Abschiebungen von Geflüchteten: Zwischen Härte und Verharmlosung

Tödliche Folgen der Flüchtlingspolitik„Für Nationalstaaten sind Abschiebungen ein „normaler“ Vorgang. Um diese auch für die Bevölkerung „normal“ wirken zu lassen und für gesellschaftliche Akzeptanz gegenüber Abschiebungen zu sorgen, lässt sich der Staat einiges einfallen. (…) Mittlerweile wird vermehrt von „Rückführungen“, „freiwilliger Rückkehr“, „Ausreiseeinrichtungen“, „Ankerzentren“ oder der „Verbesserung der Durchsetzung der Ausreisepflicht“ gesprochen. Bei diesen Beschreibungen geht es zum einen darum, der Gesellschaft ein staatliches Durchgreifen gegenüber „Ausreisepflichtigen“ zu vermitteln und zum anderen darum, dass die Abschiebungen und ihre harten Folgen für die Betroffenen gleichzeitig verharmlost werden. Dafür nutzt der Gesetzgeber eine zugleich ordnungspolitische, abstrakte und verniedlichende Sprache. (…) Die Euphemismen sollen ein Bild von Abschiebungen erzeugen, als handele es sich um eine behördlich begleitete Reise. Die Härte von Abschiebungen, die Ängste und psychosozialen Folgen auf Seite der Abgeschobenen sollen aus dem Abschiebevorgang herausdefiniert werden. Die Umdeutung entzieht der Abschiebung das Subjekt, damit Abschiebungen als behördlicher Verwaltungsakt ohne Gesicht erscheinen…“ Beitrag von Hendrik Lammers vom 10. März 2021 bei MiGAZIN externer Link und weitere Zitate aus dem wichtigen Text:

  • „… Bei Kritik an Abschiebungen ist die politische Reaktion häufig, es handele sich um einen unschöne, aber notwendige Handlung. Abschiebezahlen werden einerseits als Erfolg verkauft, denn sie sollen die Durchsetzungskraft des Staates bzw. die „richtige Auswahl“ bei der Zuwanderung verdeutlichen. Damit werden die verbreiteten Zuschreibungen und sprachlichen Unterscheidungen in „Bleibeberechtigte“ und damit „gute“, „gewollte“, „echte“ Geflüchtete sowie „Ausreisepflichtige“ und damit „schlechte“, „ungewollte“, „unechte“ Geflüchtete bedient. Andererseits soll die Abschiebung mit dem entstehenden Druck und den psychosozialen Folgen für die Betroffenen unausgesprochen bleiben oder heruntergespielt werden. Es wird suggeriert, die Abschiebung sei ein irgendwo außerhalb der Alltagswelt der Gesellschaft stattfindender Vorgang. Rührende Geschichten, Suizide von Abgeschobenen und rechtswidrige Abschiebungen, die durch die Medien gehen, werden später zu „bedauerlichen Einzelfällen“. (…) Abschiebungen finden vor allem nachts statt. Sie werden in der Regel nicht angekündigt. Häufig wissen Menschen, für die eine Abschiebung angeordnet wurde, über Monate nicht, ob die Polizei irgendwann während des Schlafs an der Tür klopft. Sie wissen nicht, wie sich die Behörden ihnen und ihren Kindern gegenüber verhalten werden. Sie wissen nicht, was mit ihnen nach der Abschiebung passiert. Sie fürchten, nach der Abschiebung vor dem Nichts zu stehen. Oft berichten Menschen, denen eine Abschiebung bevorstehen könnte, von Angstzuständen und extremen Belastungen, von Flashbacks und Erinnerungen an Gewalterfahrungen, von Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit. Hinter Abschiebezahlen verbergen sich Menschen und Schicksale. (…) Auch traumatisierte Menschen werden abgeschoben. Der Gesetzgeber geht davon aus, dass niemand traumatisiert ist, wenn dies nicht umfangreich ärztlich nachgewiesen ist.“ (…) Hinzu kommt, dass durch Leistungskürzungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz für manche Geflüchtete kein Bargeld ausgegeben wird, weshalb sie eine anwaltliche Vertretung nicht bezahlen können. Die Kürzungen auf 0 € sind offensichtlich verfassungswidrig, aber gängige Praxis. Aus Sicht der Hardliner ist das ein kluger Schachzug. Wer sich aufgrund fehlender Finanzierungsmöglichkeit rechtlich nicht wehren kann, der ist theoretisch willkürlichen Negativentscheidungen ausgesetzt. Für einen Rechtstaat ist diese Praxis jedoch eine Bankrotterklärung. Die Vorannahme, staatliche Entscheidungen bräuchten nicht hinterfragt werden, ist eine gefährliche autokratische Denkweise…“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=187661
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