Pro-palästinensische Demos/Veranstaltungen und die Debatte um Verbote im Namen der „Staatsräson“

Dossier

Demonstrationsrecht verteidigen!„… Die Angriffe der Hamas auf israelische Zivilist*innen sind barbarische Kriegsverbrechen. Jubelbekundungen der Massaker sind widerwärtig. Punkt. Kein Aber. Dass Palästina-Solidaritätsdemonstrationen in Berlin verboten wurden, ist trotzdem falsch. Die Polizei argumentiert, dass es bei den Protesten zu antisemitischen Ausrufen, Gewaltverherrlichungen oder Gewalt kommen könnte. Könnte. Und genau da sind wir beim Kern des Problems. So verständlich es ist, angesichts der Gräueltaten der Hamas alles, was diese auch nur irgendwie legitimieren könnte, aus dem öffentlichen Raum verbannen zu wollen, ist dies mit dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit in einer demokratischen Gesellschaft schlicht nicht zu vereinen…“ Marie Frank in Pro und Contra von Erik Peter und Marie Frank am 11.10.2023 in der taz online externer Link („Ist ein Verbot richtig?“) – siehe weiteren Beiträge zur Debatte:

  • Verfassungsfeindlicher Protest und Versammlungsrecht / Nahostkonflikt an deutschen Unis: Für Dialog statt Polarisierung New
    • Verfassungsfeindlicher Protest und Versammlungsrecht
      „Politische Äußerungen in Versammlungen sind gegenwärtig Gegenstand intensiver öffentlicher Diskussionen. Insbesondere Positionen und Parolen, die auf eine Verneinung des Existenzrechts des Staates Israel gerichtet sind, werden zum Anlass für administrative Interventionen durch „Auflagen“ (sc. Beschränkungen) in Bezug auf Inhalt und Äußerungen im Rahmen von Versammlungen oder gar deren Auflösung genommen. Auch wenn viele Äußerungen, die gegenwärtig auf Versammlungen fallen, politisch ohne Zweifel zu missbilligen sind, gerät der Grundsatz, dass der Inhalt einer Versammlung und im Rahmen einer Versammlung erfolgte Meinungsbekundungen grundsätzlich „staatsfrei“ zu bleiben haben und nur bei Überschreitung äußerster Grenzen reglementiert werden können, zusehends in Gefahr. Der aktuelle Umgang mit Versammlungen gibt daher völlig unabhängig von einer inhaltlichen Würdigung Anlass zu kritischen Anmerkungen. (…) Unter dem Grundgesetz können in einer Versammlung geäußerte Meinungen erst recht kein Gegenstand versammlungsbezogener Maßnahmen sein. Da es sich bei der Meinungsfreiheit um „ein Recht auch zum Schutz von Minderheiten handelt“ (BVerfGE 111, 147 [156]; BVerfG NVwZ 2008, 671 [673]) und der Staat sich einer Bewertung von Meinungen als Grundlage versammlungsbezogener Maßnahmen grundsätzlich zu enthalten hat, sind Einschränkungen der Meinungsfreiheit sowie auf den Inhalt von Versammlungen bezogene Beeinträchtigungen der Versammlungsfreiheit grundsätzlich ausgeschlossen. Das Bundesverwaltungsgericht hat dies soeben nochmals bestätigt: „Eine Bewertung des Inhalts des mit einer Veranstaltung verfolgten kommunikativen Anliegens bzw. der Eignung oder Sinnhaftigkeit einer Veranstaltung sowie der in ihrem Rahmen geplanten Aktionen und Ausdrucksformen im Hinblick auf den jeweils bezweckten Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung steht den grundrechtsgebundenen staatlichen Stellen nicht zu“ (Urt. v. 27.03.2024 – B 6 C 1/22, Rn. 41, unter Bezugnahme auf das Bundesverfassungsgericht (…)Administrative Interventionen gegen Versammlungen sind danach erst möglich, wenn gegen Strafgesetze verstoßen wird, weil etwa Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen verwendet werden (§ 86a StGB) oder der Tatbestand der Volksverhetzung (§ 130 StGB) erfüllt ist. Denn: Bei Versammlungen handelt es sich um einen „Ausdruck gemeinschaftlicher, auf Kommunikation angelegter Entfaltung“ (BVerfGE 69, 315 [343] – „Brokdorf“). Sie können ihren Zweck nicht erfüllen, wenn ihre Zulässigkeit davon abhängig gemacht wird, ob eine wie auch immer definierte Mehrheit es für vertretbar hält, die jeweiligen Positionen und Inhalte zu äußern. Auch Äußerungen von Amtsträger:innen mit Bezug zu Versammlungen stoßen daher an verfassungsrechtliche Grenzen, denn der Staat ist gerade mit Blick auf Versammlungen und die dabei verfolgten Ziele gehalten, im Interesse der Offenheit kommunikativer Prozesse im Grundsatz „inhaltsneutral“ zu bleiben (BVerfGE 104, 92 [110]) (…) Ebenfalls auf Bedenken stoßen Statements, mit denen Amts- und Mandatsträger:innen auf einen offenen Brief reagiert haben, mit dem Kritik am Vorgehen gegen eine propalästinensische Demonstration auf dem Gelände einer Berliner Universität geübt wurde. (…) Die inhaltliche Ausrichtung der Versammlung begründet für sich genommen keine Interventionsbefugnis. Auf Einhaltung der genannten Grundsätze ist zu insistieren, auch wenn dies zum Anlass genommen wird, Kritiker:innen des polizeilichen Handelns als nicht auf dem „Boden des Grundgesetzes“ stehend (Stark-Watzinger a.a.O.) zu adressieren. Dabei geht es nicht darum, sich vor fragwürdige und offensichtlich abwegige Meinungen zu stellen. Vielmehr ist denen entgegenzutreten, die das Recht in Abrede stellen, fragwürdige und offensichtlich abwegige Meinungen zu vertreten. Denn das allein ist im Sinne des Grundgesetzes.“ Beitrag von Thorsten Koch vom 30. Mai 2024 in Verfassungsblog externer Link
    • Nahostkonflikt an deutschen Unis: Für Dialog statt Polarisierung
      „… Der Nahostkonflikt zeichnet sich grundsätzlich durch eine sehr starke Polarisierung aus – aufgrund der aktuell dramatischen Zuspitzung und der humanitären Katastrophe durch den israelischen Krieg in Gaza beherrscht er derzeit als Nahostkonflikt zweiter Ordnung vielerorts die Agenda politischer Aktivist:innen. Daher war es absehbar, dass es zu Aktionen kommt. So auch beim Eurovision Song Contest in Malmö: Die israelische Sängerin Eden Golan musste ihren Song zum Massaker der Hamas mehrmals umschreiben, damit er beim „unpolitischen“ ESC gesungen werden durfte – und pendelte, anders als alle anderen Teilnehmer:innen, aus Sicherheitsgründen nur gut bewacht zwischen Hotel und Veranstaltungsort. Ihren Auftritt musste sie unter Buhrufen absolvieren, derweil vor dem Veranstaltungsort Demonstrationen stattfanden. Diese Angriffe auf Eden sind ein Problem, weil eine israelische Jüdin für die Handlungen Israels in Haftung genommen wird. Ein ebensolches Problem ist es, wenn im Kontext der Auseinandersetzung jüdische Studierende bedroht werden und sich unsicher fühlen, oder wenn die gesicherte Existenz von Jüdinnen und Juden in Israel infrage gestellt wird. Das ist Antisemitismus. Doch mit Antisemitismuskritik allein ist in dieser Gemengelage nicht viel zu verstehen. (…) Das Einfallstor für antisemitische Deutungen im Nahostkonflikt ist real. Aber es gibt ein großes Feld von Grauzonen und Uneindeutigkeiten, an das wir nicht rankommen, wenn beispielsweise im konkreten Fall der Besetzung und Räumung eines Hofs der Freien Universität Berlin die Wissenschaftsministerin Bettina Stark-Watzinger oder auch Berlins Bürgermeister Kai Wegner mit einer holzschnittartigen Rhetorik einen ganzen Protest diskreditieren – und den Dozent:innen, die sich prinzipiell für die Möglichkeit friedlichen Protests aussprechen, vorwerfen, sie würden Gewalt verharmlosen und nicht auf dem Boden des Grundgesetzes stehen. In dem Statement der Dozent:innen müssen wir zwei Ebenen unterscheiden: eine nahostpolitische und eine demokratietheoretische. Viele Unterzeichnende werden höchstwahrscheinlich eine Grundsympathie mit dem Anliegen haben, dass die Kriegshandlungen eingestellt werden müssen, um das Massensterben in Gaza zu beenden, hinter dem, zumindest bei einem Teil der israelischen Regierung, explizit geäußerte genozidale Ambitionen stehen. Auch die Zerstörung sämtlicher Hochschulen und Kultureinrichtungen in Gaza wird an Hochschulen mit Entsetzen zur Kenntnis genommen. Mindestens werden die heterogenen Unterzeichner:innen genug Empathie besitzen, um zu sehen, dass dieser Krieg Leid und Solidarisierung verursacht, auch bei Studierenden hierzulande, darunter nicht wenige mit Familie in Gaza. Aber der Brief wurde vor allem aufgrund des bürgerrechtlichen Anliegens unterzeichnet. Denn bei dem Thema zeigen sich in letzter Zeit massive Grundrechtsbeschränkungen. Die Demonstrierenden werden als Israelhasser:innen und Antisemit:innen über einen Kamm geschoren, die polizeiliche Eingriffsschwelle gegen die Proteste wird gesenkt. Das eigentliche Anliegen findet keine Beachtung bzw. wird von vornherein disqualifiziert. Das betrachte ich als Protestforscher und aus bürgerrechtlicher Perspektive mit Sorge. (…) Denn mit diesem Reduktionismus untergräbt man grundsätzlich die Legitimität des Protests. Ob protestiert werden darf, hängt allerdings nicht davon ab, ob Universitätsleitungen oder die Bildungsministerin das Anliegen sympathisch finden: Meinungs- und Versammlungsfreiheit besteht unabhängig von der spezifischen Positionierung. Wir erleben aktuell jedoch einen immensen politischen Druck, Konflikte mit Sanktionen oder Polizeieinsätzen zu lösen, statt eine multiperspektivische und (selbst)kritische Auseinandersetzung zuzulassen. Es erschallen Rufe nach dem Verfassungsschutz (zur Überwachung propalästinensischer Bewegungen wie auch der Wissenschaft); die Nahostdebatte wird versicherheitlicht und verrechtlicht, damit aber administrativ dem dringend notwendigen Diskurs entzogen. (…) In dem ganzen Themenfeld sind die Positionen hochgradig antagonistisch und undiskursiv aufgestellt. Es gibt nur noch wenige, die versuchen, mit unterschiedlichen Leuten zu reden und unterschiedliche Stimmen zusammenzubringen. Widersprüche werden nicht ausgehalten. Menschenrechtlicher Universalismus ist extrem gefährdet. In so einem komplexen Konflikt sollte man sich nicht so einfach auf eine Seite stellen. Man kann und sollte trotzdem Position ergreifen, aber in konkreten Fragen: gegen den Krieg, gegen die Besatzung, gegen die Siedlergewalt, aber auch gegen die korrupte Palästinensische Autonomiebehörde und die extrem reaktionäre und terroristische Hamas. Aber in der Frage des Lebensrechts der Menschen in Israel und Palästina muss man auf der Seite der allgemeinen Menschenrechte stehen. Daran zu erinnern ist wichtig, weil das in dem nationalen Furor einiger Aktivist:innen beider Seiten unterzugehen droht.“ Beitrag von Peter Ullrich aus Blätter Ausgabe Juni 2024 externer Link
  • Polizeigewalt bei der Räumung der HU am Geburtstag des Grundgesetzes: Ein Journalist misshandelt und verletzt, ein Rechtsanwalt festgenommen
    • Rechtsanwalt festgenommen! RAV fordert sofortige Aufklärung und Konsequenzen
      Der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) ist empört über die Festnahme eines Rechtsanwalts im Rahmen der Besetzung des Instituts für Sozialwissenschaften der Humboldt Universität zu Berlin durch pro-palästinensische Aktivist*innen. Dort hat die Polizei am gestrigen Donnerstag gegen 19 Uhr den Rechtsanwalt Benjamin Düsberg festgenommen. Er ist Strafverteidiger in Berlin und RAV-Mitglied. Düsberg war vor Ort anlässlich von Verhandlungen mit dem Präsidium. Als eine Person festgenommen wurde, verließ er das Gebäude, um die Festnahme anwaltlich zu begleiten. Doch als er aus dem Gebäude auf den Hinterhof trat, nahm die Polizei ihn fest. „Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: Während der Geburtstag des Grundgesetzes gefeiert wird, nimmt man in Deutschland einfach so einen Rechtsanwalt fest“, so Düsberg. Er sei noch nie festgenommen worden und habe das auch noch nie von Kolleg*innen gehört. Düsberg ist seit 2015 als Strafverteidiger tätig. „Besonders alarmierend ist, dass die Polizei mir zunächst nicht einmal einen Tatvorwurf nennen konnte“, so Düsberg weiter. Paragraf 163 Absatz 1 in Verbindung mit Paragraf 163a Absatz 4 Strafprozessordnung verpflichtet die Polizei, Beschuldigten zu Beginn von Maßnahmen wie der Identitätsfeststelllung den Tatvorwurf zu eröffnen.
