Pro-palästinensische Demos: Ist ein Verbot im Namen der „Staatsräson“ richtig?

Dossier

Demonstrationsrecht verteidigen!„… Die Angriffe der Hamas auf israelische Zivilist*innen sind barbarische Kriegsverbrechen. Jubelbekundungen der Massaker sind widerwärtig. Punkt. Kein Aber. Dass Palästina-Solidaritätsdemonstrationen in Berlin verboten wurden, ist trotzdem falsch. Die Polizei argumentiert, dass es bei den Protesten zu antisemitischen Ausrufen, Gewaltverherrlichungen oder Gewalt kommen könnte. Könnte. Und genau da sind wir beim Kern des Problems. So verständlich es ist, angesichts der Gräueltaten der Hamas alles, was diese auch nur irgendwie legitimieren könnte, aus dem öffentlichen Raum verbannen zu wollen, ist dies mit dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit in einer demokratischen Gesellschaft schlicht nicht zu vereinen…“ Marie Frank in Pro und Contra von Erik Peter und Marie Frank am 11.10.2023 in der taz online externer Link („Ist ein Verbot richtig?“) – siehe weiteren Beiträge zur Debatte:

  • Deutsche Israel-Politik: Die falschen Lehren aus der Vergangenheit New
    Deutschland ist auf einen gefährlichen Konfrontationskurs mit Meinungsfreiheit geraten. Das erinnert an die McCarthy-Ära (…) Eine deutsche Regierung aus Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen sichert einem Staat bedingungslose militärische und diplomatische Unterstützung zu, der sich gerade vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag wegen des Verdachts auf Völkermord verantworten muss – ein Verdacht, den das Gericht selbst als „plausibel“ einstuft. International renommierte Intellektuelle und Künstler – darunter auch jüdische Stimmen –, die sich für Menschenrechte und Völkerverständigung einsetzen, werden aus Deutschland ausgeladen, ihre Gastprofessuren abgesagt, ihre Preisverleihungen gecancelt, darunter Nancy Fraser, Laurie Anderson und Masha Gessen. Ihr Verbrechen: Die ausführlich dokumentierten Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen in Gaza beim Namen zu nennen und das zu fordern, was auch die UN-Vollversammlung mit überwältigender Mehrheit verlangt: Einen sofortigen und dauerhaften Waffenstillstand, um das besinnungslose Töten in Gaza zu beenden. Inzwischen sind mehr als 33.000 Menschen, darunter 13.000 Kinder, den Bombardements zum Opfer gefallen, eine Hungerkatastrophe zeichnet sich ab. Die Liste der Geächteten ist damit noch lange nicht beendet, sie wächst fast täglich weiter. Die Filmemacher Yuval Abraham aus Israel und Basel Adra aus Palästina, die für ihren Film „No Other Land“ über Vertreibungen in der Westbank den Dokumentarfilmpreis der Berlinale erhielten, wurden von Politik und führenden Medien des Antisemitismus bezichtigt, weil sie ein Ende der deutschen Waffenlieferungen an Israel forderten, die sich während des Krieges verzehnfacht hatten. Und weil sie es wagten, das Wort „Apartheid“ in den Mund zu nehmen, das die beiden weltweit führenden Menschenrechtsorganisationen Amnesty International und Human Rights Watch seit Jahren in Bezug auf Israel anwenden, nachdem sie dazu langjährige gründliche Studien vor Ort durchgeführt haben. (…)Und nicht nur das: Er hat inzwischen sogar mit einem Einreise- und Betätigungsverbot zu rechnen, wie etwa der ehemalige griechische Finanzminister Yanis Varoufakis und der weltweit renommierte britisch-palästinensische Chirurg und Rektor der Universität Glasgow, Ghassan Abu-Sittah, der am Berliner Flughafen mehrere Stunden festgehalten und dann zurückgeschickt wurde. Sittah hatte im Oktober und November für Ärzte ohne Grenzen im inzwischen zerstörten Al-Schifa-Hospital in Gaza während der ersten Phase der Bombardierungen gearbeitet und dem Internationalen Gerichtshof im Januar über seine Erfahrungen Bericht erstattet. Er und Varoufakis waren für den 12. bis 14. April zu einer Palästina-Konferenz in Berlin eingeladen, an der auch zahlreiche jüdische Teilnehmer beteiligt