Nazi-Mordanschlag beim Oktoberfest: Geht es nach dem Willen der bundesdeutschen Justiz, soll die Untersuchung des Attentats vom 1982 endgültig begraben werden…

Dossier

Chaussy, Ulrich: Oktoberfest : Ein Attentat.„… Trotz seiner Zugehörigkeit zur rechtsradikalen Wehrsportgruppe Hoffmann war es beim ersten Abschluss der Ermittlungen im Jahr 1982 nicht zur Einordnung gekommen, dass es sich um ein rechtsextremistisch motiviertes Attentat handelte. Die Ermittlungen zu zwei Tatbekenntnissen mit direkter Verbindung in die Wehrsportgruppe des Neonazis Karl-Heinz Hoffmann, waren von der Bundesanwaltschaft eingestellt worden. (…) Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik nahm am 11. Dezember 2014 die Bundesanwaltschaft ein bereits abgeschlossenes Verfahren wieder auf. Wie die Bundesanwaltschaft nun in Karlsruhe bekannt gab, wurden in den vergangenen fünfeinhalb Jahren rund 770 Spuren bearbeitet, mehr als 1000 Vernehmungen geführt und über 300 000 Seiten an Akten gesichtet. Konkrete und strafrechtlich relevante Hinweise seien jedoch nicht gefunden worden. Asservate des seinerzeit als abgeschlossen geltenden Falles wurden im Jahr 1997 vernichtet. »Die Möglichkeit einer Beteiligung weiterer Personen als Anstifter, Gehilfen oder Mittäter kann zwar nicht ausgeschlossen werden«, sagte die Behörde zum Abschluss ihrer Untersuchungen. Allerdings sei nicht ersichtlich geworden, wie sich eine etwaige Beteiligung konkret in den Entschluss zur Tat, ihre Vorbereitung oder ihre Durchführung eingefügt haben könnte…“ – aus dem Beitrag „Opferfonds nach Attentat gefordert“ von Daniel Lücking am 08. Juli 2020 in neues deutschland online externer Link über die nächste Einstellung der Untersuchungen im bekanntesten Nazi-Verbrechen der „alten Bundesrepublik“…  Siehe dazu u.a. auch ein Interview mit einem Journalisten, der sich seit langen Jahren für eine wirkliche Untersuchung eingesetzt hat:

  • Demo in München am 26.09.20: 40 Jahre nach dem Oktoberfestattentat – Gegen das Vergessen und die Kontinuitäten rechten Terrors – #mehrals40Jahre New
    „… Bereits vor vierzig Jahren wurden Drohungen und Warnungen vor der Gefahr durch rechten Terror nicht ernst genommen und Zusammenhänge zwischen einzelnen Taten und Täter*innen systematisch ignoriert. Rechtsterroristische Anschläge wurden im Nachgang entpolitisiert und immer wieder ging man von Einzeltäter*innen mit individuellen Tatmotivationen aus. So wurden die Bedingungen für weitere Anschläge geschaffen. Doch die Taten des Terrorjahres 1980 stehen sowohl untereinander, als auch mit dem rechten Terror der Gegenwart in Zusammenhang. Dieser wird durch die fortwährende Verharmlosung rechter Gewalt, Kriminalisierung der Betroffenen, sowie den politischen Kampf gegen Antifaschist*innen weiter ermöglicht. All diese Kontinuitäten gilt es zu benennen und zu beenden. (…) Nazinetzwerke entwaffnen und zerschlagen!  Verfassungsschutz auflösen!  Akten freigeben!  Entnazifizierung aller staatlichen Behörden jetzt!  Schluss mit der Kriminalisierung antifaschistischer und migrantischer Selbstorganisation! Tragt die verdrängte und vergessene Geschichte der Opfer des rechten Terrors in die Öffentlichkeit! Zeigt eure Solidarität auf der Straße und im Netz unter #mehrals40jahre! Kommt zur antifaschistischen Demonstration in München, am 26.09.! Kein Vergessen!“ Aufruf zur Demo auf der Aktionsseite externer Link
  • 40 Jahre Münchner Oktoberfestattentat: Der erste rechte Einzeltäter New
    Am 26. September jährt sich das Verbrechen. Der schwerste Terroranschlag in der Geschichte der Republik bleibt unaufgeklärt. Schon 1982, als Generalbundesanwalt Rebmann die Ermittlungen zum ersten Mal einstellte und Gundolf Köhler als frustrierten von Liebeskummer geplagten Einzeltäter ohne politische Motive präsentierte, stellten etliche Unstimmigkeiten diese Entscheidung in Frage externer Link. Wie vorprogrammiert liefen die damaligen Ermittlungen auf die These des unpolitischen Einzeltäters hinaus. Das machen auch die Vernehmungen der Freunde Köhlers deutlich. Ausgedehnt fragten die Ermittler nach sexuellen Vorlieben und romantischen Beziehungen. Fragen nach politischem Hintergrund oder Kontakten zu rechten Gruppen wurden dagegen eher sporadisch gestellt und kaum eingehender verfolgt. Dabei war es trotz dieser tendenziös geführten Ermittlungen völlig offensichtlich, dass Gundolf Köhler antisemitischen, nationalsozialistischen und rassistischen Vorstellungen anhing und mit diesen auch nicht hinter dem Berg hielt. Von einem Hitler-Bild über dem Bett oder von Äußerungen gegen Juden ist in den Befragungen immer wieder die Rede. (…) Es grenzt an Unverschämtheit, 40 Jahre nach dem blutigen Attentat von München im wiederholten Anlauf einerseits nichts zur Aufklärung beigetragen zu haben und gleichzeitig die Banalität zu verkünden, dass die Tat politisch motiviert gewesen sei…“ Artikel von Sebastian Wehrhahn vom 26.9.2020 in der taz online externer Link
  • Oktoberfest-Attentat: Fonds für Opfer kommt New
    Jahrzehntelang galt das Oktoberfestattentat in München als Verbrechen eines verwirrten Einzeltäters. Erst in diesem Jahr stufte die Generalbundesanwaltschaft den Bombenanschlag des Attentäters Gundolf Köhler als rechtsextremistische Tat ein. Der Bund, der Freistaat Bayern und die Stadt München planen einen gemeinsamen Entschädigungsfonds im Umfang von 1,2 Millionen Euro für die Opfer des Oktoberfestattentats von 1980. Die Bundesregierung plante hierfür am Mittwoch 500.000 Euro im Haushaltsentwurf für 2021 ein, wie das bayerische Sozialministerium sowie das Bundesjustizministerium am Mittwoch gemeinsam mitteilten. Die bayerische Staatsregierung hatte schon am Dienstag ihre Beteiligung mit 500.000 Euro beschlossen. München will sich mit 200.000 Euro an dem Fonds beteiligen, der Stadtrat muss aber noch zustimmen…“ Meldung vom 24.09.2020 beim Migazin externer Link
  • „„Wer hat da vertuscht und warum?““ am 09. Juli 2020 in der taz online externer Link ist ein Interview von Dominik Baur mit dem Journalisten Ulrich Chaussy, der einer der Aktivisten ist, denen die Neuaufnahme der jetzt wieder abgeschlossenen Untersuchung zu verdanken ist. Zur abermaligen Einstellung meint er unter anderem: „… Zumindest zeigt es mir, dass es nicht umsonst war, jahrzehntelang darauf hingewiesen zu haben, dass es völlig absurd war, wie dieses Attentat eingeordnet wurde: als ein Ereignis, das mit Politik und Rechtsextremismus überhaupt nichts zu tun haben soll. Der Täter Gundolf Köhler wurde als junger Mann beschrieben, der einfach nur frustriert war, Liebeskummer und keine Zukunftsperspektive hatte – und deshalb die Bombe hochgehen ließ. Die neuen Ermittler haben sich nicht mit diesem Psychogramm eines Verzweifelten abspeisen lassen und sind ganz klar zu dem Ergebnis gekommen, dass dieser Anschlag rechtsextremistisch motiviert war. Für mich stellt sich immer noch die Frage: Wer hat da vertuscht und warum? Das ist eine Frage, von der ich mir wünschte, sie würde auch andere Leute nicht in Ruhe lassen. Nur im Fall des Ministerialbeamten Langemann lässt sich das bisher klar an einer Person festmachen. Es gab ja bei den damaligen Ermittlungen noch mehr Vorgänge, die nur mit Schlamperei oder Zufall nicht zu erklären sind. Dazu gehört auch das Verschwinden der DNA-haltigen Asservate. Wenn bestimmte Spuren so systematisch getilgt worden sind, muss das untersucht werden. Ich möchte darauf vertrauen können, dass nach einer terroristischen Tat alle Kräfte sich darum bemühen, diese aufzuklären. Und wenn es Hinweise darauf gibt, dass stattdessen vertuscht wird, muss man dem doch nachgehen. Jetzt ist die Stunde des Parlaments. Ich fände einen Untersuchungsausschuss nicht schlecht…“
  • Siehe von 2017: Das Muster für eine geschicktere Verdeckung der NSU-Förderung: Akteneinsicht verhindern – wie beim Oktoberfest-Attentat. Grundsätzlich zulässig
  • Siehe im LabourNet u.a.: Die lange Geschichte des rechten Terrors in der BRD
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=175319
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