      „Das hat die Polizei weder bei mir als Rechtsanwalt noch bei den Versammlungsteilnehmenden getan. Dieses polizeiliche Vorgehen ist illegal und sollte Konsequenzen haben“, fordert Düsberg. Er wünscht sich, dass die Hintergründe aufgeklärt werden. „Es ist illegal, dass sämtliche Protestierende ohne konkreten Anfangsverdacht kontrolliert wurden. Ich gehe davon aus, dass dieses polizeiliche Vorgehen so vom Senat angeordnet wurde“, vermutet er.
      Später wurde ihm dann „schwerer Landfriedensbruch“ vorgeworfen. „Das erscheint mir als im Nachhinein konstruiert und ist völlig hanebüchen. Ich habe lediglich meine Arbeit als Anwalt ausgeführt, dafür musste ich schließlich vor Ort sein.“
      Der RAV fordert, dass der Vorwurf gegen den Rechtsanwalt sofort fallengelassen wird und die Hintergründe unverzüglich öffentlich aufgeklärt werden
      .“ RAV-Pressemitteilung vom 24. Mai 2024 externer Link
    • Polizeigewalt bei Räumung der HU: Journalist der Berliner Zeitung misshandelt, verletzt
      „Nach der Besetzung der Humboldt-Universität durch propalästinensische Aktivisten filmt Ignacio Rosaslanda die Räumung – bis er von der Polizei geschlagen und über Stunden festgehalten wird. Das Video bricht ab, als Ignacio Rosaslanda, Videojournalist der Berliner Zeitung, von einem Polizisten von hinten zu Boden gerissen wird. Kurz vor dem Ende sind noch Geräusche zu hören, die wie Schläge klingen. Und die Stimme unseres Kollegen: „Ich bin Presse, ich bin Presse!“ Zweimal habe ihm der Polizist mit Fäusten ins Gesicht geschlagen, sagt Rosaslanda am Freitag. Und ihn dann über mehrere Stunden mit Handschellen fixiert. In seinem Gesicht, auf dem Bauch und am Arm sind Schürfwunden und Hämatome zu sehen. Seine linke Hand ist auch am Tag danach noch taub. (…) Rosaslandas Handy, seine Kamera und seine Brille lagen zu der Zeit auf dem Boden. Nach etwa zwanzig Minuten seien Sanitäter zu ihm gekommen und hätten gefragt, ob er atmen könne und Hilfe brauche. Sie wiesen den Polizisten auf den Presseausweis von Rosaslanda hin, doch der Polizist habe gerufen: „Sie haben keine Ahnung von Polizeiarbeit!“ Erst drei Stunden später wurde unser Kollege gehen gelassen. Eine medizinische Behandlung sei ihm in der gesamten Zeit verwehrt worden, sagt er. Nicht einmal eine Aspirin-Tablette gegen seine starken Kopfschmerzen hätten die Sanitäter ihm geben dürfen. Noch am selben Abend ließ sich Ignacio Rosaslanda in Begleitung von Laurenz Cushion in der Rettungsstelle der Charité behandeln. Der Arztbericht benennt multiple Schürfwunden und Hämatome über dem linken Ohr, im Gesicht, auf dem Brustkorb und am linken Arm. (…) Auf Anfrage der Berliner Zeitung teilte die Polizei am Freitagnachmittag zunächst mit, es sei durch eine Person, die sich erst später als Journalist zu erkennen gegeben habe, „während der polizeilichen Maßnahmen zu einem Angriff mittels Videoteleskopstange mit montierter Fotokamera auf eine Einsatzkraft“ gekommen, „durch den die Einsatzkraft leicht verletzt wurde“. Die Person habe auch „Widerstand“ gegen die freiheitsbeschränkende Maßnahme geleistet, weswegen für 15 Minuten Handfesseln angelegt worden seien. Die Aufnahmen unseres Kollegen widerlegen die Darstellung, er habe einen Polizisten angegriffen und sich erst spät als Pressevertreter ausgewiesen, eindeutig. Der Sprecher des Deutschen Journalistenverbands (DJV), Hendrik Zörner, sagte, es sei „unfassbar, wie die Polizei gegen den Kollegen vorgegangen ist“. Journalisten seien „keine Prügelknaben der Polizei“, sondern hätten die Aufgabe, frei und ungehindert zu berichten. „Der Vorfall muss lückenlos aufgeklärt werden. Die Polizeibeamten sind zur Rechenschaft zu ziehen“, forderte Zörner. (…) Am Abend äußerte sich auch die Berliner Polizei noch einmal – auf der Plattform X (früher Twitter). Sie teilte mit, dass das Video vom Angriff auf Rosaslanda nach Veröffentlichung durch die Berliner Zeitung „unmittelbar dem #LKA 34 zur Bewertung und ggf. Einleitung weiterer Ermittlungsschritte übersandt“ worden sei. Bei der Prüfung der Frage, „ob es sich hierbei um eine Körperverletzung im Amt handelt“, würden auch Dokumentationen aus dem Einsatz in der HU herangezogen.“ Artikel von Wiebke Hollersen und Niklas Liebetrau vom 24. Mai 2024 in der Berliner Zeitung online externer Link
  • Einige Debattenbeiträge zu den propalästinensischen Uni-Protestcamps und den Reaktionen darauf
    • Campus-Fantasien und Schlagstöcke: Der Repression gegen propalästinensische Unibesetzungen in Deutschland ging eine verzerrte Rezeption der Proteste in den USA voraus
      „Zwischen Aufbau und Räumung des Protestcamps an der Freien Universität Berlin Anfang Mai vergingen gerade mal drei Stunden. Eine Effizienz, von der sich amerikanische  Unileitungen noch etwas abschauen können – selbst die Columbia University in New York gewährte den Studierenden mehr als einen Tag, bevor sie im April mit massivem Polizeiaufgebot den Campus räumen und abriegeln ließ. Das Tempo, in dem die FU vorging, und auch die Brachialität des Polizeieinsatzes, bei dem 79 Menschen festgenommen wurden, weisen darauf hin, dass der Protest der Berliner Studierenden schon als illegitim markiert worden war, bevor er überhaupt begonnen hatte. Doch woran liegt das? Wie erklärt sich diese Bereitwilligkeit zur Repression? Gewiss: Propalästinensische Proteste stehen bereits seit Jahren im Fokus der deutschen Behörden. (…) Die Kriminalisierung der deutschen Campus-Proteste hat jedoch noch einen anderen Vorlauf, nämlich die Berichterstattung der vergangenen Wochen über die Student*innenbewegung in den USA. Man wusste, wie das Treiben dort ausgesehen hatte, wie die amerikanischen Studierenden politisch drauf sind, was zu erwarten sei – und konnte entsprechend reagieren. Aber wusste man es wirklich? Was genau wusste man? Wenn die Repression auch durch den Diskurs um die Campus-Bewegung in den USA legitimiert ist, dann ist die Frage, wie wirklichkeitsnah dieser Diskurs ist, von innenpolitischer Relevanz. (…) Ein kurzer Überblick: Seit dem Kriegsbeginn in Gaza gibt es in den USA – anders als in Deutschland – eine große Bewegung in Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung. Viele der Demonstrationen werden von jüdisch-linken Gruppen wie Jewish Voice for Peace und If Not Now angeführt, die von der US-Regierung fordern, die politische, finanzielle und militärische Unterstützung Israels zu beenden oder zumindest an Bedingungen zu knüpfen. Dringendstes Ziel ist laut der Protestierenden selber eine Waffenruhe. (…) Insbesondere die Republikanische Partei und rechte Medien wie Fox News haben die Protestcamps von Anfang an als antisemitisch und pro-Hamas diskreditiert; tagelang war in den abendlichen Newsformaten von einer »judenhassenden« und »gewaltverherrlichenden« Bewegung die Rede. Grundlage dieser pauschalen Schmähung waren einzelne Fälle antisemitischer Äußerungen, von denen die meisten außerhalb der Campusse stattfanden. In manchen der Protestcamps wurde proisraelischen Student*innen der Eintritt verwehrt. Es kam vereinzelt zu Rangeleien zwischen den gegnerischen Gruppen. Doch statt sich mit den Forderungen einer in Auswüchsen problematischen, aber unter dem Strich friedlichen, vielfältigen, zerstreuten Bewegung auseinanderzusetzen, wurde der Protest als Ganzes dämonisiert. Ihrem Selbstverständnis nach liberale Kräfte machten mit, von demokratischen Abgeordneten bis hin zum Atlantic Magazine. In Deutschland wurde dieses Narrativ in vielen Fällen einfach übernommen. Auch hier sind rechte Medien tonangebend, mit zum Teil grotesk verzerrter Berichterstattung. Die Bild etwa berichtete, dass »die Namen Yale, Columbia, Harvard und Co. für linksextreme Ideologie und islamistischen Judenhass« stünden. Später fragte die Zeitung: »Übernimmt die Hamas die Macht an den US-Unis?« Die Welt-Chefredakteurin schrieb in einem Kommentar Ende April, dass an US-Eliteuniversitäten »die 30er-Jahre in Deutschland« nachgespielt würden. Auch linksliberale Medien machten mit. (…)Um Missverständnissen vorzubeugen: Wir behaupten nicht, dass man bei den vielen Tausenden Demonstrant*innen keine fehlgeleiteten und böswilligen Aussagen vernehmen kann, oder dass in den vergangenen Wochen keine antisemitischen Sprüche zu hören waren, oder dass die Forderungen der Studierenden allesamt produktiv seien. Eine kritische Auseinandersetzung mit den Taktiken der Bewegung ist genauso unerlässlich wie eine klare Ablehnung menschenfeindlicher Aussagen. Aber in der Berichterstattung über die Student*innenproteste in den USA blieb es eben nicht dabei. Es wurde vielmehr ein Bild gezeichnet, das wenig mit der Realität zu tun hatte. Es kam zu Projektionen und Verzerrungen, die dann wiederum als rhetorische Untermauerung für Repressionen in Deutschland herangezogen wurden. Wer eine überwiegend friedliche Antikriegsbewegung in die Nähe Nazideutschlands rückt, entfernt sich von jeder journalistischen Professionalität und relativiert in der Tat auch den Antisemitismus. (…) Eine sachgemäße Berichterstattung zu den Campus-Protesten ist also nicht nur an sich wichtig – sie ist vielmehr ethisch gesehen unabdingbar. Eine Öffentlichkeit, die sich mit Horrorstorys aus Übersee die selbst verantworteten Einschnitte in Freiheiten schmackhaft zu machen versucht, die sie angeblich so hochhält, ist vieles – aber mündig und souverän ist sie nicht.“ Artikel von Adrian Daub und Lukas Hermsmeier aus ak 704 vom 18. Mai 2024 externer Link
