Der Krieg bedroht auch die Pressefreiheit. Für das Recht, RT und Sputnik zu boykottieren – gegen staatliche Zensur

Gegen Internetsperren in einer freien GesellschaftGegen Internetsperren in einer freien GesellschaftMit dem EU-weiten Verbot von RT und Sputnik schafft Brüssel einen gefährlichen Präzedenzfall für weitere Eingriffe in die Medienfreiheit. Das Verbot, das nicht einmal eine Woche nach Kriegsbeginn in der Ukraine verhängt wurde, war von langer Hand vorbereitet. Es zeigt, dass die EU-Kommission sich immer mehr Kompetenzen aneignet und auch nicht davor zurückscheut, in Grundrechte einzugreifen. (…) Vorbereitet und legitimiert wurde die Sperrung von der “Stratcom East”, einer Einheit für “Strategische Kommunikation” im EAD (Auswärtiger Dienst der EU), die eng mit der Nato zusammenarbeitet und sich nicht in die Karten blicken lässt. Offiziell ging es immer nur um Aufklärung und Abwehr von “Desinformation”. Nun zeigt sich, wie schnell daraus eine offensive Zensurmaßnahme werden kann. (…) Die EU-Kommission agiert in einer Grauzone, RT wird zum Präzedenzfall für weitere Maßnahmen. Wer garantiert uns, dass nicht schon bald unliebsame Berichte zu Corona oder zur Klimakrise verboten und werden? Damit beschäftigen sich die “Stratcom”-Leute nämlich auch schon. Und wer verhindert, dass die laufende europäische Internet-Regulierung – Stichworte DMA und DSA – zu einer umfassenden Internet-Zensur führt?…“ Kommentar „RT-Verbot: Ein bedenklicher Präzedenzfall“ vom 3. März 2022 bei Lost in EUrope externer Link – siehe weitere vor dem Hintergrund, dass wir RT und Sputnik noch nie verlinkt hatten:

  • Sanktionen gegen russische Propaganda: EU-Kommission will offenbar Suchergebnisse und Social-Media-Inhalte zensieren New
    „Eine E-Mail aus der EU-Kommission an Google erklärt, wie weitreichend das Verbot der russischen Propagandasender RT und Sputnik sein soll. Suchergebnisse und Social-Media-Inhalte sollen nicht nur zensiert werden, wenn sie von den Sendern kommen, sondern auch, wenn sie deren Inhalte wiedergeben. (…) Die entsprechende E-Mail ist in der Datenbank Lumen abrufbar, in der Google und andere Unternehmen regelmäßig Löschanfragen veröffentlichen. Nach Informationen von netzpolitik.org ging die E-Mail auch an weitere Anbieter wie Facebook und Tiktok. Dort heißt es: „Daraus folgt, dass nach der Verordnung die Anbieter von Internetsuchdiensten sicherstellen müssen, dass i) jeder Link zu den Internetseiten von RT und Sputnik und ii) jeder Inhalt von RT und Sputnik, einschließlich kurzer textlicher Beschreibungen, visueller Elemente und Links zu den zu den entsprechenden Websites nicht in den Suchergebnissen erscheinen, die Nutzern in der EU angezeigt werden.“ Dies bedeutet, dass nicht nur die Angebote der Sender selbst aus den Suchergebnissen gelöscht werden sollen, sondern dass auch eine publizistische oder wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit den Inhalten selbst unter die Zensurbestimmungen fallen könnten. (…) Doch nicht nur Suchmaschinen sollen Inhalte weitreichend zensieren. Auch Social-Media-Plattformen müssten ihren Nutzer:innen die „Ausstrahlung“ der Inhalte untersagen, so die Erläuterung. (…) Schon an den in der letzten Woche erlassenen Einschränkungen gab es deutliche Kritik, unter anderem von Reporter ohne Grenzen (ROG): „Der Einfluss dieser Medien auf die Meinungsbildung in Europa ist begrenzt, die zu erwartenden russischen Gegenmaßnahmen allerdings könnten eine unabhängige Berichterstattung aus Russland erschweren oder sogar unmöglich machen“, so der ROG-Geschäftsführer Christian Mihr im Vorfeld. Die niederländische Bürgerrechtsorganisation „Bits of Freedom“ kritisiert, dass es in einem demokratischen Rechtsstaat nicht angebracht sei, dass ein politisches Gremium darüber entscheidet, welche Informationen uns zugänglich sind und welche nicht. „In einem freien Land entscheidet die Regierung nicht darüber, welche Websites Sie aufrufen dürfen und welche nicht.“ Statt auf Zensur zu setzen, solle die EU lieber unabhängige Medien in Russland fördern. Eine solche unabhängige Berichterstattung aus Russland ist derzeit kaum mehr möglich: Inländische Medien mussten ihre Arbeit einstellen, Facebook und Twitter sind aus Russland nicht mehr ohne Umwege erreichbar, ein drakonisches Gesetz gegen angebliche Falschnachrichten bedroht unabhängige Medienschaffende und Privatpersonen…“ Beitrag von Markus Reuter vom 10. März 2022 bei Netzpolitik.org externer Link
  • RT Deutsch: Kritik
