30. Gedenken an das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen: Institutioneller Rassismus und Widerstand

Dossier

Das Problem heißt RassismusIn diesem Jahr findet das 30. Gedenken an das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen statt. Pro Bleiberecht nutzt das Gedenken seit mehreren Jahren, um auch den bis heute wirkenden institutionellen Rassismus und den Widerstand dagegen ins öffentliche Bewusstsein zu bringen. Hier findet ihr alle Veranstaltungen, die wir zum Thema in diesem Jahr planen. Kernanliegen unserer Veranstaltungen, die wir gemeinsam mit der iL Rostock planen, ist es, im Gedenkjahr an das Pogrom herauszustellen, dass rassistische physische Gewalt stets mit institutionellem Rassismus verwoben ist. Rassismus ist kein Problem eines vermeintlich rechten Rands. Er ist tief in unserer Gesellschaft verwurzelt: In Gesetzen, genauso wie in unseren Vorstellungswelten und Vorurteilen…“ Aktionsseite vom 25. Mai 2022 von Pro Bleiberecht externer Link mit allen Terminen – und weitere Infos:

  • Das gewollte Pogrom / Von der Anschlagswelle zum »Asylkompromiss«: Hetze gegen »Scheinasylanten« schuf Sündenböcke für sozialen Kahlschlag / Gedenk-Demo in Lichtenhagen am 27.08. New
    • Wir erinnern an die Gedenk-Demo in Lichtenhagen am 27.08. externer Link (s.u.)
    • Das gewollte Pogrom: Vor 30 Jahren attackierten Neonazis angefeuert von Anwohnern tagelang Flüchtlinge und Migranten in Rostock-Lichtenhagen
      „Die tagelangen rassistischen Übergriffe auf Flüchtlinge und Migranten in Rostock-Lichtenhagen 1992 waren das schwerste Pogrom in Deutschland seit dem Faschismus. Die drohende Eskalation hatte sich dabei seit langem abgezeichnet. »Die Sicherheit aller ausländischen Bürger in Rostock ist in einem deutlich höheren Maß gefährdet. Gewalttätigkeiten gegenüber ausländischen Bürgern nehmen zu. Schwerste Übergriffe bis zu Tötungen sind nicht mehr auszuschließen.« So hatte der Rostocker Oberbürgermeister Klaus Kilimann (SPD) den Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, Georg Diederich (CDU), bereits im Juli 1991 angesichts der Zustände rund um die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber (ZAst) gewarnt. Diese Erstaufnahmeeinrichtung für das ganze Bundesland befand sich in einem aufgrund seines Fassadenschmucks als Sonnenblumenhaus bekannten elfgeschossigen Wohnblock im dichtbesiedelten Plattenbauviertel Lichtenhagen. Die auf Unterbringung von 200 Personen ausgelegte Einrichtung war angesichts eines ständigen Zustroms von Flüchtlingen etwa aus dem bürgerkriegszerrütteten Jugoslawien, aber auch aus Rumänien bald hoffnungslos überfüllt. Hunderte Schutzsuchende, darunter viele Roma, waren so gezwungen, im Freien zu campieren und mangels Toiletten ihre Notdurft in den Büschen vor Wohngebäuden zu verrichten. Während der Unmut der Anwohner wuchs, wurde von seiten des Landesinnenministeriums lange nichts unternommen, um die Flüchtlinge menschenwürdig unterzubringen. »Bürgerinitiativen«, hinter denen sich die faschistischen Parteien NPD und DVU verbargen, riefen derweil die Anwohner dazu auf, »das Asylantenproblem selbst in die Hand zu nehmen«. (…) Am besagten Samstag abend, dem 22. August, hatten sich bis zu 2.000 Personen vor der ZAst versammelt. »Deutschland den Deutschen, Ausländer raus«, ertönte es aus der Menge. Dann flogen Steine, später auch Brandflaschen. Ein Versuch, das Gebäude zu stürmen, konnte von den Bewohnern noch verhindert werden. Die mit gerade einmal 35 Beamten vor Ort präsente Polizei war derweil damit beschäftigt, sich selbst zu schützen. Erst um zwei Uhr nachts fuhren Wasserwerfer auf und zerstreuten den Mob. Am