    • Dialog und Meinungsfreiheit an den Universitäten: ver.di stellt sich hinter die Berliner Lehrenden
      Niemand muss gut finden, wie die letzte Woche vom Theaterhof der Rostlaube geräumten Studierenden ihre Besetzung begründet haben. Ihre Meinung dürfen sie im Rahmen des gesetzlich Erlaubten aber genauso äußern wie diejenigen, die die Aktion falsch finden. Daher erklärt sich ver.di Berlin-Brandenburg solidarisch mit allen, die an den Universitäten weiterhin gewaltfrei einen kritischen öffentlichen Dialog auch zu schwierigen Themen führen wollen – und verurteilt die angeordnete Räumung, die mediale Hetze der Bild-Zeitung und andere Einmischungen von außen in die grundrechtlich garantierte Meinungsvielfalt an Universitäten. Berliner Lehrende hatten die polizeiliche Räumung eines Protestcamps an der FU Berlin öffentlich kritisiert und das Grundrecht auf Protest und Meinungsäußerung insbesondere an Hochschulen verteidigt. In Reaktion auf die Stellungnahme kam es zu einer verunglimpfenden Berichterstattung durch die Bild-Zeitung und zu diffamierenden Äußerungen in den sozialen Medien. „Dass Lehrende öffentlich an den Pranger gestellt werden, wenn sie sich für die Verteidigung von Grundrechten an Hochschulen einsetzen, nehmen wir nicht hin. Gegen eine solche Verunglimpfung von Hochschullehrenden durch die Bild-Zeitung hätte Unterstützung von höchster Stelle kommen sollen“, sagt Benjamin Roscher, stellvertretender Landesbezirksleiter von ver.di Berlin-Brandenburg. „Stattdessen werden Lehrende selbst aus der Politik diffamiert.“
      ver.di stellt sich hinter die Berliner Lehrenden, die kritisiert haben, dass die Räumung des Protestcamps an der FU Berlin angeordnet wurde, ohne ein vorheriges Gesprächsangebot zu formulieren. Hochschulen sind Orte der Wissensproduktion, des Dialogs und sollten auf gewaltfreie Lösungen setzen. Der Einsatz von Polizei kann allenfalls als letztes Mittel dienen.
      „Für uns Gewerkschafter*innen und Beschäftigte an Hochschulen sind Universitäten Orte der Debatte, die zum Austausch und Diskurs einladen sowie die Meinungsvielfalt fördern sollte“, sagt Michaela Müller-Klang, Vorsitzende des Landesfachbereichsvorstands Gesundheit, soziale Dienste, Bildung und Wissenschaft. „Die öffentliche Diffamierung von Berliner Lehrenden ist da genauso wenig hilfreich wie der Einsatz von Polizei gegen grundrechtlich geschützte Proteste
      .““ Pressemitteilung vom 15.05.2024 von ver.di Landesbezirk Berlin-Brandenburg externer Link
    • Die Räumung von Protestcamps an Universitäten ebnet den Weg zum Autoritarismus
      „Nicht Palästina-Solidaritätscamps an deutschen Hochschulen sind der Skandal, sondern die mediale und politische Kampagne gegen sie. Wer friedlichen Protest dämonisiert, untergräbt auch die Universität als Ort demokratischer Wissens- und Willensbildung. (…) Akademische Institutionen sind nicht nur Orte der Produktion von Wissen und verwertbarer Arbeitskraft. Sie haben auch den Auftrag, gesellschaftliche Entwicklungen kritisch zu begleiten und Raum für Austausch zu schaffen. (…) Die deutsche Universität ist eine Masseninstitution, in der sich feudale und neoliberale Logiken kreuzen. Weil Absolventinnen und Absolventen Arbeitskräfte mit verwertbaren Qualifikationen sind, erfüllt sie eine wichtige Funktion in der Logik kapitalistischer Märkte. Welche Studiengänge es gibt – und damit auch: welche Professuren – entscheidet sich nicht zuletzt an (imaginierten) Arbeitgeberinteressen. Feudal ist die Universität, weil sie Professorinnen und Professoren formal große Autonomie gewährt, institutionelle Macht in professoralen Gremien konzentriert und das nicht-professorale wissenschaftliche Personal zu Abhängigen in klientelistischen Arbeitsbeziehungen macht. (…) Dass sich die FU Berlin am 7. Mai für die Polizei und gegen den Dialog entschied, lässt sich jedoch nicht allein aus der internen Verfasstheit der Universität und ihrer Beziehung zur gesellschaftlichen Vielfalt erklären. Der politische Druck von Entscheidungstragenden, die ihr Handeln an der deutschen Staatsräson ausrichten, mag eine Rolle gespielt haben. Am Ende war die Entscheidung des Präsidiums, die relative Autonomie der Universität zurückzustellen und der Polizei das Feld zu überlassen, vermutlich von der deutschen Politik und der dominanten Form der Antisemitismusbekämpfung beeinflusst, die im Zeichen der wissenschaftlich umstrittenen Arbeitsdefinition von Antisemitismus der International Holocaust Remembrence Alliance (IHRA) steht. Diese Definition erlaubt es, Palästina-solidarische und Israel-kritische Positionen und Proteste pauschal als antisemitisch und volksverhetzend zu delegitimieren und zu kriminalisieren – auch wenn es sich um Jüdinnen und Juden handelt, die anti-zionistische Positionen vertreten. (…) Wissenschaftliche Fachleute warnen eindringlich davor, [die IHRA] als rechtliches Regulierungsinstrument verbindlich zu machen, darunter mehr als 1.000 jüdische Akademikerinnen und Akademiker wie Omer Bartov, Seyla Benhabib, Atina Grossmann, Avishai Margalit und viele andere, die auch in Deutschland hoch angesehen werden – und mit Kenneth Stern sogar einer ihrer ursprünglichen Autoren. Seit 2020 liegt außerdem mit der Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus eine wissenschaftlich breiter gestützte Definition vor, die es erlaubt, Antisemitismusbekämpfung mit Grundrechtsorientierung zu verbinden und so den Anforderungen zunehmend pluraler Gesellschaften besser Rechnung zu tragen. (…) Statt alle demokratischen Kräfte gegen diese autoritäre Gefahr von rechts zu bündeln, kommt es aus der politischen Mitte immer wieder, so auch nach dem 7. Mai, zu autoritären Initiativen. So wird die Überwachung unliebsamer Akademikerinnen und Akadamiker durch den Verfassungsschutz erwogen, mit Exmatrikulation und Berufsverboten gedroht, sowie medial und politisch angefeindet, eingeschüchtert und dämonisiert. (…)Diese Kampagnen haben schon jetzt den Effekt, den Raum für dissidente Meinungen, Perspektiven und politische Praktiken einzuschränken, indem notwendige (wenn auch komplexe und umstrittene) Unterscheidungen willentlich verwischt werden: zwischen Israelkritik und Antisemitismus, zwischen Antikriegsprotesten und Terrorunterstützung, zwischen provokativen und aggressiven beziehungsweise als aggressiv wahrgenommenen Slogans und tatsächlicher Gewalt, zwischen nachvollziehbaren Gefühlen der Unsicherheit, einer politisch angeheizten Panik, die diese Gefühle anstachelt und ausnutzt, und tatsächlicher Sicherheit, auf die alle Universitätsangehörigen einen fundamentalen Anspruch haben. Die Räumung des Protestcamps an der FU Berlin und ihr mediales und politisches Echo haben zweierlei gezeigt: Deutschland scheint noch nicht bereit, ernsthaft über einen Kurswechsel gegenüber der Politik der derzeitigen israelischen Regierung zu reden. Das hat zur Folge, dass entsprechende Stimmen hart und schnell aus dem Diskurs gedrängt werden. Zudem scheinen sich Universitäten noch nicht vollends dessen bewusst zu sein, dass sie der zentrale Ort für Debatten über gesellschaftlichen und politischen Wandel sein können und müssen. (…) Um umzusteuern, braucht es Kreativität und den Mut dazu, die Universität als neoliberal-feudal strukturierte Institution zu überwinden und sie wieder stärker zu einer Institution in der und für die Gesellschaft zu machen.“ Artikel von Teresa Koloma Beck, Robin Celikates und Kai Koddenbrock vom 16. Mai 2024 in Jacobin.de externer Link
    • [Schweiz] Israel / Palästina und die Proteste: Für die Gleichheit aller Menschen
      „Die pauschale Behauptung einiger Politikerinnen und Journalisten, die Proteste gegen den Gazakrieg, die auch die Schweizer Unis erfasst haben, seien antisemitische Hetze, ist schlicht Blödsinn. Und dennoch sollte man die Proteste nicht ebenso pauschal von jeglicher Kritik freisprechen. Entgegen einem sich ausbreitenden Glauben ist die Welt selten schwarzweiss. Tatsächlich riskiert der von Palästinaflaggen begleitete Protest, in ein nationales Denken zu verfallen, wenn er die Opfer der Hamas vergisst oder zum allgemeinen Boykott Israels aufruft – wie es weltweit an einigen Universitäten passiert ist. Hier werden Menschen nur aufgrund ihrer nationalen Herkunft in ein feindliches Lager gedrängt. Ein solch nationales Denken droht in Antisemitismus abzugleiten. Auch wenn sich argumentieren lässt, dass der Boykott eines Staates, der Krieg führt, etwas anderes ist als der Boykott von Jüd:innen im Nationalsozialismus: Im Mindesten kann der Boykott mit sehr gutem Grund als antisemitisch verstanden werden. Und warum sollte man nicht davon ausgehen, dass es auch Protestierende gibt, die das so meinen? Wer aufrichtig hinschaut, muss gleichzeitig festhalten, dass die Mehrheit der Protestierenden in erster Linie von einer berechtigten moralischen Empörung über einen grauenvollen Krieg getrieben sind. Die Pauschalisierung des Protests als antisemitische Hetze ist oft der Versuch, diese Kritik zum Schweigen zu bringen. Die