Prozessauftakt beim VG Kassel gegen Land Hessen: Betroffene klagen gegen Polizeigewalt bei rechtswidriger Abschiebung 2018 in Witzenhausen

Dossier

Witzenhausen gegen Polizeigewalt„… „Das Vorgehen der Polizei macht mich auch fast 3 Jahre später noch fassungslos“, so eine Augenzeugin. Unsere neu gegründete Initiative begleitet die anstehenden Prozesse kritisch und ruft zur Solidarisierung und Sichtbarmachung ähnlicher Fälle auf. Es wird Mahnwachen und Pressegespräche vor Ort geben. In der Nacht zum 23.04.2018 kam es in Witzenhausen zu einem rechtswidrigen Abschiebeversuch. Der Behördenfehler wurde im Anschluss vom hessischen Innenminister Peter Beuth eingestanden. Es lag eine Gerichtsentscheidung vor, die eine Abschiebung eindeutig untersagte. Rund 60 Anwohner*innen versammelten sich zu einer friedlichen Spontan-Demonstration. Obwohl die Gerichtsentscheidung den Polizeibeamt*innen vorgezeigt wurde, gingen diese mit Pfefferspray, Schlagstöcken und einem Polizeihund gegen die Demonstrierenden vor und lösten dadurch einen „Massenanfall von Verletzten“ aus. Als Reaktion auf die unverhältnismäßige Polizeigewalt wurden am folgenden Tag mehrere Klagen gegen das Land Hessen und einzelne Polizeibeamt*innen eingereicht. In den folgenden Tagen gab es eine breite Solidarisierung in der Bevölkerung durch mehrere Demonstrationen und ein Straßenfest mit über 300 Teilnehmenden. Viele der Ermittlungsverfahren gegen Polizeibeamt*innen und Demonstrierende wurden inzwischen eingestellt. Vom Verwaltungsgericht Kassel wurde am 19.11.2019 bereits für Recht erkannt, dass die Beamten sowohl durch das Betreten der Wohnung als auch durch das Anlegen der Handschellen und die Festnahme des von der Abschiebung Betroffenen rechtswidrig gehandelt haben…“ Aus der Pressemitteilung der KriPro Witzenhausen vom 1. März 2021 mit Pressespiegel, zum Prozeßbeginn am 8. März 2021 – siehe weitere Infos:

  • Urteil im zweiten Prozess gegen Land Hessen vom 23. April 2021: Betroffene klagen gegen Polizeigewalt – Klageabweisung skandalös – Rechtsmittel eingelegt New
    Am 23.04.2021 – dem dritten Jahrestag der versuchten Abschiebung – wurde der zweite Einzel-Prozess gegen das Land Hessen geführt. Es ging um die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Einsatzes von Zwangsmitteln während dem nächtlichen Polizeieinsatz. Zunächst schilderte der Kläger die Gewaltexzesse der eingesetzten Beamt*innen: gezieltes Sprühen von Pfefferspray ins Gesicht aus naher Distanz, aggressives Umrennen, brutales Zusammenknüppeln mit Schlagstöcken auch bereits sich am Boden befindender Personen und Hetzen eines Diensthundes in die Menschenmenge.
    Der Kläger führte aus, dass er nach dem Polizeieinsatz 2 Wochen krank geschrieben war und eine dauerhafte Knieverletzung davontrug und dass er während des Gewaltausbruchs Todesangst hatte. Warum, wurde durch zwei Originalzitate verdeutlicht: So hatte ein Polizeibeamter einer unbeteiligten Passantin gegenüber aggressiv die Tötung ihres Hundes angedroht, und statt einer bewusstlos wirkenden Person Erste Hilfe zu leisten zogen zwei Polizeibeamt*innen die Person fahrlässig in einen Hausflur. Beim Ablegen sagte ein Beamter laut: „Soll er doch sterben. Ist mir scheißegal.“
    Im Anschluss wurden die 5 Polizeizeug*innen angehört. Neben den zu erwartenden abgeschwächten und tendenziösen Schilderungen der Geschehnisse des 23.04.2021 kamen wie schon beim letzten Verfahren auch diesmal fragwürdige Hintergrundinformationen ans Licht: die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hatte im Nachgang die in der Nacht eingesetzten Polizeibeamt*innen zu einer gemeinsamen „Informationsveranstaltung“ ins Polizeipräsidium Nordhessen eingeladen. Es soll um Rechtsschutz und möglichen Rechtsbeistand für die Beamt*innen gegangen sein. Der Zeuge konnte sich auf Nachfrage jedoch plötzlich an keine Details mehr erinnern.
