Alaaf statt brav. Eine Analyse des express von 1974 zu den »wilden« Streiks bei Ford Köln

express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und GewerkschaftsarbeitEtwa 300 Türken wurden wegen verspäteter Rückkehr aus ihrem Heimatland fristlos entlassen. Da die Produktion nicht gedrosselt wurde, nahm die Geschäftsleitung Umbesetzungen vor, die zu erheblicher Verschärfung der Arbeitsbelastung an den Bändern führte. Bekannt ist, dass Ford ohnehin seit jeher die höchsten Arbeitsbelastungen in der Automobilindustrie hat. Die Bänder sind zu 90 Prozent mit Türken besetzt, die Fluktuationsquote beträgt bei den Ausländern ca. 50 Prozent. Hinzu kam, dass – wie in der gesamten Metallindustrie – die im Tarifvertrag ausgehandelten Lohnerhöhungen die Preissteigerungen nicht auffangen konnten. So kam es auch bei Ford zu Forderungen nach Teuerungszulagen und der Verbesserung der Arbeitsbedingungen. (…) Am Donnerstag (immerhin waren noch ca. 5.000 Türken aktiv am Streik beteiligt) kam es dann zu dem spektakulären Polizeieinsatz, in dessen Verlauf die gesamte Streikleitung verhaftet wurde. Erwähnenswert ist hierbei, dass die für das Zuschlagen der Polizei ausschlaggebende sogenannte »Gegendemonstration« (Parole: Wir wollen arbeiten) in der Hauptsache aus Managern, Obermeistern, Meistern, Werkschutz und BR bestand, allen voran und von erschreckender Aktivität beseelt, BR-Vorsitzender Lück. Als die Streikleitung verhaftet war, brach die Streikfront verhältnismäßig rasch zusammen…“ Nachdruck in express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit Ausgabe 7-8/2023:

Alaaf statt brav

Wiedergelesen:  eine Analyse des express von 1974 zu den »wilden« Streiks bei Ford Köln

Etwa 300 Türken wurden wegen verspäteter Rückkehr aus ihrem Heimatland fristlos entlas­sen. Da die Produktion nicht gedrosselt wurde, nahm die Geschäftsleitung Umbesetzungen vor, die zu erheblicher Verschärfung der Arbeitsbelastung an den Bändern führte. Bekannt ist, dass Ford ohnehin seit jeher die höchsten Arbeitsbelastungen in der Automobilindustrie hat. Die Bänder sind zu 90 Prozent mit Türken besetzt, die Fluktuationsquote beträgt bei den Aus­ländern ca. 50 Prozent. Hinzu kam, dass – wie in der gesamten Metallindustrie – die im Tarif­vertrag ausgehandelten Lohnerhöhungen die Preissteigerungen nicht auffangen konnten. So kam es auch bei Ford zu Forderungen nach Teuerungszulagen und der Verbesserung der Ar­beitsbedingungen. Auf der Betriebsversammlung eine Woche vor Streikbeginn im August wurden schon Forderungen wie 0,60 DM für alle und Rücknahme der Kündigungen aufge­stellt und von der Mehrheit der Kollegen unterstützt. Die Forderungen werden verständlich, wenn man darüber hinaus weiß, dass die Lohnsituation bei Ford dadurch gekennzeichnet ist. dass im Hauptwerk die rund 12.000 türkischen Arbeiter, nach kurzen Anlernzeiten an die Bänder gestellt, in den Lohngruppen 4 bis 6 einrangiert sind, während ihre 10.000 deutschen Kollegen nur zu zehn Prozent an den Bändern arbeiten müssen. Deutsche Facharbeiter haben in der Regel bei Ford die Lohngruppen 7 bis 9. […]

Der Streik spielte sich einmal im Hauptwerk Köln-Niehl und zum anderen im zentralen Er­satzteillager Köln-Merkenich ab. Es ist notwendig, den Streikverlauf für diese beiden Werke getrennt darzustellen, weil Voraussetzung und Ablauf des Streiks sowie das Verhalten des Be­triebsrats und der politischen Gruppen unterschiedlich war.