Kritik an einem Krieg, in dem Menschen eingekesselt, seit Monaten bombardiert und ausgehungert werden; in dem ein Grossteil der Häuser, Schulen und Spitäler zerstört und bereits über 30 000 Menschen getötet wurden, darunter Tausende von Kindern; in dem Israels Premier Benjamin Netanjahu derzeit trotz internationaler Warnungen vor weiteren katastrophalen humanitären Folgen seine Panzer immer tiefer nach Rafah einrollen lässt – und dies, obwohl inzwischen allen klar ist, dass er die Hamas mit dem Krieg nicht besiegen kann. Was die Kritik vieler am Protest besonders grotesk macht: dass sie ihn im Namen der Gleichheit aller Menschen pauschal als antisemitisch verurteilen, um sich im Gefühl moralischer Überlegenheit hinter eine teilweise offen rassistische Regierung zu stellen, die diese Idee mit Füssen tritt. Es gibt einige, die sich aus der ehrlichen Empörung über die schrecklichen Massaker vom 7. Oktober und die Geiselnahme durch die Hamas hinter den Krieg stellen – oder seit Monaten schweigen. Das ist nachvollziehbar. Doch wer es mit der Gleichheit aller Menschen ernst meint, wird Israels Menschenrechtsverletzungen genauso verurteilen wie jene der Hamas. (…) Warum sich nicht strikt an Gleichheit, Menschenrechte und das internationale Recht halten? Es ist möglich, sich gegen Antisemitismus zu stellen, für Israels Existenzrecht einzustehen und die Gräueltaten der rechtsreaktionären Hamas zu verurteilen; und gleichzeitig die jahrzehntelange Besetzung, Belagerung und Besiedlung palästinensischer Gebiete zu bekämpfen, das Recht auf einen palästinensischen Staat einzufordern und gegen diesen Krieg zu protestieren. Der eigentliche Kampf, der tobt, ist nicht ein Kampf zwischen Israelis und Palästinenser:innen. Es ist der Kampf für die Gleichheit aller Menschen – gegen alle jene, die dies ablehnen.“ Leitartikel von Yves Wegelin aus der WOZ Nr. 20 vom 16. Mai 2024 externer Link
    • Konflikte an den Universitäten: Gaza-Krieg in Deutschland. Die Debatte geht am Thema vorbei. Und sie birgt gleich mehrere Gefahren
      „… Der Konflikt um den Krieg im Nahen Osten ist endgültig in Deutschland angekommen – vorwiegend an den Universitäten. Nach massiven Auseinandersetzungen an Hochschulen in den USA, aber auch in europäischen Ländern wie Frankreich, entstehen nun auch in Deutschland Protestcamps. Die Kontroversen sind die gleichen. Ebenso die Widersprüche. Aktuell sorgt ein offener Brief von Lehrenden an Berliner Universitäten für Aufregung, die sich gegen ein Verbot der Proteste aussprechen. Die Berichterstattung darüber – auch im öffentlich-rechtlichen Rundfunk – war von Anfang an von Fehlinterpretationen geprägt. (…) Die Debatte spielt sich auf zwei Ebenen ab. Zum einen geht es um die Frage, wie weit die Meinungsfreiheit geht und ob sie auch erklärten Gegnern oder gar Feinden des Staates Israel zusteht. Zum anderen geht es um die Frage, inwieweit die akademische Autonomie auch in zugespitzten politischen Situationen gewahrt werden kann und muss. Darum geht es der Autorin und den Unterzeichnern des offenen Briefes in Berlin. Sie sprechen sich eben nicht explizit für die eine oder andere Seite aus, sondern plädieren dafür, dass die Debatte über Krieg und Gewalt im Nahen Osten an der Universität selbst verhandelt wird – und nicht unter dem Gummiknüppel der Polizei zum Schweigen gebracht wird. Und in der Tat: Nur so bekämen die lehrenden Akademiker und der intellektuelle Nachwuchs die Chance, sich auch mit kritischen Positionen auseinanderzusetzen und sich etwa zu antisemitischen Stimmen kritisch zu positionieren. (…) Diese zweite Ebene wird von den politischen Akteuren konsequent ignoriert, was wohl weniger mit intellektueller Überforderung als mit politischem Vorsatz zu tun hat. So zeigte sich Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) entsetzt über die Berliner Erklärung von Hochschullehrern. (…) Stark-Watzinger jedenfalls kritisierte, dass die Dozenten, statt sich klar gegen Israel- und Judenhass zu positionieren, die Besetzer der Universität zu Opfern stilisierten und Gewalt verharmlosten. Ähnliche Kritik kam auch von Berlins Regierendem Bürgermeister Kai Wegner (CDU) und dem Präsidenten des Zentralrats der Juden, Josef Schuster. (…) Die politische Intervention ist vor allem wegen ihrer Einseitigkeit kritikwürdig. Da im Falle der Berliner Kontroverse die Kritik sowohl von der Bundes- als auch von der Landesebene kam, wird es interessant sein zu beobachten, ob und inwieweit die Kritik zu politischen Konsequenzen führt. Konkret, ob die Protestierenden in einer Zeit, in der Forschung und Lehre zunehmend monetären Zwängen und Abhängigkeiten unterworfen sind, für ihr Engagement für eine offene Debattenkultur auf dem Campus persönlich zur Rechenschaft gezogen werden. Weiterhin ist es ihre Aufgabe, nach wissenschaftlichen Kriterien zu definieren, was Antisemitismus ist und in der Folge dafür zu sorgen, dass Antisemiten an deutschen Hochschulen und damit auch auf universitären Protestcamps keinen Platz haben.“ Telepolis-Leitartikel von Harald Neuber vom 10. Mai 2024 externer Link
    • [USA] »Mehr Geld für Bildung statt für Bomben und Besatzung!« Mit den Protest-Camps gegen den Gaza-Krieg ist in den USA die größte Studierendenbewegung seit Jahrzehnten entstanden
      „Die Protestbewegungen an nordamerikanischen Universitäten gegen den Krieg in Gaza haben in den letzten Wochen ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht. An knapp 200 Hochschulen haben Studierende Protestcamps errichtet, die sich gegen die finanzielle und wissenschaftliche Beteiligung ihrer Ausbildungsstätten am, wie sie es nennen, »Genozid in Gaza« richten. Neben der massiven Investition von Forschungsgeldern in die Entwicklung von Waffentechnologien legen diese Universitäten große Teile ihres mitunter milliardenschweren Stiftungsvermögens in Rüstungskonzernen an, die das israelische Militär beliefern. Den Studierenden geht es darum, dass ihre Universitäten das verheerende Kriegsgeschehen in Gaza damit nicht nur aktiv unterstützen, sondern darüber hinaus auch noch direkt davon profitieren. Bisher wollen die meisten Hochschulen allerdings noch nicht einmal Transparenz über ihre Investitionsgeschäfte schaffen. »Wenn sie nichts zu verbergen haben«, so ein Studierender der New York University, »könnten sie ihre Investitionen doch offenlegen.« Die Protestcamps begründen ihr Anliegen mit den Berichten großer Menschenrechtsorganisationen, die zahlreiche Kriegsverbrechen der israelischen Armee dokumentiert haben. Zudem stützen sie sich auf den Beschluss des Internationalen Gerichtshofes, der »plausible« Anzeichen für einen Völkermord in Gaza sieht. Obwohl es also gute Gründe für die Proteste gibt und sich die Widerstandsformen der Studierenden im verfassungsrechtlichen Rahmen bewegen, haben die Hochschulleitungen die Protest-Camps für unzulässig erklärt und mit den härtesten Strafen gedroht: von Disziplinierungsverfahren bis hin zur Suspendierung. Damit haben die Universitäten von Anfang an für ein Klima der Eskalation gesorgt. Bei unserem Besuch des Encampments an der New School in New York wurde eine Kundgebung von Gegendemonstrant:innen mit Affenrufen attackiert, mit Bananen beworfen und laut »Geht zurück in den Dschungel, ihr Tiere« skandiert. Als Tiefpunkt können die Übergriffe rechtsextremer Gruppen an der University of California in Los Angeles gelten. Hunderte organisierte Rechtsextreme attackierten dort stundenlang ungehindert Studierende mit Schlagstöcken und ätzenden Chemikalien. Als die Polizei endlich eingriff, wurde die Situation genutzt, um das Protestcamp zu räumen. Dutzende Studierende wurden dabei durch die Polizei verletzt. Bei den gewaltsamen Räumungen wurden landesweit bereits über 2.600 Studierende verhaftet und von ihren Universitäten suspendiert. Das bedeutet den Verlust des Wohnheimplatzes, sämtlicher Stipendien und Anstellungen auf dem Campus sowie die Gefahr von Ausweisungen für internationale Studierende. (…)Bei den Protestcamps handelt es sich um die größte Studierendenbewegung seit den 1960er Jahren. Die in den Camps begonnene Debatte junger Studierender über das Verhältnis zwischen westlichem Imperialismus und nicht-westlichen autoritären Regimen oder über die historischen Fallstricke antikolonialer Bewegungen ist auf jeden Fall wertvoll. Über die Zusammenhänge von emanzipatorischen Kämpfen wie der revolutionären Bewegung im Iran, gegen Besatzung und Krieg in Gaza, Kurdistan, Artsakh, Ukraine, Sudan oder Haiti sollte mehr und genauer gesprochen werden. Auf jeden Fall hat die Bewegung mit ihren Protest-Camps mittlerweile eine globale Dimension angenommen. Und: Mit ihrem Fokus auf der Entmilitarisierung der Universitäten zielen die Protestierenden zugleich auf eine Demokratisierung der Hochschule ab: »More Money for Education, not for Bombs and Occupation!« – mehr Geld für Bildung statt für Bomben und Besatzung.“ Bericht von Vanessa Thompson und Jochen Schmon vom 10. Mai 2024 in Neues Deutschland online externer Link
    • Statement von Lehrenden an Berliner Universitäten zum Polizeieinsatz gegen Protestcamps auf Campus der FU Berlin