waren. Der dreitägige Kongress wurde allerdings nach zwei Stunden von der Polizei abgebrochen, die kurzerhand den Strom abstellte. Offizielle Begründung: das Streamen eines Onlinebeitrags des 87-jährigen palästinensischen Forschers und Autors Salman Abu Sitta. Über Sitta war wenige Tage zuvor ein Betätigungs- und Einreiseverbot verhängt worden, weil er in einem Artikel bemerkt hatte, dass er als junger Mann zu denen gehört haben könnte, die am 7. Oktober 2023 den blutigen Hamas-Anschlag auf Israel verübt haben. Auf welcher Rechtsgrundlage man einen ganzen Kongress abbrechen kann, weil ein einzelner Redner per Videobotschaft fragwürdige Äußerungen von sich gibt, bleibt ein Geheimnis der Behörden. (…) Angesichts einer um sich greifenden Cancel Culture gegenüber israelkritischen Veranstaltungen wenden sich auch zunehmend internationale Künstler und Intellektuelle von Deutschland ab. Die französische Literaturnobelpreisträgerin Annie Ernaux etwa schloss sich einer Initiative an, die zum Boykott von staatlichen deutschen Kultureinrichtungen aufruft, weil Deutschland eine Politik im „McCarthy-Stil“ betreibe, welche die freie Meinungsäußerung unterdrückt…“ Gastbeitrag von Fabian Scheidler vom 22. April 2024 in der Berliner Zeitung online externer Link
  • Debattenkultur zum Nahostkonflikt: Die Glocke von Gaza. Das aktuelle Staatsräson-Verständnis schadet unserem Land.
    „Deutschland sollte bei der Bewältigung der israelisch-palästinensischen Misere ein Partner sein. (…) Deutschland ist auf die abschüssige Bahn eines falsch verstandenen Exzeptionalismus geraten: Indem die Verantwortung für den Holocaust und die daraus folgenden außergewöhnlichen Verpflichtungen verengt wurden auf ein Bekenntnis zur israelischen Staatsverfasstheit und Politik. Und indem wir anderen vorschreiben, wie sie zu Israel zu denken haben, wenn sie deutschen Boden betreten. So ist ein schwüles Gemisch entstanden, eine seltsam auftrumpfende Weltabgewandtheit. Wir laden ein, um auszuladen. Und wir haben das Recht zu beleidigen, denn wir sind als Ex-Böse die einzig wahren Guten. Wobei Vorträge, Gastprofessuren oder Preisverleihungen meist nicht etwa gecancelt werden, weil die Verantwortlichen überzeugt wären, in ihrem Haus käme sonst Antisemitismus zu Wort. Sondern weil sie Angst haben, dies könne ihnen vorgeworfen werden. Also waschen sie ihre Hände auf Kosten anderer in Unschuld. Das Bekenntnis zu historischer deutscher Schuld ist zur Versicherungspolice mutiert: Ich bezeuge meine Reinheit, indem ich andere denunziere. Dies ist traurig, ja – und noch trauriger vor der Kulisse realen Leids in Gaza. Manches davon wirkt nur lächerlich, erratisch, armselig. Aber da ist etwas Dunkles, Beunruhigendes; zu oft straft das herrische Gutsein prominente jüdische Frauen ab. (…) Reich unsere Landschaft der Nahost-Wissenschaften, doch die Listen von ExpertInnen, die in hiesigen Einrichtungen als „risikofrei einladbar“ herumgereicht werden, sind erbärmlich kurz. Statt von Zensur spreche ich deshalb lieber von einer autoritären Bewirtschaftung des öffentlichen Worts – und von geistiger Selbstamputation. So macht sich Deutschland dümmer, als es sein müsste, während zugleich der Bedarf wächst, sich in der neuen Komplexität der Verhältnisse zurechtzufinden. Beispiel Rechtsextremismus in Israel: Bereits lange vor dem 7. Oktober taten sich viele Deutsche schwer, dieses Phänomen kognitiv und ethisch zu erfassen, dennoch wurden Verwirrung und Verunsicherung kaum Gegenstand öffentlicher Erörterung. Als israelische Oppositionelle von jüdischem Fundamentalismus, gar Faschismus sprachen, hielt sich die deutsche Politik die Ohren zu. (…) Es ist an der Zeit wahrzunehmen, wie in den USA große Minderheiten junger Juden:Jüdinnen auf Distanz zur israelischen Politik gehen, die Zustände in der Westbank umstandslos Apartheid nennen und sich radikaler als je zuvor auf die Seite der Palästinenser stellen. Der Begriff „ethnische