Sonntag dann das gleiche Bild: Während ein harter Kern von meist jungen Neonazis das Gebäude angriff, herrschte davor regelrechte Volksfeststimmung. An einem Imbisswagen versorgten sich die »Pogromhelden« mit Bier und Bratwürsten. Vor den Augen von Polizei und Bundesgrenzschutz, die nun mit 400 Beamten präsent waren, wurden Molotowcocktails gebaut und an die Faschisten weitergereicht. Viele Neonazis waren aus anderen Bundesländern angereist, wie zahlreiche vor Ort gesichtete Autos mit Nummernschildern aus Hamburg oder Niedersachsen nahelegten. Ein Reporter der Berliner Zeitung berichtete von »Profinazis und Skinheads« und bemerkte: »Alles hört auf ein unsichtbares Kommando.« Rund die Hälfte der 130 in dieser Nacht Festgenommenen waren Antifaschisten, die den attackierten Migranten zu Hilfe kommen wollten und nunmehr teilweise mit Neonazis, die Polizisten angegriffen hatten, zusammen in eine Turnhalle gesperrt wurden. (…) Erst als Lichtenhagen nunmehr »ausländerfrei« war, trafen am Dienstag zahlreiche Polizeikräfte aus mehreren Bundesländern ein, um weitere Ausschreitungen zu verhindern. Dass kein Mangel an Polizeikräften herrschte, wenn denn das Feindbild stimmte, zeigte sich am folgenden Sonnabend. Als eine Großdemonstration von 15.000 Antifaschisten, darunter neben Autonomen auch Gewerkschafter und Kirchenvertreter, durch Rostock zog, stand ihr ein Bürgerkriegsaufgebot von 27 Einsatzhundertschaften mit 14 Wasserwerfern und zwölf Hubschraubern gegenüber.“ Artikel von Nick Brauns in der jungen Welt vom 23. August 2022 externer Link
    • Von der Anschlagswelle zum »Asylkompromiss«: Hetze gegen »Scheinasylanten« schuf Sündenböcke für sozialen Kahlschlag nach Ende der DDR
      „Das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen vor 30 Jahren wurde von den politisch Verantwortlichen in Bund und Land vor dem Hintergrund der damaligen Debatte über eine Einschränkung des Grundrechts auf Asyl nicht nur sehenden Auges in Kauf genommen, sondern durch Untätigkeit erst ermöglicht. Anfang der 1990er Jahre kam der Hetze gegen »Scheinasylanten«, »Asylmissbrauch« und »Wirtschaftsflüchtlinge« die Funktion zu, angesichts der Massenerwerbslosigkeit nach der Zerschlagung des Sozialsystems und weitreichenden Betriebsschließungen in der annektierten DDR Sündenböcke zu präsentieren, um Proteste in ein nationalistisches Fahrwasser abzulenken. Im September 1991 forderte CDU-Generalsekretär Volker Rühe seine Partei auf, »die besorgniserregende Entwicklung von Asylbewerberzahlen« in allen Landtagen und Kommunalparlamenten zum Thema zu machen, »und die SPD dort herauszufordern, gegenüber den Bürgern zu begründen, warum sie sich gegen eine Änderung des Grundgesetzes sperrt«. Von jetzt an sei jeder Asylbewerber ein »SPD-Asylant«, so Rühe. Wenige Tage später kam es in der sächsischen Bergarbeiterstadt Hoyerswerda zu einem Pogrom gegen Flüchtlinge und mosambikanische Vertragsarbeiter. Neonazis feierten Hoyerswerda nach deren Evakuierung als erste »ausländerfreie Stadt«. Zwischen 1991 und 1993 wurden bundesweit bei mehr als 4.700 registrierten Angriffen auf Flüchtlinge und Migranten 26 Menschen getötet und fast 1.800 verletzt. Angeheizt wurde die rassistische Stimmung durch die Medien. »Flüchtlinge, Aussiedler, Asylanten. Ansturm der Armen«, titelte der Spiegel am 9. September 1991. Und Bild hetzte am 2. April 1992: »Fast jede Minute ein neuer Asylant – Die Flut steigt, wann sinkt das Boot?« Noch während des Pogroms in Rostock verkündete SPD-Chef Björn Engholm erstmals die Bereitschaft seiner Partei zur Einschränkung des Asylrechts. Obwohl Mitte November 150.000 Menschen in Bonn unter dem Motto »Hände weg vom Asylgrundrecht!