der DGB sieht die Lösung woanders: Es brauche eine flächendeckende tarifliche Entlohnung und Sozialversicherungspflicht ab dem ersten verdienten Euro ohne Ausnahmen bei Minijobs, Saisonarbeit, Selbständigkeit und den Bezügen von Mandatsträgern, sagte Piel. Je höher die Summe der Löhne sei, von denen Beiträge in die Sozialversicherung flössen, desto solider ihre Finanzierung. Und Fachkräfte gewinne man mit mehr Aus- und Weiterbildung, guten Arbeitsbedingungen, tariflichen Löhnen und besserer Vereinbarkeit von Leben, Familie und Arbeit. (…) Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände hält eine höhere Wochenarbeitszeit dagegen für sinnvoll. „Wir müssen alle die Ärmel hochkrempeln und uns mehr anstrengen, um aus diesen vielfältigen Krisen herauszukommen“, sagte BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter unserer Redaktion…“ Artikel von Jana Marquardt vom 26. Juli 2022 bei RP online externer Link, siehe dazu:

    • Sigmar Gabriel für längere Arbeitszeit: Der Seitenwechsler
      Ex-SPD-Chef Gabriel versucht sich als weiser Ratgeber. Dabei unterschlägt er, dass er mit gut dotierten Posten Arbeitgeberinteressen vertritt.
      In der SPD wollen viele ehemalige – meist männliche – Parteigranden es so machen wie Helmut Schmidt. Sie lassen sich gern – nicht oft, aber wohldosiert – in Talkshows einladen und behelligen die Öffentlichkeit per Interview mit Ratschlägen. Sie sehen sich als Elder Statesmen, auf deren kluge Worte die Öffentlichkeit nur gewartet hat. Die armen ParteikollegInnen in Ämtern, das ist wohl der ziemlich eitle Hintergedanke, können ja nicht die unbequemen Wahrheiten aussprechen – also müssen sie ran. Sigmar Gabriel, ehemaliger Wirtschaftsminister und SPD-Vorsitzender, ist ganz vorn bei dem Versuch, den Helmut Schmidt zu geben. Jetzt machte er wieder auf Unbequem und plädierte via Bild am Sonntag für längere Arbeitszeiten, weil die Arbeitskräfte fehlten. So will er den Mangel an Arbeitskraft beheben. Gabriel sollte redlicherweise dazu sagen, dass er nicht der unabhängige weise Ratgeber ist. Gabriel vertritt Interessen: Er ist Aufsichtsratsvorsitzender der Stahltochter von ThyssenKrupp und sitzt im Aufsichtsrat von Siemens Energy und der Deutschen Bank (sein Salär allein hier: 200.000 Euro jährlich laut Vergütungsbericht) – für die Arbeitgeberseite jeweils wohlgemerkt, nicht für die Arbeitnehmerseite, wie man von einem ehemaligen SPD-Chef eigentlich erwarten könnte. In diesen Funktionen ist es sein Job, die Interessen der Kapitaleigner zu vertreten – so gesehen ist es logisch, dass er für längere Arbeitszeiten eintritt. In Zeiten weiterer Arbeitsverdichtung ist die Forderung nach einer längeren Arbeitszeit rückwärtsgewandt. Die Beschäftigten entdecken zunehmend den Wert von mehr Freizeit; in einigen Tarifverträgen ist bereits die Wahlmöglichkeit zwischen mehr Geld oder mehr Freizeit verankert. Und was den Arbeitskräftemangel angeht, gibt es bessere Ideen…“ Kommentar von Gunnar Hinck vom 25.7.2022 in der taz online externer Link
    • SPD-Politiker Gabriel für längere Wochenarbeitszeit: „75 Prozent reichen nicht“
      Der frühere SPD-Chef und Außenminister Sigmar Gabriel findet, die Deutschen sollten länger arbeiten. Das löse das Problem des Fachkräftemangels und der Rente.