Suprematie“, der die Kölner Universität veranlasste, der Philosophin Nancy Fraser eine Gastprofessur zu entziehen, dient vielen zur kritischen Beschreibung der Realität eines jüdischen Staats, der Nichtjuden Gleichheit verweigert. (…) Omri Boehm, hierzulande preisgekrönt, fordert gleichfalls die Überwindung dieses Staatskonzepts. Und die interessanteste israelisch-palästinensische Initiative für eine binationale Lösung („A Land for All“) basiert auf der Anerkennung, dass beide Völker ein Heimatgefühl „from the river to the sea“ haben. Warum denken wir das nicht aktiv mit? (…) Der Widerstand gegen gleiche Rechte für alle verbindet die AfD mit dem Trump-Lager in den USA und dem Radikalzionismus in Israel. Wer zu dieser Strömung gehören möchte, sollte es sagen und sich dann besser nicht auf eine Lehre aus der Schoah berufen.“ Kommentar von Charlotte Wiedemann vom 18. April 2024 in der taz online externer Link
  • Auflösung und Verbot des „Palästina Kongress“ samt Betätigungsverboten werfen grundrechtliche Fragen auf
    • Jurist über „Palästina-Kongress“: „Taktik hat dem Recht zu folgen“
      Anwalt Michael Plöse, der die VeranstalterInnen des „Palästina-Kongresses“ beraten hat, im Interview von Claudius Prösser vom 15. April 2024 in der taz online externer Link, zur polizeilichen Auflösung des Kongresses: „Bei dem Kongress handelte es sich um eine politische Versammlung in geschlossenen Räumen. Deshalb war sie im Gegensatz zu einer Versammlung unter freiem Himmel nicht anzeigepflichtig, und unsererseits bestand keine Notwendigkeit, die Polizei darüber zu informieren. Die hatte aber aus der Berichterstattung geschlossen, dass es zu einem Sicherheitsproblem kommen könnte, und die VeranstalterInnen zu einem Vorgespräch eingeladen. (…) Die Polizei hat uns klargemacht, dass sie vor Ort sein müsse, die VeranstalterInnen haben ihrerseits darum gebeten, dass die PolizistInnen im Raum erkennbar seien sollten. Sie teilten auch mit, welche Personen eingeladen sind und dass Redebeiträge von Auswärtigen abgespielt werden würden. Von uns wurde zugesichert, die eingeschickten Redebeiträge vorab auf mögliche strafbare Inhalte zu prüfen. (…) [Wir hörten] zum ersten Mal, dass der Redner Salman Abu Sitta, dessen Beitrag als Videoaufzeichnung abgespielt wurde, einem Betätigungsverbot unterliege – was wir nicht wussten und was er nicht wusste. Wir haben dann angeboten, den Beitrag zu überspringen und die Aufzeichnung der Staatsanwaltschaft zur Überprüfung vorzulegen. Unser Ziel war es, das Grußwort später noch abspielen zu können, wenn auch von behördlicher Seite keine strafbaren Inhalte festgestellt werden. Ein anwesender Staatsanwalt hatte dem Polizeiführer im Übrigen bestätigt, dass er keine strafbaren Aussagen vernommen habe. (…) Ein Betätigungsverbot ist eine Maßnahme, die im Aufenthaltsrecht geregelt ist. Es gibt dazu eine verwaltungsgerichtliche Entscheidung, dass das Abspielen von Audios oder Videos von Personen nicht von einem Betätigungsverbot betroffen ist, wenn sich die Person nicht in Deutschland aufhält. Das hat meine Kollegin Nadija Samour dem Verbindungsbeamten der Polizei versucht zu erklären. Der war damit natürlich überfordert und sagte nur, er gebe es weiter. (…) Wir hatten den Eindruck, dass da auch der Einsatzleitung immer wieder neue Dinge mitgeteilt wurden, die ihr vorher nicht bekannt waren, die sie aber sofort durchsetzen sollte. Das gilt auch für die Betätigungs- oder für Kontaktverbote des Landesamts für Einwanderung, die für bestimmte Teilnehmende des Kongresses nach dessen Beginn ausgesprochen wurden. Danach sollte ein Teilnehmer auch bei bestimmten Personen nicht übernachten dürfen. (…) Wir hatten am Freitag Widerspruch eingelegt, der ist mit Ende der geplanten Dauer des Kongresses hinfällig geworden. Jetzt ist nur der Gang vor das Verwaltungsgericht möglich, um nachträglich die Rechtmäßigkeit der Anordnung zu überprüfen. Wir als AnwältInnen empfehlen das, und es wird auch vorbereitet. (…) Und ich hoffe, dass die Polizei als Institution durch die Gerichte zumindest nachträglich so zurechtgewiesen wird, dass sie sich bei künftigen Einsätzen daran orientiert und politische Erwartungen unter Hinweis auf die bestehende Rechtsprechung zurückweisen kann. Das erwarte ich auch von ihr: Die Taktik hat dem Recht zu folgen, nicht umgekehrt.“ Siehe auch:
    • Erklärung des Anwält*innenKollektivs zu Auflösung und Verbot des „Palästina Kongress- Wir klagen an!“ geplant vom 12.4.-14.4.2024 in Berlin
      dokumentiert bei der SoZ online externer Link
    • Polizei löst Palästina-Kongress in Berlin auf: Verein »Jüdische Stimme« kritisiert Verbot der Veranstaltung
      Artikel von Simon Zamora Martin vom 14.04.2024 in ND online externer Link
    • Berliner Polizei löst Palästinakongress auf – Gegenproteste mit 9000 Teilnehmenden
      Meldung der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften vom 14. April 2024 externer Link
    • Zum Beispiel Yanis Varoufakis
    • Deutsche Vernunft darf niemals siegen. Eine Erklärung zur Verhinderung des Palästina-Kongresses
      „Wir verurteilen die gewaltsame Verhinderung des Palästina-Kongress durch die Berliner Politik und Polizei am 12. April. Als interventionistische Linke Frankfurt blicken wir mit Sorge auf den um sich greifenden Autoritarismus, der sowohl von Staat wie von Teilen der Gesellschaft, von politisch rechten wie von politisch liberalen Parteien angefeuert wird. Wir stehen und streiten für eine Kultur politischer Auseinandersetzung und lehnen verpolizeilichte Konfliktbearbeitung und -austragung fundamental ab. Das Verbot des Kongresses ist nicht die Spitze des Eisberges. Es ist Teil seiner breiten Grundfläche. Wir alle sind in den letzten Monaten Zeug:innen einer Politik geworden, in der palästinensische Positionen per se unter ständigem Generalverdacht stehen antisemitisch zu sein, damit delegitimiert werden und ihnen Raum und Ort der Artikulation verwehrt wurden. In der polizeilichen Verhinderung des Palästina-Kongress hat dies nun eine besonders besorgniserregende Dimension angenommen. Halten wir fest: Der Kongress und seine Beteiligten wurden öffentlich für schuldig befunden, bevor sie sich überhaupt eingefunden haben – Teil deutscher Leitkultur im Deckmantel des Polizeirechts, die durch pauschale Vorverurteilung Grundrechte wie das Versammlungsrecht schwerwiegend beschädigt. Auf deren Verletzung ist bereits durch andere und an anderer Stelle hingewiesen worden. (…) Es ist dabei kein Zufall, dass eben nicht alle, sondern ganz bestimmte Teile der Gesellschaft Zielscheibe dieser Ordnungspolitik sind. Es traf und trifft just jene, die durch den gesellschaftlichen und staatlichen Rassismus seit jeher an die Ränder unserer Dörfer und Städte gedrängt werden. Es sind in diesen Monaten zuallererst sie, die unter staatliche Beobachtung, Kontrolle und Sanktionierung gestellt werden. Es sind diejenigen, die auf Herz und Nieren überprüft werden, ob sie sich auch wirklich im stetig verengenden Meinungskorridor bewegen oder nicht – die, die per se unter Rechtfertigungszwang stehen. Ihre Grundrechte zu beschränken, begründet sich über ihre an- und vorweggenommene Schuldigkeit. Würden Bio-Deutsche in ähnlicher Weise überprüft werden, könnten wir einen relevanten Teil des politischen Establishments getrost aussortieren. Der Umgang mit dem Palästinakongress spiegelt das zutiefst rassistische, ablehnende und vorurteilsbeladene Verhältnis zur sich verändernden Zusammensetzung der postmigrantischen Gesellschaft wieder. Gleichzeitig erteilt man jüdischen Stimmen in Deutschland nur dann ein Recht zu sprechen, wenn sie mit dem Meinungskorridor der Staatsräson übereinstimmen. (…) Wieder sind es urdeutsch klingende Stimmen, die bestimmen, wer nach Deutschland kommen und wie und was hier gesprochen werden darf. (…) Solidarität steht und fällt für uns nicht mit Übereinstimmung der Positionen, sie ist für uns prinzipiell und als Prinzip aufrechtzuerhalten. Es ist Solidarität, in der wir über unsere Unterschiede zusammenkommen und in der wir uns gegen Repression behaupten. Erst dadurch entsteht der Raum, um politische Auseinandersetzung zwischen uns wieder zum Gegenstand machen zu können. Suchen wir die Risse im Beton des Meinungskorridors.“ Erklärung von Interventionistische Linke Frankfurt vom 26. April 2024 externer Link