« demonstriert hatten, stimmte ein Sonderparteitag der SPD für eine Grundgesetzänderung. Im »Asylkompromiss« einigten sich Union und FDP mit der SPD-Opposition über eine Ergänzung von Artikel 16 Grundgesetz »Politisch Verfolgte genießen Asylrecht«. Asylanträge aus vermeintlich »sicheren Herkunftsstaaten« sollten als »offensichtlich unbegründet« sowie von Eingereisten aus »sicheren Drittstaaten«, darunter allen Nachbarstaaten Deutschlands, als »unbeachtlich« eingestuft werden. Auf dem Papier blieb das Asylrecht so zwar bestehen, doch es wurde seines wesentlichen Inhalts beraubt. Vereinbart wurde zudem eine Änderung des Asylverfahrensgesetzes, mit zwingender Unterbringung in Sammellagern, Arbeitsverboten und Residenzpflicht sowie unter Sozialhilfeniveau liegenden Leistungen. Am 26. Mai 1993 stimmte der Bundestag gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen, der PDS und vieler SPD-Abgeordneter für die Grundrechtsänderung. Es sollte nicht die letzte Beschneidung des Asylrechts bleiben.“ Kommentar von Nick Brauns in der jungen Welt vom 23. August 2022 externer Link
    • 30 Jahre Rostock-Lichtenhagen
      Rostock-Lichtenhagen, Mölln, Mannheim-Schönau – das Jahr 1992 war geprägt von massiven rassistischen Ausschreitungen. Die Bilder des brennenden Sonnenblumenhauses in Rostock-Lichtenhagen sind fest im kollektiven Gedächtnis verankert und zum Symbol rassistischer Gewalt geworden. Andere gewaltvolle Ausschreitungen hingegen, wie das versuchte Pogrom von Mannheim-Schönau, sind so gut wie vergessen. Dabei wütete auch dort im Mai 1992 ein rassistischer Mob von bis zu 500 Personen und griff eine Geflüchtetenunterkunft an. Unzählige Angriffe, Brand- und Sprengstoffanschläge prägten das Jahr, mindestens 29 Menschen starben allein 1992 durch rechte Gewalt. In diesem Web-Dossier beleuchten wir dieses folgenschwere Jahr, die Baseballschlägerjahre und die Kontinuitäten rechter Gewalt bis heute. Keine abgeschlossene Themensammlung: Die Auswirkungen dieser Gewalt sitzen tief, die Zusammenhänge scheinen nahezu endlos. Deswegen verstehen wir auch dieses Web-Dossier als ein lebendes Element unserer Website, zu dem laufend Beiträge hinzugefügt werden. Unterschiedliche Perspektive, Zeitzeug*innen und Engagierte sollen hier unter anderem eine Stimme bekommen…“ Dossier der Amadeu Antonio Stiftung externer Link
    • NSU-Watch: Aufklären & Einmischen #82. Vor Ort in Mecklenburg-Vorpommern.
      Schwerpunkt: Rostock-Lichtenhagen 1992, eine Spurensuche zum rassistischen Pogrom und den Folgen
      In Folge #82 von „NSU-Watch: Aufklären & Einmischen. Der Podcast über den NSU-Komplex und rechten Terror“ bzw. Folge #30 der Podcastserie mit dem VBRG e.V. „Vor Ort – gegen Rassismus, Antisemitismus und rechte Gewalt“ steht der 30. Jahrestag des rassistischen Pogroms in Rostock-Lichtenhagen im Mittelpunkt. Über die Auswirkungen, das Gedenken und die Konsequenzen sprechen die Journalistin Nhi Le, der Kurartor und Vorsitzende von RomaTrial Hamze Bytyçi, die Antidiskriminierungsberaterin Maria Garcia Rojo von Tutmonde e.V. in Stralsund, die Opferberatung LOBBI MV und das Bündnis „Gedenken an das Pogrom. Lichtenhagen 1992“…“ Podcast vom 20.08.2022 externer Link Audio Datei
  • 30 Jahre Rostock-Lichtenhagen – Kulturstaatsministerin Roth: „Erinnerung an die Opfer rechtsextremen Terrors wachhalten“
