»Das Team ist das Problem, aber auch Teil der Lösung«. Dank »indirekter Steuerung« übernehmen Beschäftigte immer mehr Unternehmerfunktionen

Langeweile am Fliessband - ein Grund für Gruppenarbeit?Die Philosophin Eva Bockenheimer über die Folgen der neuen Arbeitsorganisationsform in einem Interview von Hannah Schultes bei ak – analyse & kritik – zeitung für linke Debatte und Praxis Nr. 651 vom 20. August 2019 externer Link: „… Bis ca. 1970 war die vorherrschende Arbeitsorganisationsform der Taylorismus beziehungsweise der Fordismus, der auf einem System von Befehl und Gehorsam mit klaren Anweisungen basiert. Kennzeichnend für diese Arbeitsorganisation war also die direkte Steuerung: Die Beschäftigten hatten mehr oder weniger das zu tun, was ihnen gesagt wurde, und die Unternehmerfunktionen lagen bei den Kapitalgebern oder ihren Managern. Heute dagegen haben die meisten Beschäftigten den Anspruch und die Fähigkeit, sich in der Arbeit mit dem gesellschaftlichen Sinn ihrer Arbeit auseinandersetzen zu können. Sie möchten ihre Arbeit gut machen und sich mit ihr identifizieren können. Der Philosoph Stephan Siemens bezeichnet diese Fähigkeit in Anschluss an Marx als neue produktive Kraft der arbeitenden Menschen und stellt heraus, dass die Unternehmen gezwungen sind, sich an diese Fähigkeit anzupassen, wenn sie ihre Profite weiter steigern wollen. (…) Die Unternehmen setzen vermehrt auf sogenannte selbstorganisierte Teams, die nahezu keine direkten Vorgaben bekommen, wie sie ihre Arbeit zu erledigen haben. Diese Teams müssen vor allem bestimmte, von den Unternehmen vorgegebene Gewinnerwartungen erfüllen – und das auch nachweisen. Man gibt immer mehr Verantwortung an die Beschäftigten ab, möchte aber weiterhin die Kontrolle behalten. Dafür steuert man nun indirekt, indem eine sogenannte Umwelt eingerichtet wird, auf die die Teammitglieder unternehmerisch reagieren sollen und müssen. (…) Mit einer marxistischen, materialistischen Perspektive sieht man, dass die Beschäftigten aktuell lernen, ihre Zusammenarbeit zu koordinieren und sich gemeinsam mit dem gesellschaftlichen Sinn ihrer Arbeit auseinanderzusetzen. Sie tun das zwar in einer beschränkten Form, nämlich unter Maßgabe der Profitorientierung, aber dennoch: Sie tun es, und deshalb können sie auch lernen, sich diese Fähigkeit anzueignen. Stephan Siemens und Martina Frenzel machen das in ihrem Buch »Das unternehmerische Wir« bereits im Titel deutlich: In der Realität mutieren nicht einzelne Individuen zum unternehmerischen Selbst, sondern Beschäftigte nehmen ganz objektiv gemeinsam im Team diese Funktionen wahr. Auch wenn ihnen das zum Teil nicht bewusst ist und sie dabei vielleicht der Selbstoptimierung frönen, liegt diesen Arbeitsorganisationsformen ihre neue produktive Kraft zugrunde, die momentan noch von den Unternehmen instrumentalisiert werden kann. Die Frage ist, wie lange noch…“

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