    • Pressefreiheit unter Druck: Ver.di kritisiert Pressefeindlichkeit auf dem Palästina-Kongress in Berlin
      Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di, Landesverband Berlin-Brandenburg, verurteilt auf das Schärfste die Einschränkungen der Pressefreiheit, die sich während des sogenannten „Palästina-Kongresses“ und der „Demo gegen das Verbot des Palästina-Kongresses“ am vergangenen Wochenende in Berlin ereigneten. Dieser Kongress, der von den Behörden vorzeitig beendet wurde, zeige eine beunruhigende Missachtung des grundlegenden demokratischen Prinzips der Pressefreiheit, so die dju-Landesvorsitzende Renate Gensch. Der Veranstalter sowie Teilnehmer des Kongresses hatten wiederholt versucht, eine unabhängige und freie Berichterstattung zu verhindern. Einige Journalistinnen und Journalisten wurden sogar gezielt am Zugang zur öffentlichen Versammlung gehindert, weil sie für Axel Springer, dpa oder den Stern arbeiten, was eine direkte Attacke auf die Pressefreiheit darstelle, erklärt die dju Berlin-Brandenburg. Die Polizei Berlin hat angesichts dieser Einschränkungen der Pressefreiheit ihren gesetzlichen Auftrag wahrgenommen und die Pressefreiheit durchgesetzt, indem sie die Teilnahme von mindestens 40 Journalisten gewährleistete – unabhängig von der Auswahl des Veranstalters – und den Pressebereich vor Übergriffen durch die Teilnehmer absicherte…“ Pressemitteilung der dju vom 16.04.2024 externer Link
  • Pro-Palästina Demos nicht erlaubt? Versammlungsfreiheit nur für Deutsche? Eine Debatte und aktuelle Praxis, die nicht nur den UN-Menschenrechtsrat besorgt
    • Pro-Palästina Demos nicht erlaubt? Ethnographische und rechtliche Anmerkungen
      Der verbrecherische Angriff der Hamas auf Israel hat auch in Deutschland zu heftigen Reaktionen geführt. Die Politik hat die Unterstützung Israels zur Staatsräson erklärt. Dennoch wird auch für die Unterstützung der Palästinenser*innen demonstriert. Versammlungsbehörden und Polizei schritten hiergegen im Oktober 2023 in breitem Umfang ein. Totalverbote von Versammlungen waren in Berlin-Neukölln, wo viele Menschen mit palästinensischem oder arabischem Hintergrund leben, über viele Tage die Regel. Dies wird nachfolgend aus ethnographischer und rechtlicher Sicht näher betrachtet. Ist dieses staatliche Vorgehen mit der Versammlungsfreiheit vereinbar, und war die überzogene und rechtlich fragwürdige staatliche Reaktion nicht gerade Anlass für zum Teil gewalttätige Auseinandersetzungen? (…) Bis Ende Oktober wurde eine Vielzahl von Versammlungen oder Solidaritätsbekundungen mit Bezug zu Palästina von Versammlungsbehörden und der Polizei als „israelfeindlich“ eingeordnet, aufgelöst und/oder verboten. Die Berliner Polizeipräsidentin verweist darauf, dass in Berlin „nur“ rund die Hälfte der Versammlungen zu Palästina verboten worden sei, wobei just am Tag dieser Mitteilung ein neues Verbot erfolgte. Wozu dies führt, soll am Beispiel Berlin (insbesondere Berlin-Neukölln) illustriert und anschließend rechtlich bewertet werden. Dabei geht es um die Frage, ob Versammlungs- und Meinungsäußerungsverbote zielführend sind, um Gewalt zu verhindern sowie Antisemitismus und Israelfeindlichkeit zu bekämpfen oder ob dadurch nicht gerade auch den vielen Menschen mit Verwandten im Gaza-Streifen oder der West Bank die Gelegenheit genommen wird, auf ihre Sicht und Traumata hinzuweisen (…) Nach Art. 8 Abs. 1 Grundgesetz (GG) genießen nur „Deutsche“ Versammlungsfreiheit als Grundrecht.