      Der ehemalige SPD-Vorsitzende und frühere Bundesaußenminister Sigmar Gabriel hat sich für eine verlängerte Wochenarbeitszeit in Deutschland ausgesprochen. Damit ließen sich nicht nur die Einkommen anheben, sondern die Wirtschaft könnte so ihren Fachkräftemangel angehen. In einem Interview mit „Bild am Sonntag“ fragte Gabriel: „Wollen wir Menschen nicht lieber wieder mehr verdienen lassen, indem wir etwas länger arbeiten?“ (…) Der ehemalige Chef der SPD sowie frühere Bundesaußen-, -umwelt- und -wirtschaftsminister sagt Deutschland ein Jahrzehnt großer Belastung voraus: Man werde um massive Anstrengungen in den nächsten Jahren nicht herumkommen, sonst hinterlasse man den eigenen Kindern nichts als einen riesigen Schuldenberg. Für seine Forderung nach verlängerten Arbeitszeiten sieht er zudem Rückhalt in der Bevölkerung, denn die „allermeisten in unserem Land sind durchaus bereit anzupacken, sie brauchen aber wieder mehr Gewissheit, dass es sich auch wieder mehr lohnt“, betonte er. Jedoch verhindere eine gewisse Lethargie der Deutschen, diese Bereitschaft auch auszuleben, sagte der heutige Vorsitzende des Vereins Atlantik-Brücke. Die Deutschen hätten sich ja inzwischen oftmals damit abgefunden, zu einer Art 75-Prozent-Gesellschaft zu werden, erklärte Gabriel – „75 Prozent Pünktlichkeit der Bahn, 75 Prozent Impfquote, 75 Prozent Arbeitszeit und manchmal sogar nur 75 Prozent Unterrichtsversorgung an Schulen.“ Gabriel liefert auch einen Grund dafür, warum 75 Prozent nicht genügten: Deutschlands Wirtschaft konkurriere mit anderen Gesellschaften, die „150 Prozent leisten“ wollten. Außerdem sprach sich Gabriel dafür aus, statt „kleinteilige Sozialprogramme“ zu verfolgen, besser die „arbeitende Mitte“ zu entlasten. Dieser Teil der Bevölkerung schaffe täglich die Voraussetzungen dafür, dass Deutschland wirtschaftlich erfolgreich sei, beziehe dafür aber oft zu niedrige Einkommen. Zuschüsse für Menschen mit wenigen oder keinen Chancen am Arbeitsmarkt seien hingegen keine nachhaltige Antwort auf die Belastung durch den Arbeitskräftemangel.“ Artikel von Tilman Wittenhorst vom 24.07.2022 in heise news externer Link
    • Forderungen nach längerer Wochenarbeitszeit: Überstunden gegen den Fachkräftemangel? Das muss nicht sein
      Weil die Wirtschaft durch hohe Krankenstände und fehlende Arbeitskräfte belastet ist, wurden zuletzt Forderungen nach Mehrarbeit und längeren Arbeitszeiten laut. Aus gesundheitlicher Sicht spricht jedoch wenig dafür. Andere Länder in Europa zeigen längst, dass es auch anders geht. In Großbritannien läuft aktuell ein groß angelegter Modellversuch: 3300 Beschäftigte aus 70 Unternehmen in allen möglichen Branchen arbeiten nur noch vier Tage in der Woche, von Montag bis Donnerstag. Das Gehalt bleibt unverändert. Auch die Leistung der Beschäftigten soll möglichst nicht sinken. Einzelne Firmen berichten bereits, dass die Produktivität ihrer Angestellten seit Beginn des Experiments sogar gestiegen ist. (…) Stress, Burn-out und andere Gesundheitsrisiken im Beruf sind natürlich kein britisches Problem. Auch in Deutschland haben die Belastungen zugenommen. Die lange Pandemiezeit, die Corona-Sommerwelle und zuletzt die Hitzewelle haben viele Beschäftigte an ihre Grenzen gebracht. Die derzeit hohen Personalausfälle verschärfen den Fachkräftemangel weiter. Laut der Krankenkasse BKK ist der Krankenstand seit Auslaufen der meisten Corona-Maßnahmen deutlich angestiegen. Die Zahl der Fehltage liegt weit über den Vergleichswerten aus dem Vorjahr. Ein Arbeitsmodell, das