    Rechtsanwalt Sven Adam hob hervor, dass es sich bei der Zusammenkunft von Anfang an um eine Spontanversammlung gehandelt hat, dass die Polizei nicht an einer konstruktiven Klärung interessiert war, dass jegliche Form unmittelbaren Zwangs sowohl allgemein als auch einzeln hätte angedroht werden müssen und dass im gewalttätigen Handeln der Polizei auf keinen Fall Verhältnismäßigkeit gegeben war.
    Im Verlaufe der Anhörungen wurde einheitlich bestätigt, dass die Schritte zur Auflösung einer Versammlung nicht durchgeführt worden waren und dass der Einsatz von konkreten Zwangsmitteln (Pfefferspray, Schlagstock, Hund) weder zu irgendeinem Zeitpunkt gegenüber den Demonstrierenden angekündigt noch vom Einsatzleiter überhaupt freigegeben worden war. Die technischen Voraussetzungen für Durchsagen waren gegeben, wurden allerdings nicht genutzt.
    Eineinhalb Wochen später wurde das Urteil verschickt: die Klage wurde abgewiesen.
    In der Begründung orientiert sich der Richter stark an Narrativen von Polizeizeug*innen, die er zu „Tatsachen“ erhebt, und kommt darüber hinaus zu einer geradezu verächtlichen Verurteilung des politischen Protests. Er spricht davon dass sich die Polizeimaßnahmen zurecht gegen eine „unvertretbare Handlung“ gerichtet hätten – damit meint er die Zivilcourage der Menschen, die spontan gegen die Durchführung der rechtswidrigen Abschiebung protestiert haben.
    Der Kläger sagt zur Urteilsbegründung: „Zusammenfassend lässt sich herauslesen, dass die Polizeibeamt*innen nach Ansicht des Richters alles richtig gemacht haben. Dieses Ergebnis zeigt einmal mehr, dass das Problem im System liegt.“ Gegen das Urteil wurden umgehend Rechtsmittel eingelegt.“ Pressemitteilung von „KriPro Witzenhausen“ vom 4.6.2021
  • Aufruf: Mahnwache und Verhandlung gegen Polizeigewalt am Freitag, 23.4., VG Kassel – Gemeinsam gegen Polizeigewalt und Abschiebung 
    Wir verklagen das Land Hessen wegen eines Polizeieinsatzes im Rahmen eines rechtswidrigen Abschiebeversuchs am 23. April 2018, bei dem es zu massiver Polizeigewalt kam. Diesen Freitag, den 23. April und somit dem dritten Jahrestag der Gewalttaten, wird vor dem Verwaltungsgericht Kassel (Goethestraße 41 – 43) eine weitere Stellvertreter*innen Klage gegen den brutalen Polizeieinsatz verhandelt. Die Verhandlung startet um 8:15 Uhr. Um 10:30 Uhr startet eine Mahnwache vor dem Verwaltungsgericht Kassel mit Musik, Redebeiträgen und einer Plakataktion. Beteiligt euch gerne auch schon im Vorfeld an der Plakataktion…“ Meldung der KriPro Witzenhausen am 20.4.21 per e-mail, siehe zur Plakataktion die Initiative auf Twitter externer Link
  • Spendenkonto zur Deckung der Prozess- und Antirepressionskosten:
        Konto „Spenden&Aktionen“ 
        Betreff (bitte angeben!): „KriPro Wiz“
        IBAN: DE29 5139 0000 0092 8818 06
        BIC: VBMHDE5F 
  • Klage im 1. Prozess ohne Beweisaufnahme abgewiesen! KriPro2304 kündigt Rechtsmittel an, 2. Prozess am 23.4.21 