[14] Dieser begrenzte Schutz wird allerdings erweitert, wenn Landesverfassungen (z. B. Art. 26 Verfassung von Berlin) das Grundrecht auf alle Männer und Frauen oder alle „Bewohner“ (so Art. 113 Bayerische Verfassung) erstrecken, was in der aufgeregten Diskussion, ob auch „Palästinenser“ in Deutschland demonstrieren dürften, übersehen wird. Nach dem Versammlungsgesetz (VersG) des Bundes von 1953 hat „Jedermann“ das Recht, sich zu versammeln. Auch Berlin gewährt dieses Recht in § 1 Versammlungsfreiheitsgesetz Berlin (VersFG Bln) jeder Person. So auch Art. 11 EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention). Hinzu kommt, dass die Versammlungsbehörden und Polizei schwerlich vor jeder Demo die Ausweise kontrollieren können, um festzustellen, ob es sich wirklich um „Deutsche“ handelt. Derartige Kontrollen wären zudem mit Art. 8 GG und dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung nicht vereinbar. Schutz nach Art. 8 GG genießen allein Versammlungen, die „friedlich und ohne Waffen“ stattfinden. Könnten etwa Rufe wie der nach einer „Auslöschung Israels“ nicht unfriedlich sein, wie jüngst von einem Berliner Verfassungsrechtler vertreten?[15] Die Antwort ist Nein, auch wenn dies eine Straftat darstellen dürfte: Unfriedlich ist eine Versammlung nach gängigem Verständnis in der Literatur und Rechtsprechung nur, wenn sie einen gewalttätigen oder aufrührerischen Verlauf nimmt oder unmittelbar anstrebt (…) Eine Genehmigung für Versammlungen braucht in Deutschland niemand. Es gibt mithin keine „genehmigten“ oder „nicht genehmigten“ Demonstrationen, sondern allenfalls solche, die beschränkt, verboten oder aufgelöst werden. Man muss Versammlungen entgegen dem Wortlaut des Art. 8 Abs. 2 GG aber der zuständigen Versammlungsbehörde anzeigen (anmelden), soweit es sich nicht um eine Spontanversammlung handelt. Dies alles gilt selbstredend auch für „Palästinenser-Demonstrationen“. Mit Blick auf den Nationalsozialismus und die Shoah hat Deutschland die Sicherheit Israels zur deutschen Staatsräson erklärt. Rechtlich ausbuchstabiert ist dies jedoch nicht. Unstrittig sollte indes bis hin in die Versammlungsbehörden und Polizei sein, dass die Staatsräson die Verfassung, die Grundrechte und auch das einfache Gesetz nicht einschränken oder gar verdrängen kann. (…) Eine Reihe weiterer Städte hat neben Berlin nach dem 7. Oktober durch Allgemeinverfügungen oder Verbot von einzelnen (nicht angemeldeten resp. angezeigten) Versammlungen mit einem über Tage und Wochen hinaus geltenden Verbot von „Ersatzveranstaltungen“ längerfristige und flächendeckende Beschränkungen der Versammlungsfreiheit unabhängig von der Gefahrenprognose für eine bestimmte Versammlung angeordnet, so etwa Augsburg, Bremen, Hamburg, München und eben auch Berlin. Mit Versammlungsfreiheit im Sinne eines Meinungsstreits ist dies nicht vereinbar.
      Fazit
      Verbote „pro-palästinensischer“ Demonstrationen mit einer „unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ zu begründen, ist eine Abkehr von einer über Jahrzehnte etablierten Praxis und Rechtsprechung. Verbote (vor einer Versammlung) und Versammlungsauflösungen stellen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die schwerste mögliche Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit dar. Das vollständige Verbot einer Versammlung wegen möglicher Meinungskundgaben durch einen Teil der Teilnehmer*innen ist damit allenfalls in seltenen Ausnahmefällen zulässig, nicht aber, wenn dies wie in Berlin die Regel wird. Dieses Vorgehen spiegelt eine Entwicklung wider, die mit wochenlangen Totalverboten während der Corona Pandemie begann und eine Fortsetzung in den Reaktionen der Versammlungsbehörden und Polizei gegen „Klimakleber“ fand…“ Artikel von Clemens Arzt und Alexander Bosch vom 2. November 2023 aus CILIP 133 externer Link – siehe dennoch:  
    • Pro-palästinensische Proteste: Versammlungsfreiheit nur für Deutsche?
