Henstedt-Ulzburg: Gezielter Angriff von AfD-Anhänger mit einem Auto auf Antifaschist*innen

Dossier

Soli-Bündnis rund um den Prozess des rechten und rassistischen Anschlags von Henstedt-Ulzburg„Am gestrigen Samstag, 17.10.2020 sind Anhänger der faschistischen AFD, nachdem sie von der Kundgebungsleiterin des Platzes der Gegenkundgebung verwiesen wurden, gezielt mit ihrem VW Amorak zuerst in zwei Menschen und folgend auf zwei weitere Menschen zugefahren. (…) Zwei Menschen versuchten auf die Grünfläche zu gelangen, der Fahrer lenkte seinen Wagen auch auf diesen und erfasste beide Menschen. Unvermittelt fuhr er weiter und erfasste ca. 10 Meter weiter eine weitere Person, der vierte Mensch konnte sich zur Seite retten. (…) Bei dem gezielten Tötungsversuch der AfD-Anhänger wurden mehrere Personen zum Teil schwer verletzt. Die Polizei ist sich für nichts zu blöde und fantasiert den Mordversuch zu einem einfachen “Verkehrsunfall” um…“ Protest und Aufruf zu einer Solidaritätsdemo mit den Betroffenen am 18. Oktober 2020 der Antifa Pinneberg externer Link, siehe nun den Prozeß:

  • Drei Jahre Jugendstrafe im Henstedt-Ulzburg Prozess: Das Gericht erkannte weder ein rechtes und rassistisches Tatmotiv noch eine Tötungsabsicht bei dem Täter New
    Heute verurteilte das Landgericht Kiel im Prozess den Angeklagten Melvin S. zu drei Jahren Jugendstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung in vier Fällen und gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr. Das Gericht erkannte weder ein rechtes und rassistisches Tatmotiv noch eine Tötungsabsicht bei dem Täter. Das Gericht stellte in seinem Urteil zwar fest, dass Melvin S. extrem rechte Inhalte auf seinem Handy hatte, AfD-Mitglied war und sich am Tattag auch provokativ mit einer „Reichsbrause“ des Neonazi Tommy Frenck beim antifaschistischen Gegenprotest fotografierte, wollte die politische Einstellung jedoch nicht hinreichend als tatrelevant feststellen.
    „In den 21 Prozesstagen wurde deutlich, dass Melvin S. bereits zum Tatzeitpunkt eine extrem rechte Weltsicht vertrat, was nicht zuletzt an zahlreichen NS-verherrlichende Inhalten auf seinem Telefon und der Mitgliedschaft in der AfD dokumentiert ist. Wir finden es falsch, dass das Gericht die politische Tatmotivation nicht anerkennt. Mit dem Verweis, eine politische Bewertung müsse die Gesellschaft leisten und nicht das Urteil, nimmt sich das Gericht aus der Verantwortung“, resümiert Sonja Petersen für das Bündnis Tatort Henstedt-Ulzburg. (…)
    Vor der Urteilsverkündung sprachen zwei der Betroffenen und Nebenkläger*innen im Prozess auf der Kundgebung des Bündnisses und bedankten sich für die solidarische Unterstützung in dem sechsmonatigen Prozess. Die Betroffene O. sagte in ihrem Beitrag: „Ich habe gekämpft und ich habe überlebt. Der Prozess wird heute enden, aber ich werde weiter mit den Konsequenzen des Tötungsversuchs durch Melvin S. kämpfen müssen. […] Aber was nicht endet und niemals enden wird ist die Solidarität. Unsere Waffe ist Solidarität“…“ Bündnis Tatort Henstedt-Ulzburg am 21. Dezember 2023 externer Link, siehe auch:

  • Mitfahrer bei der Auto-Attacke in Henstedt-Ulzburg hat enge Verbindung zu Burschenschaft und AfD und versucht mit rechter Täter-Opfer-Umkehr seinen Freund zu schützen
    „Am siebten Prozesstag zur rechten und rassistischen Auto-Attacke vom 17. Oktober 2020 in Henstedt-Ulzburg war Julian R., der damalige Mitfahrer vom Angeklagten Melvin S., als Zeuge geladen. In seiner Aussage gab er an zur Tatzeit CDU-Mitglied gewesen zu sein. Jedoch besuchte er mit dem Täter Melvin S. mehrere AfD-Veranstaltungen und -Stammtische, u.a. schon 2018 in Hensted-Ulzburg. Nach der Tat traf er sich mit AfD-Funktionär Julian Flak, um diesem zu berichten. Nur widerwillig räumte er seine Verbindung zu der Gymnasialen Burschenschaft Germania zu Kiel ein. Nach ihm vorgehaltenen Chatnachrichten kann von einer Mitgliedschaft ausgegangen werden. Bei seiner Schilderung des Tattages sieht er sich, den Angeklagten sowie ihre Begleiter P. und T. als eigentliche Opfer des Geschehens. Sie seien von Gegendemonstrant*innen zunächst mit Tröten und Pfeiffen bedroht und dann von einer Gruppe vermummter Männer angegriffen worden – keiner der bisher gehörten Tatzeug*innen hat von diesem vermeintlichen Angriff etwas mitbekommen. Bereits in Chatnachrichten hatte er den Angeklagten bestärkt: „Eigentlich bist du sogar ein Held“. Auch gestern blieb er bei dieser Aussage, denn Melvin S. hätte ihren Begleiter vor schlimmeren Folgen bewahrt. Jegliche Worte des Bedauerns oder Empathie blieb er den teils schwerverletzten Geschädigten und Nebenkläger*innen schuldig. Mit seiner Aussage betrieb er eine bekannte rechte Täter-Opfer-Umkehr, wie sie von der AfD bereits unmittelbar nach dem Anschlag verbreitet wurde und wie sie sich Melvin S. als Verteidigungsstrategie am ersten Verhandlungstag zu eigen machte. Julian R. ging sogar darüber hinaus und beschuldigte die Nebenkläger*innen, zu den vermeintlichen Angreifern auf seinen Begleiter zu gehören. „Gestern wurde nochmals deutlich, dass nicht nur der Angeklagte, sondern auch sein Freund und damaliger Mitfahrer auf AfD-Veranstaltungen war. Er informierte Parteifunktionär Julian Flak nach der Tat. Klar ist: Der Mitfahrer R. versucht nicht nur seinen Freund zu schützen, sondern glorifiziert ihn zum Helden“, fasst Sonja Petersen für das Bündnis Tatort Henstedt-Ulzburg zusammen.“ Pressemitteilung des Bündnis Tatort Henstedt-Ulzburg vom 15. August 2023 externer Link mit Link zu weiteren Infos zum Prozess
  • Prozess zu #TatortHU: Betroffener der Auto-Attacke in Henstedt-Ulzburg sagt aus: „Er wollte uns töten“. Nächste Kundgebungen am 10. und 11. August vor dem Gericht 
    Am heutigen dritten Prozesstag äußerte sich einer der vier Betroffenen der rechten und rassistischen Auto-Attacke vom 17. Oktober 2020 und schilderte eindrücklich den Angriff sowie die Folgen der Tat für ihn. Der Betroffene nahm als Gewerkschaftsmitglied zusammen mit seiner damaligen Partnerin an der Bündnisdemonstration in Henstedt-Ulzburg teil. Angeklagt ist der Fahrer und damaliges AfD-Mitglied Melvin S. wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr. Nachdem der Betroffene gesehen hat, wie bereits zwei andere Betroffene von dem Auto auf dem Gehweg erfasst wurden, konnte er sich durch einen Sprung zur Seite zwischen zwei parkende Autos retten. Von dort hat er mit ansehen müssen, wie das Auto seine weglaufende Partnerin verfolgte. Als seine Partnerin vom Auto erfasst wurde, „dachte ich direkt, dass sie tot ist“, so der Betroffene. Der Eindruck des Betroffenen war, „dass er uns töten wollte“. (…) Sonja Petersen stellt für das Bündnis Tatort Henstedt-Ulzburg fest: „Der sehr emotional-bewegenden Aussage des Betroffenen folgend, wurde heute deutlich, dass der Angeklagte einen Tötungsvorsatz gehabt haben muss und den Tot der vier Betroffenen billigend in Kauf nahm. Die sehr offenen Schilderungen über die persönlichen Folgen des Anschlags für den Betroffenen haben viele solidarische Prozessbesucher*innen emotional stark berührt.