die Gesundheit der Arbeitnehmenden schützt und zugleich ihre Zufriedenheit, aber auch ihre Produktivität verbessert, käme also auch hierzulande gelegen. Die Erfahrungen in Großbritannien, aber auch in anderen Ländern wie Island, Belgien, Schottland oder Spanien, die vergleichbare Modelle getestet haben, zeigen: Eine Reduzierung der Arbeitszeit dient nicht nur den Beschäftigten, sondern auch den Interessen der Unternehmen. In Deutschland deuteten Forderungen aus Wirtschaft und Politik zuletzt jedoch in eine andere Richtung. So sprach sich der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Siegfried Russwurm, für eine 42-Stunden-Woche aus. Das forderte zuvor bereits Michael Hüther, Direktor des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW). FDP-Chef und Bundesfinanzminister Christian Lindner schlug vor, der drohenden Wirtschaftskrise mit „mehr Überstunden“ zu trotzen. Nur so könnten wir unseren Wohlstand sichern, twitterte er. Bereits jetzt leisten 4,5 Millionen Menschen in Deutschland Überstunden, wie jüngst eine Auswertung des Statistischen Bundesamts zeigte. Für den Organisationspsychologen Roman Briker kommen solche Forderungen nicht überraschend. Briker forscht an der Universität Maastricht zum Thema Zeit. „Die Forderungen von Christian Lindner und Siegfried Russwurm sind typische menschliche Reaktionen, wenn Zeitdruck oder Stress existieren…“ Artikel von Stefan Boes vom 24.07.2022 bei RND externer Link
    • Wirtschaft und Politiker fordern längere Arbeitszeit für Erwerbstätige
      Rente mit 70″, eine längere Wochenarbeitszeit und eine höhere Zuwanderung: Das sind Vorschläge, mit denen der demographische Wandel gemeistert und der Sozialstaat gerettet werden soll. Es gibt aber auch andere Möglichkeiten. Der Bundesrepublik fehlen Fachkräfte, und die Wirtschaft trommelt deshalb für mehr Einwanderung. „Der Fachkräftemangel ist so bedrohlich, dass wir wahrscheinlich in den nächsten zehn Jahren einen Wohlstandsverlust hinnehmen müssen“, sagte Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger der Deutschen Pressen-Agentur (dpa) externer Link. Den Ausweg sieht Dulger in einer neuen Zuwanderungspolitik, die sofort hochflexibel anzugehen sei und es ermöglicht, dass Ausländer schnell und unkompliziert nach Deutschland kommen können. Mindestens 500.000 Menschen sollen pro Jahr kommen, erwünscht sind aber nur Fachkräfte. (…) Neben einer höheren Einwanderung plädiert Dulger dafür, das inländische Potenzial zu heben. „Es sollten allen, die noch keinen Abschluss geschafft haben, noch mal eine zweite und dritte Chance gegeben werden“, sagte er. Es müsse außerdem schneller gelingen, Beruf und Familie miteinander unter einen Hut zu bekommen. Politik und Wirtschaft diskutieren aktuell verschiedene Ideen, wie die Folgen des Fachkräftemangels gelindert werden könnten. Im Mittelpunkt der Debatte stehen längere Arbeitszeiten für die Lohnabhängigen in der Bundesrepublik. (…) Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Siegfried Russwurm, und der Direktor des neoliberalen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Michael Hüther, favorisieren eine längere Wochenarbeitszeit. Sie solle auf 42 Arbeitsstunden steigen. Andere Ökonomen sähen es lieber, wenn die Beschäftigten erst mit 70 Jahren in Rente gehen dürften. Der erste Vorschlag kommt auch bei Sozialdemokraten gut an. Der ehemalige SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel machte sich gegenüber Bild am Sonntag (BamS) dafür stark. Vor mehr als 25 Jahren sei die Arbeitszeit nur verkürzt worden, um die damals steigende Erwerbslosigkeit zu bekämpfen. „Arbeit für alle durch Arbeitszeitverkürzung war das Motto“, so Gabriel. Heute hätte man das entgegengesetzte Problem. Gabriel geht es aber auch darum, Deutschland für den internationalen Konkurrenzkampf zu wappnen. Und das Fachkräfteproblem könne man nicht nur mit Zuwanderungen lösen...