Nicht nur Hessen: Polizei überprüft psychisch erkrankte Menschen – auf dem Weg zum „Register für psychisch kranke Gewalttäter“?

Dossier

[Petition] Gesundheitsdaten in GefahrDie hessische Polizei geht systematisch alle Personen in ihren Datenbanken durch, bei denen sie einen Hinweis auf eine „Psychische und Verhaltensstörung“ gespeichert hat. Damit will sie Risiken für Gewalttaten erkennen und etwa Gefährderansprachen oder Überwachung planen. Um Betroffene zu unterstützen, bräuchte es andere Maßnahmen. „Psychisch Auffällige, Vielschreiber, Gewalttäter“ lautet der Name einer Taskforce, die es seit Februar 2025 beim hessischen Landeskriminalamt gibt. (…) Einen PSYV-Vermerk gibt es aktuell zu rund 1.600 Menschen in Hessen, schreibt das dortige Innenministerium auf Anfrage. (…) Laut Robert-Koch-Institut erhielten im Jahr 2023 40,4 Prozent der Erwachsenen in Deutschland eine Diagnose für eine psychische Störung…“ Aus dem Beitrag von Anna Biselli vom 08.07.2025 in Netzpolitik externer Link („Hessen: Polizei überprüft 1.600 psychisch erkrankte Menschen“ mit weiteren Infos zu geplanten Stigmatisierungen – siehe mehr dazu wie auch beginnende Proteste:

  • Neue Rasterfahndung mit Palantir? Bund prüft länderübergreifende Analyse von Polizeidaten zu psychischer Gesundheit New
    „In der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linke-Abgeordneten Evelyn Schötz nennt das Bundesinnenministerium aktuelle Zahlen zur Speicherung sogenannter personenbezogener Hinweise (PHW) mit Bezug auf psychische Gesundheit in deutschen Polizeidatenbanken. Im bundesweiten Informationssystem Inpol sind derzeit 16 043 Personen mit dem Hinweis »Psychische und Verhaltensstörung« versehen, 3810 mit »Freitodgefahr« und 417 229 mit »Betäubungsmittelkonsument«. Die Vergabe der PHW erfolgt laut Bundesregierung nach einer Einzelfallprüfung mit dem Ergebnis, dass der Hinweis zum Schutz der Person oder zur Eigensicherung von Polizeikräften erforderlich ist. (…) Für den PHW »Psychische und Verhaltensstörung« muss zur Speicherung eine ärztlich festgestellte psychische Erkrankung vorliegen. Für »Freitodgefahr« reichen »Anhaltspunkte« für eine mögliche Suizidgefahr; ein zurückliegender Versuch kann etwa in diese Prognose einfließen. Der Hinweis »Betäubungsmittelkonsument« wird vergeben, wenn Hinweise vorliegen, dass die Person andere gefährden könnte. Als Beispiel nennt das Innenministerium Durchsuchungen, bei denen sich Polizeibedienstete »Verletzungen durch ein Fixerbesteck zuziehen können oder durch Betäubungsmittel bedingte unvorhersehbare Verhaltensweisen gefährdet werden«. Ziel der Anfrage war auch, herauszufinden, ob diese sensiblen Daten künftig in automatisierte Analysesysteme einbezogen werden könnten – etwa in die US-Software von Palantir, die bereits in Bayern, Nordrhein-Westfalen, Hessen und bald auch in Baden-Württemberg genutzt wird. (…) Eingesetzt werden darf das Programm bisher nur, um Straftaten zu verhindern. Dafür wurden in den jeweiligen Ländern die Polizeigesetze geändert. Zwischen den Zeilen deutet sich in der Antwort auf die Kleine Anfrage an, dass eine Einbindung von PHW in ein bundesweites VeRA nicht ausgeschlossen ist. Wie solche problematischen Datenverknüpfungen in der Praxis aussehen könnten, darauf verweist das Beispiel Hessen. Dort hat die Polizei rund 1600 Menschen mit psychischen Erkrankungen überprüft, um mögliche zukünftige Gefährdungen einzuschätzen. Dabei wurden neben den PHW Informationen aus weiteren Quellen zusammengeführt, analysiert und nach bestimmten Kriterien bewertet. Diese Form der Rasterfahndung mit besonders geschützten Gesundheitsdaten könnte auch mit einer Software zur Risikoanalyse durchgeführt werden – nachdem das Polizeigesetz entsprechend geändert wurde. (…) »Wir dürfen uns nicht abhängig machen von einer Firma, deren Gründer und Chef in den USA einen faschistischen Gesellschaftsumbau vorantreibt«, kritisiert die Fragestellerin Evelyn Schötz gegenüber »nd«. Die Abgeordnete ist auch Sprecherin für psychische Gesundheit ihrer Fraktion. Sicherheit auch für Menschen mit einer psychischen Erkrankung entstehe nicht durch Überwachung und Generalverdacht, sondern durch Unterstützung und gesellschaftliche Teilhabe, so Schötz.“ Artikel von Matthias Monroy vom 12. August 2025 in Neues Deutschland online externer Link