    „Zum 30. Jahrestag der Anschläge in Rostock-Lichtenhagen hat Kulturstaatsministerin Claudia Roth die Bedeutung einer lebendigen Erinnerungskultur für die Opfer des rechtsextremistischen Terrors in der Bundesrepublik unterstrichen. Kulturstaatsministerin Claudia Roth: „Die rassistischen Ausschreitungen von Rostock-Lichtenhagen waren Auslöser einer ganzen Kette ausländerfeindlicher Gewaltexzesse in der wiedervereinten Bundesrepublik. Die tödlichen Anschläge des NSU, die Attentate von Hanau und Halle, der Mord an Walter Lübcke: Die beispiellose Menschenfeindlichkeit hinter diesem rechtsextremistischen Terror ist Gift für unsere Demokratie. Das Leid der Opfer und ihrer Hinterbliebenen finden bis heute viel zu wenig öffentliche Beachtung. Das müssen wir ändern. Wir müssen und sollten die Erinnerung auch an dieses dunkle Kapitel deutscher Gegenwart wachhalten…“ Pressemitteilung der Bundesregierung vom 19. August 2022 externer Link
  • Zugespitzter Dauerzustand. Das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen steht wie kein zweites für die rassistische Mobilisierung und Straßengewalt der Neunzigerjahre
    „… Seit der Selbstenttarnung des NSU 2011 wurden die Neunzigerjahre detaillierter aufgearbeitet als zuvor. Dabei zeigte sich: Was in Lichtenhagen passierte, war die Zuspitzung eines Dauerzustands der Ermutigung von Neonazis und nicht-organisierten Rechten, der letztlich auch den NSU-Komplex ermöglichte. Rostock-Lichtenhagen ist zum Schlagwort geworden für die rechte Mobilisierung der frühen 1990er-Jahre in Deutschland. (…) Die dem Pogrom in Rostock-Lichtenhagen vorausgehende und es begleitende rechte Hetze in der Naziszene sowie in Medien, Politik und weiten Teilen der Gesellschaft, die zum Mord bereiten und dazu ermutigten Neonazis und rassistischen Anwohner*innen, die Konsequenzlosigkeit für die Täter*innen: All das war keine krasse Ausnahme, sondern die Zuspitzung eines Dauerzustands. Ein Dauerzustand, der bis heute mindestens 200 Tote forderte. (…) Um den NSU zu verstehen, brauchte es eine Beschäftigung mit eben diesen Jahren. Das reicht aber nicht. Denn schaut man nur auf dieses Jahrzehnt, gerät aus dem Blick, wie viele Menschen schon vor 1990 durch rechte, rassistische und antisemitische Gewalt ihr Leben verloren, verletzt wurden oder den Verlust geliebter Menschen ertragen mussten. Um die Zeit nach der Wiedervereinigung zu verstehen, bedarf es daher einer Analyse des rechten Terrors nach 1945, insbesondere ab etwa Mitte der 1970er Jahre. Dann wird klar, dass mit dem Zusammengehen von BRD und DDR auch die beiden deutschen (Neo-)Naziszenen mit ihren jeweiligen Erfahrungen bezüglich rechter Gewalt und rechtem Terror wiedervereinigt wurden. (…) Es gibt aber auch einen Weg aus dem rechten Dauerzustand. Angehörige von Ermordeten, Überlebende und Betroffene rechter Gewalt, Aktivist*innen, Antifaschist*innen, Abgeordnete und kritische Journalist*innen lassen nicht locker. Sie erzählen die Geschichte rechter Gewalt, die die Mehrheitsgesellschaft verdrängt hat. Durch diese Öffentlichkeit erinnern sich andere an das, was war. So werden Namen und Geschichten bekannt, die die Neonazis auslöschen wollten. Der Ruf nach Konsequenzen und Veränderungen wird lauter. (…) Wenn das Wissen über rechten Terror und seine gesellschaftlichen Bedingungen weiter wächst, ist das ein wichtiger Schritt, um ihn nicht nur benennen und aufklären zu können, sondern ihm die gesellschaftliche Grundlage zu entziehen. Auch das kann der 30. Jahrestag der Pogrome von Rostock-Lichtenhagen bedeuten.“ Artikel von Caro Keller (NSU-Watch) am 19.08.2022 im ND online externer Link
  • Sie sind Deutschland. Auf die Wiedervereinigung folgte Anfang der neunziger Jahre eine Welle rechter Gewalt
    Die Pogrome Anfang der neunziger Jahre waren konstitutiv für das vereinte Deutschland. Die rechte Gewalt gehört nicht der Vergangenheit an – ebenso wie die brutale Gewalt gegen Flüchtlinge an den EU-Grenzen.
