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Streik an den polnischen Schulen: Unterbrochen. Oder: Beendet?

Streik an Polens Schulen 2019Vor der Tagung des Vorstandes der Gewerkschaft ZNP wurden die drei Alternativen zum weiteren Vorgehen (der Vorstand hat sich nun für die dritte Variante entschieden, „im September weitersehen“) und die Entwicklung des Streiks so berichtet: „In seiner dritten Woche geht der Ausstand der Lehrer in Polen in seine entscheidende Phase. Angesichts der erkennbaren Absicht der Regierung, die Streikenden zu ermüden, stehen die Lehrer und ihre Gewerkschaften vor der Frage, wie sie den Arbeitskampf fortführen sollen. Am Dienstag abend wollte der Hauptvorstand des Lehrerverbandes ZNP, der größten Gewerkschaft der Branche, über das weitere Vorgehen entscheiden. Zur Debatte stehen drei Hauptvarianten: Weiterstreiken, das würde die diesjährigen Abiturprüfungen in Gefahr bringen. Der Ausstand könnte auch in weniger sichtbare und im Wesentlichen symbolische Formen überführt werden, etwa »rotierende« Arbeitsniederlegungen in nur einem Teil der Schulen. Oder: Alles einpacken und – vielleicht – zu Beginn des neuen Schuljahres im September den Streik wiederaufnehmen. (…) Die Regierungspartei PiS und ihre Staatsmedien walzen dieses Thema seit Streikbeginn systematisch aus, und die Propaganda gegen die »gierigen«, »faulen« und »politisierten« Lehrer trägt insbesondere in der Provinz und in den PiS-Hochburgen im Osten und Süden Polens zu wachsender Frustration unter den Streikenden bei. Aber die Streikfront steht im wesentlichen. Von den 20.000 Schulen Polens beteiligen sich nach Gewerkschaftsangaben aktuell 13.000 am Ausstand – zu Beginn waren es 15.000. Zu Unterstützungsdemonstrationen für die Lehrer kamen am Dienstag in Warschau, Krakau und Szczecin jeweils mehrere tausend Menschen. Der zuletzt gemachte Vorschlag der Regierung ist eine offenkundige Provokation: eine Erhöhung der Pflichtstundenzahl um zehn Prozent im Gegenzug zu einer Gehaltserhöhung um sieben Prozent. Von den Gewerkschaften nimmt niemand dieses »Angebot« als Verhandlungsgrundlage ernst…“ – aus dem Beitrag „Weitermachen oder aufgeben“ von Reinhard Lauterbach am 24. April 2019 in der jungen Welt externer Link zur Entwicklung des Streiks an den polnischen Schulen in Streikwoche drei. Siehe dazu die Meldung über den Streik-Abbruch, zwei weitere aktuelle Beiträge aus den letzten Streiktagen, einen Stimmungsbericht und zwei Hintergrundbeiträge sowie den Hinweis auf unseren bisher letzten Bericht zum Schulstreik in Polen:

„Lehrerstreik geht am Samstag vorerst zuende“ am 25. April 2019 im Deutschlandfunk externer Link meldet: „Die Lehrerinnen und Lehrer in Polen werden ihren Streik nach mehr als zwei Wochen am Samstag beenden. Zur Begründung hieß es, man wolle die für Anfang Mai angesetzten Abiturprüfungen nicht gefährden. Allerdings werde der Arbeitskampf im Herbst fortgesetzt. Gewerkschaftschef Broniarz betonte, bis dahin habe die Regierung Morawiecki Zeit, einen konkreten Lösungsvorschlag vorzulegen…“

„Les enseignants polonais en grève descendent dans la rue“ am 23. April 2019 in La Presse externer Link ist eine afp-Meldung über die auch im ersten Artikel angesprochenen Demonstrationen in zahlreichen Städten Polens, bei der auch Stimmen der Streikenden kurz berichtet werden.

„Teachers Are Striking in Poland, Too“ von Michalina AUGUSIAK und Mikołaj RATAJCZAK am 21. April 2019 bei Europe Solidaire externer Link ist ein Beitrag, in dem die Entwicklung zu Beginn der dritten Streikwoche ebenfalls als kritisch betrachtet wird, nach der Beendigung des Streiks in rund 2.000 Schulen: Die Verweigerung der Regierung solle die Streikenden finanziell ausbluten – dagegen helfe nur, den Streik konsequent fortzusetzen und die Straßen zu füllen, um Stärke zu zeigen. (Es gab auch einen Spendenaufruf)