“ „Es ist uns wichtig, solidarisch an der Seite der Betroffenen zu stehen und sie insbesondere bei ihren Aussagen nicht allein zu lassen. Wir rufen ausdrücklich dazu auf, sich mit den Betroffenen zu solidarisieren und an unseren nächsten Kundgebungen am 10. und 11. August vor dem Gericht teilzunehmen“, so Hauke Sörensen.“ Pressemitteilung vom 2. August 2023 beim Bündnis Tatort Henstedt-Ulzburg externer Link
  • Tatort Henstedt-Ulzburg: Prozessbeginn gegen ehemaliges AfD-Mitglied und Kundgebung in Solidarität mit den Betroffenen am 3. Juli in Kiel
    Heute, am 3. Juli 2023, begann vor dem Kieler Landgericht der Prozess zur rechten und rassistischen Auto-Attacke vom 17. Oktober 2020 in Henstedt-Ulzburg. Der Fahrer Melvin S. ist wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr angeklagt. Als Bündnis Tatort Henstedt-Ulzburg organisierten wir heute eine Kundgebung in Solidarität mit den Betroffenen der Auto-Attacke, an der über 100 Menschen teilnahmen.
    Eine Betroffene hielt einen starken und bewegenden Redebeitrag auf der Kundgebung: „Was medial nie wirklich benannt geworden ist: Ich wurde nicht einfach nur umgefahren, ich wurde mit dem Auto verfolgt und schlussendlich umgefahren. Ich bin wortwörtlich in Todesangst um mein Leben gerannt, als Melvin S. dieses riesige Auto auf mich zugesteuert hat und mich mehrere Meter damit gejagt hat. […] Es hat mich nicht nur als Antifaschistin getroffen, es hat mich in erster Linie als die Schwarze Frau getroffen, die hier steht. Denn ich hatte nie das Privileg unpolitisch sein zu können. (…) Der Anschlag hat mir für fast drei Jahre meine politische Stimme geraubt, aber heute stehe ich wieder hier und möchte zum Ende meines Beitrages und zu Beginn des Prozesses mich bei all denjenigen bedanken, die dafür gesorgt haben, dass dieser Anschlag nicht in Vergessenheit gerät und als das wahrgenommen wird, was er war.“
    Das Gericht hat heute Teile der Anklage verlesen und den Täter befragt, der sich zur Anklage geäußert hat. Sonja Petersen stellt für das Bündnis Tatort Henstedt-Ulzburg fest: „Das Gericht kann anhand der Handyauswertung des Täters bestätigen, was Antifaschist*innen bereits kurz nach der Tat recherchierten: Melvin S. ist ein gefährlicher Faschist.“ Ein Newsletter der „Identitären-Bewegung“ sowie ein Hakenkreuz-Bild und Fotos in Wehrmachtsuniform auf seinem Handy offenbaren seine extrem rechte Einstellung. „Wie erwartet hat der Täter heute unzählige Lügen aufgetischt. Die Darstellung, er und seine Freunde seien von einer 8 bis 12-köpfigen Gruppe verfolgt worden, die den Zeugen P. angegriffen habe, muss als Schutzbehauptung gewertet werden. Dies ist eine widerliche Täter-Opfer-Umkehr, die uns als Strategie von Neonazis in Gerichtsprozessen bekannt ist.“, fasst Petersen die Einlassung des Angeklagten zusammen. Die Verteidigung behauptet gar, sein Mandant und seine Familie würden beobachtet und beleidigt werden…“ Pressemitteilung vom 3. Juli 2023 von und beim Bündnis Tatort Henstedt-Ulzburg externer Link, siehe auch:

    • „Unpolitischer“ Hass auf Linke: Im Prozess um die Auto-Attacke am Rande einer AfD-Veranstaltung in Henstedt-Ulzburg gab der Angeklagte sich harmlos. Überzeugend war das nicht.
      „Vor fast drei Jahren fuhr ein damals 19-Jähriger am Rand einer AfD-Veranstaltung in Henstedt-Ulzburg mit einem Pick-up in eine Gegendemonstration, mehrere Menschen wurden verletzt. Am Kieler Landgericht begann am Montag, begleitet von einer Kundgebung vor dem Gebäude, der Prozess. Der heute 22-jährige Melvin S. erklärte die Tat als Folge einer „Panik“ und Angst vor den Demonstrierenden. Für die Opfer ist das nicht glaubwürdig. (…) Was geschehen sei, tue ihm leid, am liebsten würde er alles rückgängig machen. Doch durch die genauen und ruhigen Nachfragen der Richterin Maja Borrmann bekam dieses weichgezeichnete Bild mehr und mehr Risse. Ziel der Aktion sei gewesen, „Zecken zu glotzen“? „Kann sein, dass das meine Wortwahl war.“ (…)In dem Freundeskreis, dessen WhatsApp-Gruppe sich „Ortskontrollfahrt“ nannte, habe es auch politische Gespräche gegeben: „Ich gebe mal ein Beispiel: Kita-Freigebühren“, sagte S. – im Zuschauerraum brandete daraufhin Gelächter auf. Tatsächlich ergaben die Ermittlungen, dass die Gruppe Bilder mit Hakenkreuzen ausgetauscht hat, die der Angeklagte vor Gericht als „so lustige Bilder“ bezeichnete. Auch hat S. in der Chatgruppe den Satz „Ich hasse Linke“ geschrieben. Zum Zeitpunkt der Tat war S. Mitglied der AfD, trat aber kurz danach aus. Auch mit der Identitäten Bewegung habe er sich befasst und fand sie „interessant“, wie er sagt. Rassist und Nationalsozialist sei er aber nicht, beteuerte er: Schließlich habe er einen Schwarzen Arzt und einen „tollen Kollegen“ aus Namibia. (…) Rechtsanwalt Björn Elberling, der einen der Betroffenen als Nebenkläger vertritt, schüttelte am Rand der Verhandlung nur den Kopf: „Diese Entschuldigung nimmt niemand ernst.“ Es sei typisch, dass ein Schwarzer Arbeitskollege als Beweis für die Gesinnung genannt werde. Auch die Schilderung des Vorfalls könne nicht stimmen: Der Wagen sei nicht nur geradeaus gerollt, wie Melvin S. berichtet hatte. Einer der Nebenkläger, der auf der Motorhaube des Wagens landete, berichtete in einer Verhandlungspause, dass der Wagen einen Schlenker in die Gruppe gemacht habe. Das Gericht hat Termine bis in den Oktober hinein vorgesehen.“ Artikel von Ester Geisslinger vom 3. Juli 2023 in der taz online externer Link

Grundinfos:

  • Bündnis Tatort Henstedt-Ulzburg: Homepage externer Link und Twitter-Account externer Link
  • Prozesstermine externer Link: „Beteiligt euch an der solidarischen und kritischen Prozessbegleitung am Landgericht Kiel (Schützenwall 31-35, 24114 Kiel). Unterstützt mit uns gemeinsam die vier Betroffenen und zeigt ihnen, dass sie nicht alleine sind. Bisher terminiert sind folgende Prozesstage…“ 2. Prozesstag ist am Freitag, 14. Juli ab 09:00 Uhr
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=179888
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