      „Als Lehrende der Berliner Hochschulen verpflichtet uns unser Selbstverständnis dazu, unsere Studierenden auf Augenhöhe zu begleiten, aber auch zu schützen und sie in keinem Fall Polizeigewalt auszuliefern. Unabhängig davon, ob wir mit den konkreten Forderungen des Protestcamps einverstanden sind, stellen wir uns vor unsere Studierenden und verteidigen ihr Recht auf friedlichen Protest, das auch die Besetzung von Uni-Gelände einschließt. Die Versammlungs- und Meinungsfreiheit sind grundlegende demokratische Rechte, die auch und gerade an Universitäten zu schützen sind. Angesichts der angekündigten Bombardierung Rafahs und der Verschärfung der humanitären Krise in Gaza sollte die Dringlichkeit des Anliegens der Protestierenden auch für jene nachvollziehbar sein, die nicht alle konkreten Forderungen teilen oder die gewählte Aktionsform für nicht geeignet halten. Es ist keine Voraussetzung für grundrechtlich geschützten Protest, dass er auf Dialog ausgerichtet ist. Umgekehrt gehört es unseres Erachtens zu den Pflichten der Universitätsleitung, solange wie nur möglich eine dialogische und gewaltfreie Lösung anzustreben. Diese Pflicht hat das Präsidium der FU Berlin verletzt, indem es das Protestcamp ohne ein vorangehendes Gesprächsangebot polizeilich räumen ließ. Das verfassungsmäßig geschützte Recht, sich friedlich zu versammeln, gilt unabhängig von der geäußerten Meinung. Die Versammlungsfreiheit beschränkt zudem nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts („Fraport“) das Hausrecht auch für Orte, die, wie wohl auch der Universitätscampus der FU Berlin, öffentlich zugänglich sind und vielfältigen, darunter öffentlichen Zwecken dienen. Wir fordern die Berliner Universitätsleitungen auf, von Polizeieinsätzen gegen ihre eigenen Studierenden ebenso wie von weiterer strafrechtlicher Verfolgung abzusehen. Der Dialog mit den Studierenden und der Schutz der Hochschulen als Räume der kritischen Öffentlichkeit sollte oberste Priorität haben – beides ist mit Polizeieinsätzen auf dem Campus unvereinbar. Nur durch Auseinandersetzung und Debatte werden wir als Lehrende und Universitäten unserem Auftrag gerecht.“ Statement von mehreren hundert Lehrenden vom Mai 2024 externer Link
  • Scharfgestellte Staatsräson: Zum Umgang deutscher Sicherheitsbehörden mit dem Berliner „Palästina-Kongress“ „Das Vorgehen deutscher Behörden gegen kritische Stimmen in Bezug auf die israelische Kampfführung im Gaza-Krieg sorgt für zunehmende Kritik. Insbesondere international häufen sich Presseberichte und besorgte Äußerungen über Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Besondere Aufmerksamkeit kam dabei zuletzt den Maßnahmen zur Unterbindung des Palästina-Kongresses in Berlin zu, die ebenfalls international stärker als hierzulande auf Kritik (…) gestoßen sind. Unter anderem wurde dem ehemaligen griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis die Einreise in die Bundesrepublik verweigert, um ihn davon abzuhalten, eine Rede auf dem Kongress zu halten. (…) Aus Sicht der zuständigen Sicherheitsbehörden scheint scharfe Kritik an israelischer Politik islamistischen Antisemitismus darzustellen, der nicht nur die deutsche öffentliche Sicherheit und Ordnung, sondern sogar (sic!) das Gewaltverbot der UN-Satzung verletzt. Im Folgenden dokumentieren wird die Bescheide auszugsweise, unsere Fragen an die Behörden und deren Antworten darauf. So kann sich jede/r Leser/in selbst ein Bild darüber machen, ob die behördliche Argumentation aus grundrechtlicher Sicht tragfähig ist. (…) Berlin galt einst als Hort künstlerischer (und sonstiger) Freiheit, doch nun, so die New York Times, wurde dies „durch Debatten darüber, was über Israel und den Krieg gesagt werden darf und was nicht, auf den Kopf gestellt.“ Auch in Deutschland tätige israelische Intellektuelle und Künstler sehen eine „beispiellose Einschränkung“ der Protest- und Meinungsfreiheit. Der irische Independent, ein weiteres Flagschiff republikanischer Meinungsfreiheit, berichtet konsterniert über das polizeiliche Verbot des Singens irischer Lieder in Gälisch auf einer pro-palästinensischen Demonstration in Berlin, weil sie ja antisemitischen Inhalt haben könnten. Selbst hierzulande fragt sogar die – bekanntlich überaus israelfreundliche – „Welt“, ob „es als normal gelten [sollte], dass es inzwischen zum Usus zu werden scheint, Einreiseverbote gegen Personen zu verhängen, weil man ihre Meinungsäußerungen (!) fürchtet?“ Der chilling effect dieser neuen Verbotssicherheitspolitik ist allenthalben zu spüren. Studierende und Wissenschaftler laufen mit der Schere im Kopf über Universitätscampusse; Medienschaffende überlegen sehr genau, was sie wie schreiben sollen und/oder dürfen; Anwälte lehnen vorsorglich Mandate und/oder Beratung bei (pro-)palästinensischen Veranstaltungen „wegen der Ereignisse in Berlin“ ab. Ist das der liberale Rechtsstaat, als der sich Deutschland zum 75-jährigen Jubiläum des Grundgesetzes präsentieren will?“ Kommentar von Kai Ambos vom 2. Mai 2024 beim Verfassungsblog externer Link
  • Deutsche Israel-Politik: Die falschen Lehren aus der Vergangenheit
    Deutschland ist auf einen gefährlichen Konfrontationskurs mit Meinungsfreiheit geraten. Das erinnert an die McCarthy-Ära (…) Eine deutsche Regierung aus Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen sichert einem Staat bedingungslose militärische und diplomatische Unterstützung zu, der sich gerade vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag wegen des Verdachts auf Völkermord verantworten muss – ein Verdacht, den das Gericht selbst als „plausibel“ einstuft. International renommierte Intellektuelle und Künstler – darunter auch jüdische Stimmen –, die sich für Menschenrechte und Völkerverständigung einsetzen, werden aus Deutschland ausgeladen, ihre Gastprofessuren abgesagt, ihre Preisverleihungen gecancelt, darunter Nancy Fraser, Laurie Anderson und Masha Gessen. Ihr Verbrechen: Die ausführlich dokumentierten Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen in Gaza beim Namen zu nennen und das zu fordern, was auch die UN-Vollversammlung mit überwältigender Mehrheit verlangt: Einen sofortigen und dauerhaften Waffenstillstand, um das besinnungslose Töten in Gaza zu beenden. Inzwischen sind mehr als 33.000 Menschen, darunter 13.000 Kinder, den Bombardements zum Opfer gefallen, eine Hungerkatastrophe zeichnet sich ab. Die Liste der Geächteten ist damit noch lange nicht beendet, sie wächst fast täglich weiter. Die Filmemacher Yuval Abraham aus Israel und Basel Adra aus Palästina, die für ihren Film „No Other Land“ über Vertreibungen in der Westbank den Dokumentarfilmpreis der Berlinale erhielten, wurden von Politik und führenden Medien des Antisemitismus bezichtigt, weil sie ein Ende der deutschen Waffenlieferungen an Israel forderten, die sich während des Krieges verzehnfacht hatten. Und weil sie es wagten, das Wort „Apartheid“ in den Mund zu nehmen, das die beiden weltweit führenden Menschenrechtsorganisationen Amnesty International und Human Rights Watch seit Jahren in Bezug auf Israel anwenden, nachdem sie dazu langjährige gründliche Studien vor Ort durchgeführt haben. (…)Und nicht nur das: Er hat inzwischen sogar mit einem Einreise- und Betätigungsverbot zu rechnen, wie etwa der ehemalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis und der weltweit renommierte britisch-palästinensische Chirurg und Rektor der Universität Glasgow, Ghassan Abu-Sittah, der am Berliner Flughafen mehrere Stunden festgehalten und dann zurückgeschickt wurde. Sittah hatte im Oktober und November für Ärzte ohne Grenzen im inzwischen zerstörten Al-Schifa-Hospital in Gaza während der ersten Phase der Bombardierungen gearbeitet und dem Internationalen Gerichtshof im Januar über seine Erfahrungen Bericht erstattet. Er und Varoufakis waren für den 12. bis 14. April zu einer Palästina-Konferenz in Berlin eingeladen, an der auch zahlreiche jüdische Teilnehmer beteiligt waren. Der dreitägige Kongress wurde allerdings nach zwei Stunden von der Polizei abgebrochen, die kurzerhand den Strom abstellte. Offizielle Begründung: das Streamen eines Onlinebeitrags des 87-jährigen palästinensischen Forschers und Autors Salman Abu Sitta. Über Sitta war wenige Tage zuvor ein Betätigungs- und Einreiseverbot verhängt worden, weil er in einem Artikel bemerkt hatte, dass er als junger Mann zu denen gehört haben könnte, die am 7. Oktober 2023 den blutigen Hamas-Anschlag auf Israel verübt haben. Auf welcher Rechtsgrundlage man einen ganzen Kongress abbrechen kann, weil ein einzelner Redner per Videobotschaft fragwürdige Äußerungen von sich gibt, bleibt ein Geheimnis der Behörden. (…) Angesichts einer um sich greifenden Cancel Culture gegenüber israelkritischen Veranstaltungen wenden sich auch zunehmend internationale Künstler und Intellektuelle von Deutschland ab. Die französische Literaturnobelpreisträgerin Annie Ernaux etwa schloss sich einer Initiative an, die zum Boykott von staatlichen deutschen Kultureinrichtungen aufruft, weil Deutschland eine Politik im „McCarthy-Stil“ betreibe, welche die freie Meinungsäußerung unterdrückt…“ Gastbeitrag von Fabian Scheidler vom 22. April 2024 in der Berliner Zeitung online externer Link
  • Debattenkultur zum Nahostkonflikt: Die Glocke von Gaza. Das aktuelle Staatsräson-Verständnis schadet unserem Land.