Der Streik im Hauptwerk

Im Hauptwerk Köln-Niehl (34.000 Beschäftigte) sind 90 Prozent der Bandarbeiter Türken. Ihre Anzahl beträgt 12.000, und sie sind fast zu 90 Prozent organisiert. Der Organisationsgrad der Deutschen beträgt ca. 50 Prozent. Die hohe Organisationsquote der Türken erklärt sich daraus, dass es bei ihnen wegen der bestehenden Sprachschwierigkeiten möglich ist, bei den Einstellungsformalitäten die Beitrittsurkunde zur Gewerkschaft mit vorzulegen. Die türki­schen Dolmetscher, die ihre Landleute »bewegen«, in die Gewerkschaft einzutreten, sollen hierfür Prämien erhalten. Es ist davon auszugehen, dass die türkischen Kollegen unter­schreiben, ohne zu wissen, was sich damit verbindet und ohne dass die Gewerkschaft im Betrieb sich bemüht, darüber hinaus etwas für die ausländischen Arbeiter zu tun.

Im Hauptwerk brach der Streik am Freitag, dem 24. August [1973] zu Beginn der Spät­schicht in der Y-Halle (Endmontage) aus, als sich türkische Kollegen weigerten, die durch die Entlassungen anfallende Mehrarbeit zu übernehmen. Es gelang, die gesamte Spätschicht (8.000) zu mobilisieren, die sich vor dem Betriebsratsbüro versammelte. Hier entstanden auch die Forderungen:

  1. Eine Mark für alle
  2. Sechs Wochen bezahlter Urlaub
  3. Rücknahme der Entlassungen
  4. Verringerung des Arbeitstempos
  5. Keine Disziplinierungsmaßnahmen gegen Streikende
  6. Volle Bezahlung der Streiktage.

Die Nachtschicht schloss sich zum großen Teil dem Streik an. Am Montagmorgen zeigten sich zunächst auch noch die meisten deutschen Kollegen streikbereit. Sie schlossen sich ei­nem großen Streikzug an, der die Arbeiter aus allen Hallen des Werkes sammelte. Wie unsi­cher sich ein großer Teil der deutschen Arbeiter zum Streik verhielt, zeigte sich schon jetzt: Dem Streikzug hatten sich auch deutsche Arbeiter aus der Z-Halle angeschlossen, die sich je­doch bald wieder vom Zug trennten, um noch die restlichen Arbeiter aus ihrer Halle zu holen. Sie kamen aber nicht mehr zurück, da sie dem Anschein nach von ihren Vorgesetzten durch Versprechungen und Spaltungsmanöver zurückgehalten wurden. Dennoch kann festgehalten werden, dass bei der großen Streikversammlung vor dem Betriebsratsgebäude noch ein großer Teil der deutschen Arbeiter anwesend war. Hier wurden die Forderungen nochmals vorge­bracht und die Streikleitung gewählt. Sie bestand aus neun Türken, zwei Italienern, einem Ju­goslawen und zwei deutschen Kollegen. Schon hier hat das massive und anmaßende Auftreten von »KPD-Funktionären« bei den deutschen Arbeitern Misstrauen hervorgerufen und viele abgeschreckt. Ein am Streik beteiligter deutscher Arbeiter berichtete: »Durch Aussagen wie ›die KPD hat schon alles für Euch organisiert‹ mussten sich die Deutschen manipuliert und verwaltet vorkommen.« Diese Tatsache erleichterte es dem BR, die Streikleitung von den Deutschen zu isolieren. Zunächst nahm er die Forderungen der Streikleitung auf und weitete sie sogar noch aus (Zusatzforderung nach 13. Monatsgehalt), um sich so an die Spitze des Streiks zu stellen. Gleichzeitig diffamierte er die Streikleitung mit Aussagen wie: »Lasst Euch nicht von den Ultralinken wie z.B. KPD/ML, KPD, Rote Ford-Arbeiter-Zeitung, Arbeiter­kampf aufhetzen, denn die spontane Arbeitsniederlegung ist eine Sache der Ford-Arbeiter und nicht eine Sache von Außenstehenden.« Hier zeigt sich weiter, dass der BR mit Hilfe juristi­scher Argumente, wie der Unterscheidung von Streik und spontaner Arbeitsniederlegung, die Arbeiter zu disziplinieren versuchte. Er weigerte sich konsequent, den Streik als solchen zu bezeichnen, mit der Absicht, sein Verhandlungsmonopol zu wahren und die Streikleitung zu isolieren. Dennoch erschien dem BR und der Geschäftsleitung (GL) die Streikfront so stark, dass sie der Streikleitung anboten, an gemeinsamen Verhandlungen teilzunehmen. Die Streik­leitung lehnte das jedoch ab, sie bestand darauf, allein mit der GL zu verhandeln. Diese Ent­scheidung konnte sie den deutschen Arbeitern, die trotz großer Skepsis noch an das Vertre­tungsorgan Betriebsrat gebunden waren, nicht mehr vermitteln.