“ Beitrag von Bernd Müller vom 25. Juli 2022 in Telepolis externer Link – siehe dazu auch unser Dossier: [Bis auf 72] Forderung nach höherem Rentenalter: „Gewinnmaximierung auf dem Rücken der Arbeitnehmer“
  • Malochen, bis der Arzt kommt: Fast ein Fünftel aller Beschäftigten kann Ruhepausen nicht einhalten. Regierung will flexibilisieren 
    „Stress und zu viel Arbeit rauben den Betroffenen den Schlaf, setzen der Psyche zu und machen früher oder später krank. Deshalb: Mehr davon! Natürlich sagt das die Bundesregierung nicht in aller Offenheit. Sie spricht lieber von Flexibilisierung und plant laut Koalitionsvertrag allerlei Eingriffe in bestehende Bestimmungen – selbstredend ganz nach den »Wünschen von Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmern und Unternehmen«. Zum Beispiel liebäugelt die Bundesregierung mit Abweichungen bei der Tageshöchstarbeitszeit oder damit, dass Beschäftigte »unter bestimmten Voraussetzungen und in einzuhaltenden Fristen ihre Arbeitszeit flexibler gestalten können«. Alles getreu dem Ampelmotto »Mehr Fortschritt wagen.« Im realen Leben ist der längst angekommen. Wie aus der Antwort des Bundesarbeitsministeriums (BMAS) auf eine Anfrage der Bundestagsfraktion der Partei Die Linke hervorgeht, halten immer weniger Werktätige die in Deutschland gesetzlich vorgeschriebenen Ruhezeiten ein. Das Ministerium bezieht sich auf eine Umfrage der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA), nach der 18 Prozent der Teilnehmer angaben, mindestens einmal pro Monat mit verkürzten Erholungsphasen konfrontiert zu sein. Bei den in Vollzeit Tätigen waren es sogar 20 Prozent. Die Studie geht auf das Jahr 2019 zurück, woraus zweierlei folgt: Die Lage dürfte sich weiter zugespitzt haben – gerade vor dem Hintergrund von Corona –, und die Regierung ist auf dem Kenntnisstand von vorgestern. (…) Alarmierend erscheint auch die Regierungsantwort auf eine weitere Anfrage Ferschls zum Ausmaß atypischer Arbeit. Demnach leisten sieben Millionen Beschäftigte Wochenendarbeit, acht Millionen arbeiten an Sonn- und Feiertagen, 5,3 Millionen leisten Abend- und 1,6 Millionen Nachtarbeit. Nach geltender Rechtslage müssen zwischen zwei Arbeitseinsätzen mindestens elf Stunden zur Regeneration liegen, in Ausnahmefällen wie in Krankenhäusern sind es zehn. Laut besagter BAuA-Erhebung fielen die nötigen Arbeitspausen indes bei 28 Prozent aller Befragten häufig aus. Im Wirtschaftszweig Gesundheit und Sozialwesen traf dies sogar auf 43 Prozent zu, im Bereich Erziehung und Unterricht auf 34 Prozent und bei freiberuflichen, wissenschaftlichen und technischen Dienstleistungen auf 31 Prozent. Schlechte Bedingungen bestehen außerdem in der Gastronomie und im Einzelhandel. »Das Recht auf Ruhezeiten muss deutlich strenger kontrolliert werden, indem Beginn, Ende und Dauer der Arbeitszeit lückenlos erfasst werden«, erklärte Ferschl. »Nur so ist sichergestellt, dass Verstöße dokumentiert und Beschäftigtenrechte gestärkt werden. Lohnraub und gesundheitliche Gefährdungen sind keine Kavaliersdelikte!«“ Artikel von Ralf Wurzbacher in der Jungen Welt vom 24. Mai 2022 externer Link
  • [ver.di] Hände weg von der Arbeitszeit!