„Polnische Lehrer erklären, warum sie streiken“ von Will Morrow am 26. April 2019 bei wsws externer Link sammelt und dokumentiert Stimmen und Stimmung: „Während die Gewerkschaften daran arbeiten, die Streiks auszuverkaufen, machten die Lehrer in Gesprächen mit der WSWS ihre eigene Kampfentschlossenheit und auch die der Schüler deutlich. „Uns wurde immerzu gesagt, dass Lehrer nicht streiken sollten“, erklärte Ania, eine Lehrerin mit 21-jähriger Berufserfahrung in Knurów, einer Industriestadt in der Bergbauregion Oberschlesien. „Wir werden ununterbrochen von den Politikern angegriffen“, und „sogar von einigen Priestern, die während der Messe predigen, wir seien faul und sollten das Streiken aufhören.“ Sie fügte hinzu: „Seit siebzehn Tagen gibt es keinen Unterricht, weil unsere Regierung nicht hilft, sondern versucht, die Bevölkerung gegen uns aufzubringen. Der stellvertretende Justizminister verglich die Lehrer mit der Wehrmacht [die 1939 Polen überfiel]. Andere verunglimpften uns als ‚Terroristen‘, die die Schüler als ‚Geiseln‘ nähmen, das heißt, sie nicht unterrichteten.“ Ania beschrieb die Arbeitsbedingungen und Armutslöhne, mit denen die Lehrer konfrontiert sind: „Ich habe erst einen Bachelor-, dann einen Master-Abschluss erworben und anschließend Gehörlosenpädagogik studiert, das bedeutet, ich bin qualifiziert für die Unterrichtung von hörgeschädigten Kindern. Ich beherrsche zwei Fremdsprachen und habe zahlreiche weitere Kurse belegt, zumeist auf eigene Kosten. Ich verdiene etwa 700 Euro monatlich.“ Das Gleiche gilt für meinen Ehemann. Er hat zwei Arbeitsstellen, nur damit wir ein normales Leben führen können“, sagte sie. „Er hat eine zweite Schule gefunden, wo er zwei Tage die Woche für jeweils drei Stunden unterrichten kann. Er muss 14 km fahren, um dort hin zu kommen“, und am Ende „erhält er 200 Euro monatlich“. Davor hatte er Zweitjobs auf Baustellen oder als Pizzazusteller angenommen. „Eine Freundin von mir, die 28 Jahre alt ist und einen Abschluss in Geschichte hat, ist immer noch an der Universität, wo sie an ihrer Doktorarbeit in Geschichte arbeitet. Sie bekommt etwa 450 Euro pro Monat für eine 22-Stunden-Woche. Dasselbe kann man in einem Supermarkt verdienen.“ Andererseits erhalten Politiker durchschnittlich 3.000 Euro pro Woche…“

„Teachers on strike in Poland“ von Katarzyna Bielinska am 22. April 2019 bei LeftEast externer Link ist ein Beitrag, in dem sowohl der Hintergrund des Streiks, also die Situation der Lehrerinnen und Lehrer ebenso wie die „Gewerkschaftslandschaft“ dargestellt werden und Überlegungen wieder gegeben, die von verschiedenen Seiten angestellt werden, wie der Streik erfolgreich verstärkt werden könnte.

„Fast schon ein Generalstreik“ von Anna Schute am 24. April 2019 in Direkte Aktion externer Link zu den Hintergründen in der sogenannten Schulreform: „Der Lohnkonflikt hätte sich ohne die Reform zur Abschaffung des Gymnasiums und die Änderungen der Lehrercharta, die einem Branchentarifvertrag entspricht, in dem Jahr 2017 nicht so zugespitzt. Diese Änderungen wurden von Bildungsministerin Anna Zalewska durchgedrückt. Damals verloren durch die Abschaffung des Gymnasiums 6.600 Lehrer*innen (rund 1%) ihren Job. Die Reform der Lehrercharta hatte weitere Folgen, unter anderem die Abschaffung des Wohngeldes, das landesweit ein Drittel aller Lehrer*innen erhielten, dazu die Änderung der Beförderungsfristen von 10 auf 15 Jahre und Abschaffung des Rechts auf Wohnraum (hauptsächlich für Lehrer*innen auf dem Land und pensionierte Lehrkräfte). Dadurch senkte das Bildungsministerium die Löhne deutlich, aber durch die Leistungszulage „500 Plus für Lehrer” sollte ein Ausgleich entstehen, den aber nur diplomierte Lehrer*innen (52% der Beschäftigten) mit herausragenden Leistungsbeurteilungen erhalten. Dazu soll „500 Plus für Lehrer” erst ab 2020 bezahlt werden und zunächst 95 Zloty (rund 24€) betragen und erst 2022 auf 500 Zloty (rund 125€) steigen. Diese Vorschläge wurden von den Lehrer*innen als ungedecktes Versprechen und als Versuch benannt, das Problem in die Zukunft zu verschieben…“

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=147797
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