Zu den tieferliegenden Ursachen der Spannungen zwischen türkischen und deutschen Arbei­tern in diesem Streik zählte aber darüber hinaus die Tatsache, dass auch die Forderungen, die zu Beginn erhoben worden waren, den deutschen Arbeitern nur bedingt einsichtig waren. Dies gilt z.B. für die Forderung nach Herabsetzung der Bandgeschwindigkeit, weil nur wenig deut­sche Arbeiter an den Bändern arbeiten, aber auch für die Forderung nach sechs Wochen Ur­laub, die vielen deutschen Kollegen einfach überspannt erschien, weil sie die Notwendigkeit einer solchen Urlaubsverlängerung für die Türken nicht begriffen. Schließlich bedeutet die allgemein bessere Bezahlung der deutschen gegenüber den türkischen Arbeitern eine gewisse Schranke in der Bereitschaft, den Kampf mit der nötigen Entschlossenheit gemeinsam zu füh­ren.

Zu den Schwierigkeiten, die deutschen Arbeiter in den Streik zu integrieren, kam noch hinzu, dass die GL [Geschäftsleitung] bereits am Montag über Rundfunk und Fernsehen bekanntgab, dass bei Ford nicht mehr gearbeitet wird, die ausgefallenen Schichten aber bezahlt würden. Darüber hinaus wurden die fordeigenen Überlandbusse für die Pendler und Bewohner auswär­tiger Heime nicht eingesetzt, was zur Folge hatte, dass große Teile der deutschen Belegschaft nicht mehr ins Werk kommen konnten. Die bürgerliche Presse tat ein übriges, indem sie die Streiks einer radikalen Minderheit zuschob und die Streikleitung als Kriminelle abstempelte und auch rassistische Tendenzen förderte. So gelang es, die meisten Deutschen vom aktiven Streik abzuhalten. Zudem konnte der BR am Mittwoch die ersten Verhandlungsergebnisse mitteilen, die die gestellten Forderungen zwar bei weitem nicht erfüllten, bei den deutschen Kollegen aber die Bereitschaft weiterzustreiken dämpften.

War die Abwieglungstaktik von BR und GL bei den deutschen Kollegen mehr oder weniger erfolgreich, so bestand bei den türkischen Arbeitern keine Möglichkeit der Einflussnahme von dieser Seite. Es wurde sogar ein türkischer Konsul von der GL herbeigeschafft, um den türki­schen Kollegen den Streik auszureden.

