[analyse & kritik] Das faulste Virus aller Zeiten? Corona bei der Arbeit

Coronavirus, die Hetze und der Ausnahmezustand: China im ShitstormDies ist der Titel einer neuen Reihe von analyse & kritik – Zeitung für linke Debatte & Praxis: Corona bei der Arbeit externer Link seit dem 21. Januar 2021: „Man weiß inzwischen eine Menge darüber, wie und wo man sich mit dem Coronavirus infizieren kann. Nur über einen großen Bereich des Lebens herrscht Schweigen, und Daten sind so gut wie keine zu finden: die Arbeitswelt. In der Reihe »Corona bei der Arbeit« dokumentieren wir kurze Berichte und Stimmen aus dem Arbeitsleben unter Corona. Wenn ihr auch über eure Erfahrungen berichten wollt, schreibt uns: redaktion@akweb.de“ und darin:

  • Corona bei der Arbeit (Teil 4): Christoph (Tischler) und Sarah (Sozialarbeiterin) New
    „[Christoph, 34 Jahre, Tischler] Als Tischler arbeite ich überwiegend als Subunternehmer für andere Tischlereien. Gelegentlich mache ich auch eigene Aufträge. Wirtschaftlich negativ wirkt sich die Pandemie auf unsere Branche eigentlich gar nicht aus, im Gegenteil: Teilweise kriegen wir Material nicht, weil die Nachfrage so hoch ist. Wir haben momentan eher mehr zu tun als vor der Pandemie. Das höre ich im Übrigen aus allen handwerklichen Bereichen. Sowohl in Bauhauptgewerbe und Baunebengewerbe, von denen die Tischlerei und besonders der Möbelbau ja nur ein kleiner Teil ist. Es gab bisher keinen Zeitpunkt in der Pandemie, an dem ich nicht gearbeitet habe. Die Diskrepanz zwischen: Privat geht nicht, aber arbeiten und konsumieren geht immer, stört mich sehr. (…) In meinem Arbeitsalltag mache ich oft Wartungsarbeiten im Auftrag der Vermieter in Wohnungen, wenn zum Beispiel ein Fenster klemmt oder eine Tür kaputt ist. Mitunter baue ich auch ganze Wohnungseinrichtungen von Tischen über Einbaumöbel bis zu Küchen, oft auch für ältere Kunden, die eher wohlhaben sind und sich überhaupt einen Tischler leisten können. Das heißt, ich bin entweder in der Werkstatt oder in Privatwohnungen und habe auch entsprechend viele Kontakte. Das ist für mich persönlich okay, weil ich mich selbst nicht als Risikogruppe sehe – Angst habe ich eher davor andere anzustecken. Unangenehm ist, dass es insgesamt wenig Sensibilität gibt bezüglich der Pandemie-Situation: Es wird nur selten Maske getragen, Fenster werden selten geöffnet und so weiter – in der Werkstatt wird gar keine Maske getragen, außer bei Lackierarbeiten, und das hat mit der Pandemie nichts zu tun
    [Sarah, 31 Jahre, Sozialarbeiterin in einem Nachtquartier für Wohnungslose in Wien] Das Absurde gleich vorweg: Corona hat eine Verbesserung für die Nächtiger*innen im Wohnungslosenquartier mit sich gebracht. Das ist natürlich eine provokante Aussage, denn die Menschen, mit denen ich zu tun habe, gehören definitiv zu den vulnerabelsten Gruppen. Aber vor dem Ausbruch der Pandemie hatten die Notschlafquartierte, in denen zwischen 50 und 70 Menschen in Mehrbettzimmer schlafen, immer nur zwischen Ende Oktober und Anfang Mai von 22 Uhr bis 6 Uhr offen. (…) Das, was die Initiative Sommerpaket schon lange gefordert hat, nämlich die Quartiere rund um die Uhr geöffnet zu haben, Sommer wie Winter, ist also vorläufig umgesetzt worden. Es ist eine merkliche Entlastung für die Nächtiger*innen, aber auch für uns Sozialarbeiter*innen. Es gibt außerdem spezielle Quarantänestationen – dazu wurden auch Hotels geöffnet – für Wohnungslose mit Symptomen. Allerdings kann genau diese Quarantäne für Wohnungslose oder suchtkranke Menschen, lebensbedrohlich werden. Sie sind angewiesen auf medizinische Versorgung oder Substitute, die sie sich sonst jeden Morgen bei einer Apotheke abholen würden. Plötzlich haben sie keinen Zugang mehr dazu. (…) Was unsere Hauptforderungen sein müssen, sind vor allem, dass es mehr medizinisches Personal gibt und einen Gesundheitszugang für alle Menschen − einschließlich der notwendigen Medikamente für Wohnungslose in Quarantäne. Und natürlich die utopische Forderung nach einer menschenwürdigen Unterbringung für Nächtiger*innen. (…) Wir haben Ganzkörperschutzausrüstungen, Teamsitzungen sind online, und seit Anfang Dezember werde ich einmal pro Woche getestet – wobei ich mich schon Frage, warum das erst seit Dezember möglich ist? Ich kann meinen Beruf nicht von zu Hause aus machen, und ich lass es mir auch nicht nehmen, mal eine Freundin zu treffen. Die Sanitäter*innen, die bei uns arbeiten, werden übrigens nicht getestet. Ich glaube, deren Träger hat Angst, dass dann jemand in Quarantäne muss. Die sind zurecht sauer: Wir werden getestet, und sie nicht. Mehr Gesundheitspersonal würde kranken Kolleg*innen ermöglichen, in Quarantäne zu gehen…“ Protokolle von Hannah Eberle und Nelli Tügel am 5. Februar 2021 beim akweb.de externer Link