  • Psychisch krank und unter Generalverdacht – wie der Überwachungsstaat wächst
    Psychisch krank? Dann bist du bald im Visier der Behörden. Was in Hessen mit der Überprüfung von über 1.600 psychisch kranker Menschen beginnt, setzt sich nun bundesweit fort: Immer mehr Landesregierungen reformieren ihre Psychisch-Kranken-Gesetze mit dem Ziel, Überwachung, Datenerfassung und Zugriffsmöglichkeiten auszuweiten. (…)
    Die neue Linie: Prävention durch Kontrolle
    Dem voraus geht in Hessen ein Gesetzesentwurf externer Link – „Zweites Gesetz zur Änderung des Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetzes“ –, der Meldepflichten bei Entlassungen aus der Psychiatrie, neue Datenübermittlungen, erweiterte Definitionen von Gefährdung und einen immer größeren Kreis potentiell „auffälliger“ Personen vorsieht. Gleichzeitig wird die ärztliche Schweigepflicht weiter aufgeweicht, Datenschützer:innen und Fachverbände werden übergangen. Eine ärztlich attestierte Krankheit soll genügen, um zum Risiko erklärt zu werden – verbunden mit massiven Grundrechtseingriffen. Die Linie lautet: Stigma statt Hilfe – „Prävention“ durch Kontrolle.
    Nicht nur Hessen – Bundesländer überarbeiten „Psychisch-Kranken-Gesetze“
    Das Ganze ist allerdings nicht nur ein hessisches Problem – wobei man sich schon die Frage stellen könnte, was denn eigentlich mit Hessen los ist. NSU 2.0, das neue hessische Versammlungsgesetz externer Link, dass die Erhebung persönlicher Daten durch Versammlungsleitungen, polizeiliche Bild- und Tonaufnahmen und erleichterte Verbote und Auflösungen von Versammlungen vorsieht oder auch die Datenanalyse-Software „Hessendataexterner Link, die vom Bundesverfassungsgericht gekippt wurde – all das gibt Anlass zur Sorge um das Bundesland. (…)
    Statt die Gründe für die zunehmenden psychischen Erkrankungen zu untersuchen – Stress, Armut, Einsamkeit, Arbeitsdruck, soziale Unsicherheit –, werden die Erkrankten nun zum Sündenbock gemacht. Statt sich mit dem offenkundig rechtem Hintergrund des Anschlags in Magdeburg zu befassen, lenkten CDU-Politiker die Debatte auf psychische Erkrankungen um. Carsten Linnemann forderte sogar ein Register für psychisch kranke Menschen externer Link, als wäre Krankheit gleichzusetzen mit Gefährlichkeit. (…)Besonders besorgniserregend: Laut der Zeitschrift der Polizeigewerkschaft ist etwa die Hälfte der Menschen, die bei Polizeieinsätzen getötet externer Link werden, psychisch krank. Fehlende Schulung und Deeskalation führen immer wieder zu tödlichen Eskalationen…“ Kommentar von Alexandra Baer vom 11.07.2025 auf Perspektive online externer Link
  • Kleine Anfrage: Speicherung von Hinweisen auf die psychische Gesundheit
    „Die Fraktion Die Linke will wissen, welche Möglichkeiten es für die Speicherung von Hinweisen auf die psychische Gesundheit heute für Polizeibeamte beziehungsweise Sicherheitsbehörden gibt. Auch erkundigt sie sich in einer Kleinen Anfrage (21/854) unter anderem danach, von wie vielen Menschen nach Kenntnis der Bundesregierung „Merkmale mit Bezug auf psychische Gesundheit (inklusive Suizidgefahr, Abhängigkeitserkrankung etc.) polizeilich gespeichert“ sind.“ Kurzmeldung des Deutschen Bundestags vom 15. Juli 2025 externer Link

