Polizeialltag: Wessen Freiheit sie verteidigen – und wessen nicht. Und künftig möchte die Polizei auch darüber entscheiden, wer über ihre Aktivitäten berichten darf

Stoppt Polizeigewalt „… Was ist an jenem Abend in der Wohnung in Weimar passiert? Um den Vorwürfen nachzugehen, hat die taz interne Ermittlungsakten ausgewertet, mit Betroffenen gesprochen und ein Polizeivideo des Abends gesichtet. Die Recherchen zeigen: Das Problem geht weit über den Fall Thekla Graf hinaus. Der Polizist Tino M., der gemeinsam mit einer Kollegin den Einsatz leitete, hat wiederholt gegen Vorschriften verstoßen. In den Akten wird auf gravierende Missstände in der Behörde hingewiesen: Interne Ermittler kommen zu dem Schluss, dass es ein „erhebliches Führungsproblem“ innerhalb der Polizei Weimar gibt. Es ist nicht das erste Mal, dass gegen Beamte aus Weimar ermittelt wird: Die taz konnte Prozessakten von 2012 sichten, in denen ebenfalls Misshandlungsvorwürfe gegen Weimarer Polizisten erhoben werden. Das Verfahren damals: eingestellt. Auch der Polizeivertrauensstelle des Landes Thüringen ist die Dienststelle als Problemfall bekannt. Sollte die Weimarer Polizei tatsächlich ein Führungsproblem haben, dann trifft das auch den heutigen Bürgermeister der Stadt, Ralf Kirsten. Er leitete die Polizei bis 2018. Beide Fälle gehören in seinen Verantwortungsbereich…“ – aus dem Artikel „Wenn Fehler keine Folgen haben“ von Sarah Ulrich am 30. Mai 2020 in der taz online externer Link über einen Vorfall, der seit 2017 nicht aufgeklärt wird und einen Kommissar, der damals wie heute ein rechter Rassist ist. Bleibt nur ein Frage: Wieso „Fehler“? Siehe dazu einige weitere aktuelle Beiträge (aus den letzten – wenigen – Tagen) darüber, wen die Polizei schützt, wen nicht und wie darüber berichtet werden soll:

In Bremen ermittelt der Staatsschutz, weil die Polizei sich durch ein Graffiti betroffen fühlt. So ist es wenn man sich mit dem Täter mehr als mit dem Opfer verbunden sieht. Der Schriftzug lautet: „In memory of George Floyd †25.05.2020 Died of police violence at the age of 46”“ – so die Meldung am 30. Mai 2020 im Twitter-Kanal von Martina Renner externer Link über transatlantische Solidarität

„Freund und Helfer des Tages: Dresdner Polizei“ von Sebastian Carlens am 03. Juni 2020 in der jungen welt externer Link zum Thema Zusammenarbeit unter anderem: „… Während andere Dinge die Menschen beschäftigen – Corona, Kurzarbeit, keine Kohle –, ist es um die Pegida-Bewegung zuletzt etwas ruhig geworden. Doch sie demonstriert regelmäßig weiter gegen »Überfremdung«, »Asylkriminalität« und alles mögliche andere, was es (auch) in Dresden nicht gibt. Dabei hat die Covidpandemie dem rechten Umzug des Lutz Bachmann neue Möglichkeiten eröffnet. Plötzlich kann ein Pegida-Sprecher der Polizei unter Verweis auf das Abstandsgebot Befehle erteilen, und die Beamten folgen willfährig. So geschehen am Montag, als eine Gegendemonstration am Rande des Pegida-Aufzugs auf dem Boden Platz nimmt. Die Anwesenheit der paar Dutzend Teilnehmer führe dazu, dass die behördlichen Auflagen nicht mehr eingehalten werden könnten, herrscht Pegida-Sprecher Wolfgang Taufkirch die Einsatzleitung an. Die grübelt nicht lange – die Ordnungshüter packen ihre sieben Sachen und verlassen den Platz im Schweinsgalopp. Zwischen den Pegidisten und der Gegendemo steht nun niemand mehr, und die Rechten nutzen die Gunst der Stunde zum Angriff auf die Protestierenden…“

„#BlackLivesMatter in Hamburg: Polizei mit Würgegriff gegen Geflüchteten“ am 02. Juni 2020 bei Klasse gegen Klasse externer Link ist ein Video vom Polizeieinsatz – nicht in Minneapolis, wie aus dem Titel zu sehen – in dessen Begleittext es heißt: „… Der Protest richtete sich gegen die Ermordung von George Floyd in den USA. Mehrere Hundert Menschen beteiligten sich daran. Die Polizei versuchte einen Aktivisten festzunehmen, der sich angeblich nicht an das Abstandsgebot gehalten hatte und griff die Demonstration mit Pfefferspray und Hunden an. Das ist besonders zynisch, wenn man bedenkt, dass Rechten auf ihren sogenannten Hygienedemos von der Polizei alles erlaubt wird…“