  • Corona bei der Arbeit (Teil 3): Aimo (U-Bahnfahrer) und Sophia (Künstlerin)
    „[Aimo, 34 Jahre, U-Bahnfahrer bei BVG] … Wohin das ganze Sparen führt, hat sich schon im Berliner S-Bahn-Chaos gezeigt. Die überbezahlten Manager*innen machen einen destruktiven Job. Das wäre alles anders, wenn die Beschäftigten selbst den Laden schmeißen würden. Dann hätten wir auch längst die Dienstpläne geändert, um das Infektionsrisiko zu verringern. Wir sollten zwar alle eine Infektionsschutzbelehrung unterschreiben. Der Sinn dahinter ist wohl, dass die BVG-Führung wieder mal die Verantwortung los wird. Als es den ersten Corona-Toten unter den Kollegen gab, hat die Pressesprecherin der BVG gegenüber der Berliner Zeitung gesagt, sie ginge davon aus, dass die Infektion im Privaten stattgefunden hätte, »zum Beispiel bei Feiern«. So eine Dreistigkeit. Ein großes Problem ist auch, dass noch so viele Leute unterwegs sind, weil sie weiterhin zur Arbeit fahren müssen. (…) Gerade wir Verkehrsarbeiter*innen könnten dabei maßgeblich zur Durchsetzung einer ZeroCovid-Politik beitragen. Ohne das zu lange auszuwalzen: Wenn ver.di und/oder EVG, GDL, NahVG (und beschränkt auch kleinere Gewerkschaften) wollten, könnten wir ZeroCovid durch das Lahmlegen des Nahverkehrs mit Streiks durchsetzen. Das ist allerdings etwas komplett anderes, als wenn die Bundesregierung so wie kürzlich darüber nachdenkt, den Nahverkehr einzustellen, um die Mobilität der Menschen einzuschränken, weil es dann Teil einer Bewegung von Lohnabhängigen wäre, um die kapitalistische Produktion einzuschränken, also den Lockdown von unten zu erzwingen. Dafür brauchen wir die Gewerkschaften, und die tun bisher viel zu wenig: Die Vertreter*innen auf allen Ebenen der Gewerkschaftsbürokratien müssen die Frage gestellt bekommen, ob sie bereit sind, das Virus aufzuhalten, oder auf Kosten vieler Menschenleben ihre Hände – 30 Sekunden lang – in Unschuld waschen wollen.
    [Sophia, 26 Jahre, freischaffende Künstlerin] (…) Als darstellende Künstlerin schützt mich finanziell gerade nur, dass ich einen Kredit habe. Sprich: Mich »rettet« Geld, das nicht mir gehört und das ich irgendwann zurückzahlen muss. Ich habe einmalig die 2.500 Euro Hilfe für Soloselbstständige bekommen, aber: Die Pandemie dauert jetzt schon ein Jahr lang. Ein Jahr, in dem ich quasi Berufsverbot habe. Dieses Geld hat nur gereicht, um kurzfristig Löcher zu stopfen. Die bürokratischen Hürden für neue Hilfen sind für Menschen mit unregelmäßigem Einkommen, Geringverdienende und Berufseinsteiger, also auch für mich, kaum zu überwinden. Ich habe trotzdem alles daran gesetzt, meinen Beruf auszuüben. Das war nur möglich, indem meine Komplizen und ich viel unbezahlte Zeit und Mittel investiert haben, um weiterhin Produktionen unter Corona-Bedingungen zum Publikum zu bringen. Was noch bleibt, ist Fördergelder für Projekte zu beantragen. Nur, dafür muss man natürlich erstmal ein Konzept und die Aussicht auf Durchführbarkeit haben. Alles auf eine Karte zu setzen und sich nur bei einer Stiftung zu bewerben, wäre zu riskant. Das heißt, man geht andauernd in unbezahlte Vorleistung, erarbeitet Konzept um Konzept, und wenn man Glück hat, bekommt man dann von irgendwo eine Förderung. Das gestaltet sich schon ohne Pandemie schwierig. (…) Abgesehen von dem finanziellen Desaster frage ich mich schon, welchen Wert ich für diese Gesellschaft habe. Die Message, die meiner Branche seit Beginn der Pandemie gesendet wurde, ist: Das Beste, was ihr Künstler*innen machen könnt, um das System zu schützen, ist so wenig wie möglich zu existieren. Ist mein gesellschaftlicher Beitrag in diesem System nun also Schrott, egal oder Luxusgut?…“ Protokolle von Carina Book am 3. Februar 2021 beim akweb.de externer Link