Die extrem schlechte Lage der türkischen Arbeiter bei Ford (schlechteste Arbeitsbedingun­gen, vor allem in der Endmontage, mehr als zweijährige erfolglose Verhandlungen des Be­triebsrats zur Änderung dieser Zustände, niedrigste Lohngruppen), machte aber die Durchset­zung wenigstens eines Teils der Forderungen für sie zu einer unmittelbaren Notwendigkeit und verlieh dem Streik einen Grad von Erbitterung, der viele deutsche Arbeiter abschreckte.

Zu diesen Bedingungen kam noch hinzu, dass die türkischen Kollegen stark auf Baha Tar­gün fixiert waren. Seine Person spielt überhaupt bei der Bewertung des Streiks eine zentrale Rolle. Im BR bislang hoffnungslos unterrepräsentiert, sahen die Türken in Targün das Symbol ihres wachsenden Selbstbewusstseins. Zum ersten Mal sprach ein Kollege, der ihre spezifi­schen Probleme aus eigenem Erleben kannte, auch auf türkisch zu ihnen, und war dabei gleichzeitig in der Lage, ihre Forderungen BR und GL gegenüber unnachgiebig zu vertreten.

Von den 53 Mitgliedern des Betriebsrats sind bei Ford im Übrigen nur fünf ausländische Arbeiter, darunter zwei Türken. Keiner der beiden türkischen Betriebsräte hatte die Position eines freigestellten Betriebsrates erreicht, obwohl einer von ihnen bei den Betriebsratswahlen auf einer eigenen Liste 32,8 Prozent der Stimmen erhielt, was für mehr als zehn weitere Be­triebsratsmitglieder (denen dann vermutlich Deutsche hätten weichen müssen) gereicht hätte, wenn die Liste voll besetzt gewesen wäre. Die Betriebsratsleitung begründete ihren Ent­schluss, den türkischen Kollegen nicht freizustellen, damit, dass er die deutsche Sprache nur unzureichend beherrsche und sich im Betriebsverfassungsgesetz nicht auskenne.

Um keinen falschen Eindruck über den Ablauf des Streiks entstehen zu lassen, muss aller­dings auch noch gesagt werden, dass die Türken als geschlossene Gruppe es verstanden, wäh­rend der Streiktage spontan und ungeplant eine hervorragende organisatorische Arbeit zu leis­ten. So klappte das System der Werksüberwachung und der permanenten Mobilisierung nahe­zu reibungslos. Angesichts dieser Situation war für die GL sehr bald einsehbar, dass Abwieg­lungsmöglichkeiten nicht bestanden, und dass allein ein gezieltes militärisches Vorgehen den Streik vorzeitig beenden konnte.

Am Donnerstag (immerhin waren noch ca. 5.000 Türken aktiv am Streik beteiligt) kam es dann zu dem spektakulären Polizeieinsatz, in dessen Verlauf die gesamte Streikleitung verhaf­tet wurde. Erwähnenswert ist hierbei, dass die für das Zuschlagen der Polizei ausschlaggeben­de sogenannte »Gegendemonstration« (Parole: Wir wollen arbeiten) in der Hauptsache aus Managern, Obermeistern, Meistern, Werkschutz und BR bestand, allen voran und von er­schreckender Aktivität beseelt, BR-Vorsitzender Lück. Als die Streikleitung verhaftet war, brach die Streikfront verhältnismäßig rasch zusammen.

Der Streik im Zweigwerk Merkenich

In Köln-Merkenich befindet sich das zentrale Ersatzteillager für die in Europa produzierten Fordmodelle. Hier liegt auch die Hauptverwaltung für Ford Europa mit 800 Angestellten. Im Ersatzteillager sind 800 Arbeiter beschäftigt. 60 Prozent von ihnen sind Ausländer, die meis­ten davon Türken. Hier begann der Streik am Montag, den 27. August, obwohl der Streik in Niehl sich bereits am Freitag, dem 24. entzündete. 600 Arbeiter beteiligten sich von Anfang an in Merkenich am Streik.