    am Montag wurde die erste Klage gegen den Polizeieinsatz in der Nacht des 23.04.18 durch das VG Kassel überraschenderweise abgewiesen. Wir warten noch auf die Begründung der Richterin. Natürlich lassen wir uns davon nicht den Prozessauftakt verderben, sondern werden Rechtsmittel gegen die Entscheidung einlegen. Mehr Infos findet ihr in der PM im Anhang. Wir freuen uns jetzt schon darauf den nächsten Verhandlungstag mit euch zu planen. Am 23.04.22, dem dritten Jahrestag des Gewaltaktes, wird die nächste Klage verhandelt…“ Meldung per e-mail am 10.3.21 von  KriPro – Initiative gegen Polizeigewalt, siehe dazu:

    • Initiative gegen Polizeigewalt kündigt an Rechtsmittel einzulegen – Klage im 1. Einzel-Prozess trotz fehlender Beweisaufnahme abgewiesen – Begründung noch ausstehend – RA Adam kritisiert Entscheidung des VG Kassel – Mahnwache und breite Solidarisierung zum Prozessauftakt – 2. Einzel-Prozess fällt auf Jahrestag am 23.04.2021 – „KriPro Witzenhausen“ mobilisiert überregional
      Nach der Entscheidung im ersten von drei Einzel-Prozessen gegen das Land Hessen am 08.03.2021 hat die Initiative „KriPro Witzenhausen“ angekündigt, Rechtsmittel gegen die Abweisung der Klage durch das VG Kassel einzulegen. Die schriftliche Urteilsbegrndung für die Abweisung steht noch aus. Sowohl RA Adam als auch „KriPro Witzenhausen“ kritisieren die Entscheidung der Richterin, da während der 90 minütigen Verhandlung weder Beweismaterial gesichtet, noch Zeug*innen befragt wurden. „Die Abweisung der Klage zeigt, dass von Seiten des Gerichts kein Interesse an einer Aufarbeitung des brutalen Polizeieinsatzes besteht. Das bedeutet für mich, dass das Gericht ganz offensichtlich die Polizei schützt und nicht an einer rechtsstaatlich notwendigen Aufklärung interessiert ist“, so die Klägerin. Als eine von drei Kläger*innen klagt sie stellvertretend für alle Betroffenen, die im Rahmen des Polizeieinsatzes geschädigt wurden. Bei der Mahnwache vor dem Gerichtsgebäude protestierten rund 40 Personen gegen Polizeigewalt und das europäische Grenzregime. Die „KriPro Witzenhausen“ freute sich über zahlreiche Solidaritätsbekundungen und das große mediale Interesse vor Ort…“  Pressemitteilung von KriPro Witzenhausen vom 10.3.2021 
    • Siehe auch den Thread von Gegen Polizeigewalt – KriPro Witzenhausen 23.04.18 am 10.3.21 externer Link: „Abweisung der #Klage zeigt, dass Gericht kein Interesse an Aufarbeitung des brutalen Einsatzes hat“. #KriPro2304 kündigt Rechtsmittel an: Klage im 1. Prozess ohne #Beweisaufnahme abgewiesen!…“
    • und die Termin-Ankündigungen: Fr, 23.04. 2. Prozess: Verhandlung mit Beweisaufnahme: 08:15 Uhr am Verwaltungsgericht Kassel, Goethestraße 41 + 43
  • die Kritische Prozessbegleitung Witzenhausen ist ein Zusammenschluss von Betroffenen der Polizeigewalt vom April 2018 und sich solidarisierenden Menschen und bei Twitter unter @KriPro2304 und unter #KriPro2304 zu erreichen
  • Erste Hauptverhandlung vor dem Verwaltungsgericht Kassel (Goethestraße 41-43) am Montag, den 8. März, um 10:00 Uhr. Von 09:00 bis 13:00 Uhr findet eine Mahnwache vor dem Gericht, inkl. Soli-Foto sowie Pressegespräch nach der Verhandlung, statt. (Coronabedingt weisen wir daraufhin, das Masken getragen und Abständeeingehalten werden müssen.
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=187318
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