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„Jetzt ist die Zeit der Solidarität“. Hilfe nach dem Erdbeben in Syrien und der Türkei

Dossier

Erdbeben in der türkisch-syrischen Grenzregion im Februar 2023: "Jetzt ist die Zeit der Solidarität." (DİSK, Konföderation Revolutionärer Gewerkschaften der Türkei)Ein Erdbeben der Stärke 7,8 hat in der Nacht vom 5. auf den 6. Februar die syrisch-türkische Grenzregion getroffen. (…) Das Beben trifft ein Gebiet, das vielerorts schon vor dem Erbeben in Trümmern lag. In der gesamten Region leben Millionen syrische Bürgerkriegsflüchtlinge, deren Situation sich durch das Erdbeben noch einmal drastisch verschlechtern wird: In Idlib leben Millionen von ihnen seit Jahren in einem von islamistischen Rebellengruppen kontrolliertem Gebiet – unter menschenunwürdigen Bedingungen, ohne Perspektive und auf Hilfe angewiesen. In Rojava erschüttert das Erdbeben eine Region, in der durch die jüngsten türkischen Luftangriffe die zivile Infrastruktur ohnehin teilweise zerstört wurde. In den kurdischen Gebieten in der Südosttürkei kommt die staatliche türkische Hilfe oft nicht dort an, wo sie benötigt wird. Und auch in Syrien ist Hilfe immer wieder ein politisches Instrument in Händen des Assad-Regimes. Deshalb wird die direkte Unterstützung lokaler Hilfsorganisationen jetzt für viele Menschen überlebensnotwendig sein. medico unterstützt seit Jahren Organisationen in den betroffenen Gebieten…“ medico-Spendenaufruf externer Link, unserer für Lila Solidarität und weitere Informationen:

  • Der Mörderstaat wird zur Verantwortung gezogen„: Gedenkfeiern, Kundgebungen und Märsche am Jahrestag des Erdbebens, wie sie Erdogan gerne verhindert hätte New
    • Hatay | Eine Gedenkfeier im Yunus Emre Park um 16.17 Uhr, dem Zeitpunkt des Erdbebens, und ein Marsch zum blockierten Rana Apartment
      Um 16.17 Uhr, als die Zeit stehen blieb, trafen sich die Menschen in Hatay im Yunus-Emre-Park. Mit Lorbeeren und Bahurs wurde in einer Schweigeminute an den Moment des Erdbebens erinnert. Diejenigen, die mit Reden und Slogans marschierten, stießen auf ihrem Weg zum Rana Apartment Building auf eine Polizeisperre. Als Reaktion auf den Versuch, den Marsch mit der Parole „Der Mörderstaat wird zur Rechenschaft gezogen“ zu verhindern, durchbrachen die Menschen die Barrikade. Vor dem Rana-Apartment-Gebäude fand ebenfalls eine Gedenkveranstaltung statt.
      Hatice Can und Mithat Can, die ihr Leben dem Kampf für die Rechte, die Menschenrechte und den revolutionären Kampf gewidmet haben, gehörten zu denen, die bei dem Erdbeben in Hatay unter den Trümmern ihr Leben verloren. Es wurden Kerzen angezündet, Lorbeerblätter niedergelegt und Fotos mit den vor dem Rana Apartment Building versammelten Menschen gemacht. In der Zwischenzeit machten sich Menschen aus vielen Orten mit Bahurs und Lorbeerblättern auf den Weg zum Yunus Emre Park, um dort auf 16.17 Uhr zu warten. Die Märsche zum Yunus-Emre-Park erfolgten von vielen Punkten aus. Auf dem Parkgelände in Köprübaş wurde um 16.17 Uhr gewartet. Nach einer Schweigeminute begann die Gedenkveranstaltung mit Reden und Slogans. Die Menschen, die vom Yunus-Emre-Park in Richtung Rana-Apartment marschierten, wurden durch eine Polizeisperre daran gehindert. Die Menschen durchbrachen die Barrikade mit Buhrufen und Slogans. Der Marsch setzte sich mit der Parole „Der Mörderstaat wird zur Rechenschaft gezogen“ bis zum Rana Apartment fort. Vor dem Rana Apartment begrüßten Hatice Can und Rechtsanwalt Eren Can, der Sohn von Mithat Can, die Menschen. Auch hier wurden Reden gehalten.
      Fahrettin Koca, Özgür Özel und Lütfü Savaş wurden bei der offiziellen Gedenkfeier protestiert. Als bei der offiziellen Gedenkveranstaltung im Stadtzentrum von Antakya der Gesundheitsminister Fahrettin Koca angekündigt wurde, reagierten die Menschen mit Rufen wie „Kann jemand meine Stimme hören?“. Koca wurde während seiner Rede ausgebuht. Die Parolen „Rücktritt der Regierung“ und „Wir haben unsere Rechte nicht verdient“ wurden häufig skandiert. Özgür Özel zeigte sich ebenfalls empört über die erneute Nominierung von Lütfü Savaş. Andererseits wurde Lütfü Savaş, der erneut als Kandidat der CHP für die Stadtverwaltung von Hatay nominiert worden war, beim Verlassen des Gedenkbereichs protestiert.“ türk. Bericht von Sendika.org vom 6.2.24 externer Link (maschinenübersetzt) mit vielen Fotos, siehe auch:
    • Polizeiangriff nach der Demonstration am 6. Februar in Istanbul/Beşiktaş anlässlich des ersten Jahrestages der Erdbeben: Viele Verhaftungen
      türk. Bericht bei sendika.org externer Link mit Fotos und ein Video in deren Tweet dazu externer Link
    • Hatay | Menschen stürmten die Polizeibarrikade zwischen dem Rana-Apartment-Gebäude und dem Yunus-Emre-Park, wo die Gedenkveranstaltung stattfand, und rissen die Barrikade nieder #6Februar #6subat2023“ türk. Tweet von Sendika.org externer Link mit Video
    • Sie erstachen sogar die Trauer: Sie ließen nicht einmal zu, dass die Hinterbliebenen trauern und den Prozess der Heilung ihrer schweren Traumata beginnen konnten. Mit jeder bösen Aussage und Show haben sie ihre Verbrechen vertuscht und die mörderische Ordnung fortgesetzt. Heilung beginnt damit, diesen Albtraum loszuwerden:( #6subat2023“ türk. Tweet von Gazi Çağlar vom 5. Feb. 2024 externer Link und
    • Der Plan geht weiter: Wieder wird Geld eingesteckt, werden Unterschriften geleistet, werden marode Bauten errichtet, werden Erdbebenopfer zu Wohnungskunden gemacht. Keiner wird zur Rechenschaft gezogen, keiner wird verurteilt, keiner tritt zurück. Diejenigen, die vielleicht bei künftigen Gräueltaten sterben werden, wählen weiter. Humanitärer und moralischer Sumpf:( “  türk. Tweet von Gazi Çağlar vom 6. Feb. 2024 externer Link
    • Die herrschenden Behörden, die zum Zeitpunkt des Erdbebens nicht in die Region gekommen sind, kommen ein Jahr später mit gefälschten Trauerprogrammen und verhängen Verbote, um das Gedenken an Frauen, Sozialisten und Menschen, die seit dem ersten Tag des Erdbebens dort waren, zu verhindern. Denn sie wissen, dass wir sie mit Sicherheit zur Rechenschaft ziehen werden! …. “ türk. Tweet von MorDayanışma vom 6. Feb. 2024 externer Link
    • Diejenigen, die uns im Hatay/Yunus Emre Park verbarrikadiert haben, sollen wissen, dass wir weiterhin mit unserer Wut und Rebellion eure Barrikaden umstürzen werden! Kein Vergessen, kein Verzeihen, keine Versöhnung!
      #WomenUnutmuyor #WomenAffetmiyor #WomenAccountSoruyor #6ŞubatDepremleri #6Şubat
      “ türk. Tweet von MorDayanışma vom 6. Feb. 2024 externer Link mit Video
    • Am Jahrestag von #6Februar machten die Hatayaner einen #SilentWalk von Sumer nach Armutlu – siehe Fotos und Videos im Tweet von MorDayanışma externer Link u.a.: „Unser Marsch begann zum Gedenken an die Leben, die wir bei dem Erdbeben in Hatay/Samandağ verloren haben. Sie werden für die von Ihnen nicht getroffenen Vorsichtsmaßnahmen und für die von Ihnen verkauften Zelte zur Verantwortung gezogen! Das ist keine Katastrophe, das ist ein Massaker!...“ türk. Tweet von MorDayanışma vom 6. Feb. 2024 externer Link mit Video
    • Die Türkei ein Jahr nach den Erdbeben: Die Not ist weiter groß, die Unmut wächst. Präsident Erdogan versucht, das für sich zu nutzen
      „Im Zentrum Antakyas graben Bagger durch den Schutt der Stadt, den der Regen an diesem Tag in dicken Schlamm verwandelt. Zwischen den Baugeräten durchkämmt Feride die Trümmer nach Verwertbarem. Seit den Erdbeben, die vor einem Jahr Hunderttausende Gebäude im türkischen Südosten zerstört haben, ist die 14-Jährige von einer Schülerin zur Metallsammlerin geworden und versucht, Schrott zu ein bisschen Geld zu machen. Die Trümmer, die Feride und etliche andere in der Stadt absuchen, haben am 6. Februar 2023 Tausende Menschen unter sich begraben. Ein Jahr danach ist das Leben zögerlich wieder in die Stadt zurückgekehrt. Händler im historischen Markt verkaufen Kekse, am Ufer des Flusses gibt es Glückslose, während Antakyas Zentrum weiter in Trümmern liegt. Die Provinz Hatay, deren Hauptstadt Antakya ist, war am schwersten von den Beben betroffen. (…) Knapp 200 Kilometer weiter im Zentrum der Stadt Kahramanmaras sieht die Realität ein Jahr nach den Beben völlig anders aus. Auch hier ist die Katastrophe weiter präsent. (…) Auch hier starben Tausende Menschen in den Trümmern. (…) Ein Jahr danach gehe die Katastrophe in ihrem Kopf weiter, sagt Yalcimin. Tochter Fatma Nur mache immer noch ins Bett, beim kleinsten Ruckeln rufe sie panisch „Es gibt ein Erdbeben!“. Auch Mutter Yalcimin sagt, sie habe Angst. (…) Für den türkischen Präsident Recep Tayyip Erdoğan ist der Grund für die unterschiedlichen Geschwindigkeiten beim Wiederaufbau klar. Am Samstag erklärte er in der Provinz Hatay, wer nicht mit der Zentralregierung zusammenarbeite, dem könne nicht richtig geholfen werden. Hatay wird im Gegensatz zur Provinz Kahramanmaras oppositionell regiert. (…) Die Organisation Human Rights Watch kritisierte kürzlich die juristische Aufarbeitung. Zwar seien mit dem Bau Betraute angeklagt worden, es sei aber noch „kein einziger Beamter, gewählter Bürgermeister oder Stadtratsmitglied wegen seiner Rolle bei der Genehmigung zahlreicher Bauprojekte, die weit hinter den Standards für sicheres Bauen zurückblieben“ vor Gericht gestellt worden. Der Schaden beträgt laut Regierung 104 Milliarden Dollar (rund 96,4 Milliarden Euro). Ihr Versprechen, innerhalb eines Jahres 319.000 Gebäude wieder aufzubauen, hat die Regierung mittlerweile nach unten korrigiert. Auf 930 Baustellen in elf Städten würden derzeit 110.450 Mitarbeiter am Wiederaufbau arbeiten, hieß es aus dem Städtebauministerium. Ein Jahr nach dem Beben leben 690.000 Menschen in Containern. Laut Regierung gibt es keine Menschen mehr in Zelten. Die Realität in Antakya ist eine andere. So erzählt etwa der Papiersammler Hüseyin Girgen, dass er immer noch auf einen Container warte…“ Bericht von Anne Pollmann, Linda Say und Ergin Hava vom 6. Februar 2024 im MiGAZIN externer Link
    • Schauprozess“ kein faires Urteil in Erdbebenfällen
      Nach den Erdbeben vom 6. Februar wurde die Forderung nach einer effektiven Durchführung der Prozesse lauter, aber in den Prozessen, die seit dem Gölcük-Erdbeben stattfanden, wurden Beamte nicht vor Gericht gestellt, und die Urteile blieben reine Schauwerte.
      Während Familien, die ihre Angehörigen bei den Erdbeben verloren haben, ihre Forderungen nach einer strafrechtlichen Verfolgung der Verantwortlichen erheben, führen die Ergebnisse der nach den Erdbeben in der Türkei eingereichten Klagen zu einem juristischen Desaster. Während nur einige Bauunternehmer nach großen Erdbeben vor Gericht gestellt werden, werden die Gemeinden, die Genehmigungen für Gebäude erteilen, die mit ziemlicher Sicherheit einstürzen werden, und diejenigen, die trotz der Warnungen von Experten Gräber ausheben, indem sie eine Amnestie für die Zoneneinteilung erteilen, nicht einmal vor einen Richter gestellt. Nach den Erdbeben vom 6. Februar wurde die Forderung nach einer effektiven Durchführung der Prozesse durch die Einbeziehung von Amtsträgern verstärkt, während alle Prozesse seit dem Gölcük-Erdbeben zeigen, dass die Amtsträger, die die Katastrophe verursacht haben, nahezu gepanzert sind…“ türk. Artikel von Nisa Sude DEMİREL vom 5.2.24 in Evrensel externer Link (maschinenübersetzt)
    • Machtspiel auf Erdbebentrümmern. Ein Jahr nach dem verheerenden Erdbeben ist ein Großteil der südosttürkischen Provinz Hatay immer noch zerstört
      Seit einem Jahr kämpfen die Menschen in der Provinz Hatay ums Überleben. Als am 6. Februar 2023 die Erde im Südosten der Türkei und im Norden Syriens bebte, zerstörten die Erdstöße nicht nur die Häuser, sondern alles, was einem Menschen das alltägliche Gefühl von Sicherheit gibt. Angehörige, Freund*innen, Lehrer*innen, Nachbar*innen wurden unter den Trümmern begraben, nur einige konnten gerettet werden. Vertraute Straßen und Plätze, Cafés, Geschäfte und andere Orte, an denen man sich begegnet, wurden zerstört. Nur wenige konnten bis heute wiederaufgebaut werden. Kurzum, es sind Welten eingestürzt. Was bleibt, ist das kollektive Trauma. Die Angst davor, dass die Türkei weitere schwere Erdbeben erwartet und das Wissen, dass viele Gebäude diesen nicht standhalten werden. Der 6. Februar war ein emotionaler Wendepunkt für viele Menschen in der Türkei. Erst kürzlich korrigierte der türkische Innenminister Ali Yerlikaya die offizielle Zahl der verstorbenen Erdbebenopfer auf 53 537 nach oben. (…) So fehlen immer noch funktionierende Krankenhäuser und entsprechendes Personal. Und die Kliniken, die es gibt, haben Probleme. In das nach nur zwei Monaten Bauzeit Ende März 2023 überstürzt eröffnete Krankenhaus von Defne etwa dringt bei jedem Regen Wasser ein. Ähnlich sieht es im Bildungsbreich aus. Es mangelt an Schulgebäuden und Lehrer*innen, die dort unterichten könnten. Zumal es nicht genügend Unterkünfte für Lehrer*innen gibt. Die Schulgebäude, die nicht eingestürzt sind, wurden von Verwaltungs- und Regierungsinstitutionen besetzt.
      Das größte Problem jedoch ist nach wie vor die Unterbringung der Bevölkerung. Kurz nach den Erdbeben hatte Präsident Recep Tayyip Erdoğan versprochen, binnen Jahresfrist 320 000 neue Wohnungen fertigzustellen. Aktuell sind es gerade einmal 40 000. Wer obdachlos geworden ist, wohnt bis heute in Containern oder sogar noch in Zelten. Laut Innenminister Yerlikaya leben 691 000 Menschen unter diesen Bedingungen. TMMOB bemängelt, dass durch Neuansiedlung die demografische Struktur auf problematische Weise stark verändert wurde. (…) Während gegen einzelne Bauherren zwar Gerichtsverfahren wegen Pfusch am Bau eingeleitet wurden, sind politische Funktionsträger bis heute unbehelligt geblieben. Lütfü Savaş, Bürgermeister der Provinz Hatay und Mitglied der Oppositionspartei CHP, stand nach den Beben massiv in der Kritik. Er habe von unsicher gebauten Häusern gewusst, war sogar zu Eröffnungszeremonien von Luxusapartments gekommen, die nur wenige Monate später in sich zusammenfielen. Doch Savaş hat nicht nur keine Konsequenzen gezogen, sondern plant nun sogar, sich für die Wiederwahl aufstellen zu lassen. Präsident Erdoğan drohte während eines Auftritts am 4. Februar in Hatay der Bevölkerung, sie werde weiterhin auf Hilfe verzichten müssen, wenn Rathaus und Zentralregierung nicht von der gleichen Partei regiert werden würden
      …“ Artikel von Svenja Huck vom 05.02.2024 in ND online externer Link
    • und Berichte von Protesten auf ihrem Twitter-ACC https://twitter.com/svendscha externer Link
    • oder v.a. unter #6subat2023
    • Der Jahrestag ist ein guter Termin für die erneute Überweisung von Spenden für Lila Solidarität … Wir haben!
  • Türkei nach dem Erdbeben: Erdoğan verdient an der Krise, während z.B. in Hatay das Trinkwasser verseucht ist und die BewohnerInnen Asbest atmen müssen
    • Giftige Schutthalden in Hatay. Türkei: Überhastete Abrissarbeiten nach Erdbeben, Trinkwasser verseucht, Bewohner atmen Asbest
      Nach dem verheerenden Erdbeben im Februar sind allein in der türkischen Provinz Hatay »rund 294.000 Gebäude und Wohnungen schwer beschädigt, schon abgerissen oder müssen abgerissen werden«, wie Bauminister Mehmet Özhaseki am vergangenen Sonntag bei einem Besuch in der Region erklärte. Die Abrissarbeiten bergen erhebliche Gefahren für die Gesundheit der Bevölkerung. Der dabei entstehende Staub macht krank. »Überall hängt dieser giftige Staub in der Luft, der Asbest und Quecksilber enthält«, berichtete der öffentlich-rechtliche SWR vor einer Woche. Und sind die Häuser erst abgerissen, stellt sich die Frage: Wohin mit den nach Schätzung der UNO bis zu 210 Millionen Tonnen Schutt, die irgendwo gelagert werden müssen? Sie werden auf Ackerland, an den Küsten oder direkt an den Zeltlagern abgeladen, erklärte ein Rechtsanwalt dem Sender: »Alle um mich herum sagen, dass wir das Erdbeben überlebt haben, aber wegen des Asbests in fünf bis zehn Jahren an Krebs erkranken.«
      Einer dieser Trümmerberge erhebt sich am Rand des schwer getroffenen Küstenstädtchens Samandağ unweit der Grenze zu Syrien. Wenige Meter entfernt ist eine Notunterkunft. Oft lege sich Staub über die Container, sagten Bewohnerinnen im Guardian vom Sonntag. Sie klagen über Infektionen der Augen und Atemwege. »Der Schutt enthält Öl, medizinische Abfälle, Leichenteile, tote Haustiere«, erklärte Anwalt Ecevit Alkan der britischen Zeitung. Bei den Aufräumarbeiten gehe Tempo vor Sicherheit. Es sind nicht nur Menschen gefährdet. Die Halde liegt unmittelbar neben einem Strand, auf dem Meeresschildkröten ihre Eier ablegen.
      Sedat Gündoğdu von der Çukurova-Universität in Adana stellt den Behörden ein schlechtes Zeugnis bei der Entsorgung der Trümmer aus. (…) Die Wut in der Bevölkerung wächst. Am 7. Juli protestierten im zerstörten Defne in der Provinz Hatay über 100 Menschen mit der marxistischen Arbeiterpartei der Türkei (TİP) und der Sozialen Freiheitspartei (TÖP) gegen das schlechte Erdbebenmanagement der Behörden. (…) Ein anderes Problem ist das Trinkwasser. Nach Angaben der Ärztekammer in Antakya haben derzeit nur zehn Prozent der Bevölkerung Zugang zu sauberem Wasser…“ Artikel von Gerrit Hoekman in der jungen Welt vom 11.08.2023 externer Link (noch im Abo)
    • Nach dem Erdbeben: »Erdoğan verdient an der Krise«
      Im Interview von Pauline Jäckels vom 8. August 2023 in Neues Deutschland online externer Link berichtet Koray Türkay von der Oppositionspartei HDP über die Lage in den kurdischen Erdbebengebieten: „… Die kurdischen Gebiete wurden besonders hart von den Erdbeben getroffen. Auch jetzt gibt es an vielen Orten immer noch kein sauberes oder überhaupt fließendes Wasser. Die Lage der Überlebenden hat sich kaum verbessert im vergangenen halben Jahr. Viele Kurden mussten ihre Heimatstädte verlassen und leben bis heute noch in den umliegenden Gebieten, entweder bei Freunden und Verwandten oder in Zeltstädten und Containern. Sie können nicht mehr zurückkehren. Ihre Leben sind bis heute zerstört, viele sind weiterhin auf die Hilfe anderer angewiesen, um zu überleben. (…) Die Menschen in Pazarcık erhielten so gut wie gar keine Hilfe von der Regierung. Dort konnten wir mit der HDP viel bewirken. Als die Regierung dann bemerkte, dass wir Hilfen organisiert hatten, schickten sie Soldaten mit Maschinengewehren, um die Hilfsaktion zu blockieren. Die AFAD [Behörde für Katastrophenschutz und Notfallmanagement] hat sich damals hier nicht an der Suche nach Überlebenden beteiligt. Die Behörde war überhaupt nicht auf einen Katastrophenfall vorbereitet. Es gab keine Notfallpläne für Erdbeben, obwohl jeder weiß, dass die Türkei eine Erdbebenregion ist. Die AFAD ist eine staatliche Organisation, doch sie verhält sich wie ein Privatunternehmen. Sie arbeiten, um Profit zu generieren, nicht um zu helfen. Erdoğans Regierung hat sich an der Krise bereichert, indem sie Menschen, die gerade ihre Familie verloren hatten, Sachen verkaufte, die sie zum Überleben brauchten. Kızılay, das Türkische Rote Kreuz, hat unmittelbar nach den Beben Zelte an die Überlebenden verkauft. Es ist schwer, Menschen außerhalb der Türkei zu erklären, wozu diese Regierung fähig ist. (…) Viele verschiedene zivilgesellschaftliche Organisationen haben mit angepackt und die wichtigsten Arbeiten übernommen. Sie waren die ersten, die vor Ort waren. Die Regierung tat nichts – die Bevölkerung kümmerte sich eigentlich um alles selbst. In der Zeit der Erbeben hatte die türkische Regierung alle Konten der HDP blockiert, deshalb war es uns nicht möglich, direkt über die Partei Hilfen zu finanzieren. Allerdings gibt es starke Verbindungen zur Zivilgesellschaft vor Ort. Das ermöglichte uns, Hilfsaktionen für die Erdbebengebiete zu koordinieren. Alleine aus Istanbul konnten so mehr als 150 Lastwagen voll mit Sachspenden in die betroffenen Regionen fahren. (…) [Von] Normalität kann noch lange nicht die Rede sein. Aber die Zivilgesellschaft macht einfach weiter, etwas anderes bleibt uns gar nicht übrig.“
  • Türkei ein halbes Jahr nach dem verheerenden Erdbeben in der syrisch-türkischen Grenzregion: Provisorien statt Perspektiven 
    Ein halbes Jahr nach dem verheerenden Erdbeben in der syrisch-türkischen Grenzregion stehen viele Menschen immer noch vor dem Nichts. Ein Reisebericht aus dem türkischen Erdbebengebiet. (…)
    In allen größeren Städten treffen wir auf lokale Helfer:innen, die ihr Bestes tun und sich um diejenigen kümmern, die nicht ausreichend Hilfe bekommen oder von staatlichen Stellen benachteiligt werden. Unter ihnen sind syrische Geflüchtete. Sie sind erneut die absoluten Verlierer dieser Katastrophe. Ohnehin schon immer Zielscheibe rassistischer Politik, haben die konkurrierenden Parteien im Wahlkampf die Stimmung gegen Flüchtlinge nochmals angeheizt. Das machte sich im Erdbebengebiet bemerkbar. Syrer:innen wurden verfolgt, beschuldigt zu plündern – eine rassistische Hetze, die sich vielerorts etabliert hat. Geflüchtete wurden recht schnell in solche Zeltlager gebracht, deren Ausstattung maximal schlecht ist und wo sie sich selber um Wasserzugänge oder Nahrungsmittelbeschaffung kümmern müssen. Das erzählt uns ein verzweifelter syrischer Mann, den wir am Zaun eines solchen Lagers ansprechen. Etwa 1,7 Millionen Geflüchtete leben in der Erdbebenregion und schon vor dem Beben hatten sie kaum eine Perspektive jenseits ihres prekären Aufenthaltes in der Türkei. Kurzzeitig wurden die Grenzen nach Syrien geöffnet, doch auch dort hat das Erdbeben alles zerstört. Vielmehr braucht es hier dringend eine europäische Antwort, die in dieser ausweglosen Zeit eine Perspektive auf ein besseres Leben bieten könnte.
    Hilfe von unten: Zivilgesellschaft ist solidarisch und verteidigt die Hilfe
    Bis dahin bleibt nur die bestmögliche Hilfe. Lokale, zivilgesellschaftliche Organisationen haben sich inzwischen als „Solidaritätsverein“ in Diyarbakır zusammengetan. Ihr Ziel ist es die Hilfe über die Regionen hinweg zu koordinieren und Bedarfe zu ermitteln. (…)
    Hilfe für wen?
    Auf der internationalen Geberkonferenz die Ende März in Brüssel stattfand wurden 7 Milliarden Euro gesammelt (die Türkei gibt den Bedarf für Hilfe und Wiederaufbau mit 100 Milliarden Euro an).  Die Verteilung der Hilfe findet über den staatlichen türkischen Katastrophenschutz AFAD und entsprechende Ministerien statt, die mit nationalen und internationalen Hilfsorganisationen kooperieren. Das Ausmaß der Katastrophe ist jedoch viel zu groß, als dass alle hilfsbedürftigen Menschen so ausreichend versorgt werden könnten, zivilgesellschaftliche Unterstützung allein aufgrund des Ausmaßes der Not mehr als nötig. Zudem macht die türkische AKP-Regierung Politik über die Katastrophe, deren Auswirkungen und die nötige Hilfe…“ Reisebericht von Anita Starosta am 03. August 2023 bei medico international externer Link
  • Nach dem Erdbeben: Wiederaufbau in der Stadt der Frauen 
    Vor allem Freiwillige aus dem linken Spektrum leisteten Hilfe nach der Katastrophe im Südosten der Türkei. Jetzt geht die AKP-Regierung gegen sie vor (…) Dass die landesweiten Freiwilligenstrukturen der organisierten Linken in den ersten Tagen nach den Erdbeben lebensrettend und unersetzlich waren, ist dem Staat ein Dorn im Auge. Die Regierung, die zunächst bei der Rettung der Verschütteten versagte und bis heute keine ausreichende Infrastruktur aufgebaut hat, fürchtet die deutliche Benennung ihrer Schwäche. Doch genau das verbindet die TÖP mit ihrer konkreten Solidaritätsarbeit: Ihr Zelt ist keine bloße Verteilstelle für die Spenden, sondern bietet auch ein Forum für politische Debatten, Workshops und Organisierung. Sie sagt, beim Wiederaufbau von Samandağ solle die Bevölkerung bestimmen, nicht die Zentralregierung in Ankara. (…) Dass vor allem auf die Bedürfnisse von Frauen geachtet wird, ist der feministischen Organisation Mor Dayanışma (Lila Solidarität) zu verdanken. Ihr Zelt steht gleich nebenan und dient seit den ersten Tagen als Anlaufstelle und sicherer Ort für die Frauen in Samandağ. Eine der Initiator*innen ist die Lehrerin und Mor-Dayanışma-Aktivistin İrem Kayıkçı. Noch am 6. Februar belud sie gemeinsam mit ihren Genossinnen in Istanbul einen Lkw mit Dingen für die Frauen im Erdbebengebiet und machte sich auf den Weg in ihre alte Heimat. Wochenlang war sie vor Ort, um zu helfen. In einem ihrer ersten Berichte zur Lage in Samandağ schrieb sie später, dass das Sicherheitsgefühl der Frauen nicht durch Versprechen des Staates für Unterstützung entstanden sei, sondern durch unmittelbare, zivilgesellschaftliche Unterstützung: »Es entstand durch ein Frauenzelt, auch wenn dessen Wände nicht dicker als Papier waren. Die Kraft, die Nachbarschaft, den Ort und die Grünflächen für sich zu beanspruchen, kam von den Frauen, die sagen: ›Gebt uns Container und Zelte, wir bleiben hier.‹« Mor Dayanışma stützt sich auf ein internationales Netzwerk an organisierten Feminist*innen, die sowohl in der Türkei als auch im europäischen Exil Spenden sammeln und bei Veranstaltungen auf die besonderen Herausforderungen für Frauen im Erdbebengebiet hinweisen. (…) Der Kampf um die politische Macht in Hatay hat durch die Erdbeben insgesamt eine neue Dimension angenommen. Während das staatliche Versagen zunächst ein Vakuum hinterließ, das schnell von linken Organisationen, lokalen Selbstverwaltungsstrukturen und mit der Unterstützung der von der CHP regierten Stadtverwaltungen gefüllt wurde, greift die AKP-Regierung nun mit aller Härte gegen diese Organisationen durch. Das hängt auch mit den bevorstehenden Wahlen zusammen, bei denen die Opposition den Umfragen zufolge reale Chancen auf einen Wahlsieg hat. Doch der Widerstand gegen islamistische Regime und Assimilationspolitik in Hatay dauert schon länger an als die Herrschaft der AKP. Auch deshalb versucht diese nun, Antakya im Kern zu zerstören, unter dem Deckmantel eines Wiederaufbaus – nach ihrer Vorstellung…“ Reportage von Svenja Huck und Johanna Bröse, Samandağ, vom 21.04.2023 in ND online externer Link