      Fremdsprachenverbot auf Demonstrationen, Versammlungen nur noch für Deutsche. Fast täglich gibt es neue Vorschläge, die Versammlungsfreiheit einzuschränken. Was geht und was nicht.
      Die Idee von Sabine Leutheusser-Schnarrenberger war so radikal, dass die frühere Bundesjustizministerin und heutige NRW-Antisemitismusbeauftragte schnell zurückruderte. Im WDR-Magazin Westpol hatte sie am Wochenende erklärt, dass die Versammlungsfreiheit eines von wenigen sogenannten Grundrechten sei, das nur Deutschen zustehe. Leutheusser-Schnarrenberger legte der Polizei deshalb nahe, bei Versammlungsleitern mit ausländischer Staatsbürgerschaft „mal im Vorhinein ein Verbot auszusprechen“ – Versammlungen von Menschen mit ausländischer Staatsbürgerschaft also stärker zu verbieten. Heute stellte sie gegenüber der dpa klar, dass natürlich auch Ausländer ein Versammlungsrecht hätten. Doch auch NRW-Innenminister Herbert Reul denkt über Einschränkungen bei der Versammlungsfreiheit nach. Er sah die IS-ähnlichen Banner in den Straßen der Stadt Essen im Ruhrgebiet in der vergangenen Woche nicht gerne – und lässt sein Ministerium nun prüfen, ob Deutsch künftig die verbindliche Sprache auf Demonstrationen sein müsste und was gegen die Banner getan werden kann
      …“ Beitrag von Ann-Kathrin Jeske vom 13.11.2023 in ZDF externer Link anschließend zur Rechtslage. Siehe daher:
    • Lage der Menschenrechte in Deutschland: Verbot pro-­pa­läs­ti­nen­si­scher Demos besorgt UN
      Polizeigewalt, Rassismus, häusliche Gewalt – aber auch das Verbot von Versammlungen: Der UN-Menschenrechtsrat hat die humanitäre Lage in Deutschland geprüft und der Bundesregierung Empfehlungen mit auf den Weg gegeben. (…) Die Direktorin des Deutschen Instituts für Menschenrechte (DIMR), Prof. Beate Rudolf, berichtete im Nachgang zur Sitzung gegenüber LTO, dass von vielen Staaten auch das Verbot von pro-palästinensischen Demonstrationen in einer Reihe von deutschen Städten angesprochen worden sei. „Auch wenn die Bundesregierung darauf zu Recht erwiderte, dass über jedes einzelne Verbot auf der Grundlage einer sorgfältigen Prognose entschieden werden muss, wäre ein klares Bekenntnis dazu angezeigt gewesen, dass Verbote nur das letzte Mittel sein dürfen“, so Rudolf…“ Artikel von Hasso Suliak vom 09.11.2023 in LTO online externer Link
  • „Großes Fragezeichen“. Verfassungsrechtler: Verbote von Pro-Palästina-Demos problematisch 
    Mit einem „großen Fragezeichen“ versieht Verfassungsrechtler Michael Wrase die Rechtmäßigkeit pauschaler Verbote von Pro-Palästina-Demos. Kritisch bewertet der Jurist auch die Vorgabe an Berliner Schulen, „Palästinensertücher“ zu verbieten.