    SPD, Grüne und FDP wollen das Arbeitszeitgesetz aufweichen. Dieses regelt unter anderem eine Tageshöchstarbeitszeit von acht Stunden (bei einer Sechs-Tage-Woche) bzw. zehn Stunden inkl. Überstunden. Diese Grenze sollen Arbeitgeber überschreiten dürfen, wenn Betriebsvereinbarungen oder Tarifverträge es vorsehen. Das verlangen die Unternehmer schon lange. Begründung sind angebliche Anforderungen der Digitalisierung: Arbeit und Kundenkontakte müssten rund um die Uhr möglich sein. Für die Beschäftigten bedeutet das Entgrenzung, mangelnde Planbarkeit und ständige Erreichbarkeit. Kürzere Ruhepausen, längere tägliche Arbeitszeiten und die Vermischung von Arbeits- und Privatleben schaden aber der Gesundheit. Die Folgen sind oft Burnout, Depression, erhöhter Alkoholkonsum, erhöhtes Schlaganfall-Risiko, vermehrte Selbstmorde. Auch kommt es häufiger zu Unfällen; die Produktivität geht zurück. Anders als oft behauptet, schaden schlechtere Arbeitszeit-Standards der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Da überwiegend Frauen Kinder betreuen, hätten sie besonders das Nachsehen…“ Wirtschaftspolitik aktuell 18 / 2021 von und bei ver.di externer Link
  • DGB zu Koalitionsverhandlungen: Keine Experimente beim Arbeitszeitgesetz 
    Im Sondierungspapier von SPD, Grünen und FDP ist die Rede davon, die Arbeitszeit künftig weiter zu flexibilisieren und „Experimentierräume“ beim Arbeitszeitgesetz zu schaffen. Der DGB lehnt das ab. (…) Arbeitszeit muss erfasst werden: „Das letzte, was wir brauchen, sind noch längere Arbeitszeiten oder Einschränkungen der Ruhezeiten“, macht Reiner Hoffmann in einem ZEIT-Artikel externer Link deutlich. Der DGB fordert: keine Experimente beim Arbeitszeitgesetz. „Mehr Flexibilität wird für Beschäftigte nur dann eine Erfolgsgeschichte, wenn sie verbindliche Ansprüche haben und die Spielregeln klar sind. Dazu gehört vor allem, dass die geleistete Arbeitszeit dokumentiert und auch vergütet wird. Das ist eine der wichtigsten Aufgaben der neuen Koalition. Die Umsetzung des EuGH-Urteils zur Verpflichtung der Arbeitgeber zur Arbeitszeiterfassung ist längst überfällig“, so Hoffmann…“ DGB-Meldung vom 03.11.2021 externer Link
  • Neue Studie: Flexible Arbeitszeiten: Ohne tägliche Grenze leidet Erholung, deutlich mehr Überstunden ohne Zeiterfassung 
    Wenn Schutzvorschriften zur Begrenzung der täglichen Arbeitszeit geschwächt werden, so wie im Sondierungspapier für eine Ampelkoalition als „begrenzte Möglichkeit“ skizziert, dürfte das für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zusätzliche Belastungen bringen: Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie kann durch mehr Überstunden verschlechtert statt verbessert werden. Die für die Gesundheit dringend notwendige Erholung wird weiter erschwert – schon jetzt hat rund die Hälfte der Erwerbstätigen Schwierigkeiten, von der Arbeit abzuschalten. Besonders betroffen sind Beschäftigte, deren Arbeit „flexibel“ über Projekte oder Deadlines organisiert wird, oder in Betrieben mit dünner Personaldecke. Damit steigt die Gefahr von Stresserkrankungen oder Burnout. Statt Abweichungen von den täglichen Erholungszeiten zu begünstigen, wäre es wichtig, die vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) schon