    • Siehe zu Mor Dayanışma unsere Spendenkampagne „Lila Solidarität“ mit der Hilfe in den Erdbebengebieten“
  • Nach dem »Erdbeben­kommunismus«: Wie ist die Lage in der zerstörten Provinz Hatay zwischen Wahlen und Wiederaufbau? 
    Es ist, als existierten in der Türkei aktuell drei parallele Zeitrechnungen: Der Alltagskalender, mit dem versucht wird, den Anschluss an die Welt zu halten, die Zählungen »nach den Erdbeben« und »die Tage bis zu den Wahlen«. Nach nunmehr zwei Monaten, in denen die Menschen in den Erdbebenregionen mit dem unmittelbaren Überleben und dem Aufbau von Alltagsstrukturen beschäftigt waren, gewinnt nun auch die letzte Zeitrechnung an Bedeutung: Das Näherrücken der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen am 14. Mai. Beobachter*innen und Oppositionelle sehen die Wahlen als eine Möglichkeit für die Bevölkerung der Region, die AKP-geführte Regierung zur Rechenschaft zu ziehen: Für das eklatante Versagen des Staates nicht nur in den unmittelbaren Tagen nach den Beben, sondern auch für den andauernden Mangel an langfristig angelegter Infrastruktur in den vom Erdbeben zerstörten Orten. Doch genau das fürchtet die Regierung. Neben möglicher Wahlfälschung, von der Oppositionelle und Wahlbeobachter*innen schon vor den Erdbeben ausgingen, kommt hinzu, dass der Ablauf der Stimmabgabe im Erdbebengebiet bisher unklar ist. Wo werden wie viele Wahlurnen aufgestellt? Sind alle Wähler*innen, die sich aktuell im Erdbebengebiet befinden, registriert? Und andersherum: Sind alle Verstorbenen aus den Wählerverzeichnissen gestrichen? Gerade letzteres wird derzeit stark angezweifelt. Darum kündigen Angehörige der Erdbebenopfer an, die Stimmabgabe persönlich genau zu verfolgen, um sicherzustellen, dass niemand anstelle ihrer Verwandten wählt. Hinzu kommt, dass nach den Erdbeben ein dreimonatiger Ausnahmezustand in den elf betroffenen Provinzen verhängt worden war. Zwar endet dieser regulär wenige Tage vor den Wahlen, aber er kann im Wahlkampf für weitreichende Beschränkungen genutzt werden, beispielsweise für das Verbot von Kundgebungen oder Demonstrationen.
    Hatay unter Schutt
    Ein Thema, das aktuell für spontane Proteste sorgt, ist das Abladen des Schutts in der Provinz Hatay, vor allem im Bezirk Samandağ. Anwohner*innen organisierten zeitweilig Blockaden auf den Straßen, die zu neu ausgewiesenen Abladeplätzen führen, was auch zu Zusammenstößen mit Polizei- und Sicherheitskräften führte. Das Ausmaß des Schutts der unmittelbar eingestürzten Bauten in der Provinz ist enorm. Expert*innen gehen zudem davon aus, dass bis zu 90 Prozent aller Gebäude der Region schwer beschädigt sind und auch noch stehende Bauten abgerissen werden müssen. Mit dem Schutttransport beauftragt sind private Firmen, die – um Kosten einzusparen – kurze Wege zwischen den Ruinen und den Abladeplätzen bevorzugen. Praktisch führt das dazu, dass die oft asbestverseuchten Trümmer in unmittelbarer Nähe zu den Notunterkünften oder an wichtigen Orten für Zugvögel und Brutstätten von Schildkröten gesammelt werden. Die Lebensgrundlage vieler Wildtiere ist dadurch akut bedroht. Umweltverbände warnen eindringlich vor den langfristigen, gesundheitlichen Folgen für die Überlebenden, die, ebenso wie die Auswirkungen der Umweltgifte auf landwirtschaftliche Böden und Grundwasservorräte, Expert*innen großen Anlass zur Sorge bereiten. (…)
    Ein weiteres Thema, das die Menschen vor Ort umtreibt, ist die Flucht aus und Rückkehr in die von den Beben betroffenen Gebiete. Rund drei Millionen Menschen hatten in den ersten Tagen nach den Katastrophe die Region verlassen, in Richtung anderer Städte des Landes oder auch ins Ausland. Viele kehrten jedoch nach kurzer Zeit wieder zurück. Staatliche Fluggesellschaften hatten einen Monat lang kostenfreie Flüge bereitgestellt, leerstehende Hotelzimmer in den Touristenregionen wurden für Erdbebenopfer freigehalten. Auch die Studierendenwohnheime wurden geräumt – angeblich, um Erdbebenopfer darin unterzubringen. Viele zweifelten an der Sinnhaftigkeit dieser Maßnahme, unter anderem, weil sie auch Studierende betraf, die selbst aus den Erdbebenregionen stammen und vom Verlust ihrer Familienorte betroffen waren. Anderen Stimmen zufolge ging es bei der plötzlichen Umstellung auf Online-Unterricht zudem darum, die Universitäten als Ort der politischen Organisierung zu untergraben. (…)
    Das Ringen darum, wer über die Zukunft der zerstörten Städte entscheidet, ist also bei Weitem nicht auf die Wahlen Mitte Mai zu beschränken. Es ist ein seit Jahren anhaltender Kampf, der durch die Erdbeben an Dringlichkeit gewonnen hat. In dem Vakuum, das in den ersten Tagen durch fehlende staatliche Hilfsstrukturen entstand, waren die Solidaritätsstrukturen der linken Parteien und der oppositionell besetzten Stadtverwaltungen überlebenswichtig. Ein weiteres Zeichen für die Abwesenheit von Staatlichkeit war die weitgehende Bedeutungslosigkeit von Geld vor Ort in den ersten Wochen. Noch immer läuft alles Grundlegende über Spenden und kollektiv geteilte Ressourcen. Für Mobilität und Wiederaufbau hingegen spielt Geld wieder eine zunehmende Rolle. Hier wittern Kreditinstitute und Finanzberater*innen bereits Möglichkeiten, Profite zu machen, allerorts werden mobile Geldautomaten aufgestellt und kurzfristige Kredite verkauft. Mittelfristig stellt sich die Frage: Was bedeutet es, wenn linke und revolutionäre Kräfte die staatlichen Aufgaben übernehmen und aus eigener, vergleichsweise geringer Kraft die Infrastruktur neu aufbauen, landesweite Hilfsnetze organisieren, aber auch über die politische Dimension dieser Katastrophe informieren? De facto wurde damit im Kleinen ein Parallelstaat – der Journalist Ali Ergin Demirhan bezeichnete es sogar als »Erdbebenkommunismus« – errichtet, dessen Beständigkeit sich jedoch in Kürze wird beweisen müssen…“ Artikel von Johanna Bröse und Svenja Huck am 18. April 2023 im ak 692 externer Link
  • Solidarische Strukturen in der Türkei: Nach dem verheerenden Erdbeben haben Sozialist*innen mit aller Kraft die lokale Bevölkerung zu versorgen versucht 
    „Mit einem Erdbeben müsse man lernen umzugehen und entsprechende Vorkehrungen treffen, twitterte der türkische Präsident Erdoğan – im Jahr 2013. Dass im Südosten der Türkei kaum präventive Maßnahmen getroffen wurden, belegt der Anblick, den Städte wie Antakya und Kahramanmaraş bieten. Zehntausende Gebäude liegen in Trümmern, unter denen viele ihrer Bewohner*innen begraben wurden. Viele Menschen sind erfroren, weil über Tage keine Such- und Rettungseinheiten in die Region geschickt wurden. Die Überlebenden fordern nun eine provisorische Infrastruktur aus Zelten und Sanitäranlagen – auch daran mangelt es neun Wochen nach den schweren Beben immer noch. Im ebenfalls stark erdbebengefährdeten Istanbul nimmt die Angst vor einer noch schlimmeren Zerstörung der Stadt weiter zu. (…) Mit dem Erdbeben zu leben heißt deshalb auch, eine Gesellschaft so zu organisieren, dass im Fall des Falles schnelle Rettungsmaßnahmen möglich sind. In der Türkei gibt es eine bedeutende Bergbauindustrie. Die Kumpel sind Experten darin, tief in der Erde sichere Tunnel zu graben, die nicht einstürzen. Nach starken Erdbeben ist genau diese Erfahrung nötig, um die Menschen schnell aus den Trümmern zu bergen. Bei dem Erdbeben in Izmir 2020 waren die Bergleute schnell zur Stelle. Auch nach diesem Beben im Südosten der Türkei machten sie sich umgehend auf den Weg. Vor Ort fehlten ihnen jedoch die benötigten Grabungswerkzeuge, denn diese werden zeitgleich für den Kohleabbau in den Bergwerken verwendet. (…) Die Auswirkungen der Naturkatastrophe auf die betroffenen Menschen zeigen deutlich die Probleme der gesellschaftlichen und politischen Ordnung. Statt in kürzester Zeit große Ressourcen der Industrie auf die Bedürfnisse im Erdbebengebiet auszurichten, spendeten große türkische Firmen in einer Fernsehshow hohe Geldbeträge, die ihnen zuvor als staatliche Subventionen zuflossen. Statt auf Wissenschaftler*innen zu hören, die vor einer schnellen Neubebauung der Region warnen, verkündete die AKP-Regierung noch kurz vor einem erneuten schweren Nachbeben, innerhalb eines Jahres ganz Antakya wiederaufzubauen. Die landesweiten Strukturen von Sozialist*innen waren es, die in den vergangenen Wochen mit aller Kraft versuchten, die lokale Bevölkerung zu versorgen. Dabei haben sie inmitten der Zerstörung auch einen Ansatz für den Aufbau einer neuen Gesellschaft geschaffen. Die systematische Unterdrückung von Gewerkschaften und linken Organisationen ist nicht nur eine Einschränkung der Meinungsfreiheit. Sie behindert auch die schnelle Reaktion auf Naturkatastrophen, die Umstellung der Produktion auf das Notwendigste, die Schaffung schneller Kommunikation und guter Logistik. Die Politik für Profite statt für die Menschen wird auch die Mitsprache der Erdbebenopfer beim Wiederaufbau ihrer Heimatorte unterbinden wollen. Umso wichtiger ist es, nun die provisorischen Solidaritätsstrukturen in permanente politische Organisierung zu verwandeln.“ Artikel von Svenja Huck vom 6. April 2023 im ND online externer Link
  • Nach dem Erdbeben: Klassenkämpfe und Allianzen gegen Katastrophenkapitalismus in der Türkei 
    Im heutigen Kapitalismus ist die Verflechtung von Enteignung, Vulnerabilität und Ausbeutung zur Norm geworden. Dies schafft die ungünstigen Bedingungen für eine Ära systemisch-bedingter Naturkatastrophen, wie das jüngste Erdbeben in der Türkei gezeigt hat. Vor diesem Hintergrund ist die transnationale Arbeiter*innenklasse gefordert, sich aus den Trümmern zu erheben und die bestehenden Machtstrukturen herauszufordern, wie Özgün Eylül İşcen in ihrem Beitrag zur BG-Textreihe “Allied Grounds” argumentiert. (…) Die Katastrophe begann und endete nicht mit dem Erdbeben. Der Wachstumsfetischismus der seit 2002 an der Macht befindlichen Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) führte zur Aushöhlung der egalitären Mittel der Stadt- und Umweltplanung. Zugegeben, diese strukturelle Verschlechterung begann nicht mit dem AKP-Regime. Doch der Wahlautoritarismus und Neopatrimonialismus, die der Ein-Mann-Herrschaft von Recep Tayyip Erdoğan zu Grunde liegen, zerstörten die legitimen Möglichkeiten, umstrittene Pläne, die Millionen Menschen betreffen, wie dasIstanbul Canal Project, anzufechten. Tatsächlich nutzte das Regime die Gefahr eines Erdbebens, um Menschen zu vertreiben und private, auf Profit ausgerichtete Projekte zu entwickeln, die nicht der öffentlichen Sicherheit dienen, sondern der “Stadterneuerung”. (…) Die korrupten Mechanismen innerhalb der expandierenden öffentlich-privaten Hybridsektoren, wie z. B. dem Bauwesen und dem Katastrophenschutz (wie er jetzt ans Tageslicht kommt), führten zu massiven Todesopfern in den Erdbebengebieten. Neben der zunehmenden Vetternwirtschaft unter Erdoğan begünstigte die staatliche Regulierung private Gewinne in den Händen einiger weniger Bauunternehmer*innen und missbrauchte die populistische Agenda mit Bauamnestien. Dieses Erdbeben hat auf schmerzhafte Weise gezeigt, dass das AKP-Regime die staatlichen Institutionen ausgehöhlt hat, die nun mit Menschen besetzt sind, die auf Loyalität statt auf Leistung oder demokratischer Legitimität basieren. (…) Zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Artikels (einen Monat später) ist die Regierung immer noch nicht in der Lage, die Grundbedürfnisse der Erdbebenopfer zu befriedigen, wie z. B. die Bereitstellung von Zelten, Wasser und sanitären Anlagen. Zugleich ist vollkommen unklar, wo und wie das AKP-Regime die Erdbebengelder (wie auch andere verschwundene staatliche Gelder) ausgegeben hat, einschließlich der obligatorischen Erdbebensteuer, die seit dem Marmara-Erdbeben 1999 von den Einwohnern erhoben wurde. (…)
    “Katastrophengemeinschaften” der Unterdrückten
    Die Desorganisation der staatlichen Behörden hat dazu geführt, dass die organisierten Bemühungen von Menschen für Menschen zunehmen, wobei sie sich auf bestehende Basisinfrastrukturen sowie auf das entstehende Know-how und die Zusammenarbeit vor Ort stützen. So verließen sich die Bewohner*innen aufgrund des wachsenden Misstrauens gegenüber den staatlichen Behörden vor allem in den ersten Tagen verstärkt auf Nichtregierungsorganisationen wie die AHBAP, um die ihrem Schicksal überlassenen Erdbebengebiete zu versorgen. Die Zivilgesellschaft organisierte sich sofort über Nachrichtendienste, Social-Media-Plattformen und den öffentlichen Journalismus, um die Rettungs- und Hilfsmaßnahmen zu koordinieren, von internationalen Teams bis hin zu Bergleuten, die zu den Trümmern eilten. Auch wenn dies kurzfristig wirksam war, lassen sich die langfristigen politischen Auswirkungen dieser Solidarität zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen nur schwer abschätzen. Wie sollen trotz der von der Regierung koordinierten Provokationen die Rechte und Forderungen von bereits marginalisierten Gruppen wie Frauen, Kindern, Geflüchteten, LGBTQ-Personen, Wanderarbeiter*innen sowie ethnischen, rassischen und religiösen Minderheiten berücksichtigt werden? (…)
    Es wird nicht ausreichen, das herrschende Unterdrückungsregime zu stürzen. Vielmehr wird es notwendig sein, weiter gegen seine militaristisch-faschistischen, patriarchalischen Strukturen zu kämpfen, die sich im Alltag und sogar im Moment der kollektiven Trauer und Solidarität manifestieren. Die Bündnisse der Unterdrückten und Ausgebeuteten sollten darauf hinarbeiten, die von der herrschenden Klasse geschaffenen, tiefgreifenden sozialen Hierarchien und Ungleichheiten abzubauen…“ Beitrag von Özgün Eylül İşcen am 13.03.2023 in Berliner Gazette externer Link in der Übersetzung aus der englischen Originalfassung
  • »Militär und Polizei haben niemanden gerettet«. Von Erdbeben betroffene Stadt Antakya tagelang ohne Hilfe des Staates, linke Organisationen (Lila Solidarität) schnell vor Ort 
    „… Es mangelt an Zelten, Lebensmitteln und Kleidung. Der türkische Staat hatte nach der Katastrophe von Beginn an zunächst vier Tage lang keine Hilfe geleistet. Vor zwei Wochen, beim zweiten Erdbeben mit der Stärke von 6,3, geschah wieder nichts. Man kann davon ausgehen, dass die Stadt vermutlich mit Absicht vernachlässigt wurde, da dort die Oppositionsparteien aktuell stark sind. [Konnten Sie vor Ort helfen?] Wir konnten mit Spenden aus Ankara drei Lkw organisieren, um Menschen in Antakya mit Essen und Wasser zu versorgen. (…) Die Bevölkerung weiß sehr gut, wer ihnen geholfen hat. Obgleich es in Antakya viel Militär und Polizeispezialeinheiten gibt, haben die niemanden gerettet. Aus deren Reihen gab es Äußerungen wie: »Sozialisten müssen verschwinden, oder wir werden euch verschwinden lassen.« Türkische Behörden rücken nun mit Baumaschinen an, um »aufzuräumen«. Verzweifelte Menschen wollen ihre Angehörigen wiederfinden, um zumindest ihre Toten würdig begraben zu können. Ich habe vergebens versucht, das mit Polizisten zu diskutieren. Der von Erdogan eingesetzte Leiter der Katastrophenschutzbehörde AFAD, Yunus Sezer, ist vorrangig dessen loyaler Getreuer. Mehrere Direktoren dort sind religiöse Führer und fachlich komplett ungeeignet. Viele Menschen hätten überleben können, wäre kompetente Hilfe früher eingetroffen…“ Interview von Gitta Düperthal in der jungen Welt vom 07.03.2023 externer Link mit Ipek Yüksek (Journalistin sowie Gründungsmitglied der feministischen Organisation »Mor Dayanisma« (»Lila Solidarität«), die in rund 16 türkischen Städten aktiv ist, und lebt in Graz), siehe unser Dossier: [Spendenkampagne „Lila Solidarität“] LabourNet Germany und das re:volt magazine rufen zu Spenden für die Basisaktivistinnen von Mor Dayanısma in der Türkei auf
  • Soforthilfe für die Erdbeben-Opfer in Nordsyrien, JETZT! #HilfeFuerSyrien
    Petition von Adopt a Revolution externer Link an Olaf Scholz (Bundeskanzler) und Außenministerin Annalena Baerbock
  • Frauenprotest in Istanbul gegen türkischen Militärstaat und dessen Krisenmanagement u.a. in Hatay
    • Frauenprotest in Istanbul: „Wir haben eine Rechnung zu begleichen!“
      „In Istanbul haben Frauen gegen männliche und staatliche Gewalt und das Krisenmanagement der Regierung nach der Erdbebenkatastrophe protestiert. „Wir sind vereint in Wut und Rebellion“, erklärte das Frauenbündnis 8. März…“ Meldung vom 5.März 2023 in ANFdeutsch externer Link
    • Erdbebenopfer in Hatay weiterhin nicht versorgt
      Der Gewerkschafter Tolga Kubilay Çelik widerspricht den Angaben des Gouverneurs von Hatay und erklärt, dass die Versorgung der Erdbebenopfer auch nach einem Monat nicht erfüllt ist. Vor allem fehle sauberes Wasser, die Solidarität dürfe nicht abreißen. Obwohl seit den schweren Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet bereits ein Monat vergangen ist, ist die Versorgung der Menschen in Hatay nach wie vor nicht gewährleistet. Da der Staat und die Regierung seit dem ersten Tag keine Hilfe geleistet haben, versuchen die Menschen weiterhin, ihre unter den Trümmern eingeschlossenen Verwandten mit Hilfe von Freiwilligen und aus eigener Kraft auszugraben. Es gibt immer noch nicht genügend Zelte und Trinkwasser. Der Gouverneur von Hatay behauptet, dass die Katastrophenschutzbehörde AFAD ständig Trinkwasser in die Region liefert und es ausreichende Wasservorräte gebe. Darüber hinaus erklärte das Gouverneursamt ungeachtet der Seuchenwarnung der Ärztevereinigung TTB, es sei kein Problem, Leitungswasser für Hygienezwecke zu verwenden. Dem widersprechen die freiwilligen Helfer:innen in Hatay. Tolga Kubilay Çelik ist Sprecher der Gewerkschaft der Beschäftigten in der Tourismus-, Unterhaltungs- und Dienstleistungsbranche (TEHIS) und Vorstandsmitglied der Partei für Soziale Freiheit (TÖP). Er wies gegenüber ANF darauf hin, dass die Wasserknappheit in vielen Bezirken von Hatay anhält und der Bedarf der Menschen nach Trinkwasser und einem sauberen Wassernetz dringend erfüllt werden muss. (…)
      Die große Solidarität unmittelbar nach dem Erdbeben dürfe jetzt nicht abreißen, forderte Tolga Kubilay Çelik: „Sie sollte mindestens sechs Monate oder ein Jahr lang anhalten. Die Menschen haben nicht nur Probleme mit ihren Unterkünften. Die eingehende Hilfe geht schnell zur Neige. Die notwendigen hygienischen Bedingungen sind nicht erfüllt, die Menschen können ihre Kleidung nicht waschen und sich nicht an einem sauberen Ort aufhalten. Da es nicht genügend mobile Toiletten gibt, müssen sie in ihre beschädigten Häuser gehen und dort ihre Notdurft verrichten. Heute sehen wir, dass die politischen Entwicklungen im Zusammenhang mit den Wahlen Vorrang vor allem anderen haben. Es gibt jedoch eine wichtigere Agenda, nämlich die Wunden der Menschen im Erdbebengebiet zu heilen. Die Solidarität muss wachsen, und die politischen Parteien sollten unverzüglich ihre Augen und Ohren auf die Erdbebengebiete richten.“
      Artikel von Zeynep Kuray vom 5. März 2023 auf ANFdeutsch externer Link („Erdbebenopfer in Hatay weiterhin nicht versorgt“)
    • Wo ist der Staat, wenn die Erde bebt?
      „… Es ist klar, dass das Erdbeben selbst eine Naturkatastrophe war. Aber jetzt geht es vor allem darum, wie es in der aktuellen Situation weitergehen soll. Und das ist eine politische Frage – ob wir wollen oder nicht. Wir müssen uns fragen: Geht die Erdoğan-Regierung gut mit der Situation um und tut alles Notwendige für die Betroffenen? Oder organisiert die Regierung die Katastrophenhilfe nicht richtig und es muss mehr getan werden? Wenn man sich dazu nicht positioniert, akzeptiert man Erdoğans aktuelle Krisenpolitik. Es gibt hier keine unpolitische Haltung. Seit dem Erdbeben äußern unzählige betroffene Menschen massive Kritik daran, wie die Regierung und die Behörden mit der aktuellen Situation umgehen. Sie forderten und fordern schnellere und umfassendere Hilfe. Besonders starke Kritik gibt es von Betroffenen, die Minderheiten angehören, beispielsweise Kurd:innen, Alevit:innen oder Araber:innen. Sie kritisieren unter anderem, dass die Städte, in denen sie mehrheitlich leben, vernachlässigt werden. In tausenden von Fällen trafen staatliche Rettungskräfte erst ein, als es für viele Verschüttete schon zu spät war – falls sie überhaupt eintrafen. Besonders kritisch ist die Situation geflüchteter Menschen. Freiwillige Helfer:innen in der Provinz Hatay berichten, dass die staatliche Katastrophenhilfe „völlig unzureichend“ ist: „Nirgendwo ist der Staat zu sehen“. Ähnliche Bewertungen hört man von den meisten freiwilligen Helfer:innen und selbst Mitarbeiter:innen des staatlichen Katastrophenschutzes AFAD äußern anonym teilweise scharfe Kritik. Es gibt auch eine Reihe von Berichten, dass AFAD selbstorganisierte Hilfe behindert – beispielsweise die Lieferung von Sachspenden. Nun wurde auch noch aufgedeckt, dass der Türkische Rote Halbmond Geschäfte mit dem Verkauf von Zelten macht – dabei ist erwähnenswert, dass die Organisation eng mit dem Staat zusammenhängt. Außerdem wurden in mehreren Fällen freiwillige Helfer:innen inhaftiert. Als wäre die Lage nicht schon schlimm genug, bombardierte der türkische Staat vom Erdbeben betroffene Gebiete der Selbstverwaltung von Nord- und Ostsyrien, in der vor allem Kurd:innen leben (auch „Rojava“ genannt). Die Situation macht deutlich, dass es nicht richtig ist, zu sagen: „Wir sollten jetzt nicht über Unterschiede und Minderheiten sprechen.“ Vor allem Erdoğan und seine Unterstützer sagen ja ähnliches. Es geht hier nicht nur um das Unrecht, das Minderheiten all die Jahre erfahren haben. Es geht auch um die jetzige Situation. Denn wenn der Staat diese Menschen schon so lange benachteiligt und unterdrückt, dann wird er das doch auch in der jetzigen Situation fortführen. Es geht nicht darum, in einer theoretischen Diskussion Recht zu haben – sondern ganz real um Menschenleben. Nur wenn das Problem von Benachteiligung und Unterdrückung von Minderheiten auch in der aktuellen Situation öffentlich angeprangert wird, kann der türkische Staat unter Druck gesetzt werden, an den entsprechenden Stellen mehr Hilfe zu leisten. (…)
      Was hat die normale Bevölkerung von diesem Militärapparat? Statt Menschen zum Militärdienst zu zwingen, hätte der Staat massenhaft Katastrophenhelfer:innen und Sanitäter:innen ausbilden können. Statt Milliarden für Panzer und Kriegsflugzeuge auszugeben, hätte der Staat Ausrüstung für Katastrophenschutz und gesundheitliche Versorgung beschaffen können. Ja, er hätte durch Vorsorge sogar verhindern können, dass es überhaupt zu so einer großen Katastrophe kommt. Aber stattdessen bleibt den Betroffenen in diesem Desaster nur, verzweifelt und wütend zu fragen: „Devlet nerede?“ / „Wo ist der Staat?“ Situationen wie diese sind nicht neu. Man kann sie fast jeden Sommer erleben, wenn die Waldbrände wieder beginnen: Es gibt zu wenige Feuerwehrleute, es fehlt an Ausrüstung, es gibt kaum Löschflugzeuge. Es ist eine bewusste Entscheidung, den Katastrophenschutz derart zu vernachlässigen und die tödliche Gefahr in Kauf zu nehmen. Aber das ist nicht nur in der Türkei der Fall, sondern auch im Nachbarland Griechenland und in anderen Balkan-Ländern – teilweise müssen Feuerwehrleute mit der Gießkanne gegen Waldbrände ankämpfen. Der unzureichende Katastrophenschutz ist ein Dauerzustand, aber das Erdbeben führt ihn noch einmal in aller Grausamkeit vor Augen. (…) In Deutschland sind einige linke Organisationen aktiv, die ihren Ursprung in der Türkei und in Kurdistan haben. Wir können sie in der aktuellen Situation unterstützen: Zum einen können wir ihnen den Rücken stärken in der Kritik am türkischen Staat und auch am deutschen Staat, der den türkischen Staat mit seiner Politik unterstützt. Und zum anderen können wir mit den Genoss:innen Solidaritätsaktionen für die Menschen im Erdbebengebiet organisieren…“ Artikel von Karanfilli Adam vom 2. März 2023 auf Lower Class Magazine externer Link („Wo ist der Staat, wenn die Erde bebt?“)
  • Petition zum Erdbeben: Gleiche Unterstützung für alle Überlebenden! / Türkischer Roter Halbmond soll Zelte und Sachspenden für Opfer verkauft haben
    • Erdbeben – Türkischer Roter Halbmond soll Zelte für Opfer verkauft haben
      Der türkische Rote Halbmond sieht sich mit gravierenden Anschuldigungen konfrontiert. Die grösste Hilfsorganisation des Landes soll Zelte an Erdbebenopfer verkauft und damit mehr als zwei Millionen Euro eingenommen haben, wie die Zeitung «Cumhuriyet» am Wochenende berichtete. Thomas Seibert, freier Journalist in Istanbul, über die Reaktionen darauf und dazu, welche Rolle die anstehenden Wahlen dabei spielen. (…) Seitens des Roten Halbmondes heisst es, alles sei völlig normal abgelaufen – Zelte seien zum Selbstkostenpreis an private Hilfsorganisationen weitergegeben worden. Die Opposition hingegen wirft den staatlichen Stellen vor, in der Stunde der grössten Katastrophe in der Geschichte der Türkei auch noch Geld verdienen zu wollen…“ Interview von Romana Kayser vom 27.2.2023 bei srf.ch externer Link, siehe auch:

      • Die shitshow geht weiter. Es stellte sich heraus, dass der türkische rote Halbmond auch die Sachspenden verkaufte. Das war also der Grund weshalb die Sachspenden beschlagnahmt wurden. #Erdbeben…“ Tweet von Sîdarê Oez 28. Feb. 2023 externer Link
      • Mittweile sind 3 Wochen um seit den #Erdbeben in der Türkei und in Syrien. Die Lage vor Ort ist immer noch furchtbar. Die Menschen klagen über massive Unterversorgung, vor allem auch was die Unterbringung betrifft. Vor allem aus #Hatay werden seit Tagen mehr Zelte gefordert. Mitten in diese Situation platzt jetzt eine Nachricht, dass der türkische Rote Halbmond Zelte im Wert von vielen Millionen Lira an NGOs verkauft hat, vor allem an den Verein AHBAP. Der Rote Halbmond (#Kızılay) ist Teil der internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondbewegung. Seine Aufgabe wäre, im Katastrophenfall den Betroffenen zu helfen. Jetzt ist aber klar, dass #Kızılay ganz offensichtlich Zelte verkauft hat, statt sie den Betroffenen zu bringen – und damit hat der Rote Halbmond natürlich auch Profit gemacht.  Hier ist es wichtig zu verstehen, dass der Rote Halbmond in der Türkei wie eine staatliche Institution funktioniert und in die Strukturen des Regimes tief verstrickt ist…“ Thread von Max Zirngast vom 26. Feb. 2023 externer Link
      • Erdbeben beschleunigt Rad der Korruption und Bereicherung
        Mit der Verhängung des Ausnahmezustands im Erdbebengebiet wurden dem türkischen Ministerium für Stadtentwicklung nahezu unbegrenzte Vollmachten erteilt. Vom Wiederaufbau der Gebiete wird die Unternehmerclique der AKP profitieren…“ Beitrag vom 26 Feb. 2023 bei ANF externer Link
      • Wir verweisen auf unseren Spendenaufruf im Dossier [Spendenkampagne „Lila Solidarität“] LabourNet Germany und das re:volt magazine rufen zu Spenden für die Basisaktivistinnen von Mor Dayanısma in der Türkei auf und darin neu: „Lila Solidarität“ für die Arbeit von Mor Dayanışma in den Erdbebengebieten: Bereits 3.300,00 Euro überwiesen! Danke – und wir sammeln weiter!
    • Petition zum Erdbeben: Gleiche Unterstützung für alle Überlebenden!
      „In einer gemeinsamen Petition fordern PRO ASYL, Wir packen´s an e.V., Leave No One Behind und Adopt a Revolution von den Bundesministerinnen Annalena Baerbock und Nancy Faeser, allen vom Erdbeben Betroffenen gleichermaßen Hilfe zukommen zu lassen und eine Einreise nach Deutschland zu Angehörigen zu ermöglichen. Außerdem dürfen Menschen nicht in die betroffenen Gebiete abgeschoben werden. „Es darf keine Unterscheidung nach Nationalität und Pass für die Betroffenen derselben Katastrophe geben. Von den zuletzt angekündigten Visaerleichterungen profitieren aktuell nur türkische Staatsbürger*innen. Syrer*innen, aber auch Menschen anderer Nationalitäten sowie Staatenlose und Geflüchtete werden außen vor gelassen. Das ist inakzeptabel“, so Tareq Alaows, Flüchtlingspolitischer Sprecher von PRO ASYL. „Zudem sind die Vorgaben des Innenministeriums und des Auswärtigen Amts nicht mit der Lebensrealität vieler Erdbebenopfer vereinbar.“ Weiter bemängeln die Organisationen das zögerliche Handeln der Bundesregierung und die fehlende Unterstützung bei der Lieferung von Hilfsgütern. „Das zurückhaltende Wirken der deutschen und europäischen Regierungsinstitutionen bei der Erdbebenkatastrophe in Syrien wird die Konsequenz haben, dass vielen Menschen nichts anderes übrig bleibt, als eine Lebensperspektive woanders zu suchen. Auch hier ist Europas Antwort Abschottung. Das zielgerichtete Handeln für eine aktive humanitäre Nothilfe auf allen staatlichen Ebenen sollte gerade jetzt selbstverständlich sein“, sagt Axel Grafmanns vom Verein Wir packen‚s an e.V. (…) „Die humanitäre Notlage in Nordsyrien wurde seit Jahren von der Politik weitestgehend ignoriert und mit dem EU-Türkei-Deal sogar noch zementiert. Auch jetzt, nach der dramatischen Verschärfung durch die Erdbeben, werden die Menschen dort wieder allein gelassen: Bislang kommt vor Ort kaum Hilfe an, während die Möglichkeit, über Visavergabe und einen humanitären Korridor in Sicherheit zu kommen, politisch verweigert wird. Es braucht jetzt schnelle, flexible Lösungen auf allen Ebenen für die Menschen in Nordsyrien und kein Zwei-Klassen-System bei der Nothilfe“, fordert Svenja Borgschulte von der deutsch-syrischen Menschenrechtsorganisation Adopt a Revolution. Betroffen macht zudem, dass gleichzeitig mit den Solidaritätsbekundungen deutscher Spitzenpolitiker *innen weiter Menschen in die Erdbebengebiete abgeschoben werden. Die Organisationen fordern daher einen bundesweiten Abschiebestopp für die entsprechenden Regionen.“ Pressemitteilung vom 27. Februar 2027 von und bei Pro Asyl externer Link zur Petition „Erdbeben: Gleiche Unterstützung für alle Überlebenden!“ externer Link
  • Humanitäre Krise hat Menschenrechtslage verschlechtert / Schwierige Hilfe in Aleppo / Proteste in Europa am 25.2.: „Geld für die Erdbebenopfer – nicht für den Krieg!“
    • Türkei/Syrien: Humanitäre Krise hat Menschenrechtslage verschlechtert
      „Die humanitäre Krise infolge der katastrophalen Erdbeben in Syrien und der Türkei hat zu einer Verschlechterung der Menschenrechtslage in beiden Ländern geführt. Zu diesem Schluss kommt Amnesty International in einem heute veröffentlichten Kurzbericht externer Link zu menschenrechtlichen Verpflichtungen im Rahmen der Katastrophenhilfe. Nach den katastrophalen Erdbeben, die am 6. und 20. Februar den Südosten der Türkei und Norden Syriens verwüstet haben, muss der Schutz der Menschenrechte gewährleistet werden, fordert Amnesty International. Der Bericht „A Human Rights Response to the February Earthquakes“ externer Link geht auf Verletzungen der Menschenrechte ein, wie das Recht auf Leben, den Schutz vor willkürlicher Verhaftung, das Verbot von Folter und anderen Misshandlungen sowie die Meinungs- und Versammlungsfreiheit. (…) Der Bericht beschreibt unter anderem, dass in der Türkei in den ersten beiden Tagen nach dem Erdbeben über 90 Personen festgenommen wurden, darunter auch Journalist*innen und Personen, die allein aufgrund von Äußerungen auf Social Media festgenommen wurden. Personen, die in der Türkei wegen angeblicher Plünderungen festgenommen worden waren, wurden gefoltert, mindestens eine Person ist in Haft gestorben. Amnesty International hat glaubwürdige Berichte über verbale und körperliche Angriffe gegen syrische Geflüchtete in der Türkei erhalten. In Syrien wurde der Zugang zu humanitärer Hilfe für bestimmte Regionen verweigert…“ ai-Pressemitteilung vom 23.2.2023 externer Link
    • Schwierige Hilfe in Aleppo
      Zehn Tage wurden die Nothelfer:innen des Kurdischen Roten Halbmonds daran gehindert, Hilfe für die Opfer des Erdbebens zu leisten. Fee Baumann berichtet, was sie jetzt tun können. (…) Insgesamt 10 Tage lang steckte unser Hilfstransport am letzten Checkpoint vor dem Gebiet unter Kontrolle des Assad-Regimes fest. Die syrische Armee verlangte von uns, dass wir die Hälfte unserer Hilfsgüter für die Betroffenen des Erdbebens an sie übergeben. Das haben wir natürlich abgelehnt, denn wir wissen nicht, was damit passiert. (…) Vorgestern Nacht erreichte uns dann endlich die Nachricht, dass wir den Checkpoint passieren können. Wir sollten nur auf ein Auto warten, das uns abholen würde. Das ist allerdings nie aufgetaucht und wir haben eine unbequeme Nacht im Auto verbracht. Gestern Nachmittag sind wir dann zum Checkpoint des syrischen Regimes gefahren, wo wir erneut durchsetzen mussten, dass wir nichts abgeben. Nach einigem Hin und Her konnten wir dann allerdings doch weiterfahren und haben mittlerweile Sheba erreicht, den Ort, an dem viele Flüchtlinge aus Afrin leben und wo das Erdbeben viel Zerstörung angerichtet habt. Die Trucks mit den Hilfsgütern sind weiter nach Aleppo gefahren und dort angekommen. (…) Die Hilfsgüter werden in Aleppo in den Stadtteilen Sheikh Maqsood und Al Ashrafia verteilt. Die Trucks haben Zelte, Matratzen, Decken, etwas Diesel zum Heizen und Winterkleidung geladen. Zurzeit herrschen hier nachts Minusgrade und die Menschen verbringen die Nächte aus Angst vor neuen Beben immer noch draußen. Erst vor zwei Tagen gab es ja ein sehr starkes weiteres Erdbeben, das in Aleppo weitere Häuser zum Einsturz gebracht hat. Die beiden genannten Stadtteile werden hauptsächlich von Kurd:innen bewohnt, in denen bisher keine oder nur sehr wenig Hilfe angekommen ist. Diese Viertel waren schon immer stark benachteiligt, die Infrastruktur ist sehr schlecht, die Häuser waren infolge des Krieges ohnehin schon schwer beschädigt. (…) Zum Glück gab es nach dem jüngsten Beben keine Schwerverletzten – soweit wir wissen. Nun, da wir endlich mit einem größerem Team aus Ärzt:innen, Sanitäter:innen, Hilfskräften und zwei Ambulanzen vor Ort sind, können wir mehr medizinische Hilfe leisten. Wir haben auch eine Gynäkologin dabei, um Schwangerschaftsverläufe zu kontrollieren. Wir werden uns auch ein erstes Bild über die beschädigte und kritische Infrastruktur verschaffen. Unser Hauptaugenmerk liegt auf der Wasserversorgung und den Abwassersystemen. Die Frage ist auch, wie viele Vermisste es noch gibt. Diese müssen möglichst schnell unter dem Schutt geborgen werden. So versuchen wir, Infektionsherde zu vermeiden. Die Cholera-Krise ist noch nicht vorbei und die Wasserversorgung war schon vorher extrem problematisch. Fehlende sanitäre Anlagen und beschädigte Abwassersysteme sind ein hohes Risiko für schwere Infektionen…“ medico-Interview von Anita Starosta vom 22. Februar 2023 externer Link mit Fee Baumann, sie arbeitet in Syrien für den Kurdischen Roten Halbmond
    • Proteste in Stuttgart, Hamburg und Leipzig und vielen Städten in Europa am 25.2.: „Geld für die Erdbebenopfer – nicht für den Krieg!“
      In Stuttgart, Hamburg und Leipzig haben Proteste gegen das Vorgehen des türkischen Staats nach der Erdbebenkatastrophe stattgefunden. Bei den Demonstrationen wurde verstärkte Solidarität mit den Erdbebenopfern eingefordert. In vielen Städten in Europa haben am Samstag Demonstrationen gegen das Vorgehen des türkischen Staats nach der Erdbebenkatastrophe stattgefunden. Aufgerufen zu den Protesten hatten der Verband Demokratischer Kräfte in Europa (ADGB) und die Plattform der Kurdistan-Institutionen in Europa und die Kurdische Frauenbewegung in Europa (TJK-E). Die Verbände machen die Erdogan-Regierung für das Ausmaß der Folgen verantwortlich und prangern Korruption im Bauwesen an. Die türkische Regierung sei direkt verantwortlich für die Entstehung und Ausweitung dieser Katastrophe. Sie habe die Krise von Anfang an nicht bewältigen können und das Leid durch die Blockade freiwilliger Helferinnen und Helfer vergrößert. Durch die Verzögerung der Hilfsarbeiten seien noch mehr Menschen in den Trümmern gestorben. Viele Orte seien von Hilfslieferungen ausgeschlossen worden, Freiwillige wurden drangsaliert und festgenommen. Zivilgesellschaftlich organisierte Hilfsgüter seien beschlagnahmt und als staatliche oder AKP-Leistung deklariert worden, erklärte die TJK-E…“ Bericht vom 26.2.2023 bei ANF mit Fotos und Videos externer Link
    • Von Hatay nach Elbistan: Als sonst niemand da war
      „„Als wir uns auf den Weg in die Erdbebenregion machten, wussten wir nicht, was uns dort erwarten würde. Das Ausmaß des Schmerzes und der Zerstörung war für uns unvorstellbar.“ – Ein Erlebnisbericht nach dem Erdbeben in der Türkei vor zwei Wochen…“ Bericht vom 21.2.2023 bei ANF externer Link
    • Die Kolonialpolitik der Türkei nutzt die Erdbebenkatastrophe in Kurdistan aus
      Gastautoren Koçer Nurhak und Vala Francis berichten exklusiv über die Lage in den kurdischen Gebieten der Türkei nach dem jüngsten Erdbeben. engl. Artikel vom 21.2.2023 in The Canary externer Link („Turkey’s colonial policies exploit the earthquake disaster in Kurdistan“, maschinenübersetzt)
    • Das Staatsbeben in der Türkei
      Am 6. Februar 2023 erlebte die Türkei die größte Erdbebenkatastrophe ihrer Geschichte. Neoliberalismus und Autoritarismus sind schuld am ihrem Ausmaß. Eine riesige populare Solidaritätswelle stemmt sich der Katastrophe entgegen. Alp Kayserilioğlu über das Staatsbeben…“ Artikel von Alp Kayserilioğlu vom 23. Februar 2023 im re:volt magazine externer Link
  • Inzwischen über 45.000 Tote in Syrien und Türkei. Das AKP-Regime hat Profiten der Bauindustrie viele Leben geopfert – Hilfe kommt von anderen
    • Nach Erdbeben: Inzwischen über 45.000 Tote in Syrien und Türkei
      Zwölf Tage nach den Erdbeben in der türkisch-syrischen Grenzregion bergen Einsatzkräfte noch immer viele Leichen aus den Trümmern. Mehr als 45.000 Tote wurden bislang in beiden Ländern gezählt. Es gilt als sicher, dass die Zahl weiter steigen wird. Zwölf Tage nach den heftigen Erdbeben in der Grenzregion zwischen der Türkei und Syrien bergen Einsatzkräfte noch immer viele Leichen aus den Trümmern. Mehr als 45.000 Tote wurden bislang in beiden Ländern gezählt. Der türkische Katastrophendienst Afad meldete am Freitagabend, 39.672 Menschen seien durch die Erdstöße getötet worden. Aus Syrien meldete die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zuletzt mindestens 5.900 Tote. Afad zufolge gab es mehr als 4.700 Nachbeben, einige davon auch in Syrien. Es gilt als sicher, dass die Zahl der Toten weiter steigen wird.
      Vereinzelt Rettungen in Türkei
      Weiterhin gibt es auch Berichte über späte Rettungen von Verschütteten. In der südtürkischen Grenzprovinz Hatay befreite ein kirgisisches Such- und Bergungsteam zwei Erwachsene und ein Kind nach 296 Stunden. Auf einem Video ist zu sehen, wie zwei Erwachsene und ein Kind auf Tragen aus den Trümmern eines Wohnhauses in der Kreisstadt Antakya gebracht werden.
      Suchanzeigen in sozialen Medien
      In den sozialen Medien teilen derweil viele Menschen Suchanzeigen in der Hoffnung, ihre Angehörigen in Krankenhäusern wiederzufinden. Mehr als 108.000 Menschen wurden bei den Beben allein in der Türkei verletzt, rund 13.000 werden noch in Krankenhäusern behandelt. Teilweise sind sie aber nicht identifizierbar. Vielerorts wurde auch die Infrastruktur zur Krankenversorgung stark beschädigt.“ ANF-Meldung vom 18.2.2023 externer Link
    • Ein neues Fundament. Das AKP-Regime hat Profiten der Bauindustrie viele Leben geopfert – Hilfe kommt von anderen
      „Es sind noch lange nicht alle Verschütteten aus den Trümmern geborgen, die das Erdbeben im Südosten der Türkei und dem Norden Syriens am 6. Februar hinterlassen hat. Die Hoffnung, weitere Überlebende zu finden, ist versiegt. Die Zahl der registrierten Toten wird wahrscheinlich auf über 100.000 steigen. Jede*r Einzelne von ihnen war ein Mensch mit Plänen für die Zukunft, mit Freund*innen und Angehörigen und dem Wunsch, ein glückliches Leben zu führen. Diese Leben wurden nicht allein durch die Verschiebung von tektonischen Platten beendet. Während das Beben eine Auswirkung der massiven Spannung war, die zwischen den Erdplatten über Jahrhunderte aufgebaut wurde, ist sein tödlicher Effekt das Ergebnis einer gesellschaftlichen Spannung. Die Konflikte in der Türkei spitzen sich seit Jahren immer stärker auf den Gegensatz Profit versus Überleben zu. Naturkatastrophen fördern dies umso deutlicher zu Tage. Das Risiko für ein starkes Erdbeben in Regionen wie Kahramanmaraş, Hatay und Şanlıurfa ist profitgierigen Bauunternehmer*innen hinreichend bekannt. Auch die AKP-Regierung war über das Risiko informiert, als sie 2018 im Parlament eine Amnestie für illegal errichtete Bauten beschließen ließ. Damals warnte der HDP-Abgeordnete Garo Paylan die Verantwortlichen vor der Gefahr für Millionen von Menschen, die in brüchigen Gebäuden wohnen. Nachdem die für die Inspektion der Gebäudesicherheit zuständigen Einrichtungen unter der AKP zunehmend privatisiert wurden, besteht kaum mehr öffentliche Kontrolle über das grundlegende Recht auf eine sichere Unterkunft. »Wo ist der Staat? Der Staat hat uns im Stich gelassen!«, war nach der Katastrophe vom 6. Februar vielfach verzweifelt aus den Erdbebengebieten zu hören. Es wurden nicht genug Such- und Rettungsteams der Katastrophenschutzbehörde AFAD entsendet. In einigen Bezirken ist bis heute keine staatliche Hilfe angekommen. Auch die Armee wurde nicht umgehend mobilisiert, erst nach einigen Tagen wurden einige Tausend Soldaten in die Region geschickt. Doch anstatt konkrete Maßnahmen zu ergreifen, sollen sie lediglich staatliche Präsenz signalisieren, berichten freiwillige Helfer*innen vor Ort. Währenddessen konzentriert sich die staatliche Führung auf ihren Propagandaapparat, auf die Einschüchterung ihrer Kritiker*innen sowie die Akkumulation neuer Gewinne. (…) Die riesige Solidaritätsbewegung, die sich nach dem Erdbeben in der Türkei ausbreitete und bis heute anhält, ist der Hoffnungsschimmer in dieser Katastrophe. Doch da sich das Regime von Hoffnungslosigkeit und Unterdrückung solidarischer Selbstorganisierung nährt, betrachtet es die lebensrettende gesellschaftliche Mobilisierung als Gefahr. Noch sind die Linken damit beschäftigt, Zelte, Essen und Toilettencontainer zu organisieren. Doch sie tragen die bunten Westen ihrer politischen Organisationen, während sie Suppe verteilen. Es sind jene Parteien und Aktivist*innen, die der Staat mit allen Mitteln als Terroristen brandmarken will. Was geschehen wird, wenn die Trümmerberge abgetragen sind, ist offen. Doch klar ist: Nicht nur die neu zu errichtenden Gebäude brauchen ein sicheres Fundament, auch die Gesellschaft muss grundlegend neu errichtet werden.“ Artikel von Svenja Huck vom 17. Februar 2023 in akweb.de externer Link
    • Wieder vor dem Nichts: Geflüchtete im türkischen Erdbebengebiet
      PRO ASYL sprach am 16. Februar 2023 mit der Wissenschaftlerin Begüm Başdaş externer Link über die Krisenreaktion der Türkei, menschenrechtliche Bedenken und die prekäre Situation von Schutzsuchenden. Begüm Başdaş: „… Es ist schwierig in Worte zu fassen, was gerade vor Ort passiert. Die Auswirkungen des verheerenden Erdbebens sind kaum vorstellbar. Die Situation ist von Ort zu Ort unterschiedlich und es ist immer noch zu früh für eine umfassende Analyse. Die katastrophalen Folgen jedoch sind auch politisch bedingt. Es geht hier um verschiedene Probleme wie Baumängel, Korruption, Vernachlässigung von Aufsichtspflichten und die langsame Mobilisierung von Such- und Rettungsmaßnahmen durch die Behörden. An vielen Orten trafen die Teams mehr als 48 Stunden nach der Katastrophe ein, was viel zu spät war. Viele Leben fielen nicht unmittelbar dem Beben selbst zum Opfer, sondern der verspäteten Hilfeleistung. Rettungs- und Hilfsaktionen wurden zu großen Teilen selbstständig durch die Zivilgesellschaft organisiert, und in diesem Prozess wurden sie auch noch durch Behörden behindert. Weiterhin fehlt es an Koordination und klarer Kommunikation, schnell verbreiten sich hingegen Falschinformationen und Hetze – insbesondere gegen Flüchtlinge und Migrant*innen. Es ist das totale Chaos. Die einzigen Gewissheiten sind, dass die Auswirkungen des Erdbebens auf die menschenrechtliche Lage in der Türkei immens sind und die Zahl der Todesopfer weiter steigen wird. (…) Kurz nach den Erdbeben war der Zugang zu Social Media-Kanälen wie Twitter eingeschränkt. Und das, obwohl es zu einem der wichtigsten Mittel geworden ist, um Rettungsaktionen zu koordinieren und an hunderten verschiedenen Orten in dem betroffenen Gebiet um Hilfe zu bitten. Offensichtlich hat der Schutz von Menschenleben keine Priorität für die Regierung. In der Türkei erleben wir immer wieder, dass Menschenleben nichts wert sind. Nutzer*innen Sozialer Medien und Journalist*innen wurden ins Visier genommen. Weil sie sich kritisch äußerten oder die Lage beobachteten, wurden einige zeitweise sogar festgenommen, was die Behörden mit dem kürzlich verabschiedeten »Desinformationsgesetz« leicht legitimieren konnten. Der Präsident hat den Ausnahmezustand für die von dem Erdbeben betroffenen Städte verkündet, aber ich befürchte, dass er sogar landesweit verhängt werden könnte. Wir haben die Auswirkungen des Ausnahmezustands auf die Menschenrechte nach dem gescheiterten Putschversuch 2016 gesehen und wie er zur Einschränkung der Meinungs‑, Versammlungs- und Medienfreiheit genutzt wurde. Dieses Mal haben diese Einschränkungen unmittelbare Auswirkungen auf Menschenleben. (…) Es gibt keine klaren Leitlinien für Flüchtlinge und Migrant*innen. (…) Aus einem der Dokumente, die zirkulieren, geht hervor, dass Geflüchtete nicht bei der Evakuierung in andere Städte oder Unterbringungen unterstützt werden. Während einige Syrer*innen sagen, dass unter den Überlebenden ein hohes Maß an Solidarität gelebt wird und sie in Antakya unmittelbar nach den Erdbeben keine Diskriminierung erlebt haben, gibt es viele Berichte, in denen ein ganz anderes Bild gemalt wird. Die Defizite in der Koordinierung und der klaren Kommunikation der Behörden eröffnen Raum für Hassreden, Syrer*innen werden zur Zielscheibe und es kommt zu gewalttätigen Angriffen. (…) Hochrangige Politiker rechtsextremer Parteien und ihre Anhänger nutzen die Situation aus und machen Flüchtlinge mit einer diskriminierenden Rhetorik zum Sündenbock. Das ist in dem Zusammenhang sehr gefährlich. (…) Aber was uns das Herz bricht, ist, dass viele Syrer*innen, die das Erdbeben überlebt haben, sagten, sie hätten Angst gehabt um Hilfe zu rufen. Sie versuchten stattdessen, unter den Trümmern Geräusche zu machen, weil sie fürchteten, nicht gerettet zu werden, wenn die Menschen erkennen, dass sie Syrer*innen sind. In einigen Gebieten haben sie auch Angst, um Hilfe zu bitten. Dies ist ein kumulatives Ergebnis jahrelanger Hassreden und Diskriminierung. (…) Selbst in den Tagen nach dem Erdbeben und während Zehntausende in einem Nachbarland ums Leben gekommen sind, drehte sich die Diskussion auf EU-Ebene und in den Medien um die Kontrolle von Migrationsbewegung und die Verringerung der Ankünfte in der EU. Mein hoffnungsloser Wunsch ist, dass die EU ihre Bemühungen verstärkt, effektiven Schutz zu bieten und bereits bestehende Mechanismen, wie das Resettlement-Verfahren und den Familiennachzug, nutzt, wenigstens für die von dem Erdbeben betroffenen Menschen. Wir müssen jetzt den gesamten Werkzeugkasten für eine nachhaltige Zukunft nutzen. Die Türkei ist kein sicheres Drittland für Flüchtlinge.“
    • [UNI] Solidarität mit den Opfern des Erdbebens in der Türkei und in Syrien
      „… Wir sind stolz auf die rasche Reaktion der türkischen Gewerkschaftsbewegung bei der Bereitstellung von Hilfe und Unterkünften für die Bedürftigen. Wir begrüßen die praktische Solidarität von Gewerkschaften und Betrieben in ganz Europa, indem sie sich an den Hilfs- und Wiederaufbaubemühungen beteiligen, insbesondere durch die Sammlung von Kleidung und anderen Gütern für die Katastrophenregion. Wir rufen die Mitgliedsorganisationen auf, diese Bemühungen fortzusetzen und sich Bemühungen fortzusetzen und sich diesen anzuschließen, und appellieren an sie, an den UNI-Solidaritätsfonds zu spenden, um die Hilfsmaßnahmen zu unterstützen. (…) Wir fordern eine Einstellung aller Feindseligkeiten in der Region, solange die humanitären Bemühungen andauern. (…) Das Erdbeben betrifft auch unsere türkisch- und syrischstämmigen Gewerkschaftskollegen in anderen europäischen Ländern. In den sozialen Medien kursieren Videos von Arbeitnehmern, die an ihrem Arbeitsplatz zusammenbrechen, weil sie nicht wissen, ob ihre Familien tot oder lebendig sind. Es gab zahlreiche Berichte über Arbeitsunfälle, die auf psychosozialen Stress zurückzuführen sind. Die Gewerkschaften können eine entscheidende Rolle bei der Sensibilisierung der Unternehmensleitung für die Gesundheits- und Sicherheitsrisiken spielen, die das Erdbeben und seine Folgen bei den Arbeitnehmern ausgelöst haben. Die Arbeitnehmer sollten die Möglichkeit haben Pausen einlegen können, wenn sie das Gefühl haben, dass sie die Gesundheits- und Sicherheitsstandards nicht mehr einhalten können. Sie sollten zusätzlichen Urlaub erhalten, damit sie in die Katastrophenregion reisen können, um sich um ihre Familien zu kümmern, Tote zu beerdigen und bei den Rettungsarbeiten zu helfen. (…) Die Hilfe muss alle Betroffenen erreichen unabhängig von Rasse und ethnischer Zugehörigkeit. Die Mittel müssen die Einhaltung gewerkschaftlicher und sozialer Rechte sowie demokratischer Grundsätze sicherstellen und fördern. Frieden und Dialog müssen im Mittelpunkt der Wiederaufbaubemühungen stehen.“ engl. Soli-Erklärung der UNI vom 16.2.2023 externer Link („Solidarity with the victims of the earthquake in Türkiye and Syria“, maschinenübersetzt)
    • Wir erinnern an unseren Spendenaufruf: Solidaritätskampagne „Lila Solidarität“ für die Arbeit von Mor Dayanışma für die Menschen in den Erdbebengebieten in der Türkei 
  • AKP/MHP-Regierung sabotiert zivile Hilfe, die Bundesregierung die „unbürokratische“ Visavergabe – für nichtdiskriminierende sofortige Einreiseerleichterungen!
    • Sofortige Einreiseerleichterungen ohne Unterscheidung nach Herkunft und Nationalität nach dem Erdbeben
      „… Das Erdbeben machte keinen Unterschied zwischen Nationalität, sozialer Herkunft, Sprache, Religion, Geschlecht, Alter, sexueller Orientierung und verwüstete das gesamte Leben in dieser Region. »Es darf keine Unterscheidung nach Nationalität und Pass für die Betroffenen derselben Katastrophe geben«, so Tareq Alaows von Pro Asyl. Bei der humanitären Hilfe muss die Nichtdiskriminierung und Unparteilichkeit die Grundmaxime sein. In der betroffenen Region leben viele Menschen alevitischer und kurdischer Herkunft. Es sind sehr viele Menschen aus Syrien und Afghanistan im Erdbebengebiet als Flüchtlinge untergekommen. Nach Angaben der Direktion für Migrationsmanagement beläuft sich die Zahl der registrierten Flüchtlinge in den 10 vom Erdbeben betroffenen Provinzen auf mindestens 1,7 Millionen.
      In den sozialen Medien und von Flüchtlingsorganisation in der Türkei erreichen uns aber alarmierende Nachrichten: Neben diskriminierenden Maßnahmen bei der Verteilung von Hilfsgütern wird zu Hassverbrechen aufgestachelt. Nach einigen Posts in den sozialen Medien, in denen vorgeschlagen wurde, dass Flüchtlinge von Such- und Rettungsaktionen und humanitärer Hilfe ausgeschlossen werden sollten, verwandelte sich dieser diskriminierende Diskurs in einen über die »Plünderung« durch Flüchtlinge – es soll gezielt der Eindruck erweckt werden, dass Geflüchtete plündern. Mancherorts schlug dies in physische Gewalt und Folter um. Eine weitere Eskalation droht. (…) Nach dem von Präsident Erdoğan am 7. Februar 2023 verhängten Ausnahmezustand erlaubt die Direktion für Migrationsmanagement nur denjenigen Flüchtlingen eine Reisegenehmigung in andere Regionen, wenn Verwandte ihre Grundbedürfnisse, insbesondere eine Unterkunft befriedigen oder sie für sich ein Haus mieten können. Es wurde angekündigt, dass öffentliche Einrichtungen und Organisationen, einschließlich lokaler Regierungen, den vom Erdbeben betroffenen Flüchtlingen außerhalb des Erdbebengebiets keine Unterstützung bei der Unterbringung gewähren dürfen, und dass auch Nichtregierungsorganisationen keine Unterstützung bei der Unterbringung leisten dürfen.
      Über die Situation in Syrien erfahren wir kaum etwas. Medico International verweist auf Partnerorganisationen vor Ort, wonach die Menschen allein gelassen sind und Hilfsmaßnahmen sie kaum erreichen. Stattdessen werden Hilfsmaßnahmen von Assad politisch instrumentalisiert. Hier muss ein breit angelegtes Evakuierungsprogramm unter der Kontrolle der UNO sofort beginnen.
      Wir fordern die Bundesregierung auf, Erdbebenopfern schnell, unbürokratisch und großzügig die Einreise zu ermöglichen ohne Unterschied nach Herkunft und Nationalität. Geflüchtete und von der Katastrophe betroffene Menschen, die sich in der Türkei aufhalten, müssen ebenfalls humanitäre Visa erhalten. Viele von ihnen haben Verwandte im Bundesgebiet und warten seit Jahren darauf, einreisen zu dürfen, was in der aktuellen Situation umso dringlicher ist.“ Gemeinsame PM vom 17.2.2023 externer Link beim RAV vom Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein, Adopt a Revolution, Borderline-Europe, den Flüchtlingsräten Berlin und Brandenburg, Medico International, Pro Asyl und dem Verein iranischer Flüchtlinge – siehe dazu auch:

      • Keine Diskriminierung bei der Visavergabe: Nach dem Beben leiden alle Menschen gleich
        Obdachlose Eltern, verwaiste Kinder, zerstörte Existenzen. Darunter leiden nach dem Erdbeben türkische Staatsangehörige ebenso wie Flüchtlinge. Deshalb müssen alle in Deutschland Verwandte zu sich einladen dürfen. Eine Unterscheidung nach Nationalität und Pass darf es in dieser Katastrophe nicht geben. PRO ASYL hat dazu einige Vorschläge…“ Meldung vom 16.02.2023 bei Pro Asyl externer Link
      • Wie sich deutsche Beamte „unbürokratische“ Visa für Erdbebenopfer vorstellen
        Kosten für medizinische Behandlung und Lebensunterhalt sollen nicht übernommen werden. Bürgschaften werden scheinbar nur von Verwandten 1. und 2. Grades akzeptiert. Das Auswärtige Amt nennt all das „Humanitäre Hilfe“. Angesichts der Not in den türkischen und syrischen Erdbebengebieten wurde vor wenigen Tagen ein vereinfachtes Visaverfahren für Betroffene angekündigt, die Angehörige mit deutscher Staatsbürgerschaft oder sicherem Aufenthaltsstatus in Deutschland haben. Von „unbürokratischen Visa“ externer Link war die Rede. Die Liste der Bedingungen externer Link, die das Auswärtige Amt inzwischen veröffentlicht hat, ist allerdings lang. Mancher Nachweis dürfte obdachlose und gesundheitlich angeschlagene Erdbebenopfer, deren Ausweispapiere, Geburtsurkunden und Handys unter den Trümmern liegen, ohnehin schwer zu erbringen sein. Hinzu kommen aber zusätzliche Anforderungen – auch an die Angehörigen 1. oder 2. Grades in Deutschland…“ Beitrag von Claudia Wangerin vom 16. Februar 2023 in Telepolis externer Link
    • Sie wollten nach dem Erdbeben Leben retten und wurden entlassen
      Während die Menschen ihren unter den Trümmern eingeschlossenen Verwandten und den Erdbebenopfern, deren Grundbedürfnisse vom Staat nicht befriedigt werden können, zu Hilfe eilen, sind die Chefs damit beschäftigt, Arbeiter zu entlassen. Arbeiter, die nach dem Erdbeben entlassen wurden, erzählten ihre Geschichten in den sozialen Medien…“ türk. Artikel vom 16. Februar 2023 bei Sendika.org externer Link
    • AKP/MHP-Regierung sabotiert zivile Hilfe
      Der HDP-Politiker Serhat Eren berichtet, wie der türkische Staat systematisch zivilgesellschaftliche Hilfe in den Erdbebengebieten verhindert und versucht, seine Stiftungen und religiösen Orden in die Region zu schleusen. Der türkische Staat versagt nicht nur bei der Hilfe für einen Großteil der Erdbebenopfer in Nordkurdistan, sondern behindert systematisch zivile Hilfe. Das Krisenkoordinationszentrum der Demokratischen Partei der Völker (HDP) in Markaz (tr. Pazarcik) wurde am Mittwoch von Soldaten besetzt und unter Zwangsverwaltung gestellt. Hilfskonvois werden aufgehalten und die Güter beschlagnahmt. Die Region um Elbistan am Epizentrum ist vollständig von der Armee besetzt. Unter dem Vorwand des Schutzes vor „Plünderern“ kam es wiederholt zu schweren Übergriffen auf Hilfsteams und Erdbebenopfer…“ Bericht vom 17.2.2023 bei ANF externer Link
    • Bei der großen gestrigen staatsnahen Spendenaktion hat ein regimeloyaler Unternehmer drei Mrd gespendet. Stellt sich heraus, dass eines seiner Unternehmen zur gleichen Zeit per Präsidialdekret drei Mrd und zehn Mio als staatliche Subvention erhalten hat. Dieses Land ist Satire…“ Tweet von Mahir Tokatlı vom 16. Feb. 2023 externer Link
    • Wir erinnern an unseren Spendenaufruf: Solidaritätskampagne „Lila Solidarität“ für die Arbeit von Mor Dayanışma für die Menschen in den Erdbebengebieten in der Türkei 
  • HDP stellt Anzeige wegen Polizeigewalt und Lynchmorde im Erdbebengebiet – Solidarität mit der Zivilgesellschaft statt Unterstützung für diktatorische Regime
    • Ausnahmezustand im Erdbebengebiet: Folter statt Hilfe?
      Oppositionspartei wirft türkischer Polizei und Innenminister Gewaltexzesse im Katastrophengebiet vor. Auch zivile Lynchmobs hätten mitgemacht. UNO geht von bis zu 50.000 Erdbeben-Toten aus. Mehr als eine Woche nach dem schweren Erdbeben im Südosten der Türkei und in Nordsyrien gibt es kaum noch Chancen, weitere Überlebende unter den Trümmern zu finden. UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths rechnete am Sonntag bereits damit, dass sich die Zahl der Toten in beiden Ländern auf insgesamt 50.000 erhöhen würde. Die staatliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu sprach am Dienstag von mehr als 31.600 Getöteten in der Türkei. Ein Abgeordneter der kemalistischen Oppositionspartei CHP, der das Katastrophengebiet selbst besucht hatte, schätzte die Zahl der Opfer allerdings im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau wesentlich höher ein: Er geht von mindestens 280.000 Erdbeben-Toten aus. Nach Angaben der linken, prokurdischen Oppositionspartei HDP (Demokratische Partei der Völker), die in den betroffenen Gebieten viele Anhänger hat, bewahrheiten sich gerade die schlimmsten Befürchtungen im Zusammenhang mit dem Ausnahmezustand, den die Regierung Recep Tayyip Erdogans vor wenigen Tagen verhängt hat. Polizeibeamte und zivile Lynchmobs haben demnach Menschen gefoltert, denen Straftaten wie Diebstahl oder Plünderung vorgeworfen wurden. Dafür gebe es Belege in „sozialen Medien“, teilte die HDP am Montag mit…“ Beitrag von Claudia Wangerin vom 14. Februar 2023 in Telepolis externer Link, siehe auch:

      • HDP stellt Anzeige wegen Gewalt im Erdbebengebiet
        Die HDP hat Strafanzeige wegen der von Polizei und Lynchmobs begangenen Gewaltexzesse im Erdbebengebiet in der Türkei gestellt. (…) In der Strafanzeige, die Aufnahmen der Gewaltexzesse enthält, wird beantragt, gegen die betreffenden Personen wegen Folter, Amtsmissbrauch, vorsätzlicher Körperverletzung, fahrlässiger Tötung, Beleidigung und Freiheitsentzug vorzugehen. Die HDP verweist in der Anzeige auf nationale und internationale Rechtsvorschriften und stellt fest: „Auf in den sozialen Medien verbreiteten Bildern ist zu sehen, dass Personen, bei denen es sich vermutlich um Strafverfolgungsbeamte und einige Zivilisten handelt, Menschen foltern, die angeblich Straftaten wie Diebstahl oder Plünderung begangen haben sollen. Über dieselben Social-Media-Accounts, auf denen diese Beiträge gepostet wurden, sehen wir auch, dass diese Verbrechen gegen die Menschlichkeit von anderen Menschen gelobt und sogar gewürdigt werden und dass zu diesen Verbrechen angestiftet wird.“…“ ANF-Meldung vom 13.2.2023 externer Link
      • Türkei: Gibt es Plünderungen und Lynchmorde im Erdbebengebiet?
        In Hatay schlägt Trauer in Angst und Wut um. Im Internet kursieren derzeit Videos von mutmaßlichen Plünderungen und von Gewalt gegen die angeblichen Täter. Wie sicher ist die Lage im Erdbebengebiet?…“ bestätigende Reportage von Elmas Topcu vom 14.2.2023 bei der Deutschen Welle externer Link
    • Solidarität mit der Zivilgesellschaft statt Unterstützung für diktatorische Regime
      Das Vorgehen des AKP/MHP-Regimes ist ein Verbrechen. Die Opfer des Erbebens werden systematisch vernachlässigt, von Sicherheitskräften misshandelt, die Hilfe beschlagnahmt. Drohnen und Artillerie greifen betroffene Regionen in Nordsyrien an. Mittlerweile haben die Zahlen der Erdbebentoten in Nordkurdistan, Rojava, der Türkei und Syrien fast 40.000 erreicht. Ein Ende des Anstiegs ist nicht abzusehen. Während immer noch unzählige Menschen unter den Trümmern liegen, setzt das AKP/MHP-Regime seine antikurdische und antialevitische Politik fort. Einwohner:innen der betroffenen Gebiete werfen der Regierung vor, das Erdbeben bewusst in diesem Sinne zu nutzen. (…)Die meisten der vom Erdbeben besonders schwer betroffenen Regionen sind alevitisch und kurdisch geprägt. Sie werden systematisch vernachlässigt. In einem Versuch, die Hilfeleistungen auf die Institutionen des Regimes, insbesondere auf die Katastrophenschutzbehörde AFAD zu konzentrieren, wird die Hilfe in vielen Bereichen blockiert. Die Verhängung des Ausnahmezustands wurde als Mittel genutzt, zivile Hilfe, insbesondere aus oppositionellen Kreisen, zu beschlagnahmen. Offenbar steht dahinter das kurzfristige Kalkül, vor den Wahlen im Mai Kompetenz im Krisenmanagement zu zeigen, um so Stimmen für die AKP zu erwirken. Das Vorgehen von AFAD ist jedoch von struktureller, vorsätzlicher Inkompetenz geprägt, so dass es in vielen Regionen von Anfang an am Nötigsten fehlte. In vielen Orten im Epizentrum sind bei Temperaturen von bis zu minus 18 Grad auch eine Woche nach dem Beben noch nicht einmal Zelte eingetroffen. Diese Politik gewinnt eine weitere verbrecherische Dimension, wenn man die vielen Berichte verfolgt, in denen zivile Rettung durch staatliche Kräfte verhindert wurde. (…) Wenn die Bundesaußenministerin Annalena Baerbock die Öffnung der türkischen Grenzübergänge fordert, dann mag das hilfreich erscheinen. Offensichtlich werden Hilfsgüter aber auch hier von türkeitreuen Söldnern des Al-Qaida-Ablegers HTS (Hayat Tahrir al-Sham) und anderer Terrorgruppen abgefangen, damit sie keine kurdischen Siedlungen erreichen. Die Bundesregierung hat das systematische Bombardement der Zivilbevölkerung von Rojava und Nord- und Ostsyrien, die Zerstörung der dortigen Infrastruktur durch den NATO-Partner Türkei, die alle Kriterien von Kriegsverbrechen erfüllen, hingenommen und beide Augen aus politischem Kalkül verschlossen…“ ANF-Beitrag vom 14.2.2023 externer Link
    • Nach dem Erdbeben steht Tochter von Familie Ahmad vor dem Nichts!
      Die Tochter von Familie Ahmad steht nach dem Erdbeben vor dem Nichts! Jede Hilfe zählt! Langfristig fordern wir eine Familienzusammenführung für Familie Ahmad! Schnelle Umsetzung der Visumserleichterung jetzt und für alle Betroffenen! Die Tochter der Familie Ahmad, Rafarin Ahmad, 28 Jahre alt, lebt seit Jahren in extremer Armut mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in der Grenzregion der Türkei. Durch das katastrophale Erdbeben hat die Familie alles verloren. Sie sind obdachlos und müssen unter Kälte und Hunger in einem Camp ausharren. Ihr kurzfristiges Ziel ist es, in einer Stadt im Westen der Türkei wieder auf die Beine zu kommen und Arbeit zu finden. Durch den Krieg, und spätestens durch das Erdbeben, fehlen der Familie auch wichtige Ausweisdokumente.  Die Familie Ahmad fordert seit dem unaufgeklärten Tod von Amed Ahmad am 29.09.2018 durch einen Brand in der JVA Kleve Aufklärung und Gerechtigkeit. Amed wurde zum Opfer institutionellen und strukturellen Rassismus – er wurde zu Unrecht inhaftiert, seine Daten im Vorfeld manipuliert. Seit Jahren fordert die Familie, bislang ungehört, dass zwei ihrer Kinder in die Bundesrepublik einreisen können. Wir und die Familie Ahmad sehen hier den Staat in der zwingenden Pflicht, die Forderung der Eltern nach einer Familienzusammenführung als Teil einer Wiedergutmachung des ihnen widerfahrenen Unrechts umzusetzen. Der Staat hat auch nach Beendigung des PUAs lebenslang eine Fürsorgepflicht gegenüber der Familie…“ Spendensammlung bei betterplace.org externer Link

