Leipziger Autoritarismusstudie 2022: „Die Bereitschaft andere abzuwerten steigt“

Leipziger Autoritarismusstudie 2022Bürger*innen stehen mit großer Mehrheit hinter der Demokratie, der „harte Kern“ antidemokratischer Milieus wird kleiner. Allerdings sind nur sechs von zehn Befragten mit den gelebten demokratischen Prozessen zufrieden. Die Zahl der Personen mit einem geschlossen rechtsextremem Weltbild nimmt ab – bei gleichzeitiger Verfestigung extremistischer Milieus. Ausländerfeindliche Einstellungen verharren auf hohem Niveau. Weit verbreitet sind zudem antifeministische und sexistische Einstellungen – nicht selten gehen sie einher mit anderen Ressentiments wie etwa Homo- und Transfeindlichkeit.“ Zentrale Ergebnisse der Leipziger Autoritarismus-Studie 2022 auf der Themenseite der Heinrich-Böll-Stiftung externer Link, siehe die Studie und ein Interview dazu:

  • Zu Details siehe die 317-seitige Autoritarismusstudie 2022 „Dynamiken in unsicheren Zeiten“ herausgegeben von Oliver Decker, Johannes Kiess, Ayline Heller und ElmarBrähler externer Link
  • Demokratieforscher Oliver Decker im Interview von Konstantin Kumpfmüller bei tagesschau.de am 9. November 2022 externer Link über die Ergebnisse der Leipziger Autoritarismusstudie. „… Oliver Decker: Wir haben zum Teil gute Nachrichten. Das betrifft rechtsextreme Einstellungen: Insbesondere neonationalsozialistische Ideologien mit ihren Merkmalen wie Diktatur-Befürwortung, Sozialdarwinismus und ähnliches sind massiv zurückgegangen in der Bundesrepublik, insbesondere in Ostdeutschland. Wir haben nur noch zwei Prozent, die tatsächlich allen Aussagen unseres Fragebogens zustimmen. Nur bei denen sprechen wir von einem geschlossenen rechtsextremen Weltbild. Diese Nachricht ist aber nur das halbe Bild. Gleichzeitig ist eine ganze Reihe von anderen antidemokratischen Einstellungen gestiegen. (…) [W]ir können sehen, dass zum Beispiel die Ausländerfeindlichkeit in Ostdeutschland trotz allem Rückgang weiter gestiegen ist. Ein Drittel der Bevölkerung stimmt diesen Aussagen nun zu. Ich nenne mal ein Beispiel: „Die Bundesrepublik ist durch die vielen Ausländer in einem gefährlichen Maße überfremdet.“ Das befinden 38,4 Prozent der Ostdeutschen für zustimmungsfähig. Im Westen sind es gerade mal 22,7 Prozent. Im Osten waren es vor zwei Jahren etwas mehr als 25 Prozent. Und das betrifft nicht nur diese Abwertung von Ausländern im Allgemeinen. Es gibt auch einen massiven Anstieg der Muslimfeindlichkeit, des Antiziganismus, auch Teile des Antisemitismus, der Schuldabwehr, sind gestiegen. Auch Sexismus und Antifeminismus sind angestiegen, was sehr interessant ist unter Pandemie-Bedingungen. Plötzlich wächst der Wunsch wieder, Frauen mögen doch zu Hause am Herd bleiben und dem Mann den Rücken freihalten. (…) Die Krisen haben erstaunlicherweise in den letzten zwei Jahren in der Breite der Bevölkerung zu einer Akzeptanz des demokratischen Systems geführt. Die verfassungsgemäße Ordnung in der Bundesrepublik hat noch nie so viel Zustimmung erfahren, über 90 Prozent auch im Osten derzeit. Gerade in akuten Krisen ist der Unterschied zu autoritären, autokratischen Herrschern offensichtlich. Gleichzeitig ist das Erleben einer demokratischen Wirksamkeit sehr gering. Die wenigsten Leute halten es für sinnvoll, sich zu engagieren. (…) Wir haben es mit einer Verschiebung der antidemokratischen Einstellungen zu tun. In der Breite der Bevölkerung haben antidemokratische Einstellungen Akzeptanz gewonnen, die nicht mehr ausdrücklich rechtsextrem sind, die aber eben auch für Rechtsextreme anschlussfähig sind. Eben diese Abwertung anderer, das gehört zu einem Element rechtsextremer Einstellungen, ist aber eben auch eine Brückenideologie in die Breite der Bevölkerung. Das hat weniger mit eindeutiger Polarisierung zu tun, sondern mit einer Fragmentierung der Gesellschaft entlang unterschiedlicher Konfliktlinien. Die Bereitschaft zur Polarisierung bei allen möglichen Fragen wächst ständig.  Rechtsextreme versuchen genau da, Anschlussstellen zu finden. Und das tun sie auch, weil im Grunde genommen die Demokratie und der demokratische Zusammenhalt durch diese beständige Bereitschaft zur Fragmentierung und Abwertung anderer tatsächlich bedroht ist. Es gibt nicht mehr eine gemeinsame Basis, sondern es ist sehr viel mehr die Bereitschaft da, die Kommunikation mit anderen aufzukündigen. Und das führt auch zu Erfolgen der extremen Rechten oder der AfD…“

Siehe von 2019: Welche Gewalt nimmt zu? Die rassistische. Die antisemitische. Die patriarchale. Die homophobe. Die…

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=206136
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