Wegen des relativ hohen Anteils der deutschen Kollegen an der Gesamtbelegschaft war es für Geschäftsleitung und Betriebsrat von vornherein schwierig, die türkischen Kollegen zu isolieren. Die Stärke der Streikfront zwang den Betriebsrat, sich den Forderungen der Strei­kenden anschließen. Typisch für den gesamten Streik bei Ford ist die Tatsache, dass die Kollegen die Organisation des Streiks nicht an den Betriebsrat abgaben, sondern darauf be­standen, eine Streikleitung aus ihren Reihen zu wählen. Auf der ersten Streikversammlung wurden dazu zwei Deutsche, zwei Türken und eine Türkin gewählt. Auf dieser Versammlung wurden auch die ursprünglichen Forderungen denen des Hauptwerks angeglichen.

Die Streikleitung bestand, im Gegensatz zur Streikleitung des Hauptwerkes, von Anfang an darauf, zusammen mit Betriebsrat und Geschäftsleitung zu verhandeln. Der Betriebsrat lehnte dies ab und versuchte vielmehr, durch Diffamierung (Linksradikale Unternehmersöhne etc.) die Streikleitung von den Kollegen zu isolieren. Ähnlich verfuhr er auch auf der außerordent­lich einberufenen Betriebsversammlung am Dienstag, wo er ausschließlich über die Mikro­phone verfügte und die Kollegen aufforderte, die Arbeit wieder aufzunehmen. Dennoch ge­lang es der Streikleitung, das Wort zu ergreifen. die Taktik des Betriebsrats offenzulegen und zur Fortsetzung des Streiks aufzufordern.

Trotzdem hatte das Verhalten des Betriebsrates die anwesenden Deutschen verunsichert. Bei den Türken war der Streikwille nach wie vor ungebrochen und fand auch Ausdruck in der Forderung, neue Umzüge durch das Werk zu machen. In dieser Situation gelang es der Streik­leitung nicht, die mehr oder weniger verunsicherten Deutschen und die kampfbereiten Türken zusammenzuhalten. Der Fehler der Streikleitung war es, zu wenig auf die Deutschen einge­gangen zu sein und sie von der Notwendigkeit, den Streik fortzusetzen, zu überzeugen. Statt­dessen gab sie dem Bedürfnis der Türken nach, weitere Umzüge durchzuführen, denen dann nur noch etwa 100 Deutsche folgten. Vor allem am Mittwoch, nachdem der Betriebsrat mit der Begründung, die Geschäftsleitung verhandele nicht während des Streiks, erneut zur Wie­deraufnahme der Arbeit aufgerufen hatte, bröckelte die Streikfront weiter ab. Am Streik betei­ligten sich aktiv nur noch 40 Türken und zehn Deutsche. Angesichts dieser Situation ent­schloss sich die Streikleitung, den Streik abzubrechen.

Nachdem der Streik zusammengebrochen war, konnte es sich die Geschäftsleitung sogar erlauben, die gesamte Streikleitung zu entlassen. Anzumerken ist noch, dass die Angestellten, die bereits am ersten Streiktag zum Mitmachen aufgefordert wurden, sich am Streik nicht be­teiligten.