    „Das Komplettverbot von RT, Sputnik und anderen Nachrichtenseiten wird vom Bruxelles2 äußerst kritisch bewertet: „Bei dieser Maßnahme handelt es sich eindeutig um Zensur im etymologischen Sinne des Begriffs. […] Diese Maßnahme wurde keiner Prüfung auf Verfassungsmäßigkeit oder Rechtmäßigkeit unterzogen. Nicht einmal ein Gutachten des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Information.[…] Wenn wir am Ende ein Gleichgewicht finden zwischen dem Interesse der getroffenen Maßnahme – Russia Today kurzfristig aus dem öffentlichen Informationsbereich zu befreien – und den möglichen mittelfristigen Auswirkungen, können wir uns auch die Frage stellen die Wirksamkeit und das Kosten-Nutzen-Verhältnis einer solchen Maßnahme.“ IMI-Aktuell 2022/136 vom 9. März 2022 externer Link
  • Der Krieg bedroht auch die Pressefreiheit
    „… Wir stehen an der Seite der Medienschaffenden, die in den Wirren des Krieges weiter versuchen, ihre Arbeit zu verrichten. Das ist gefährlich, viele verlieren dabei ihr Leben – als einer der ersten der Kameramann Evgeny Sakun, der beim Bombardement auf den Fernsehturm in Kiew getötet wurde. Für uns ist klar: Die Kolleginnen und Kollegen, die unter Beschuss und in Kellern arbeiten, sind Helden unserer Profession. Denn sie verteidigen die Pressefreiheit. Viele Kolleginnen und Kollegen auch aus Deutschland und aus vielen weiteren Ländern dieser Welt tun das auch. (…) Dieser Krieg spielt sich zudem im wahrsten Sinne des Wortes an der Nachrichtenfront ab. In Echtzeit schaut die Weltöffentlichkeit zu, wie sich die Gewalt entfesselt und Greueltaten begangen werden – über YouTube, Twitter, Social Media. Doch viele Bilder und Informationen sind kaum verifizierbar. Und mit jedem weiteren Tag Krieg und einer zunehmend verzweifelten Lage in den Kampfgebieten ist bald nicht mehr erkennbar, was wahr ist, was falsch – und was Propaganda. (…)
    Und dann sind da die Eingriffe in die Pressefreiheit selbst. Dass Russland einen Großteil seiner Medien gleichgeschaltet hat, schon vor Jahren, sollte bekannt sein. Dass nun auch die letzten unabhängigen Redaktionen geschlossen werden, verurteilen wir. Wichtig ist, dass wir Journalistinnen und Journalisten auch mit diesen Kolleginnen und Kollegen in Russland solidarisch sind. Denn sie riskieren einiges für die Pressefreiheit, für unabhängige Informationen. Dass die russischen Medien RT und „Sputnik“ von der EU aber verboten werden, mag zeigen, dass es der EU nicht egal ist, wenn Putinsche Propaganda und Desinformationen über den Krieg in Europa verbreitet werden. Gleichzeitig könnten solche Verbote aber die Pressefreiheit eher schwächen als stärken. (…) Die Entscheidung der EU könnte der Pressefreiheit einen Bärendienst erweisen. Denn immer mehr Journalistinnen und Journalisten verlassen Russland, und immer mehr Reporterinnen und Reporter dort werden zu “ausländischen Agenten” erklärt und damit kaltgestellt…“ Artikel von Tina Groll vom 3. März 2022 bei mmm von dju in ver.di externer Link
  • RSF sieht EU-Verbot von RT und Sputnik kritisch
    Die russischen Staatsmedien RT und Sputnik sind ein zentrales Element der Putinschen Propaganda und damit ein wichtiger Teil seines Angriffskriegs gegen die Ukraine. Dennoch hält Reporter ohne Grenzen (RSF) das geplante Verbot der beiden Medien durch die EU für nicht zielführend. RSF befürchtet, dass die negativen Auswirkungen eines solchen Verbots auf die Berichterstattung aus Russland schwerer wiegen als die kurzfristig beabsichtigten Effekte. „Es steht außer Frage, dass RT und Sputnik Propagandakanäle eines zutiefst repressiven Staates sind“, sagte RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. „Der russische Medienapparat zensiert, verbreitet Desinformation und wähnt sich in einem Informationskrieg. Kritik an Putin oder der Regierung kommt in den Programmen nicht vor. Trotzdem sehen wir ein Verbot von RT und Sputnik kritisch. Der Einfluss dieser Medien auf die Meinungsbildung in Europa ist begrenzt, die zu erwartenden russischen Gegenmaßnahmen allerdings könnten eine unabhängige Berichterstattung aus Russland erschweren oder sogar unmöglich machen. Dass es Gegenmaßnahmen geben wird, hat nicht zuletzt der Umgang mit der Deutschen Welle gezeigt.“ (…)RSF ist nicht davon überzeugt, dass der mögliche Nutzen eines Verbots der Medien RT und Sputnik, das in Deutschland seit Dezember 2020 unter SNA firmiert, die Kosten aufwiegt. Die Auswirkungen auf die Arbeit internationaler Korrespondentinnen und Korrespondenten in Russland und, allgemeiner, auf das Recht des freien Zugangs zu Informationen wären immens…“ Stellungnahme vom 28.2.2022 von und bei Reporter ohne Grenzen externer Link
  • Siehe auch bei EJF (European Federation of Journalist): Fighting disinformation with censorship is a mistake externer Link
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=198496
nach oben