    • In der Kleinen Anfrage 21/854 externer Link „Berichte über Bedenken gegen die Datenerfassung und -speicherung zu Menschen mit psychischen Erkrankungen durch Sicherheitsbehörden“ heißt es u.a.: „Im Dezember 2024 sprach sich Carsten Linnemann, Generalsekretär der CDU, für einen Austausch der Sicherheitsbehörden untereinander und auch mit Psychiatrie, mit Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten und vielem mehr aus (…) Er forderte ein Register für psychisch Kranke als Lehre aus dem Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt (…). Diese Forderung steht nach Ansicht der Fragestellenden in direktem Widerspruch zu menschenrechtlichen Standards, insbesondere zur UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), die Deutschland 2009 ratifiziert hat. Artikel 14 UN-BRK betont, dass Menschen mit Behinderungen – einschließlich psychischer Erkrankungen – das Recht auf Freiheit und Sicherheit der Person gleichberechtigt mit anderen genießen müssen. Auch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte sowie die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) untersagen die pauschale Erfassung sensibler Gesundheitsdaten ohne individuelle, rechtlich überprüfbare Grundlage. Derartige Forderungen bergen nach Einschätzung der Fragestellenden erhebliche Missbrauchs- und Diskriminierungsgefahren. Die Vorstellung, Menschen mit psychischen Erkrankungen in einem zentralen Register zu erfassen und sie pauschal als sicherheitsrelevantes Risiko einzustufen, verstößt nach Einschätzung der Fragestellenden nicht nur gegen medizinische Erkenntnisse, sondern auch gegen rechtsstaatliche Prinzipien wie die Unschuldsvermutung, das Verhältnismäßigkeitsprinzip und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. (…) Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) stellt in Reaktion auf die Forderung eines Registers für psychisch kranke Menschen klar: „Menschen mit psychischen Erkrankungen sind nicht generell gewalttätiger als Menschen ohne psychische Erkrankungen. […] Auch in der Gruppe der terroristischen Gewalttäter ist der Anteil der psychisch Kranken nicht höher als in der Allgemeinbevölkerung“ (…) Im Zusammenhang mit der Einführung eines Registers für psychisch erkrankte Personen besteht die Sorge, dass die bisherige Entstigmatisierung der Betroffenen beeinträchtigt werden könnte (ebenda). Personen, die sich bewusst für medizinische und therapeutische Unterstützung entscheiden, könnten zukünftig von der Inanspruchnahme entsprechender Hilfsangebote absehen. Eine generelle Erfassung könnte dazu führen, dass Betroffene aus Sorge um ihre Datenvertraulichkeit auf Hilfeleistungen verzichten, um nicht in einem für Dritte zugänglichen Register erfasst zu werden… [Es folgen 26. detaillierte Fragen an die Bundesregierung dazu]

Grundinfos:

  • CDU Hessen: Psychisch erkrankte Menschen sollen demnach zentral erfasst werden – weil sie angeblich so gefährlich für die Allgemeinheit seien. Siehe den entsprechenden Gesetzentwurf externer Link
  • Auch Carsten Linnemann, der Generalsekretär der Partei, hatte bereits kurz vor Jahreswechsel ein „Register für psychisch kranke Gewalttäter“ gefordert externer Link. Er sprach in einem Interview wörtlich davon, es gebe „Raster für Rechtsextremisten und Islamisten, aber nicht für psychisch kranke Gewalttäter“. 

Siehe zum Thema:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=229942
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