Gekaufte Wissenschaft

foodwatch-Forderung nach mehr staatlicher Verantwortung für LehrmaterialenInterview von Fanny Schmolke aus ver.di publik Ausgabe 02/2020 mit Prof. Dr. Christian Kreiß externer Link „über den wachsenden Einfluss von Konzernen auf die Forschung und die Auswirkungen auf Gesellschaft und Gewerkschaften (…) ver.di publik: Ausgerechnet mit Mitteln von Facebook will man die ethischen Folgen und Auswirkungen von algorithmischen Systemen erforschen? Dr. Christian Kreiß: Absurd! Facebook, das für einen Ethikbruch nach dem anderen bekannt ist. Am Anfang dachte ich, es sei ein Aprilscherz. Gegen Facebook werden in den USA über 30 Prozesse wegen Ethikverstößen geführt, weil sie Daten zu Zwecken verwenden, die nicht erlaubt sind. ver.di publik: Die Verantwortlichen beteuern, das Geld sei an keinerlei Auflagen oder Erwartungen gekoppelt. Der geheime Vertrag zwischen Facebook und der TU, der Ende letzten Jahres publik wurde, legt anderes nahe. Kreiß: Es wird massiv Einfluss genommen. Zum einen steht in diesem geheimen Vertrag ausdrücklich, dass der Institutsdirektor Professor Christoph Lütge sein muss und ohne Zustimmung von Facebook nicht abgesetzt werden darf. Facebook bestimmt also die Personalie. Zum anderen steht im Vertrag, dass die 7,5 Millionen Dollar in fünf Tranchen ausgezahlt werden und die Zahlungen jeden Herbst nach freiem Ermessen von Facebook eingestellt werden können. (…) Die Grundfinanzierung, die von Staatsseite kommt, ist die letzten zwanzig Jahre sehr viel langsamer gewachsen als die Studentenzahlen und die Forschungsausgaben, sodass sich da ein Keil aufgetan hat. In diesen sind die Drittmittel geflossen – von Staatsseite, aber auch von Industrieseite. Dadurch sind die Unis quasi in die Knie gezwungen worden. Wir müssen betteln gehen, um noch forschen zu können. Das hat nichts mehr mit auf Augenhöhe zu tun, da kann die Industrie diktieren. Das zweite Problem sind die vielen befristeten Verträge der wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oder die Junior-Professuren. Diese Befristungspolitik hält die Beschäftigten klein…“ Siehe nun zum Buch von Christian Kreiß:

  • Gekaufte Wissenschaft: Nur noch ein Sechstel der Forschung ist frei, der allergrößte Teil findet im Dienste der Gewinnmaximierung statt New
    „… Anders ausgedrückt: Von den gut 700.000 Menschen, die in Deutschland forschen (Vollzeitäquivalente) können weit über 500.000 NICHT ihren eigenen Forschungsfragen nachgehen, sondern bekommen Vorgaben von der Konzernleitung oder anderen Stabsstellen, worüber sie zu forschen haben. In den allermeisten Fällen geht es dabei um die Frage, wie die Gewinne maximiert werden können, und nicht darum, was gut für Land und Leute ist. Selbst an den staatlichen Hochschulen steht nur mehr etwa jeder zweite Forschungseuro für freie Forschung zur Verfügung, die andere Hälfte wird über Drittmittelgeber vorgeschrieben. Also selbst an den Universitäten und Fachhochschulen kann nur mehr etwa jeder zweite Professor frei forschen, und jeder zweite forscht über das, was mit dem Drittmittelgeber vereinbart wurde. Die freie Forschung hat in den letzten etwa 30 Jahren in Deutschland stark abgenommen. (…) [Was wäre dagegen zu tun, wenn] nur der gesellschaftliche oder politische Wille da wäre[?] Zum einen brächten wir größtmögliche Transparenz statt der heutigen VOLLKOMMENEN Opaziät. „Alle Kooperationsverträge mit staatlichen Hochschulen ins Netz“ wäre die allererste Forderung. (…) Zweite wäre eine richtige Grundfinanzierung der staatlichen Hochschulforschung statt der heutigen fast hälftigen Drittmittelfinanzierung. (…) Drittens wäre eine grundsätzlich andere Finanzierungsform unserer Hochschulen erstrebenswert: Ein Gutscheinsystem (Voucher-System). Unsere zugelassenen Studierenden erhalten einen Voucher, mit dem sie frei ihre Hochschule wählen können. Dadurch könnte im Laufe mehrerer Jahrzehnte ein wirklich freies Hochschulsystem entstehen. Viertens müssten wir unsere Gremien, insbesondere die Hochschulgremien, aber auch andere über Wissenschaft beratende Entscheidungsgremien sehr viel ausgewogener besetzen, als das heute der Fall ist. Durch diese teilweise sehr einfachen und sehr schnell umsetzbaren Maßnahmen könnten wir eine Forschungslandschaft entwickeln mit wirklich freier, unabhängiger Forschung zum Wohle der Allgemeinheit. Möge es dazu kommen und möge unsere Forschung zum Wohle aller florieren.“ Auszug aus „Gekaufte Wissenschaft – Wie uns manipulierte Hochschulforschung schadet und was wir dagegen tun können“ von Christian Kreiß bei Telepolis am 28. August 2020 externer Link. Das Buch erschien am 21. August 2020 bei tredition externer Link zum Preis von 18,50 Euro (252 Seiten)
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=171283
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