[Presseschau] Wie über den fatalen Mythos vom Einzeltäter die rechten Netzwerke ausgeblendet und der Rechtsterrorismus nicht ernst genommen wird

Kommentierte Presseschau von Volker Bahl vom 9.9.2020 – wir danken!

Ulrich Chaussy „Das Oktoberfestattentat – und der Doppelmord von Erlangen.“ Wie über den fatalen Mythos vom Einzeltäter die rechten Netzwerke ausgeblendet und der Rechtsterrorismus nicht ernst genommen wird.

Zur Ergänzung muss jetzt erwähnt werden, dass diese partielle „Blindheit“ der Rechtspflege-Organe bezüglich des rechten Terrors inzwischen gerade auch in der juritischen Literatur angekommen ist.

Im Heft 3 der „Kritischen Justiz“ von 2020 (https://www.kj.nomos.de/archiv/ externer Link) wird der Schwerpunkt „Die Rechten und das Recht“ breit dargelegt.

Zu dem recht konkreten Vorwurf der Ideologie der Einzeltäterschaft von Ulrich Chaussy (siehe im weiteren) wird in dem Aufsatz von Kristin Pietrzyk und Alexander Hoffmann unter dem Titel „Die Rolle von Generalbundesanwaltschaft und Nebenklage in exemplarischen Rechtsterrorverfahren“ eingegangen, wo dann auch festgehalten wird, dass durch die Selbstenttarnung der NSU im November 2011 die Generalbundesanwaltschaft in eine Legitimationskrise geriet – und zu einer etwas veränderten Deutung der Ereignisse – nur wenig „außerhalb“ der Einzeltäter-Theorie – gelangen konnte: Drei isolierte, nicht organisatorisch in Neonazinetzwerke eingebundene TäterInnen… sind ganz allein verantwortlich für die Taten der NSU.

Mit dem Tod der zwei Männer hatte demnach die terroristische Vereinigung aufgehört zu existieren, die wenigen UnterstützeInnen waren – nach Sicht der Generalbundesanwaltschaft (sowie des Oberlandesgerichts München) – in die Pläne nicht eingebunden: Damit gibt es keine bewaffnetet neonazistischen, rassistischen, antisemitischen Gruppen in Deutschland, die ihre politische Agenda mit tödlichen Anschlägen durchzusetzen versuchen. (ebenda in der „KJ“, S. 315 f.)

Dazu dann jetzt auch Ulrich Chaussy: In dem Vorwort zu der Neuauflage seines Buches zum Oktoberfest-Attentat geht Ulrich Chaussy auch der Frage nach, ob diese These des – immer nur – Einzeltäters auch für linken Terror galt und gilt? (https://taz.de/Nazimorde-in-Deutschland/!5709442/ externer Link)

„Der rechtsextreme Einzeltäter ist von Polizisten, Kriminalisten und Juristen auf wundersame Weise als Komplementär-Modell zum linken Attentäter a la RAF erschaffen worden, mit dem sich Polizei, Justiz und Politik zuvor in den siebziger Jahren zu befassen hatten: Was immer der einzelne linke Terrorist tat, er wurde immer als ideologischer Klon all seiner Genossen begriffen. Nach dieser Logik war jede/r, der einer Gruppe zugerechnet werden konnte, Teil eines kollektiven Hirns, genauso am Entschluss beteiligt, Teil eines Netzwerkes und – vor Gericht gelandet – im gleichen Maß dafür verantwortlich gemacht.

Ganz anders wurde verfahren als auch… erste Gewalttaten von Rechtsextremisten begangen wurden… Der Mythos vom Einzeltäter begleitet die halbherzige Bekämpfung des Rechtextremismus bis heute. Jedoch seit der Selbstenttarnung des NSU im November 2011 wird dieser Verharmlosung… mit wacher Skepsis begegnet. Die kritische Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit nimmt allmählich zu… Nur auf der Ebene der Justiz wird wo immer möglich an dem Einzeltätermythos festgehalten. Im spektakulären Fall des NSU wurden die weiteren Strukturen des rechten Terrors- immer noch – ausgeblendet. Zwar wurde das Schema des Einzeltäters etwas variiert, denn aus dem Einzeltäter wurde jetzt ein verschworenes, angeblich abgeschottetes Trio… In dieser Reduktion der terroristischen Vereinigung NSU auf das Trio… offenbarte sich, dass rechte Netzwerke auch weiterhin nicht ernst genommen und konsequent bekämpft werden… (Dieses Vorwort zu der Neuauflage des Buches von Ulrich Chaussy wurde in der TAZ vom 5./.6. September 2020 abgedruckt: https://taz.de/Nazimorde-in-Deutschland/!5709442/ externer Link, siehe zum Buch: https://www.christoph-links-verlag.de/index.cfm?view=3&titel_nr=9100 externer Link – siehe auch zur Einstellung des Verfahrens – mit „neuer“ Erkenntnis: https://taz.de/Ulrich-Chaussy-ueber-Oktoberfestattentat/!5698681/ externer Link)

Der fixen Idee, dass bei der Verfolgung von Rechtsextremen es sich immer nur um Einzeltäter handelt geht auch der Doku-Film „Der Terror der einsamen Wölfe“ nach (https://taz.de/Doku-ueber-rechten-Terror/!5699887/ externer Link)

Zur „Kritischen Justiz“ vgl. auch (https://de.wikipedia.org/wiki/Kritische_Justiz externer Link)

Kommentierte Presseschau von Volker Bahl vom 9.9.2020 – wir danken!

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=177861
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