[Urteil] Betreten der zur privaten Nutzung überlassenen Zimmer einer Wohnunterkunft zum Zwecke der Abschiebung ohne richterliche Anordnung rechtswidrig

Tödliche Folgen der Flüchtlingspolitik„Das Oberverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 18. August 2020 (Az. 4 Bf 160/19) entschieden, dass die Freie und Hansestadt Hamburg nicht berechtigt war, die Wohnunterkunft einer Familie im Jahr 2017 zum Zwecke der Abschiebung ohne richterliche Anordnung zu betreten, und insoweit eine erstinstanzliche Entscheidung des Verwaltungsgerichts (9 K 1669/18) bestätigt. Gegenstand der Entscheidung war die Abschiebung einer irakischen Familie in die Niederlande im Jahr 2017. Zu diesem Zweck betraten Mitarbeiter der Beklagten gegen 6:30 Uhr die den Klägern zur privaten Nutzung überlassenen Zimmer der Wohnunterkunft. (…) Nach den nunmehr vorliegenden Entscheidungsgründen hat das Oberverwaltungsgericht im Wesentlichen darauf abgestellt, dass die Voraussetzungen der seinerzeit für das Handeln allein in Betracht kommenden Rechtsgrundlage des § 23 Abs. 1 HmbVwVG nicht vorlagen. Danach dürfen Wohnungen und Geschäftsräume ohne Einwilligung der pflichtigen Person nur auf Grund einer richterlichen Anordnung durchsucht werden (§ 23 Abs. 3 HmbVwVG). Bei den zur individuellen Nutzung überlassenen Zimmern einer Wohnunterkunft handelt es sich nach der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts um eine Wohnung in diesem Sinne. Zudem stellt das Betreten einer Wohnung durch Behördenmitarbeiter, um dort Personen zum Zwecke der Abschiebung aufzufinden und zu ergreifen, eine Durchsuchung im Sinne von § 23 Abs. 1 HmbVwVG und Art. 13 Abs. 2 GG dar. Für die Durchsuchung der Wohnung der Kläger lag weder deren Einwilligung noch eine richterliche Anordnung vor…“ Pressemitteilung des OVG Hamburg vom 20. August 2020 externer Link zum 15-seitigen Urteil Az. 4 Bf 160/19 externer Link – siehe unsere Anmerkung zum Urteil:

  • Um einem Missverständnis vorzubeugen, weisen wir hier ausdrücklich daraufhin, dass es am Schluss in der OVG-PM heißt: „Da für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage auf den Zeitpunkt der streitigen Maßnahme im Jahr 2017 abzustellen war, waren die vom Bundesgesetzgeber im August 2019 in das Aufenthaltsgesetz eingefügten Vorschriften des § 58 Abs. 5 und 6 AufenthG, die spezialgesetzlich die Voraussetzungen für das Betreten und die Durchsuchung der Wohnung eines abzuschiebenden Ausländers zum Zweck seiner Ergreifung regeln, für die Entscheidung ohne Bedeutung.“ Tatsächlich wurde August 2019 mit § 58 Abs. 5 und 6 AufenthG genau das erlaubt, was das OVG Hamburg als rechtswidrig betrachtet. Um den Grundrechtsschutz nach Art. 13 Abs. 2 GG für Asylsuchende künftig durchzusetzen bzw. zu erhalten, bleibt nur noch der Weg einer konkreten Normenkontrolle beim BVerfG – oder Widerstand mit der Begründung, dass diese Gesetzesänderung 2019 verfassungswidrig ist. Art. 13 GG ist nämlich kein sog. nur „Deutschen-Grundrecht“ (wie z.B. das Versammlungsrecht) sondern gilt für alle. Mit August 2020 ist übrigens auch die Frist für eine Verfassungsbeschwerde aufgrund dieser Gesetzesänderung abgelaufen.
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=177166
nach oben