  • Corona bei der Arbeit (Teil 2): Selda (Friseurin) und Alina (Bauleiterin)
    „[Selda*, 30 Jahre, Friseurin] Als wir nach dem ersten Lockdown wieder im Friseursalon arbeiten durften, waren wir erstmal froh, weil das Kurzarbeitergeld natürlich vorne und hinten nicht gereicht hat. Bei den niedrigen Löhnen, die Friseurinnen bekommen, kann man sich das vielleicht vorstellen. Das Kurzarbeitergeld ist grade genug, um meine Miete zu bezahlen. Ich musste meinen Vater um Unterstützung bitten, was sehr unangenehm ist als erwachsener Mensch. Die Mehrheit meiner Kolleginnen hat während des Lockdowns schwarz gearbeitet, weil das Geld nicht gelangt hat – das ist jetzt im zweiten Lockdown auch nicht anders. Trotzdem habe ich mich gefreut, als der zweite Lockdown beschlossen wurde, weil das für mich bedeutet hat, dass ich mich jetzt endlich selbst schützen kann. (…) Mein Chef sieht Corona nicht als ernstzunehmende Krankheit an. Er ist davon überzeugt, dass er nicht daran erkranken wird. Manchmal redet er sogar von »natürlicher Selektion« und davon, dass es ja ohnehin zu viele Menschen auf der Welt gäbe. Auch einige Kolleginnen nehmen Corona nicht ernst oder sind sogar Corona-Leugnerinnen. Wenn die im Aufenthaltsraum ohne Masken herumlaufen, bin ich dem einfach ausgeliefert
    [Alina*, 33 Jahre, Bauleiterin] Ich bin Bauleiterin in einer großen Baufirma. Statt Homeoffice heißt es bei mir: Baustelleneinsatz. Seit Februar 2020 habe ich verschiedene Baustellen betreut und konnte nie im Homeoffice Arbeiten. Zum einen hätte ich das auch unfair gegenüber meinem Baustellenteam gefunden, das trotz Corona uneingeschränkt Arbeiten musste, und zum anderen wurde die Option Homeoffice von meinem Vorgesetzten belächelt. Ich sei schließlich die ganze Zeit an der frischen Luft, und so schlimm sei dieses Coronavirus nun auch nicht. Ich solle mich nicht verrückt machen. Nach wenigen Wochen kam die Einsicht, dass Corona eventuell doch ein ernstes Thema sein könnte. Daraufhin folgten aus den verschiedensten Abteilungen des Konzerns Betriebsvereinbarungen, die nicht umsetzbar waren. Interessanterweise hätte ich nach jeder einzelnen Betriebsvereinbarung die Baustelle dicht machen müssen, da ich beispielsweise kein Desinfektionsmittel zur Verfügung stellen konnte – das war im März 2020 nämlich größtenteils ausverkauft. Von oben kam aber weiterhin die Anweisung: »Nein, Sie dürfen die Baustelle nicht schließen.« Auch auf Auftraggeberseite war man bemüht, den Betrieb aufrechtzuerhalten. Ich fragte nach einem genauen Konzept zur Einhaltung der Hygienevorschriften. Wieder bekam ich Konzepte zugeschickt, die ich nicht umsetzen konnte: Die Arbeiter sollen während der Arbeit einen Abstand von mindestens zwei Metern halten. Der Graben, in dem mein Team von vier Mann arbeiten musste, war aber insgesamt nur zwei mal zwei Meter groß. (…) Neben dem Druck, den Fertigstellungstermin einzuhalten, gab es auch ein Schreiben vom Bauindustrie Verband an die Bundesminister Seehofer und Scheuer mit dem Betreff »Keine Baustellenstopps in Deutschland«. In dem Brief wird zuerst ein halbseidenes Bekenntnis abgelegt, dass die Gesundheit der Bevölkerung natürlich an erster Stelle stünde, danach heißt es dann: »Gerade die Baustellen in Deutschland, auf denen ein monatliches Umsatzvolumen von rund 12 Mrd. Euro erwirtschaftet wird, stellen aktuell eine gute Stütze der Wirtschaft dar.« Ich fragte mich, ist mein Team kein Teil der Bevölkerung? (…) Auf der letzten Baustelle waren am Ende vier von elf Arbeitern Corona-positiv und haben somit auch ihre Familien angesteckt. Die Reaktionen in meinem Betrieb waren schockierend: »Die können sich auch beim Einkaufen oder im privaten Umfeld angesteckt haben«, wurde gesagt, um sich von der Verantwortung frei zu machen und die »Schuld« bei den Arbeitern zu suchen. Oder fast noch heftiger: »Hättest du keine Tests verordnet, hättest du keinen Corona-Fall gehabt.«Protokolle von Carina Book am 23. Januar 2021 beim akweb.de externer Link
  • Teil 1: Sina (Ladenbau) und Viola (Veranstaltungskauffrau) externer Link (Protokolle: Carina Book).
  • Siehe auch corona@work – neuer Blog zu Arbeiten in und nach der Corona-Krise
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=185351
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