  • Nicht Erdbeben töten, sondern Häuser und fehlende oder gar blockierte Hilfe – einige neue Aufrufe und Analysen
    • Syrisches Regime blockiert Hilfskonvoi nach Aleppo
      Das syrische Regime verweigert dem Kurdischen Roten Halbmond den Zugang nach Aleppo, das vom Erdbeben schwer getroffen wurde. Ein Konvoi soll nur gegen Überlassung von Hilfsmitteln und einer medizinischen Ambulanz durchgelassen werden. Einem Hilfskonvoi des Kurdischen Roten Halbmonds (KRC) ist es seit Samstag nicht gelungen, die nordsyrische Provinz Aleppo zu erreichen. Das Regime mache es dem Konvoi aus zwei medizinischen Ambulanzen und mehreren Lastwagen unmöglich, in die vom Erdbeben schwer getroffene Region zu gelangen, teilte die Organisation mit. Aus Damaskus habe es zur Begründung geheißen, die Kolonne dürfe nur gegen die Überlassung von Hilfsmitteln und einem Krankenwagen nach Aleppo hineinfahren. Andernfalls werde es keine Durchfuhrgenehmigung geben. „Assad nutzt Nothilfe als politisches Instrument“, kritisiert Fee Baumann von „Heyva Sor a Kurd“. (…)Es handelt sich bereits um den zweiten Konvoi aus dem Gebiet der nordostsyrischen Autonomieverwaltung, dem der Zugang in das Erdbebengebiet durch das Regime verweigert wird. Die erste Kolonne, zu der auch dutzende Tankwagen mit Kraftstoff gehören, wartet seit Donnerstag auf eine Genehmigung für die Durchfuhr. Auch hier werden die Behörden der Selbstverwaltung unter Druck gesetzt, einen Teil der Hilfsmittel an das Regime abzugeben. Die KRC-Partnerorganisation Cadus mit Sitz in Berlin, eine der wenigen internationalen Einrichtungen, die im Nordosten von Syrien Katastrophenhilfe leistet, zeigte sich entsetzt über die Blockade der Hilfslieferung nach Aleppo und Şehba. „Humanitäre Hilfe sollte ungehindert fließen können und nicht Gegenstand politischer Querelen und opportunistischer Versuche sein, vom Leid anderer zu profitieren“, sagte eine Sprecherin. „Wir fordern, dass der gesamte Konvoi und alle, die noch folgen, weiterfahren dürfen!“…“ Meldung vom 12 Feb. 2023 bei ANF externer Link – siehe dazu auch die Berichterstattung vom Café Libertad Kollektiv auf Twitter externer Link
    • Bauamnestien – Profit mit Menschenleben
      Mit dem Militärputsch 1980 begann in der Türkei das Zeitalter des Neoliberalismus. Die Bauindustrie wurde massiv durch immer neue „Amnestien“ unterstützt. Seit 2002 hat es acht solcher Amnestien gegeben. Die katastrophalen Folgen zeigen sich heute…“ Beitrag vom 12 Feb. 2023 bei ANF externer Link
    • Erdbeben: »Jenseits jeder Vorstellung«
      Ein Gespräch mit Vertretern einer Hilfsorganisation nach dem Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet. Interview von Cyrus Salimi-Asl vom 10.02.2023 im ND online externer Link
    • UID-DER ruft alle Gewerkschaften und Organisationen der Arbeiterklasse in der ganzen Welt zur Solidarität mit den vom Erdbeben betroffenen Menschen auf!
      Die herzzerreißenden Schreie der arbeitenden Menschen in den Erdbebengebieten werden immer lauter. In den Erdbebengebieten herrscht große Verzweiflung und Verwahrlosung, wo Tod, Hunger, Durst und Kälte den Menschen weiterhin zusetzen. Obwohl seit der Katastrophe viel Zeit vergangen ist, gibt es Berichten zufolge Dutzende von Städten und Dörfern und Tausende von eingestürzten Gebäuden, in denen Such- und Rettungsteams, Lebensmittel, Wasser und Zelte noch immer nicht angekommen sind. Der Staat ist nirgends zu sehen, der in der Türkei ständig verherrlicht wird, als allmächtig gilt und als „Gottheit“ betrachtet wird. Aber wir wissen, dass zig Millionen Arbeiterinnen und Arbeiter in der ganzen Türkei große Anstrengungen unternehmen, um alles zu tun, was sie können, deren Herzen gemeinsam mit unseren Klassenbrüdern und -schwestern in der Region schlagen. Wir sind uns der Tatsache bewusst, dass die Arbeiter ihre Spenden über zuverlässige Organisationen schicken wollen. Dieser Gedanke und Ansatz ist absolut richtig und berechtigt. Aus diesem Grund arbeiten wir als UID-DER vom ersten Tag an mit vielen Arbeiterorganisationen zusammen, um Solidarität für die Erdbebenopfer zu organisieren. Wir werden die Spenden im Rahmen der Solidaritätskampagne, die wir über das UID-DER-Büro in Mersin gestartet haben, so schnell wie möglich und in koordinierter Weise mit den Gewerkschaften, sozialistischen Parteien und demokratischen Massenorganisationen in die Region bringen. Lasst uns nicht schweigen und uns bewegen! Lasst uns unsere Solidarität in Worten und Taten zeigen! Nehmen Sie Kontakt mit UID-DER über seine sozialen Medien auf! Vereinigung für internationale Arbeitersolidarität (UID-DER externer Link)“ engl. Aufruf vom 9.2.23 per e-mail (machinenübersetzt), siehe auch:

      • Heben Sie den Ausnahmezustand auf! Mobilisieren Sie die Ressourcen des Staates!
        Maraş, Antep, Kilis, Urfa, Diyarbakır, Malatya, Elazığ, Osmaniye, Hatay und Adana… Die Erdbeben vom 6. Februar haben zu massiven Zerstörungen geführt. Mit jeder Stunde, die verstreicht, wird die Zerstörung immer offensichtlicher und erschreckender. Nach den letzten offiziellen Angaben beläuft sich die Zahl der Todesopfer auf 21 448 und die der Verletzten auf 80 104...“ engl. Beitrag vom 8.2.2023 auf deren Homepage externer Link („Abolish the State of Emergency! Mobilize the State’s Resources!“)
    • Notlage nach Erdbeben – Spendenaufruf für das armenische Hilfswerk
      Seit dem verheerenden Erdbeben in der Türkei und Nordsyrien am 06.02.2023 steigen die Opferzahlen beständig. Mindestens zwanzigtausend Tote sind zu beklagen, über 20 Millionen Menschen sind existenziell von dem Erdbeben in der Grenzregion betroffen. Auch die Lebenssituation der armenischen Gemeinschaft in Syrien, die wegen des Bürgerkrieges seit über zehn Jahren ohnehin schwere Zeiten erlebt, hat sich dramatisch verschlimmert. Infolge der Beben wurden 80% der Wohngebäude in Aleppo beschädigt, was sowohl die existenziellen Umstände als auch das gemeinschaftliche Leben der dort ansässigen Armenier vor nicht zu bewältigende Herausforderungen stellt. Wohnungen, Arbeitsplätze, Kirchen, Schulen, Sporthallen und andere Einrichtungen sind beschädigt oder zerstört. Sieben Armenier haben ihr Leben verloren, viele sind vermisst gemeldet, Rettungsbemühungen dauern an. Bei den Minustemperaturen müssen die Menschen in den Notunterkünften mit dringend Lebensnotwendigem versorgt werden:  Lebensmittel, Milch, Windeln, Medikamente, Winterjacken,-Socken, Wolldecken, Kissen, Matratzen, Schlafsäcke. Der Zentralrat der Armenier in Deutschland bittet Sie um Ihre Mithilfe und eine Spende. die wir an das armenische Hilfswerk www.ars1910.org externer Link  weiterleiten, das vor Ort im Einsatz ist. Jede Spende hilft! Danke für Ihr Anteilnehmen und die Unterstützung! Zentralrat der Armenier in Deutschland e.V. (ZAD)“ Aufruf vom 10.2.2023 per e-mail, Spenden können auf das folgende Konto überwiesen werden: Zentralrat der Armenier in Deutschland e.V.
      Sparkasse Leverkusen
      IBAN             DE12375514400118365543
      BLZ                375 514 40
      Konto Nr.       118 365 543
      Verwendungszweck:  Notlage Erdbeben
    • Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet: Alle Kampfhandlungen müssen sofort gestoppt werden! – Appell an die Bundesregierung
      Auf die Naturkatastrophe im türkisch-syrischen Grenzgebiet folgt derzeit eine menschengemachte Katastrophe: Lebensrettende Hilfe bleibt insbesondere in den vom Erdbeben betroffenen Gebieten Nordsyriens weitgehend aus. PRO ASYL fordert die Bundesregierung auf, Druck auf die Türkei auszuüben, die Grenzübergänge zu den Gebieten zu öffnen und verletzte Menschen sowie Betroffene mit familiären Verbindungen in Deutschland unbürokratisch aufzunehmen. (…)
      Alle Kampfhandlungen müssen sofort gestoppt werden!
      Sowohl die türkische Nachrichten Agentur Anadolu, als auch unabhängige Medien externer Link berichten, dass nach den Erdbeben am Montag, türkische Angriffe auf Ziele nördlich von Aleppo fortgesetzt wurden. Den Berichten zufolge wurde die Region außerdem von Angriffen des syrischen Machthabers Assad zusätzlich erschüttert. Die Gebiete wurden von dem Erdbeben schwer getroffen, auch hier haben viele Binnenvertriebene Zuflucht gefunden. Es ist nicht zu rechtfertigen, dass die humanitäre Katastrophe durch militärische Angriffe verschärft wird. Wir fordern die deutsche Bundesregierung daher dringend auf:

      • Die humanitäre Hilfe nicht an die Zustimmung des Regimes in Syrien zu knüpfen.
      • Politischen Druck auf die Türkei auszuüben, den Grenzübergang Bab El-Hawa offen zu halten und weitere Grenzübergänge einerseits für die humanitäre Hilfe nach Syrien, aber auch für Menschen, die sich in Sicherheit bringen wollen, zu öffnen.
      • Die Fortsetzung der Kampfhandlungen durch den syrischen Machthaber Assad und den türkischen Präsidenten Erdogan aufs schärfste zu verurteilen und sich für ein Ende dieser einzusetzen.
      • Sich auf internationaler Ebene für einen koordinierten Einsatz in Nordsyrien einzusetzen.