    Der Verfassungsrechtler Michael Wrase hält die vor allem in Berlin erlassenen Verbote pro-palästinensischer Solidaritätsbekundungen auf Versammlungen oder in Schulen teilweise für problematisch. Eingriffe in die Versammlungsfreiheit seien nur dann zulässig, „wenn von der Versammlung selbst eine unmittelbare Gefährdung für die öffentliche Ordnung, für die öffentliche Sicherheit, ausgeht“, sagte der Rechtswissenschaftler von der Universität Hildesheim am Donnerstag in einem Online-Pressegespräch des Mediendienstes Integration. Dies sei nur dann der Fall, wenn strafbare Handlungen zu erwarten seien, „aber nicht nur von Einzelnen auf der Versammlung, sondern eben meinetwegen von einer Mehrheit oder auch ausgehend von den Veranstaltern“.Momentan werde damit argumentiert, dass die Konfliktlage so aufgeladen sei, dass quasi bei jeder dieser Versammlung erst einmal davon ausgegangen werden müsse, dass es dort zu strafbaren Handlungen wie der Billigung von Terrorangriffen auf Israel komme, sagte Wrase. „Ob in dieser Pauschalität tatsächlich solche weitreichenden Verbote gerechtfertigt erscheinen, das würde ich mal mit einem großen Fragezeichen versehen“, fügte er hinzu. (…) Mit ihrem Rundschreiben an die Schulleitungen habe sich Berlins Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch in einer „Grauzone“ bewegt, sagte der Jurist. Die CDU-Politikerin hatte darin am 13. Oktober festgehalten, auch das Mitführen von nicht strafrechtlich relevanten Symbolen, wie etwa Aufkleber mit Aufschriften wie „Free Palestine“ oder das sogenannte Palästinensertuch, solle zur Wahrung des Schulfriedens in Berliner Schulen untersagt werden…“ Beitrag vom 19.10.2023 im Migazin externer Link
  • Bayerisches Verwaltungsgericht hebt Verbot von Propalästinademo auf
    Die Demo unter dem Motto Menschenrechte und Völkerrecht auch für Palästina wurde von der Stadt München verboten. Nach einem Eilantrag wurde das Verbot gekippt. (…) Die Versammlungsbehörde habe aber nicht ausreichend darlegt, dass die mit 50 Teilnehmern angezeigte Versammlung mit diesen Versammlungen in anderen Städten vergleichbar sei, erklärte das Gericht weiter. Auch sei es bei einer ähnlichen Versammlung in Nürnberg zu keinen oder nur geringen Störungen der öffentlichen Ordnung gekommen. Die Stadt München habe zudem nicht ausreichend geprüft, ob anstelle des Verbots auch etwa Auflagen für die Versammlung in Betracht gekommen wären…“ Agenturmeldung vom 19. Oktober 2023 in der Zeit online externer Link
  • Pro-palästinensische Äußerungen: Wie weit geht die Meinungsfreiheit?
    Parolen wie „From the river to the sea – Palestine will be free“ sind derzeit häufig auf Pro-Palästina-Demos zu hören. Sind sie strafbar? Wie weit geht die Meinungsfreiheit – und was gilt im Arbeitsrecht?…“ FAQ von Christoph Kehlbach, ARD-Rechtsredaktion, vom 19.10.2023 in tagesschau.de externer Link
  • Palästinenser in Deutschland: Friedliche Stimmen hören!
    Die Verherrlichung von Mord darf nicht geduldet werden. Aber friedliche palästinensische Stimmen müssen hierzulande weiterhin Gehör finden dürfen…“ Gastkommentar von René Wildangel vom 18.10.2023 in der taz online externer Link
  • Ist Jubel über Terror strafbar?
    Nach den Hamas-Morden an über 1.400 Israelis kam es auf deutschen Straßen zu Sympathiebekundungen oder gar Jubel. Die Staatsanwaltschaft Berlin ermittelt. Doch ab wann wird die Grenze zur Strafbarkeit wirklich überschritten, Herr Fischer? Die Antwort auf diese Frage muss leider einmal mehr lauten: Es kommt darauf an. Denn was „Jubel“ ist, ist ebenso konkretisierungsbedürftig wie der Begriff des „Terrors“. Und ob etwas strafbar ist, ist – zum Glück – hierzulande stets „eine Frage des Einzelfalls“, also der so genannten Tatumstände…“ Beitrag von von Prof. Dr. Thomas Fischer vom 16.10.2023 in LTO online externer Link
  • In #Berlin werden Versammlungen mit Palästinabezug pauschal verboten. Das ist verfassungswidrig. Erstens ist JEDE angezeigte Versammlung einzeln zu bewerten, nicht einfach Demoverbotszeiträume zu erlassen. Zudem ist „wahrscheinliches Sympathisieren“ kein hinreichd. Verbotsgrund. (…)Und noch etwas: Menschen müssen in einer Demokratie gegen die Bombardierung ihrer Familien und Freunde demonstrieren können. Und es sollten viel mehr Menschen gegen diese pauschalen Vergeltungsschläge demonstrieren, die die Zivilbevölkerung treffen und das Leid potenzieren.Tweet von Grundrechtekomitee vom 13. Okt. 2023 externer Link

Siehe zum Hintergrund:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=215739
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