Das Versagen der Gewerkschaft im Betrieb

Um die Ursachen des Versagens des Betriebsrats und des Vertrauensleutekörpers in diesem Streik zu verstehen, muss noch kurz auf die Entwicklung der betrieblichen Vertretungsorgane eingegangen werden. Vor 1962 war Ford ein gewerkschaftlich sehr schlecht organisierter Be­trieb, da der damalige Betriebsratsvorsitzende und seine Gruppe die Organisierung niedrig hielten, um seine Position nicht zu gefährden. Der Opposition gegen diese Politik gelang es aber, den IG Metall-Vorstand zu einer Schwerpunktaktion bei Ford zu bewegen, die im Zu­sammenhang mit einer Kampagne für betriebsnahe Tarifpolitik durchgeführt wurde.[1] Zwar scheiterte dieser Versuch, isoliert die betriebsnahe Tarifpolitik durchzusetzen, am Widerstand des damaligen Kölner IGM-Bezirksleiters, der eine Schwächung seiner Position befürchten musste, aber die Aktion war insoweit erfolgreich, als sich der gewerkschaftliche Organisati­onsgrad bei Ford sprunghaft erhöhte. Günther Tolusch, Führer der Opposition im Betriebsrat, wurde damit Betriebsratsvorsitzender. Von ihm gingen eine Reihe politischer Initiativen aus, die ihn in der Organisation zum Linken stempelten. Die Konflikte, in die er dadurch zum Ge­werkschaftsapparat geriet, machten es notwendig, dass er seine Position mit weiteren organi­satorischen Erfolgen absicherte, ohne dass es zu einer wirklichen Bewusstseinsbildung im Be­trieb gekommen wäre. Die rasch steigenden Zahlen ausländischer Arbeitskräfte verstärkten diesen Prozess nur noch. Als Tolusch 1970 Ford verließ, um die Verwaltungsstellenleitung der IG Metall in Köln zu übernehmen, zeigte sich die schwache Position des Betriebsrates un­ter einer schwachen Führung nur bald allzu deutlich. Ein aktiver Vertrauensleutekörper war nicht vorhanden. Wilfried Kuckelkorn, Vorsitzender der VK-Leitung und stellvertretender Betriebsratsvorsitzender, konnte so 1972 die Vertrauensleutearbeit bei Ford in einer Weise umorganisieren, die eine weitgehende Dezentralisierung des Vertrauensleutekörpers mit einer Zentralisierung des Einflusses der VK-Leitung verband. Das Werk wurde in Bereiche aufge­teilt, in denen die Vertrauensleute in der Regel in einer oder mehreren Hallen gewählt werden. Die Vertrauensleute einer Halle wählen die Hallenleitungen, diese die Bereichsleitung und diese wiederum die zentrale Vertrauenskörperleitung. Ein Vorsitzender einer Bereichsleitung darf aber nicht in der zentralen VK-Leitung sitzen. Das hat zur Folge, dass dort nur noch Betriebsräte sitzen und der Kontakt von unten nach oben, insbesondere auch die Kontrolle der VK-Leitung durch die Vertrauensleute an der Basis, nicht mehr gesichert ist. Was die ausländischen Vertrauensleute anbetrifft, so sind einige von ihnen zwar in Hallenleitungen, kaum einer mehr aber in den Bereichsleitungen, geschweige denn in der zentralen VK-Leitung. Und das bei einer Belegschaft mit 55 Prozent ausländischen Arbeitern. Führt man sich die Auswirkungen solcher Strukturen vor Augen, so wird verständlich, warum die Gewerkschaft im Betrieb versagen muss, wenn ausländische Arbeiter Forderungen aufstellen und dafür streiken wollen. Sie treffen auf einen starren Apparat, der nur mit Ablehnung und Unterdrückung solcher Versuche reagieren kann.

Nachdruck in express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit Ausgabe 7-8/2023 aus: Redaktionskollektiv »express« (Hg.) (1974): Spontane Streiks 1973. Krise der Gewerkschaftspolitik, Offenbach: Verlag 2000. S. 105 – 108.

Anmerkung

1)      Vgl. dazu: Wittemann, Klaus-Peter: Ford-Aktion. Zum Verhältnis von Industriesoziologie und IG Metall in den sechziger Jahren. Marburg 1994. Anm. d. Red. 2023.

Siehe auch im LabourNet:

  • »Die einzige Waffe ist der Streik«? Ein Rückblick auf die »wilden« Streiks 1973
    Artikel von Nuria Cafaro erschienen in express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit Ausgabe 7-8/2023
  • Und viele weitere Beiträge zu den Streiks in 1973 (auch viele zu Ford) in unserer Rubrik Geschichte der Arbeiterbewegung
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=213716
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