      Verletzte Menschen und besonders vulnerable Personengruppen mit familiären Verbindungen nach Deutschland unbürokratisch aufzunehmen…“ Pressemitteilung vom 10.02.2023 von und bei Pro Asyl externer Link

    • Nicht Erdbeben töten, sondern Häuser und fehlende Hilfe
      Der türkische Staatspräsident Tayyip Erdogan war sehr rasch mit der Aussage, dass so ein Erdbeben wie am 6. Februar jeden Staat überfordere und drohte im gleichen Atemzug allen Kritiker*innen. Angeblich sollen sich solche zwei Tage nach dem Beben bereits im Gefängnis befinden. Nun hat Erdogan damit sicher Recht, dass auch andere Staaten angesichts einer Katastrophe dieses Ausmaßes an ihre Grenzen stoßen würden. Doch die Türkei ist nicht irgendein Staat, sie hat bereits eine lange Geschichte schwerster Erdbeben hinter sich und es gab Zeiten, da hatte sie auch etwas daraus gelernt. Das Erdbeben wäre in jedem Fall schlimm gewesen, aber nicht notwendig so schlimm. Erdogan weiß schon, warum er diesmal sogar extrem dünnhäutig reagiert. Ein Kommentar.“ Beitrag vom 9. Februar 2023 beim Radio Dreyeckland externer Link Audio Datei
    • „Es gibt Vermutungen, dass die kurdischen Gebiete bei der Hilfe vernachlässigt werden“
      Das Erdbeben in der Türkei und in Syrien trifft unter anderem kurdische Gebiete und Menschen, die seit Jahrzehnten diskriminiert sind. Wie wirkt sich das aus? Und wie viel Politik steckt hinter dieser Katastrophe? (…) In den sozialen Netzwerken gibt es Vorwürfe, die türkische Regierung sei für das Entstehen der Schäden verantwortlich. Und dass bislang keine staatliche Hilfe durchkommt, während zivilen Hilfsorganisationen die Arbeit schwer gemacht wird. Wir haben mit Anita Starosta von der Hilfsorganisation Medico gesprochen. (…) Es gibt nicht ganz unberechtigte Vermutungen, dass die kurdischen Gebiete, in denen WählerInnen leben, die nicht AKP nah sind, bei der Hilfe vernachlässigt werden. Allerdings sind auch viele Zufahrtswege vom Erdbeben zerstört, daher muss ich mit Spekulationen vorsichtig sein. Aber es gibt Berichte, dass Hilfslieferungen von Oppositionsparteien wie der HDP aufgehalten worden sind. Und dass zivilgesellschaftliche Initiativen, die nicht an den staatlichen Katastrophenschutz angedockt sind, an den Grenzen aufgehalten und ihre Hilfsgüter konfisziert werden. Daher gibt es die Vermutung, dass jetzt, zwei Monate vor den Wahlen, die Verteilung der Hilfe eine politische Rolle spielt. (…)In den Regionen wurden viele Häuser nach 2016 erbaut, nach dem Bürgerkrieg. Die türkische Wohnungsbaugesellschaft hat in Leichtbauhäuser investiert. Ganze Stadtteile wurden billig hochgezogen, ohne dass sie den Sicherheitsstandards entsprachen. Und die sind jetzt alle zusammengebrochen.  [Ist das eine neoliberale Sparpolitik? Oder eine gezielte Vernachlässigung der kurdischen Bevölkerung, dass da kein Geld reingesteckt wurde?] Beides. Zum Beispiel wurde in Diyarbakir, eines der kurdischen Zentren, gezielt Politik gegen KurdInnen gemacht hat. Nach dem Bürgerkrieg wurden zum Beispiel andere Bevölkerungsgruppen angesiedelt, um die KurdInnen ethnisch zu zersiedeln…“ Interview von Julia Fritzsche vom 08.02.2023 beim Bayerischen Rundfunk externer Link
    • Siehe und beachte auch: Solidaritätskampagne „Lila Solidarität“ für die Arbeit von Mor Dayanışma für die Menschen in den Erdbebengebieten in der Türkei
  • Erdbeben in der Türkei: Dem Schicksal überlassen. Ganze Regionen nach Erdbeben ohne staatliche Hilfen. Kritik an Präsident Erdogan
    „… Die Weltgesundheitsorganisation WHO nannte am Mittwoch die Zahl von bis zu 20.000 Toten in beiden Ländern. Gerade in der mit am stärksten zerstörten Provinz Hatay an der Grenze zu Syrien ist bislang kaum staatliche Hilfe angekommen. »Dieser Ort scheint seinem Schicksal überlassen zu sein. Es gibt hier keinen Staat und keine Regierung«, berichtete der Kovorsitzende der linken Demokratischen Partei der Völker (HDP), Mithat Sancar, aus der Provinzhauptstadt Antakya in einem am späten Dienstag abend geteilten Video. »Die Menschen sind auf der Straße, und es gibt weder Schutz noch Heizung. Es gibt kein Wasser, keine Zelte, kein Brot und kein Essen«. Auch in einigen anderen Regionen waren nach Angaben der kurdischen Nachrichtenagentur Medyanews bis Mittwoch noch keine Rettungsteams eingetroffen. Dies gilt insbesondere für Orte mit kurdischer Bevölkerungsmehrheit. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan, der erst zwei Tage nach den Beben die im Epizentrum gelegene, stark zerstörte Stadt Kahramanmaras besuchte, sprach von anfänglichen Problemen. Er behauptete aber, die Situation sei seit dem zweiten Tag unter Kontrolle, und appellierte an die Geduld der Bürger. Der Vorsitzende der kemalistischen Oppositionspartei CHP, Kemal ­Kilicdaroglu beschuldigte indessen den Präsidenten, dieser habe es in seiner zwanzigjährigen Regierungszeit versäumt, das Land auf ein solches von Geophysikern vorhergesagtes Beben vorzubereiten. Zudem habe Erdogan eine für die Vorsorge gedachte Erdbebensteuer zweckentfremdet. »Wenn jemand hauptverantwortlich für diesen Verlauf ist, dann Erdogan«, so der Oppositionsführer in einem am Mittwoch auf Twitter geteilten Video. Die Mehrheit der rund 6.000 am Montag in der Türkei eingestürzten Gebäude war nach Angaben der kurdischen Nachrichtenagentur ANF von der Wohnungsbaubehörde TOKI errichtet worden. Gerade in den hauptsächlich von Kurden bewohnten Städten waren nach der Zerstörung der Innenstadtviertel durch Beschuss der türkischen Armee 2015 und 2016 große Siedlungen mit diesen aufgrund minderwertiger Bausubstanz für Erdbeben extrem anfälligen Wohnblöcke hochgezogen worden. Die HDP, sozialistische Parteien, Nichtregierungsorganisationen und von der Opposition gestellte Stadtverwaltungen haben begonnen, Hilfsgüter zu sammeln. Doch bereits am Dienstag wurden Lastwagen mit Spenden einer HDP-Stadtverwaltung in der Provinz Agri beschlagnahmt. Zuvor hatte Umweltminister Murat Kurum angeordnet, dass ausschließlich die staatliche Katastrophenschutzbehörde AFAD die Sammlung und Verteilung von Sach- und Geldhilfen übernehmen dürfe. Diese ursprünglich mit dem Technischen Hilfswerk vergleichbare Organisation ist in den letzten Jahren unter Kontrolle islamistischer Kräfte gekommen, ihre kasernenähnlichen Lager für syrische Flüchtlinge dienten als Rekrutierungsstätten dschihadistischer Kampfgruppen. Von Oppositionspolitikern wurde daher die Sorge geäußert, dass die Monopolisierung der Hilfen bei der AFAD von der Regierung dazu verwendet werde, die Unterstützung mit Blick auf die Wahlen im Mai zu kanalisieren und vor allem eigenen Anhängern zugute kommen zu lassen. Über die zehn vom Erdbeben betroffenen Provinzen wurde am Dienstag für drei Monate der Ausnahmezustand verhängt. Er soll demnach bis zu den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen gelten. Es handelt sich um Regionen mit hohen kurdischen, alevitischen oder arabisch-alawitischen Bevölkerungsanteilen, unter denen die Oppositionsparteien CHP und HDP starke Unterstützung erfahren. Daher bestehe der naheliegende Verdacht, so ANF, dass die Regierung Sonderbefugnisse für Polizei und Militär sowie Repressionsmöglichkeiten primär dazu nutzen will, Teile der Wählerschaft auszuschalten.“ Artikel von Nick Brauns in der jungen Welt vom 9. Februar 2023 externer Link
  • Kritik von Menschenrechtler: Türkei bombardiert Kurdengebiete trotz Erdbeben weiter
    Die Auswirkungen des Erdbebens im türkisch-syrischen Grenzgebiet halten die Bevölkerung in Atem. Trotz der humanitären Katastrophe schreckt das türkische Militär anscheinend aber nicht davor zurück, kurdisch kontrollierte Gebiete in Nordsyrien zu bombardieren. Menschenrechtler Kamal Sido appelliert an die Nato-Staaten. Die Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet halten die türkische Armee nach Darstellung von Menschenrechtlern nicht davon ab, kurdisch kontrollierte Gebiete in Nordsyrien zu bombardieren. In der Nacht zu Dienstag habe die Türkei das vom Beben betroffene Umland von Tal Rifaat angegriffen, sagte der Nahostexperte der Gesellschaft für bedrohte Völker, Kamal Sido. In diesem nördlich der Stadt Aleppo liegenden Gebiet hätten kurdische Vertriebene aus der Region Afrin Zuflucht gefunden. „Es ist skandalös, dass ein Nato-Staat eine humanitäre Katastrophe mutwillig verschlimmert. Von anderen Nato-Ländern kommt dazu kein Wort der Kritik.“ (…) „Das gesamte medizinische Versorgungssystem lag wegen des andauernden Bürgerkrieges sowie syrischer und russischer Angriffe bereits in Trümmern“, sagte er. Jetzt könnten viele Verletzte nicht versorgt werden. Die Türkei habe die Grenzübergänge in die kurdischen Gebiete Nordsyriens für humanitäre Lieferungen geschlossen gehalten. „Für islamistische Kämpfer und moderne Waffen waren diese Grenzen immer geöffnet. Jetzt müssen endlich auch humanitäre Lieferungen für Nordsyrien und für ganz Syrien durchgelassen werden“, sagte Sido. Dafür müsse sich die Bundesregierung einsetzen. Bisher habe sie aus Rücksicht auf den Nato-Partner Türkei keine humanitäre Hilfe an die von Kurden besiedelten Gebiete zugelassen…“ Agenturmeldung vom 07.02.2023 beim RND externer Link
  • Türkische Regierung unterbindet zivile Katastrophenhilfe – Erdoğans Wahlkampf verhindert lebensrettende Hilfsmaßnahmen
    Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat in zehn vom Erdbeben betroffenen Provinzen den Ausnahmezustand verhängt. Dadurch wird sowohl zivile Selbsthilfe verhindert als auch transparente Berichterstattung unterbunden. (…) Es ist zu befürchten, dass Erdoğan das Erdbeben und die Verhängung des Ausnahmezustands ausnutzen wird, um vor allem oppositionelle Kräfte daran zu hindern, die dringend notwendige Selbsthilfe in den betroffenen Gebieten zu organisieren. So will Erdoğan die Gunst der Stunde nutzen und die Erdbebenkatastrophe als Vorwand dafür verwenden, die bevorstehenden Wahlen in den kurdischen Gebieten unter Ausnahmezustandsbedingungen stattfinden zu lassen. Bereits kurz nach dem ersten Beben organisierten zivilgesellschaftliche Organisationen, politische Parteien und die Zivilbevölkerung in den betroffenen Gebieten Hilfe mit ihren eigenen Mitteln, während die zuständigen staatlichen Stellen zunächst untätig blieben. Mit der Verhängung des Ausnahmezustands wird die selbstorganisierte Hilfe verhindert oder stark eingeschränkt. (…) Schon jetzt wird immer lauter die Frage gestellt, ob das Ausmaß der bei dem Beben entstandenen Zerstörung sich nicht durch eine stabilere Bauweise zumindest hätte einschränken lassen können. Es ist allgemein bekannt, dass die Türkei ein Erdbebengebiet ist und es in den vergangenen Jahren immer wieder Beben gegeben hat. Kritisiert wird, dass in den letzten Jahren vor allem die Neubauten in einer so schlechten Qualität hochgezogen wurden, dass sie beim Beben in sich zusammenstürzten wie Kartenhäuser. Davon sollen vor allem die Wohnblocksiedlungen der staatlichen Baubehörde TOKI betroffen gewesen sein…“ ANF-Meldung vom 8.2.2023 externer Link – siehe viele weitere aktuelle Meldungen bei ANFdeutsch externer Link
  • Erdoğan kündigt nur 10.000 Lira für jedes Erdbebenopfer an und bezeichnet andere Organisationen als AFAD als „Provokateure“
    Tayyip Erdoğan hielt eine Pressekonferenz in Maraş, dem Erdbebengebiet. Trotz der Unzulänglichkeit des Staates bei Such- und Rettungsaktionen sagte Erdoğan: „Wir haben alle unsere Mittel mobilisiert, der Staat führt seine Operationen mit all seinen Mitteln durch, insbesondere AFAD und die Gemeinden.“ Erdoğan sagte auch, dass sie ein Budget für die Erdbebenopfer bereitgestellt haben. „Wir werden ihnen eine Summe geben, die sie entlastet“, sagte Erdoğan und fügte hinzu, dass jede Familie nur 10 000 Lira erhalten werde. (…) Neben den üblichen Botschaften von „Einheit und Solidarität“ bezeichnete Erdoğan die Organisationen, die Aktivitäten durchführten, die nicht von AFAD durchgeführt wurden, als „Provokateure“…“ türk. Meldung vom 8. Februar 2023 bei Sendika.Org externer Link (maschinenübersetzt)
  • Erdbeben: Türkischer Staat abwesend, „wenn es darum geht, Kurden zu retten“
    „… Nach mehreren Erdbeben an der türkisch-syrischen Grenze wächst die Kritik am Umgang des türkischen Staates mit der Katastrophe. Rosa Burç ist politische Soziologin am Center on Social Movement Studies in Florenz und Gastwissenschaftlerin bei INTERACT an der FU Berlin. Sie arbeitet zu politischen Vorstellungswelten von Staatenlosen und ist Expertin für die sogenannte kurdische Frage. Im Gespräch mit PULS 24 erklärt sie, welche Faktoren die tragischen Folgen des Erdbebens verschlimmern – und wie sie mit der antikurdischen Politik der Türkei zusammenhängen. (…) Wovor in der öffentlichen Wahrnehmung gar nicht gewarnt wurde, ist ein Erdbeben in kurdischen Gebieten im Südosten des Landes. Expert:innen sprechen davon, dass seit Monaten bekannt war, dass es ein Erdbeben geben wird. Es wurden Projekte konzipiert, wie man im Falle eines Erdbebens in genau dieser Region die Bevölkerung schützen könnte. Diese Pläne wurden seitens der zuständigen Ämter abgelehnt. Das ist fatal. (…) Wir haben es mit Häusern zu tun, die überhaupt nicht erdbebensicher gebaut wurden. Das liegt auch daran, wie der türkische Staat in Bauprojekte in Kurdistan oder auch anderen Teilen der Türkei investiert hat. Die Baupolitik der AKP-Regierung (Anm.: AKP ist die Partei Recep Tayyip Erdoğans) ist stark neoliberal orientiert. Es geht darum, viel und schnell zu bauen. Aufträge werden an regierungsnahe Organisationen erteilt. Der Bausektor wird als Profitsektor gesehen. (…) All diese Bauten wurden nicht erdbebensicher gebaut und nicht im Sinne einer Infrastruktur, die auf die Menschen ausgerichtet ist. Im Gegenteil: Man könnte von einer Anti-Infrastruktur sprechen, die der Natur trotzt und die Menschen das Leben kosten kann. Gerade die AKP-Regierung – aber auch andere Parteien – haben in Kurdistan auf die Logik von Krieg, Zerstörung und Wiederaufbau gesetzt. Die Kriegspolitik bedeutet mittlerweile auch eine neoliberale Profitpolitik. (…) Es ist interessant, dass es so lange gedauert hat, bis offizielle Rettungskräfte an allen Orten waren. Es kommt ein Unbehagen auf, wenn wir uns ansehen, wo sofort interveniert wurde vom staatlichen Katastrophenschutz AFAD – und wo nicht. In Diyarbakir etwa gab es bald Teams des Katstrophenschutzes vor Ort. In Maraş, Elbistan oder der Provinz Hatay war es das genaue Gegenteil. Dabei liegt dort fast jedes Gebäude in Trümmern. Das sind Städte, wo mehr als 24 Stunden auf Rettungsteams gewartet werden musste. Auch Freiwillige konnten die Orte schwer erreichen, weil die Straßen kaputt waren. (…) Die Streitkräfte wurden nicht mobilisiert. Die Türkei kann so schnell Militär mobilisieren in ihrem sogenannten Anti-Terror-Kampf. Aber sie kann das Militär nicht zum Schutz der Bevölkerung einsetzen. Wer in kurdischen Städten unterwegs war, weiß, dass die Präsenz des Staates mit seinen Streitkräften, Helikoptern und Militärfahrzeugen überall sichtbar ist. Aber dieses sichtbare Gewaltmonopol des Staates ist abwesend, wenn es darum geht, die Menschen vor Ort zu retten. (…) Wenn man Hilfspakete an Stadtverwaltungen schickt, werden diese von Statthaltern aus Ankara verwaltet. Diese Statthalter werden eingesetzt, um demokratisch gewählte Bürgermeister:innen abzusetzen. Daraus ergibt sich die Frage: Wo landen die Hilfsgüter dann? (…) Der türkische Staat war immer sehr präsent, wenn es um neoliberale Kriegs- und Sicherheitspolitik geht. Aber er ist abwesend, wenn es darum geht, Kurd:innen zu retten. Der Rassismus und Neoliberalismus in der Türkei haben Hand in Hand Menschenleben auf dem Gewissen, die aufgrund von Naturkatastrophen entstanden sind, aber verhindert werden könnten, gäbe es einen anderen Blick auf die betroffene Region, die mehrheitlich von Kurd:innen und Alevit:innen bewohnt ist. Diese Minderheiten wurden systematisch marginalisiert, diskriminiert und strukturell benachteiligt in der Geschichte der türkischen Republik…“ Interview vom 07. Feb. 2023 in PULS 24.at externer Link und darin wichtig:
    „… Es gibt viele Spendenaufrufe von staatlichen Organisationen. Der türkische Rote Halbmond arbeitet beispielsweise zusammen mit dem Roten Kreuz in Österreich und Deutschland. In der Geschichte hat sich der türkische Rote Halbmond oder auch der Katastrophenschutz AFAD oft sehr biased gezeigt, wenn es darum ging, wem die Spenden zugutekommen. Es ist darum sehr wichtig, auch Spendenaufrufen nachzugehen, die von zivilgesellschaftlichen Organisationen getätigt werden. Da gibt es etwa in der Türkei die Organisation Ahbap externer Link. Es gibt auch die kurdischen Hilfsorganisationen vor Ort. Diese Spenden kommen auch in Rojava, in den kurdischen Gebieten Nord-Ost-Syriens an. Auch über Medico externer Link kann man direkt an die Erdbebenopfer spenden
    Siehe auch:

    • Im Stich gelassen. Menschen im Südosten der Türkei warten auf Hilfe
      „… Während die offizielle Todeszahl am Dienstagmittag bei 3419 allein in der Türkei und 1600 in Syrien lag, sind in einigen Regionen immer noch keine staatlichen Such- und Rettungseinheiten eingetroffen. In der Türkei ist dafür die Katastrophenschutzbehörde AFAD zuständig, die dem Innenministerium untersteht. Die lokale Bevölkerung wirft der AFAD nun Versagen vor: Stromausfall, Wassermangel, instabile Kommunikationsverbindungen und fehlende Medikamente behindern die Versorgung der Verletzten und die Suche nach Verschütteten. Die Armee wurde nur zu einem geringen Teil mobilisiert, was ebenfalls auf Kritik stößt. Der Zugang zur Erdbebenregion wird zwar erschwert durch starken Schneefall und die Beschädigung der Landebahn des Flughafens von Hatay, doch andere Rettungsteams, zum Beispiel entsandt von der Istanbuler Stadtverwaltung, sind bereits im Erdbebengebiet eingetroffen. In kürzester Zeit haben sich in vielen türkischen Städten Freiwillige organisiert, die Listen über benötigte Spenden erstellen und Hilfstransporte in die betroffene Region schicken. Sie berichten allerdings von versperrten Straßen. Vizepräsident Fuat Oktay verhängte ein 48-stündiges Zufahrtsverbot für Zivilfahrzeuge in die Regionen Hatay, Kahramanmaraş und Adıyaman. Übereinstimmenden Berichten zufolge spielt die zivile Hilfe jedoch eine entscheidende Rolle in jenen Regionen, die die Einheiten der Katastrophenschutzbehörde noch nicht erreicht haben. Der Abgeordnete der Arbeiterpartei der Türkei (TİP), Ahmet Şık, berichtete am Dienstagvormittag dem Fernsehsender HalkTV live aus dem Stadtzentrum von Antakya: »Hier gibt es keine Bergungsarbeiten an den eingestürzten Gebäuden. Keine staatliche Organisation ist präsent.« Die Einwohner*innen der Stadt seien auf sich allein gestellt und würden nach eigenen Kräften die Bergungsarbeiten organisieren. Unter den Trümmern seien nach wie vor Stimmen von Verschütteten zu hören, so Şık. Zu dem Schock und der Verzweiflung der Menschen kommt nun auch Wut, denn die Menschen vor Ort fühlen sich vom Staat im Stich gelassen. (…) Sie vermuten, dass der Staat und die AKP-Regierung die Rettung absichtlich verzögern. Ein Mitarbeiter der Katastrophenschutzbehörde AFAD, der selbst aus der Region Hatay stammt, aber nicht namentlich genannt werden möchte, sagte gegenüber »nd«: »In den Bezirken Defne und Samandağ gibt es für die AKP keine Stimmen zu holen. Die sagen sich: Retten wir lieber Menschen in den Gebieten, die uns ihre Stimmen geben.«…“ Artikel von Svenja Huck vom 07.02.2023 im ND online externer Link
    • Wo ist der Staat? Eine falsche Frage.
      Immer noch warten nach dem verheerenden Erdbeben Verschüttete unter Tonnen von Beton auf Hilfe. Immer noch harren Hunderttausende bei Regen und Schnee im Freien aus. Immer noch werden Verwundete nicht versorgt. Stündlich steigt die Zahl der Toten. Clips in den sozialen Medien zeugen von der allgegenwärtigen Verzweiflung im Erdbebengebiet in der Türkei. Viele Menschen beklagen, dass keine Hilfe kommt und fragen unter dem Hashtag #devletnerede Wo ist der Staat? Nun, dieser Staat hat anderes zu tun. Zum Beispiel bombardierte er keine 24 Stunden nach dem Erdbeben die Stadt Tel Rifat in der Autonomieregion Nordsyrien. Die zweitgrößte Armee der NATO verfügt zwar über sehr viele Helikopter und Armeefahrzeuge, doch sie werden anderweitig gebraucht. Ihre Zweckbestimmung ist der Krieg gegen Kurd:innen. Nothilfe für die Bevölkerung ist nicht vorgesehen…“ Beitrag vom 7 Feb. 2023 bei ANF externer Link
    • Nordkurdistan: Menschen werden ihrem Schicksal überlassen
      Die Situation in den Erdbebengebieten in Nordkurdistan ist verzweifelt. Die Menschen klagen über ausbleibende staatliche Hilfe. Aus Elbistan, Meletî und Amed berichten Menschen über die katastrophale Lage…“ Beitrag vom 7 Feb. 2023 bei ANF externer Link
  • Sanktionen gegen Nothilfe
    Hilfsorganisationen fordern Aufhebung der EU-Sanktionen gegen Syrien, weil sie die Erdbeben-Nothilfe blockieren. Sanktionen tragen seit Jahren massiv zum Hunger in Syrien bei. Hilfsorganisationen fordern die sofortige Aufhebung der EU-Sanktionen gegen Syrien, da diese die Nothilfe nach dem verheerenden Erdbeben blockieren. Die Sanktionen träfen schon „seit Jahren die Bevölkerung schwer“, erklärt der Generalsekretär des Middle East Council of Churches (MECC); ihretwegen komme nun aber auch noch die kirchliche „Erdbebenhilfe nicht in Syrien an“. Der Leiter des syrischen Roten Halbmonds berichtet, sanktionsbedingter Treibstoffmangel verhindere, dass genug Hilfskonvois in das syrische Erdbebengebiet aufbrechen könnten. Die Sanktionen werden bereits seit Jahren von Hilfsorganisationen wie der Caritas scharf kritisiert, weil sie Armut und Hunger im Land eskalieren lassen. In Syrien sind, da Nahrungsmittelimporte wie auch die Einfuhr etwa von Dünger und Geräten für die Landwirtschaft sanktionsbedingt kaum noch möglich sind, laut Angaben des World Food Programme zwölf von 22 Millionen Einwohnern Nahrungsmittelunsicherheit ausgesetzt. Statt die Sanktionen aufzuheben, verlangt Außenministerin Annalena Baerbock, Grenzübergänge in Nordsyrien zu öffnen – und macht sich so das Erdbeben zunutze, um eine alte westliche Forderung durchzusetzen…“ Beitrag vom 8.2.2023 bei GermanForeignPolicy externer Link
  • Gewerkschaften helfen! Spendenaufruf: Hilfe nach dem Erdbeben in der Türkei und Syrien
    DGB-Aufruf vom 07.02.2023 externer Link: Der Verein „Gewerkschaften helfen e.V.“ hat dafür ein Spendenkonto unter dem Stichwort „Erdbeben Türkei und Syrien“ eingerichtet: Stichwort: Erdbeben Türkei und Syrien
    IBAN: DE55 2505 0000 0152 0114 90
    BIC: NOLADE2HXXX
  • [Petition] Soforthilfe für die Erdbeben-Opfer in Nordsyrien, JETZT! #HilfeFuerSyrien
    Jede Sekunde zählt, um ein weiteres Kind, einen weiteren Menschen aus den Trümmern zu bergen. Die Opferzahl steigt stündlich, weitere folgenschwere Erd- und Nachbeben sind zu erwarten. Klar ist schon jetzt: Sie werden verheerend sein und die ohnehin dramatische und für viele Menschen im Norden Syriens bereits existenzbedrohende Situation weiter verschlimmern. Wir unterstützen die internationale Hilfe für die Betroffenen in der Türkei. Herr Scholz, Sie haben Hilfe versprochen, doch die Erfahrung zeigt: Syrien wird zu oft vergessen! Tausende Menschen sind über Nacht obdachlos geworden, viele sind schwer verletzt. Nachbeben könnten aufgrund der maroden, vom Krieg zerstörten Infrastruktur weitere Haus-Einstürze nach sich ziehen. Besonders betroffen sind die Regionen Idlib und Rif-Aleppo – genau jene Gebiete, die in den vergangenen Jahren immer wieder massiv bombardiert wurden. Genau jene Gebiete, in denen diejenigen Bevölkerungsgruppen leben, die am stärksten unter den Auswirkungen des Krieges leiden und in denen die Menschen schon seit Jahren teilweise kein schützendes, wärmendes Dach mehr über dem Kopf haben. Die Uhr tickt, Annalena Baerbock & Olaf Scholz. Es braucht ein anhaltendes Großaufgebot an humanitärer, medizinischer und technischer Hilfe insb. für Nord-Syrien und zwar JETZT!...“ Petition von Adopt a Revolution externer Link an Olaf Scholz (Bundeskanzler) und Außenministerin Annalena Baerbock
  • Erdbebenkatastrophe mit mehr als 2000 Toten: Schwere Vorwürfe gegen Regierung in Ankara
    Vor allem kurdische Gebiete in der Türkei und Syrien betroffen. Das Vertrauen in den türkischen Staat ist hier gering: Statt Vorkehrungen zu treffen, habe er Gelder für den Krieg veruntreut, heißt es. Nach der Erdbebenkatastrophe im Südosten der Türkei und Nordsyrien sind bis zum frühen Nachmittag mindestens 1.400 Tote und mehr als 7.000 Verletzte gezählt worden. Dann mussten die Zahlen ständig nach oben korrigiert werden. Von mehr als 2.000 Todesopfern war gegen 16 Uhr die Rede. (…) Während der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan seine besten Wünsche an die Betroffenen twitterte und versicherte, dass „alle relevanten Einheiten“ in Alarmbereitschaft seien, rief der kurdische Dachverband KCK an diesem Montag zu selbstorganisierter Hilfe und Solidarität mit den Obdachlosen auf externer Link: „Ohne auf den Staat zu warten, sollte unser Volk alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen und versuchen, seine Wunden selbst zu heilen. Zusätzlich zu den Rettungsmaßnahmen sollten die Menschen vor dem Hintergrund der jahreszeitlichen Bedingungen ihre Häuser für diejenigen öffnen, deren Häuser zerstört wurden, und mit ihnen teilen.“
    Zugleich erhob der Dachverband schwere Vorwürfe gegen den türkischen Staat und die AKP-MHP-Regierung: Für den Erdbebenschutz vorgesehene Mittel seien für den Krieg gegen die kurdische Bevölkerung veruntreut worden, heißt es in der KCK-Erklärung – dadurch seien auch die Schäden durch die Naturkatastrophe größer, als sie sein müssten. „Die AKP/MHP-Regierung trifft keinerlei Vorkehrungen gegen Erdbeben und gibt alle Ressourcen und Mittel des Landes für den Krieg gegen das kurdische Volk aus. Es wäre möglich gewesen, die durch Erdbeben verursachten Schäden einzuschränken, wenn die notwendigen Maßnahmen ergriffen worden wären, aber die AKP, die seit mehr als 20 Jahren an der Macht ist, hat bisher keine Maßnahmen getroffen und damit bei jedem Erdbeben größte Zerstörungen mitzuverantworten.“ Allenfalls ergreife die Regierung „nach Erdbeben einige kosmetische Initiativen“, um den Anschein zu wahren, heißt es...“ Beitrag von Claudia Wangerin vom 06. Februar 2023 externer Link
  • Wir stehen in Kontakt mit den vom Erdbeben betroffenen Gewerkschaften in Syrien und Zypern. Arbeiter aus Europa, Amerika und Asien senden Beileids- und Solidaritätsbekundungen. Such- und Rettungsteams aus Gewerkschaftsmitgliedern sind auf dem Weg in die Gegend. Jetzt ist die Zeit der Solidarität.“ türk. Tweet von DİSK vom  6. Feb. 2023 externer Link – siehe deren laufende Berichterstattung auf dem Twitter-ACC externer Link (Konföderation Revolutionärer Gewerkschaften der Türkei)(Und deren Grafik zum Beitrag)
  • Die UN muss jetzt sofort Verantwortung übernehmen und umfangreiche Soforthilfe im Norden Syriens leisten!
    Das schwere Erdbeben in der türkisch-syrischen Grenzregion hat bereits über tausend Menschenleben gefordert. Internationale Unterstützung wurde für die Türkei zugesagt. Es liegt in der Verantwortung der Internationalen Gemeinschaft, jetzt auch ein Großaufgebot an Hilfe in den ebenfalls schwer betroffenen Norden Syriens zu schicken. Ansonsten stehen Tausende weitere Menschenleben auf dem Spiel.
    Die Auswirkungen der Erdbeben in der türkisch-syrischen Grenzregion sind noch nicht vollständig überschaubar. Die Opferzahl steigt stündlich, weitere Erd- und Nachbeben sind zu erwarten. Klar ist schon jetzt, dass sie verheerend sind und die ohnehin dramatische und für viele Menschen im Norden Syriens existenzbedrohende Situation immens verschlimmern.
    Insbesondere der Nordwesten Syriens leidet seit Jahren massiv unter den anhaltenden Bombardierungen des Assad-Regimes und Russlands. Die medizinische Infrastruktur ist in der gesamten Region nahezu gänzlich zerstört. Seit mehreren Jahren leiden die Menschen zusätzlich unter Corona, Cholera und einer hohen Inflation. Die Gesamtsituation hatte bereits vor dem Erdbeben das Überleben hier fast unmöglich gemacht. Allein in Idlib sind vier Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen – davon kommt aber nur wenig an. Während der Nordwesten halbjährlich um die Verlängerung des letzten verbliebenen offenen Grenzübergangs für UN-Hilfen bangt, ist der Nordosten seit der Schließung des Grenzübergangs für Hilfen von außen im Jahr 2020 gänzlich von unabhängiger internationaler humanitärer Hilfe abgeschnitten.
    Nun sind Tausende weitere Menschen über Nacht obdachlos geworden, viele sind schwer verletzt. Nachbeben könnten aufgrund der maroden, vom Krieg zerstörten Infrastruktur weitere Hauseinstürze nach sich ziehen. Besonders betroffen sind die Regionen Idlib und Aleppo – genau jene Gebiete, die in den vergangenen Jahren immer wieder massiv bombardiert wurden. Von den Folgen des Erdbebens sind damit in Syrien diejenigen Bevölkerungsgruppen betroffen, die bereits am stärksten unter den Auswirkungen des Krieges leiden.
    „Wir unterstützen die internationale Hilfe für die Betroffenen in der Türkei. Aber auch in Syrien dürfen wir jetzt keine Zeit verlieren! Unsere Partner*innen schreiben uns Nachrichten, dass vor Ort gerade dringend Wasser, Lebensmittel, Medikamente und schweres Gerät benötigt werden, um die Trümmer zu heben und Menschen zu bergen. Die UN muss jetzt sofort alles Notwendige tun, um den Menschen in den betroffenen Gebieten schnell zu helfen!“, fordert Svenja Borgschulte, Head of Outreach & PR bei der deutsch-syrischen Menschenrechtsorganisation Adopt a Revolution…“ Pressemitteilung vom 06.02.2023 bei Pro Asyl externer Link

Siehe zum Hintergrund auch unser Dossier: Im Schatten von Afghanistan und Ukraine: Türkei bombardiert in Nordostsyrien und Nordirak

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=208632
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