    „Deutschland sollte bei der Bewältigung der israelisch-palästinensischen Misere ein Partner sein. (…) Deutschland ist auf die abschüssige Bahn eines falsch verstandenen Exzeptionalismus geraten: Indem die Verantwortung für den Holocaust und die daraus folgenden außergewöhnlichen Verpflichtungen verengt wurden auf ein Bekenntnis zur israelischen Staatsverfasstheit und Politik. Und indem wir anderen vorschreiben, wie sie zu Israel zu denken haben, wenn sie deutschen Boden betreten. So ist ein schwüles Gemisch entstanden, eine seltsam auftrumpfende Weltabgewandtheit. Wir laden ein, um auszuladen. Und wir haben das Recht zu beleidigen, denn wir sind als Ex-Böse die einzig wahren Guten. Wobei Vorträge, Gastprofessuren oder Preisverleihungen meist nicht etwa gecancelt werden, weil die Verantwortlichen überzeugt wären, in ihrem Haus käme sonst Antisemitismus zu Wort. Sondern weil sie Angst haben, dies könne ihnen vorgeworfen werden. Also waschen sie ihre Hände auf Kosten anderer in Unschuld. Das Bekenntnis zu historischer deutscher Schuld ist zur Versicherungspolice mutiert: Ich bezeuge meine Reinheit, indem ich andere denunziere. Dies ist traurig, ja – und noch trauriger vor der Kulisse realen Leids in Gaza. Manches davon wirkt nur lächerlich, erratisch, armselig. Aber da ist etwas Dunkles, Beunruhigendes; zu oft straft das herrische Gutsein prominente jüdische Frauen ab. (…) Reich unsere Landschaft der Nahost-Wissenschaften, doch die Listen von ExpertInnen, die in hiesigen Einrichtungen als „risikofrei einladbar“ herumgereicht werden, sind erbärmlich kurz. Statt von Zensur spreche ich deshalb lieber von einer autoritären Bewirtschaftung des öffentlichen Worts – und von geistiger Selbstamputation. So macht sich Deutschland dümmer, als es sein müsste, während zugleich der Bedarf wächst, sich in der neuen Komplexität der Verhältnisse zurechtzufinden. Beispiel Rechtsextremismus in Israel: Bereits lange vor dem 7. Oktober taten sich viele Deutsche schwer, dieses Phänomen kognitiv und ethisch zu erfassen, dennoch wurden Verwirrung und Verunsicherung kaum Gegenstand öffentlicher Erörterung. Als israelische Oppositionelle von jüdischem Fundamentalismus, gar Faschismus sprachen, hielt sich die deutsche Politik die Ohren zu. (…) Es ist an der Zeit wahrzunehmen, wie in den USA große Minderheiten junger Juden:Jüdinnen auf Distanz zur israelischen Politik gehen, die Zustände in der Westbank umstandslos Apartheid nennen und sich radikaler als je zuvor auf die Seite der Palästinenser stellen. Der Begriff „ethnische Suprematie“, der die Kölner Universität veranlasste, der Philosophin Nancy Fraser eine Gastprofessur zu entziehen, dient vielen zur kritischen Beschreibung der Realität eines jüdischen Staats, der Nichtjuden Gleichheit verweigert. (…) Omri Boehm, hierzulande preisgekrönt, fordert gleichfalls die Überwindung dieses Staatskonzepts. Und die interessanteste israelisch-palästinensische Initiative für eine binationale Lösung („A Land for All“) basiert auf der Anerkennung, dass beide Völker ein Heimatgefühl „from the river to the sea“ haben. Warum denken wir das nicht aktiv mit? (…) Der Widerstand gegen gleiche Rechte für alle verbindet die AfD mit dem Trump-Lager in den USA und dem Radikalzionismus in Israel. Wer zu dieser Strömung gehören möchte, sollte es sagen und sich dann besser nicht auf eine Lehre aus der Schoah berufen.“ Kommentar von Charlotte Wiedemann vom 18. April 2024 in der taz online externer Link
  • Auflösung und Verbot des „Palästina Kongress“ samt Betätigungsverboten werfen grundrechtliche Fragen auf
    • Jurist über „Palästina-Kongress“: „Taktik hat dem Recht zu folgen“
      Anwalt Michael Plöse, der die VeranstalterInnen des „Palästina-Kongresses“ beraten hat, im Interview von Claudius Prösser vom 15. April 2024 in der taz online externer Link, zur polizeilichen Auflösung des Kongresses: „Bei dem Kongress handelte es sich um eine politische Versammlung in geschlossenen Räumen. Deshalb war sie im Gegensatz zu einer Versammlung unter freiem Himmel nicht anzeigepflichtig, und unsererseits bestand keine Notwendigkeit, die Polizei darüber zu informieren. Die hatte aber aus der Berichterstattung geschlossen, dass es zu einem Sicherheitsproblem kommen könnte, und die VeranstalterInnen zu einem Vorgespräch eingeladen. (…) Die Polizei hat uns klargemacht, dass sie vor Ort sein müsse, die VeranstalterInnen haben ihrerseits darum gebeten, dass die PolizistInnen im Raum erkennbar seien sollten. Sie teilten auch mit, welche Personen eingeladen sind und dass Redebeiträge von Auswärtigen abgespielt werden würden. Von uns wurde zugesichert, die eingeschickten Redebeiträge vorab auf mögliche strafbare Inhalte zu prüfen. (…) [Wir hörten] zum ersten Mal, dass der Redner Salman Abu Sitta, dessen Beitrag als Videoaufzeichnung abgespielt wurde, einem Betätigungsverbot unterliege – was wir nicht wussten und was er nicht wusste. Wir haben dann angeboten, den Beitrag zu überspringen und die Aufzeichnung der Staatsanwaltschaft zur Überprüfung vorzulegen. Unser Ziel war es, das Grußwort später noch abspielen zu können, wenn auch von behördlicher Seite keine strafbaren Inhalte festgestellt werden. Ein anwesender Staatsanwalt hatte dem Polizeiführer im Übrigen bestätigt, dass er keine strafbaren Aussagen vernommen habe. (…) Ein Betätigungsverbot ist eine Maßnahme, die im Aufenthaltsrecht geregelt ist. Es gibt dazu eine verwaltungsgerichtliche Entscheidung, dass das Abspielen von Audios oder Videos von Personen nicht von einem Betätigungsverbot betroffen ist, wenn sich die Person nicht in Deutschland aufhält. Das hat meine Kollegin Nadija Samour dem Verbindungsbeamten der Polizei versucht zu erklären. Der war damit natürlich überfordert und sagte nur, er gebe es weiter. (…) Wir hatten den Eindruck, dass da auch der Einsatzleitung immer wieder neue Dinge mitgeteilt wurden, die ihr vorher nicht bekannt waren, die sie aber sofort durchsetzen sollte. Das gilt auch für die Betätigungs- oder für Kontaktverbote des Landesamts für Einwanderung, die für bestimmte Teilnehmende des Kongresses nach dessen Beginn ausgesprochen wurden. Danach sollte ein Teilnehmer auch bei bestimmten Personen nicht übernachten dürfen. (…) Wir hatten am Freitag Widerspruch eingelegt, der ist mit Ende der geplanten Dauer des Kongresses hinfällig geworden. Jetzt ist nur der Gang vor das Verwaltungsgericht möglich, um nachträglich die Rechtmäßigkeit der Anordnung zu überprüfen. Wir als AnwältInnen empfehlen das, und es wird auch vorbereitet. (…) Und ich hoffe, dass die Polizei als Institution durch die Gerichte zumindest nachträglich so zurechtgewiesen wird, dass sie sich bei künftigen Einsätzen daran orientiert und politische Erwartungen unter Hinweis auf die bestehende Rechtsprechung zurückweisen kann. Das erwarte ich auch von ihr: Die Taktik hat dem Recht zu folgen, nicht umgekehrt.“ Siehe auch:
    • Erklärung des Anwält*innenKollektivs zu Auflösung und Verbot des „Palästina Kongress- Wir klagen an!“ geplant vom 12.4.-14.4.2024 in Berlin
      dokumentiert bei der SoZ online externer Link
    • Polizei löst Palästina-Kongress in Berlin auf: Verein »Jüdische Stimme« kritisiert Verbot der Veranstaltung
      Artikel von Simon Zamora Martin vom 14.04.2024 in ND online externer Link
    • Berliner Polizei löst Palästinakongress auf – Gegenproteste mit 9000 Teilnehmenden
      Meldung der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften vom 14. April 2024 externer Link
    • Zum Beispiel Yanis Varoufakis
    • Deutsche Vernunft darf niemals siegen. Eine Erklärung zur Verhinderung des Palästina-Kongresses