„„Am Oberarm gepackt und ins Haus gezogen“: Frankfurterin schildert häusliche Gewalt – und kritisiert die Polizei“ von Stefan Simon am 02. Juni 2020 in der FR online externer Link zu weiteren Gemeinsamkeiten der Gesinnung: „… Schuster hat diesen Vorfall mit ihrem Smartphone gefilmt. Als die Polizist*innen eintreffen, geht eine Beamtin in die Wohnung zur Frau, ihr Kollege steht derweil draußen und redet mit dem Ehemann. „Mein Nachbar erzählte dem Polizisten irgendwas davon, wie Frauen nerven. Der Polizist ist lachend mit eingestiegen.“ Erst denkt Schuster noch, der Beamte wolle ihrem Nachbar deeskalierend in Sicherheit wiegen. Aber dann vermutet sie, dass der Beamte ihm die Geschichte abkauft. Sie hätten sogar gelacht. Als die Polizeibeamtin aus der Wohnung zurückkommt, sagt ihr Kollege, das alles nur ein Missverständnis sei. Obwohl Schuster die Tat filmte und die Polizei rief, musste sie dieses Mal keine Aussage machen. Auf Anfrage der FR heißt es vonseiten der Polizei, dass es sich bei dem geschilderten Sachverhalt um einen verbalen Familienstreit gehandelt habe. „In diesem konkreten Fall waren keine strafbaren Handlungen erkennbar gewesen“, sagt Polizeisprecher Marc Draschl. Hinweise auf einen Fall von häuslicher Gewalt lägen bislang nicht vor. Auch bei der von Schuster beschriebenen Situation einer möglichen „Verharmlosung oder Verbrüderung“ handele es sich „möglicherweise um ein Missverständnis“. Weiter heißt es, dass es notwendig sei, bei einer „konstruktiven Gesprächsführung, auch mit einem möglichen Täter freundlich umzugehen, was nicht heißen soll, dass wir gewalttätige Aktionen verharmlosen“.…“

„Polizeiwillkür muss Folgen haben“ von Malte Kreutzfeld am 01. Juni 2020 in der taz online externer Link kommentiert zur Entscheidung der Polizei in Recklinghausen, wer Pressefreiheit genießt – und wer nicht, samt dem Hinweis, wie die Polizei Journalismus gerne hätte (was immer noch nicht zu 100% erfülllt ist…): „… Es ist ein bedenklicher Angriff auf die Pressefreiheit, der derzeit in Nordrhein-Westfalen zu beobachten ist: Weil sie im Februar von einer illegalen Protestaktion auf dem Gelände des neuen Kohlekraftwerks Datteln IV berichtet hatten, hat die Polizei Recklinghausen mehreren JournalistInnen Aufenthaltsverbote für die Straßen rund um das Gelände erteilt. Eine Berichterstattung über die Proteste gegen dessen Inbetriebnahme am Samstag wäre damit nicht möglich gewesen. In ihrer Verbotsverfügung macht die Polizei keinerlei Unterschied zwischen den AktivistInnen, die das Kraftwerk besetzt haben, und den ReporterInnen, die natürlich nichts beschädigt oder blockiert, sondern lediglich die Proteste dokumentiert haben. Und es interessiert sie auch nicht, dass über den Vorwurf des Hausfriedensbruchs bisher kein Gericht entschieden hat. Zudem zeigt die Polizei ein erstaunliches Verständnis von Journalismus: Im Schreiben heißt es allen Ernstes, es gebe für die betroffenen ReporterInnen keinen Grund, sich für ihre Berichterstattung dem Kraftwerk zu nähern. Informationen könnten schließlich auch bei der Pressestelle der Polizei eingeholt werden…

„“Ich weiß schon lange, dass es Polizeigewalt gegen Schwarze gibt““ von  Harald Neuber am 02. Juni 2020 bei telepolis externer Link ist ein Gespräch mit dem Bonner Journalisten Marvin Oppong, worin dieser zu seinen Erfahrungen unter anderem auf verschiedene Fragen ausführt: „… Erst hat der Polizist mir die Kamera aus der Hand geschlagen, dann haben mich vier Polizisten an allen Vieren genommen, in die Luft gehoben und mit meinem Gesicht und, als ich den Mund aufmachte, auch mit den Schneidezähnen, über den Asphalt geschleift. Dann hat man mich zu Boden gebracht und mehrere Leute haben sich auf mich draufgesetzt. Eine Polizistin kniete auf meinem Bein, ein Polizist auf meinem Rücken und ein Polizist hat sich mit seinem gesamten Körpergewicht auf meinen Schädel gekniet, der auf den an der Stelle sehr groben und spitzen Asphalt gedrückt wurde. So hat man mich minutenlang auf den Boden gedrückt. Das war im Grunde genommen eine Quälungsorgie. Man hat mir auf verschiedene Weise Schmerzen zugefügt, auch auf eine Art und Weise, bei der man zuckt, alleine aufgrund der körperlichen Reflexe. Später hieß es, Sie hätten Widerstand gegen die Vollstreckungsbeamten geleistet. Meine Reaktionen wurden mir als Widerstand ausgelegt, auf den weitere Gewalt folgte. Ich denke, dass meine Hautfarbe da eine Rolle spielt. Ich bin es halt gewohnt, als Schwarzer häufig generell nicht ernst genommen zu werden. Als Journalist noch mehr, weil viele Menschen sich Journalisten weiß und vielleicht nicht so jung vorstellen. Ich kann darüber nur spekulieren. Ich bezweifele jedoch, dass das alles in dieser Form passiert wäre, wenn ich weiß wäre. Nicht nur bei der Arbeit. Viele Menschen haben eben Vorurteile gegenüber schwarzen Menschen. Und das merkt man halt im Alltag in sehr vielen Situationen. Es ist einfach eine Frage des Umgangs, inwieweit die Polizei überhaupt bereit war, normal zu reden. Diese Bereitschaft gab es überhaupt nicht. Es wurde direkt eskaliert. Die Beamten sind die ganze Zeit über sehr respektlos mit mir umgegangen…“

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=173415
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