Rechte Gewalt, leere Kassen: Ostdeutsche Zivilgesellschaft unter Druck
„In der Bundespolitik ist das Entsetzen über den Erfolg der AfD bei der Bundestagswahl noch immer groß. (…) „Zwickau, Chemnitz, Zittau – da würde ich von extrem rechten Dominanzbestrebungen sprechen“, zählt die Expertin [Heike Radvan, Professorin für Rechtsextremismusforschung] für Sachsen auf. Die soziale Dynamik ziele darauf ab, den öffentlichen Raum für alle Personen einzuschränken, die nicht in ein rechtes Weltbild passen, beispielsweise durch dominantes Auftreten von AfD-Abgeordneten im Kommunalparlament – und durch Bedrohungen und Gewalt. (…) Exemplarisch für [die] AfD-Strategie stehen die Attacken auf das Bundesprogramm „Demokratie leben“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, das zivilgesellschaftliche Initiativen und Vereine fördert, die sich für Demokratie und gegen Extremismus engagieren…“ Artikel von Elisa Pfleger in den »Blättern« 4/2025
und mehr daraus/dazu:
- Jahresbericht Mobile Beratungsstellen: Was wirklich gegen die extreme Rechte hilft
„Rechtsextremismus wird in Deutschland immer normaler, warnen die Mobilen Beratungsstellen. Sie fordern mehr Unterstützung für die Zivilgesellschaft
Die Buchhändlerin Theresa Donner aus Halle weiß, wie man den Rechtsruck entgegentritt. Als bekannt wurde, dass in ihrer Stadt eine extrem rechte Buchmesse stattfinden sollte, handelte sie schnell. Gemeinsam mit anderen Buchhändlerinnen und Kulturschaffenden rief sie das „Wir-Festival“ ins Leben. Von September bis November boten über 400 Lesungen, Theateraufführungen und Konzerte ein Gegenangebot, das viele Menschen anzog. Am dem Festival sei man in Halle kaum vorbeigekommen, berichtet Donner: In fast jedem Schaufenster der Innenstadt prangte das Logo der ehrenamtlich organisierten Veranstaltung. „Statt der üblichen ‚Links gegen rechts‘-Proteste haben wir ein offenes, niedrigschwelliges Angebot geschaffen.“ Zusammenhalt entstehe eher, wenn man etwas aufbaue, statt nur „dagegen“ zu sein, erklärt sie. Das Festival habe ihr Mut gemacht – auch mit Blick auf die Landtagswahlen 2026 in Sachsen-Anhalt, wo die AfD derzeit in den Umfragen weit vorne liegt. „Zwischen links und rechts gibt es eine breite politische Mitte, die sich nicht als politisch aktiv bezeichnen würde, sich aber durchaus für unsere demokratischen Werte einsetzt, wenn man sie nicht instrumentalisiert, sondern teilhaben lässt“, sagt Donner. Beim Aufbau des Festivals hätten zivilgesellschaftliche Vereine geholfen. Das sei angesichts bürokratischer und juristischer Hürden entscheidend gewesen, um überhaupt starten zu können. Vereine, die Engagement wie in Halle fördern, sind in den Mobilen Beratungen gegen Rechtsextremismus aktiv. Am Dienstag legten sie ihren Jahresrückblick 2025 vor. Titel: „Wie sich Rechtsextremismus im Alltag festsetzt und Engagierte dagegen halten“. Das „Wir-Festival“ in Halle gilt als Beispiel dafür, wie man trotz Rückschlägen Widerstand leistet. Ein weiteres Beispiel seien die vielen CSDs, die auch in kleineren ostdeutschen Städten stattfanden, sagt Romy Arnold vom Bundesverband. (…)
Trotz solcher Erfolge fällt die Bilanz für 2025 ernüchternd aus. „Die Normalisierung des Rechtsextremismus hat ein neues Ausmaß erreicht“, sagt Arnold. Auch demokratische Parteien trügen Verantwortung, weil sie rechte Narrative übernommen und die Brandmauer aufgeweicht hätten. Besonders junge Menschen radikalisierten sich. Neonazis träten selbstbewusster auf, in manchen Schulen dominierten rechte Gruppen. Rund 200 Beraterinnen und Berater aus 50 Stellen berichteten, dass gewaltbereite Neonazi-Gruppen zunehmend aktiv seien. Zugleich verschlechtern sich die Bedingungen für die Zivilgesellschaft, so Arnold (…)
Dabei verzeichnen die Beratungsstellen einen Höchststand an Anfragen von Menschen, die sich für Demokratie und gegen Rechtsextremismus engagieren wollen. (…) Der Atlas der Zivilgesellschaft
und auch der aktuelle Engagementbericht der Bundesregierung
zeigten, dass die Zivilgesellschaft in Deutschland nicht mehr als offen, sondern als eingeschränkt gilt. Gründe seien staatliche Eingriffe, Rechtsunsicherheiten und rechtsextreme Angriffe…“ Artikel von Gareth Joswig vom 2. Dezember 2025 in der taz online 
- Rechte Gewalt, leere Kassen: Ostdeutsche Zivilgesellschaft unter Druck
Weiter aus dem Artikel von Elisa Pfleger in den »Blättern« 4/2025
: „… Ginge es nach den Plänen des AfD-Landtagsabgeordneten Hans-Thomas Tillschneider, würde man in der Kulturpolitik Sachsen-Anhalts „alle Programme, die mit diesem Programm ‚Demokratie leben‘ zusammenhängen, streichen“ (…) Im ostdeutschen Salzwedel stimmte die CDU im März bereits mit der AfD gegen das vom Bund bewilligte Programm, 90 000 Euro jährlich fehlen nun bis 2033 für demokratische Jugendarbeit. (…) Auf der Suche nach Einsparungen nimmt die CDU explizit die Demokratieförderung ins Visier. Der Haushaltspolitiker Mathias Middelberg antwortete auf die Frage, wo die Union zu kürzen gedenke: „Das ist dieses Programm ‚Demokratie leben‘, wo wir exemplarisch genannt, wirklich große Probleme haben, weil wir nicht erkennen können, dass das Geld da irgendwie zweckmäßig eingesetzt wird.“ Middelberg folgt damit nicht nur inhaltlich einem Kernanliegen der AfD, sondern auch seine Argumentation ähnelt jener Partei, wenn diese im bayrischen Landtag moniert, das Programm sei zu „intransparent“ und werde „seinem Ziel nicht gerecht“. Dabei würde die Kürzung öffentlicher Mittel der Demokratieförderung gerade den Osten treffen – und damit jene Teile der Zivilgesellschaft, die unter beispiellosem Druck von Rechtsaußen stehen. (…) Eine solche Finanzierung zu sichern, wäre die Aufgabe der neuen Bundesregierung. Denn dass ein Erstarken des Rechtsextremismus und -radikalismus in Ostdeutschland zu Recht beklagt, gleichzeitig aber die rechte Raumnahme dort hingenommen wird, ist ein politisches Versagen. Spätestens nach den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern, wenn möglicherweise die AfD dort die Landesregierungen stellt, wird das auch die Bundespolitik nicht länger verdrängen können. Bis dahin spürt es vor allem die engagierte Zivilgesellschaft vor Ort – zum Beispiel in Limbach-Oberfrohna, wo junge Menschen für den Erhalt alternativer soziokultureller Räume sogar einem Brandanschlag trotzten und damit demokratische Grundlagen verteidigen – jeden Tag.“