      „Wir verurteilen die gewaltsame Verhinderung des Palästina-Kongress durch die Berliner Politik und Polizei am 12. April. Als interventionistische Linke Frankfurt blicken wir mit Sorge auf den um sich greifenden Autoritarismus, der sowohl von Staat wie von Teilen der Gesellschaft, von politisch rechten wie von politisch liberalen Parteien angefeuert wird. Wir stehen und streiten für eine Kultur politischer Auseinandersetzung und lehnen verpolizeilichte Konfliktbearbeitung und -austragung fundamental ab. Das Verbot des Kongresses ist nicht die Spitze des Eisberges. Es ist Teil seiner breiten Grundfläche. Wir alle sind in den letzten Monaten Zeug:innen einer Politik geworden, in der palästinensische Positionen per se unter ständigem Generalverdacht stehen antisemitisch zu sein, damit delegitimiert werden und ihnen Raum und Ort der Artikulation verwehrt wurden. In der polizeilichen Verhinderung des Palästina-Kongress hat dies nun eine besonders besorgniserregende Dimension angenommen. Halten wir fest: Der Kongress und seine Beteiligten wurden öffentlich für schuldig befunden, bevor sie sich überhaupt eingefunden haben – Teil deutscher Leitkultur im Deckmantel des Polizeirechts, die durch pauschale Vorverurteilung Grundrechte wie das Versammlungsrecht schwerwiegend beschädigt. Auf deren Verletzung ist bereits durch andere und an anderer Stelle hingewiesen worden. (…) Es ist dabei kein Zufall, dass eben nicht alle, sondern ganz bestimmte Teile der Gesellschaft Zielscheibe dieser Ordnungspolitik sind. Es traf und trifft just jene, die durch den gesellschaftlichen und staatlichen Rassismus seit jeher an die Ränder unserer Dörfer und Städte gedrängt werden. Es sind in diesen Monaten zuallererst sie, die unter staatliche Beobachtung, Kontrolle und Sanktionierung gestellt werden. Es sind diejenigen, die auf Herz und Nieren überprüft werden, ob sie sich auch wirklich im stetig verengenden Meinungskorridor bewegen oder nicht – die, die per se unter Rechtfertigungszwang stehen. Ihre Grundrechte zu beschränken, begründet sich über ihre an- und vorweggenommene Schuldigkeit. Würden Bio-Deutsche in ähnlicher Weise überprüft werden, könnten wir einen relevanten Teil des politischen Establishments getrost aussortieren. Der Umgang mit dem Palästinakongress spiegelt das zutiefst rassistische, ablehnende und vorurteilsbeladene Verhältnis zur sich verändernden Zusammensetzung der postmigrantischen Gesellschaft wieder. Gleichzeitig erteilt man jüdischen Stimmen in Deutschland nur dann ein Recht zu sprechen, wenn sie mit dem Meinungskorridor der Staatsräson übereinstimmen. (…) Wieder sind es urdeutsch klingende Stimmen, die bestimmen, wer nach Deutschland kommen und wie und was hier gesprochen werden darf. (…) Solidarität steht und fällt für uns nicht mit Übereinstimmung der Positionen, sie ist für uns prinzipiell und als Prinzip aufrechtzuerhalten. Es ist Solidarität, in der wir über unsere Unterschiede zusammenkommen und in der wir uns gegen Repression behaupten. Erst dadurch entsteht der Raum, um politische Auseinandersetzung zwischen uns wieder zum Gegenstand machen zu können. Suchen wir die Risse im Beton des Meinungskorridors.“ Erklärung von Interventionistische Linke Frankfurt vom 26. April 2024 externer Link
    • Pressefreiheit unter Druck: Ver.di kritisiert Pressefeindlichkeit auf dem Palästina-Kongress in Berlin
      Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di, Landesverband Berlin-Brandenburg, verurteilt auf das Schärfste die Einschränkungen der Pressefreiheit, die sich während des sogenannten „Palästina-Kongresses“ und der „Demo gegen das Verbot des Palästina-Kongresses“ am vergangenen Wochenende in Berlin ereigneten. Dieser Kongress, der von den Behörden vorzeitig beendet wurde, zeige eine beunruhigende Missachtung des grundlegenden demokratischen Prinzips der Pressefreiheit, so die dju-Landesvorsitzende Renate Gensch. Der Veranstalter sowie Teilnehmer des Kongresses hatten wiederholt versucht, eine unabhängige und freie Berichterstattung zu verhindern. Einige Journalistinnen und Journalisten wurden sogar gezielt am Zugang zur öffentlichen Versammlung gehindert, weil sie für Axel Springer, dpa oder den Stern arbeiten, was eine direkte Attacke auf die Pressefreiheit darstelle, erklärt die dju Berlin-Brandenburg. Die Polizei Berlin hat angesichts dieser Einschränkungen der Pressefreiheit ihren gesetzlichen Auftrag wahrgenommen und die Pressefreiheit durchgesetzt, indem sie die Teilnahme von mindestens 40 Journalisten gewährleistete – unabhängig von der Auswahl des Veranstalters – und den Pressebereich vor Übergriffen durch die Teilnehmer absicherte…“ Pressemitteilung der dju vom 16.04.2024 externer Link
  • Pro-Palästina Demos nicht erlaubt? Versammlungsfreiheit nur für Deutsche? Eine Debatte und aktuelle Praxis, die nicht nur den UN-Menschenrechtsrat besorgt
    • Pro-Palästina Demos nicht erlaubt? Ethnographische und rechtliche Anmerkungen
      Der verbrecherische Angriff der Hamas auf Israel hat auch in Deutschland zu heftigen Reaktionen geführt. Die Politik hat die Unterstützung Israels zur Staatsräson erklärt. Dennoch wird auch für die Unterstützung der Palästinenser*innen demonstriert. Versammlungsbehörden und Polizei schritten hiergegen im Oktober 2023 in breitem Umfang ein. Totalverbote von Versammlungen waren in Berlin-Neukölln, wo viele Menschen mit palästinensischem oder arabischem Hintergrund leben, über viele Tage die Regel. Dies wird nachfolgend aus ethnographischer und rechtlicher Sicht näher betrachtet. Ist dieses staatliche Vorgehen mit der Versammlungsfreiheit vereinbar, und war die überzogene und rechtlich fragwürdige staatliche Reaktion nicht gerade Anlass für zum Teil gewalttätige Auseinandersetzungen? (…) Bis Ende Oktober wurde eine Vielzahl von Versammlungen oder Solidaritätsbekundungen mit Bezug zu Palästina von Versammlungsbehörden und der Polizei als „israelfeindlich“ eingeordnet, aufgelöst und/oder verboten. Die Berliner Polizeipräsidentin verweist darauf, dass in Berlin „nur“ rund die Hälfte der Versammlungen zu Palästina verboten worden sei, wobei just am Tag dieser Mitteilung ein neues Verbot erfolgte. Wozu dies führt, soll am Beispiel Berlin (insbesondere Berlin-Neukölln) illustriert und anschließend rechtlich bewertet werden. Dabei geht es um die Frage, ob Versammlungs- und Meinungsäußerungsverbote zielführend sind, um Gewalt zu verhindern sowie Antisemitismus und Israelfeindlichkeit zu bekämpfen oder ob dadurch nicht gerade auch den vielen Menschen mit Verwandten im Gaza-Streifen oder der West Bank die Gelegenheit genommen wird, auf ihre Sicht und Traumata hinzuweisen (…) Nach Art. 8 Abs. 1 Grundgesetz (GG) genießen nur „Deutsche“ Versammlungsfreiheit als Grundrecht.[14] Dieser begrenzte Schutz wird allerdings erweitert, wenn Landesverfassungen (z. B. Art. 26 Verfassung von Berlin) das Grundrecht auf alle Männer und Frauen oder alle „Bewohner“ (so Art. 113 Bayerische Verfassung) erstrecken, was in der aufgeregten Diskussion, ob auch „Palästinenser“ in Deutschland demonstrieren dürften, übersehen wird. Nach dem Versammlungsgesetz (VersG) des Bundes von 1953 hat „Jedermann“ das Recht, sich zu versammeln. Auch Berlin gewährt dieses Recht in § 1 Versammlungsfreiheitsgesetz Berlin (VersFG Bln) jeder Person. So auch Art. 11 EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention). Hinzu kommt, dass die Versammlungsbehörden und Polizei schwerlich vor jeder Demo die Ausweise kontrollieren können, um festzustellen, ob es sich wirklich um „Deutsche“ handelt. Derartige Kontrollen wären zudem mit Art. 8 GG und dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung nicht vereinbar. Schutz nach Art. 8 GG genießen allein Versammlungen, die „friedlich und ohne Waffen“ stattfinden. Könnten etwa Rufe wie der nach einer „Auslöschung Israels“ nicht unfriedlich sein, wie jüngst von einem Berliner Verfassungsrechtler vertreten?[15] Die Antwort ist Nein, auch wenn dies eine Straftat darstellen dürfte: Unfriedlich ist eine Versammlung nach gängigem Verständnis in der Literatur und Rechtsprechung nur, wenn sie einen gewalttätigen oder aufrührerischen Verlauf nimmt oder unmittelbar anstrebt (…) Eine Genehmigung für Versammlungen braucht in Deutschland niemand. Es gibt mithin keine „genehmigten“ oder „nicht genehmigten“ Demonstrationen, sondern allenfalls solche, die beschränkt, verboten oder aufgelöst werden. Man muss Versammlungen entgegen dem Wortlaut des Art. 8 Abs. 2 GG aber der zuständigen Versammlungsbehörde anzeigen (anmelden), soweit es sich nicht um eine Spontanversammlung handelt. Dies alles gilt selbstredend auch für „Palästinenser-Demonstrationen“. Mit Blick auf den Nationalsozialismus und die Shoah hat Deutschland die Sicherheit Israels zur deutschen Staatsräson erklärt. Rechtlich ausbuchstabiert ist dies jedoch nicht. Unstrittig sollte indes bis hin in die Versammlungsbehörden und Polizei sein, dass die Staatsräson die Verfassung, die Grundrechte und auch das einfache Gesetz nicht einschränken oder gar verdrängen kann. (…) Eine Reihe weiterer Städte hat neben Berlin nach dem 7. Oktober durch Allgemeinverfügungen oder Verbot von einzelnen (nicht angemeldeten resp. angezeigten) Versammlungen mit einem über Tage und Wochen hinaus geltenden Verbot von „Ersatzveranstaltungen“ längerfristige und flächendeckende Beschränkungen der Versammlungsfreiheit unabhängig von der Gefahrenprognose für eine bestimmte Versammlung angeordnet, so etwa Augsburg, Bremen, Hamburg, München und eben auch Berlin. Mit Versammlungsfreiheit im Sinne eines Meinungsstreits ist dies nicht vereinbar.