vor gut zwei Jahren eingeforderte betriebliche Arbeitszeiterfassung gesetzlich umzusetzen, insbesondere bei mobiler Arbeit. Denn beispielsweise machen Beschäftigte im Homeoffice aktuell fast doppelt so viele Überstunden, wenn die Arbeitszeit nicht aufgezeichnet wird. Das ergibt eine neue Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung…“ PM der HBS vom 02.11.2021 externer Link zur Studie von Yvonne Lott, Elke Ahlers: Flexibilisierung der Arbeitszeit: Warum das bestehende Arbeitszeitgesetz und eine gesetzliche Arbeitszeiterfassung wichtig sind externer Link als WSI Report Nr. 68 vom Oktober 2021
  • „Bis zu 13 Stunden Arbeit möglich“
    Rot-Grün-Gelb könnte die Regelungen zur Begrenzung der täglichen Arbeitszeit aufweichen. Der Gewerkschaftler Guido Zeitler warnt vor akuter Gesundheitsgefährdung. [taz: Herr Zeitler, im Sondierungspapier ist die Rede von möglichen „Abweichungen von den bestehenden Regelungen des Arbeitszeitgesetzes hinsichtlich der Tageshöchstarbeitszeit“. Kann man Arbeitnehmer künftig dazu zwingen, 20 Stunden am Tag zu arbeiten?] Guido Zeitler: Nein, man hat ja immer noch die in der Europäischen Arbeitszeitrichtlinie festgehaltene Beschränkung der Arbeitszeit durch die Nachtruhe und die beträgt mindestens 11 Stunden. Aber damit könnte man künftig immer noch bis zu 13 Stunden am Tag arbeiten. [Wenn sich an der Wochen- und Monatsarbeitszeit nichts ändert, könnte das doch manchen Arbeitnehmern sogar entgegenkommen. Dann arbeitet man in Vollzeit eben nur drei Tage die Woche statt fünf.] Das mag für Menschen, die jung sind, ja noch machbar sein. Aber irgendwann rächt sich das. Wir wissen aus der Arbeitsmedizin, dass tägliche lange Arbeitszeiten gesundheitsgefährdend sind und die Gefahr von Unfällen erhöhen. Das sind Belastungsspitzen, die nicht gut sind. Das zu systematisieren ist nicht der richtige Weg. (…) [In welchen Branchen würde eine Ausweitung der Arbeitszeiten drohen, wenn die neue Bundesregierung ihre Pläne umsetzt?] In allen Bereichen – selbst in der Industrie. Da haben die Arbeitgeber natürlich auch ein Interesse daran, die Maschinenauslastung hochzuhalten. Aber erfahrungsgemäß sind es Dienstleistungsbereiche mit geringer Mitbestimmungsstruktur, wo man sich die größten Sorgen machen muss. Allerdings stand auch im letzten Koalitionsvertrag was zur Arbeitszeit, man sprach von „Experimentierräumen“, aber eine wirkliche Initiative gab es nicht. [Wird das Thema dieses Mal auch unter den Tisch fallen?] Es gibt einen qualitativen Unterschied im Sondierungspapier. Da steht drin, dass Änderungen aufgrund von Betriebsvereinbarungen erfolgen können. Da werden im Zweifel bestehende Arbeitszeitregelungen aus den Tarifverträgen unterlaufen. Wenn ich als Betriebsrat vor der Wahl stehe, ein gesundheitsschädigendes Arbeitszeitmodell mitzutragen, dafür womöglich einen Personalabbau von 20 Stellen zu verhindern – da weiß man doch, welche Kräfte da in den Betrieben wirken…“ Interview von Jörg Wimalasena vom 19.10.2021 in der  taz online externer Link

Siehe zum Thema unter vielen auch im LabourNet Germany:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=194498
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