Schlimmer geht immer? Ampel-Regierung legt Gesetz zum Asyl- und Asylprozessrecht vor

[Buch] Die Würde des Menschen ist abschiebbar. Einblicke in Geschichte, Bedingungen und Realitäten deutscher AbschiebehaftAm 10. November 2022 wird im Bundestag ein neues und noch wenig beachtetes Gesetz diskutiert. Vordergründig soll es Asylverfahren und Klageverfahren beschleunigen – tatsächlich wird es dazu führen, dass es Geflüchtete noch schwerer haben, ihre Rechte vor Gericht einzuklagen. PRO ASYL fordert, das benachteiligende Sonderasylprozessrecht abzuschaffen (…)Für PRO ASYL ist damit der erste logische Ansatzpunkt für eine Entlastung der Gerichte die Qualität der Asylverfahren beim BAMF zu verbessern. Denn weniger falsche Ablehnungen bedeuten auch weniger Klagen und weniger Arbeit für die Verwaltungsgerichte – und vor allem schnellere Gewissheit für die Betroffenen. Doch diesen Weg nimmt die Ampel-Regierung nicht. (…) viele der restriktiven Vorschläge sind nicht neu (siehe hier den Referentenentwurf externer Link ), sondern sie wurden vom Bundesinnenministerium auch schon unter Regie der Union gemacht…“ Meldung vom 10.11.2022 bei Pro Asyl externer Link mit weiteren Informationen zu Details. Siehe dazu:

  • Zum Gesetzentwurf der Bundesregierung: »Dieses Gesetz wird die Asylverfahren nicht beschleunigen, sondern verzögern«. New
    Im Interview von Pro Asyl vom 2. Dezember 2022 externer Link begründet die Asylrechtsanwältin Berenice Böhlo ihre Kritik an dem am 10. November 2022 von Bundesregierung in den Bundestag eingebrachten Gesetzentwurf zur Beschleunigung der Asylgerichtsverfahren und Asylverfahren, über den schon am 2. Dezember abgestimmt werden soll: „… Der Titel des Gesetzes an sich ist nicht das Problem. Das Problem ist, wenn Titel und Inhalt des Gesetzes nicht übereinstimmen oder das Gesetz sogar den gegenteiligen Effekt haben wird. So ist es hier. Dieses Gesetz wird die Asylverfahren nicht beschleunigen, sondern verzögern. Zudem sieht der Entwurf mehrere Systembrüche vor und baut wichtige Verfahrensrechte für Schutzsuchende ab. (…) Die Anhörung [über Videokonferenzen] ist das Kernstück des Asylverfahrens. Es ist unabdingbar, dass eine besondere Gesprächsatmosphäre und Vertrauenssituation geschaffen wird, damit Schutzsuchende über ihre oft traumatischen Erlebnisse frei sprechen können. Dies erfordert die Anwesenheit aller Beteiligten. Nimmt man der Anhörung auf diese Weise die Qualität, ist zu erwarten, dass mehr falsche Entscheidungen getroffen werden, die zu noch mehr Klageverfahren führen. Damit werden die Gerichte noch mehr belastet. Alles, was am Anfang vermeintlich an Zeit eingespart wird, rächt sich am Ende durch rechtswidrige Entscheidungen, die dann im gerichtlichen Verfahren geheilt werden müssen. Übrigens besteht, ganz unabhängig von den grundsätzlichen datenschutzrechtlichen Bedenken bei einer Videoanhörung, in dem Bereich gar kein Regelungsbedarf, denn für alle notwendigen Sprachen stehen im Bundesgebiet Sprachmittler*innen zur Verfügung. Das BAMF hat Arbeitsbedingungen zu schaffen, wozu auch die Bezahlung und die Übernahme der Anreisekosten gehören, damit Sprachmittlung auf dem möglichst höchsten Niveau erfolgen kann. Eine ordentliche Anhörung in Anwesenheit aller Beteiligten ist Teil des rechtlichen Gehörs und kein Gnadenakt. (…) Der Zeitraum, in dem das BAMF über einen Asylantrag entscheiden muss, war bisher auf sechs Monate beschränkt, in Ausnahmefällen konnte er auf maximal 18 Monate ausgedehnt werden. Nun soll der Zeitraum auf 21 Monate ausgedehnt werden. Faktisch dient dies nicht der Aufklärung der Sachverhalte im Herkunftsland, sondern dem Abwarten, ob die Situation sich wieder stabilisiert. Die Möglichkeit des temporären Entscheidungsstopps gibt es bereits. Es gibt also keinen Regelungsbedarf. Faktisch gibt die Regelung dem BAMF einen Freibrief, entgegen dem angeblichen Gesetzeszweck weniger schnell Asylanträge zu bescheiden. (…) Wesentliche Punkte sind die Verkürzung der Rechtsmittelfristen und die massive Beschränkung beim Zugang zur zweiten Instanz, also zu den Oberverwaltungsgerichten. Zum Teil haben wir nur eine Woche Zeit für das Rechtsmittel, dies ist einmalig im Verwaltungsrecht, wo ansonsten ein Monat gilt. Auch gibt es sehr hohe Hürden, gegen ein Verwaltungsgerichtsurteil im Asylrecht in Berufung zu gehen. Ein inhaltlich falsches Urteil kann nicht angefochten werden. Das ist ein anhaltender Skandal, der eines Rechtsstaates unwürdig ist. Anstatt das Sonderprozessrecht abzubauen, sieht der Gesetzentwurf nun auch noch vor, dass die Verwaltungsgerichte bei anwaltlich vertretenen Kläger*innen entscheiden können, auf die mündliche Verhandlung zu verzichten und im schriftlichen Verfahren zu entscheiden. Die mündliche Verhandlung ist aber kein lästiges Anhängsel, sondern dient der effektiven Kontrolle behördlicher Entscheidungen und ist das Kernstück des Rechtsschutzes. Der Gesetzesvorschlag entwertete diese Bedeutung der gerichtlichen Entscheidung auf Grundlage einer mündlichen Verhandlung. In dem Entwurf sind noch zahlreiche weitere solche Maßnahmen vorgesehen, die dem Abbau der Verfahrensrechte der Geflüchteten dienen. Aber: Verfahrensrecht ist Verfassungsrecht, das gilt vor allem und besonders im Asylrecht. (…) Fast alle Sachverständigen haben sich in der Anhörung im Innenausschuss kritisch bis eindeutig ablehnend zu dem Gesetzentwurf geäußert. Eine Koalition, die sich eine Modernisierung auf die Fahne schreiben will, steht es nicht gut an, die Sachverständigen bewusst zu ignorieren und das Gesetz im Rekordtempo durch den Bundestag zu peitschen. Nicht weniger Schutz, sondern mehr Schutz ist die Antwort, nicht weniger Verfahrensrechte, sondern mehr Verfahrensrechte. Das ist die einzige Antwort des Rechtsstaats in Zeiten auch hier unmittelbar wahrzunehmender Krisen wie des Kriegs gegen die Ukraine oder das Sterben im Mittelmeer.“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=206635
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