      Fazit
      Verbote „pro-palästinensischer“ Demonstrationen mit einer „unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ zu begründen, ist eine Abkehr von einer über Jahrzehnte etablierten Praxis und Rechtsprechung. Verbote (vor einer Versammlung) und Versammlungsauflösungen stellen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die schwerste mögliche Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit dar. Das vollständige Verbot einer Versammlung wegen möglicher Meinungskundgaben durch einen Teil der Teilnehmer*innen ist damit allenfalls in seltenen Ausnahmefällen zulässig, nicht aber, wenn dies wie in Berlin die Regel wird. Dieses Vorgehen spiegelt eine Entwicklung wider, die mit wochenlangen Totalverboten während der Corona Pandemie begann und eine Fortsetzung in den Reaktionen der Versammlungsbehörden und Polizei gegen „Klimakleber“ fand…“ Artikel von Clemens Arzt und Alexander Bosch vom 2. November 2023 aus CILIP 133 externer Link – siehe dennoch:  
    • Pro-palästinensische Proteste: Versammlungsfreiheit nur für Deutsche?
      Fremdsprachenverbot auf Demonstrationen, Versammlungen nur noch für Deutsche. Fast täglich gibt es neue Vorschläge, die Versammlungsfreiheit einzuschränken. Was geht und was nicht.
      Die Idee von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger war so radikal, dass die frühere Bundesjustizministerin und heutige NRW-Antisemitismusbeauftragte schnell zurückruderte. Im WDR-Magazin Westpol hatte sie am Wochenende erklärt, dass die Versammlungsfreiheit eines von wenigen sogenannten Grundrechten sei, das nur Deutschen zustehe. Leutheusser-Schnarrenberger legte der Polizei deshalb nahe, bei Versammlungsleitern mit ausländischer Staatsbürgerschaft „mal im Vorhinein ein Verbot auszusprechen“ – Versammlungen von Menschen mit ausländischer Staatsbürgerschaft also stärker zu verbieten. Heute stellte sie gegenüber der dpa klar, dass natürlich auch Ausländer ein Versammlungsrecht hätten. Doch auch NRW-Innenminister Herbert Reul denkt über Einschränkungen bei der Versammlungsfreiheit nach. Er sah die IS-ähnlichen Banner in den Straßen der Stadt Essen im Ruhrgebiet in der vergangenen Woche nicht gerne – und lässt sein Ministerium nun prüfen, ob Deutsch künftig die verbindliche Sprache auf Demonstrationen sein müsste und was gegen die Banner getan werden kann
      …“ Beitrag von Ann-Kathrin Jeske vom 13.11.2023 in ZDF externer Link anschließend zur Rechtslage. Siehe daher:
    • Lage der Menschenrechte in Deutschland: Verbot pro-­pa­läs­ti­nen­si­scher Demos besorgt UN
      Polizeigewalt, Rassismus, häusliche Gewalt – aber auch das Verbot von Versammlungen: Der UN-Menschenrechtsrat hat die humanitäre Lage in Deutschland geprüft und der Bundesregierung Empfehlungen mit auf den Weg gegeben. (…) Die Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte (DIMR), Prof. Beate Rudolf, berichtete im Nachgang zur Sitzung gegenüber LTO, dass von vielen Staaten auch das Verbot von pro-palästinensischen Demonstrationen in einer Reihe von deutschen Städten angesprochen worden sei. „Auch wenn die Bundesregierung darauf zu Recht erwiderte, dass über jedes einzelne Verbot auf der Grundlage einer sorgfältigen Prognose entschieden werden muss, wäre ein klares Bekenntnis dazu angezeigt gewesen, dass Verbote nur das letzte Mittel sein dürfen“, so Rudolf…“ Artikel von Hasso Suliak vom 09.11.2023 in LTO online externer Link
  • „Großes Fragezeichen“. Verfassungsrechtler: Verbote von Pro-Palästina-Demos problematisch 
    Mit einem „großen Fragezeichen“ versieht Verfassungsrechtler Michael Wrase die Rechtmäßigkeit pauschaler Verbote von Pro-Palästina-Demos. Kritisch bewertet der Jurist auch die Vorgabe an Berliner Schulen, „Palästinensertücher“ zu verbieten.
    Der Verfassungsrechtler Michael Wrase hält die vor allem in Berlin erlassenen Verbote pro-palästinensischer Solidaritätsbekundungen auf Versammlungen oder in Schulen teilweise für problematisch. Eingriffe in die Versammlungsfreiheit seien nur dann zulässig, „wenn von der Versammlung selbst eine unmittelbare Gefährdung für die öffentliche Ordnung, für die öffentliche Sicherheit, ausgeht“, sagte der Rechtswissenschaftler von der Universität Hildesheim am Donnerstag in einem Online-Pressegespräch des Mediendienstes Integration. Dies sei nur dann der Fall, wenn strafbare Handlungen zu erwarten seien, „aber nicht nur von Einzelnen auf der Versammlung, sondern eben meinetwegen von einer Mehrheit oder auch ausgehend von den Veranstaltern“.Momentan werde damit argumentiert, dass die Konfliktlage so aufgeladen sei, dass quasi bei jeder dieser Versammlung erst einmal davon ausgegangen werden müsse, dass es dort zu strafbaren Handlungen wie der Billigung von Terrorangriffen auf Israel komme, sagte Wrase. „Ob in dieser Pauschalität tatsächlich solche weitreichenden Verbote gerechtfertigt erscheinen, das würde ich mal mit einem großen Fragezeichen versehen“, fügte er hinzu. (…) Mit ihrem Rundschreiben an die Schulleitungen habe sich Berlins Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch in einer „Grauzone“ bewegt, sagte der Jurist. Die CDU-Politikerin hatte darin am 13. Oktober festgehalten, auch das Mitführen von nicht strafrechtlich relevanten Symbolen, wie etwa Aufkleber mit Aufschriften wie „Free Palestine“ oder das sogenannte Palästinensertuch, solle zur Wahrung des Schulfriedens in Berliner Schulen untersagt werden…“ Beitrag vom 19.10.2023 im Migazin externer Link
  • Bayerisches Verwaltungsgericht hebt Verbot von Propalästinademo auf
    Die Demo unter dem Motto Menschenrechte und Völkerrecht auch für Palästina wurde von der Stadt München verboten. Nach einem Eilantrag wurde das Verbot gekippt. (…) Die Versammlungsbehörde habe aber nicht ausreichend darlegt, dass die mit 50 Teilnehmern angezeigte Versammlung mit diesen Versammlungen in anderen Städten vergleichbar sei, erklärte das Gericht weiter. Auch sei es bei einer ähnlichen Versammlung in Nürnberg zu keinen oder nur geringen Störungen der öffentlichen Ordnung gekommen. Die Stadt München habe zudem nicht ausreichend geprüft, ob anstelle des Verbots auch etwa Auflagen für die Versammlung in Betracht gekommen wären…“ Agenturmeldung vom 19. Oktober 2023 in der Zeit online externer Link
  • Pro-palästinensische Äußerungen: Wie weit geht die Meinungsfreiheit?
    Parolen wie „From the river to the sea – Palestine will be free“ sind derzeit häufig auf Pro-Palästina-Demos zu hören. Sind sie strafbar? Wie weit geht die Meinungsfreiheit – und was gilt im Arbeitsrecht?…“ FAQ von Christoph Kehlbach, ARD-Rechtsredaktion, vom 19.10.2023 in tagesschau.de externer Link
  • Palästinenser in Deutschland: Friedliche Stimmen hören!
    Die Verherrlichung von Mord darf nicht geduldet werden. Aber friedliche palästinensische Stimmen müssen hierzulande weiterhin Gehör finden dürfen…“ Gastkommentar von René Wildangel vom 18.10.2023 in der taz online externer Link
  • Ist Jubel über Terror strafbar?
    Nach den Hamas-Morden an über 1.400 Israelis kam es auf deutschen Straßen zu Sympathiebekundungen oder gar Jubel. Die Staatsanwaltschaft Berlin ermittelt. Doch ab wann wird die Grenze zur Strafbarkeit wirklich überschritten, Herr Fischer? Die Antwort auf diese Frage muss leider einmal mehr lauten: Es kommt darauf an. Denn was „Jubel“ ist, ist ebenso konkretisierungsbedürftig wie der Begriff des „Terrors“. Und ob etwas strafbar ist, ist – zum Glück – hierzulande stets „eine Frage des Einzelfalls“, also der so genannten Tatumstände…“ Beitrag von von Prof. Dr. Thomas Fischer vom 16.10.2023 in LTO online externer Link
  • In #Berlin werden Versammlungen mit Palästinabezug pauschal verboten. Das ist verfassungswidrig. Erstens ist JEDE angezeigte Versammlung einzeln zu bewerten, nicht einfach Demoverbotszeiträume zu erlassen. Zudem ist „wahrscheinliches Sympathisieren“ kein hinreichd. Verbotsgrund. (…)Und noch etwas: Menschen müssen in einer Demokratie gegen die Bombardierung ihrer Familien und Freunde demonstrieren können. Und es sollten viel mehr Menschen gegen diese pauschalen Vergeltungsschläge demonstrieren, die die Zivilbevölkerung treffen und das Leid potenzieren.Tweet von Grundrechtekomitee vom 13. Okt. 2023 externer Link

Siehe zum Hintergrund:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=215739
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