    Deutschland im Sommer 1992: Übergriffe auf Migranten und Migrantinnen, Linke, Obdachlose und alternative Jugendliche gehören vielerorts zum Alltag. Brennende Flüchtlingsunterkünfte, mehrere Tage währende rassistische Pogrome, Hetzjagden und Horrorgeschichten über den sogenannten Bordsteinkick prägen das Bild der rechten Gewalt jener Zeit. Eine ganze Generation wuchs mit dem ständigen Gefühl der Bedrohung durch Neonazis und rechte Jugendgangs auf. Während eines Straßenfestes in der westdeutschen Kleinstadt, in der ich damals wohnte, verbrachte ich ganze Nächte mit anderen Jugendlichen und pakistanischen Geflüchteten vor ihren Container-Unterkünften, weil jederzeit mit Überfällen zu rechnen war. An Wochenenden schlug ich mir manchmal die Nacht im nahegelegenen Autonomen Zentrum um die Ohren, zu zweit auf dem Dachboden vor dem Notfall­telefon, den Ordner mit den Festnetznummern lokaler Antifaschistinnen zur Hand, um bei Angriffen auf Flüchtlingsheime die Telefonkette zu starten. Der Antifaschismus damals war pure Notwendigkeit: Der Verfassungsschutz zählte alleine für das Jahr 1992 insgesamt 722 rassistisch motivierte Brand- und Sprengstoffanschläge, mehr als zwei Drittel davon übrigens in Westdeutschland, zwei Anschläge pro Tag. (…) Die mehrtägige Belagerung des sogenannten Sonnenblumenhaus in Rostock-Lichtenhagen im August 1992 und die Angriffe auf die dort und in den umliegenden Häusern untergebrachten vietnamesischen Vertragsarbeiterinnen und Romnja aus Rumä­nien waren der Höhepunkt der Welle rechter Gewalt im Zuge der sogenannten Wiedervereinigung. Es war ein rassistisches Volksfest mit Bratwurstbuden, Bierständen und Feierstimmung, das live im Fernsehen übertragen wurde. Bis zu 3000 Bürger und Bürgerinnen jubelten den Hunderten von Neonazis und rechten Hooligans zu, die Steine und Molotow-Cocktails auf das Haus warfen, in dem Menschen um ihr Leben fürchteten. Die Polizei schaute tatenlos zu. Ein vier Tage anhaltendes Pogrom, das keineswegs überraschend kam und der gesellschaftlichen Stimmung entsprach. (…) Das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen und die rassistische Gewalt der frühen Neunziger waren konstitutiv für das neue, vereinte Deutschland. Und sie zeigen: Friedlich war die »Friedliche Revolution« von 1989 nur für die weiße deutsche Mehrheitsgesellschaft. (…) Heute, 30 Jahre später, erscheinen solche Verhältnisse kaum noch vorstellbar. Doch die Baseballschlägerjahre sind längst nicht überall vorbei und auch der rechte Terror hält an. (…)  Angesichts der Militarisierung, Entrechtung und Entmenschlichung an den EU-Außengrenzen erscheint der sogenannte Asylkompromiss von 1992 heute wie eine Randnotiz. Zugleich zeigen die rassistischen Ausschreitungen in Heidenau, Freital, Clausnitz und den anderen Orten, wo sich ab 2015 als Antwort auf den sogenannten Flüchtlingssommer der Volkszorn Bahn brach, dass die Bereitschaft zum Pogrom noch immer in der deutschen Gesellschaft vorhanden ist. Im offiziellen Gedenken findet diese Kontinuität rechter Gewalt keinen Platz. Rostock-Lichtenhagen wird als Abweichung von der Norm behandelt, nicht als deutsche Normalität…“ Artikel von Thorsten Mense am 18.08.2022 in der Jungle World online externer Link
  • [Hörspiel] Das Sonnenblumenhaus
    Als Iraklis Panagiotopoulos und ich 2011 begonnen hatten ehemalige vietnamesische Vertragsarbeiter*innen zu suchen, die das Pogrom von Rostock – Lichtenhagen 1992 überlebt hatten, konnten sich die wenigsten Menschen in Deutschland an diese Ereignisse erinnern. Auch wir hatten kaum Erinnerungen an diese Zeit, waren wir 1992 beide gerade einmal 7 Jahre alt, und damit Kinder. 2011 saßen wir also in Hamburg und schauten uns, verhältnismäßig zufällig, die damals vorhandenen Dokumentationen über Rostock – Lichtenhagen 1992 an. Das Bemerkenswerteste war, dass die Überlebenden des Pogroms in diesen Beiträgen kaum eine Rolle gespielt hatten. Wir fingen an zu recherchieren und fuhren letztendlich fast drei Jahre durch ganz Deutschland, um Menschen zu treffen. Wir interviewten sie und transkribierten das Gesagte. Lange Zeit ohne jegliche finanzielle Förderung. Aus diesen transkribierten Interviews wurde das Theaterstück «Das Sonnenblumenhaus», welches 2014 im damaligen Hamburger «Museum für Völkerkunde» Premiere feierte. Es waren so gut wie keine Menschen anwesend. Das FSK Radio Hamburg bot darauf an das Theaterstück in ein Hörspiel umzuwandeln und kostenlos im Internet zur Verfügung zu stellen. Es wurde daraufhin auf diversen Blogs hochgeladen und es wurde stellenweise mehrere zehntausend Mal gehört. Für diese Aufmerksamkeit sind wir sehr dankbar. Es war und ist uns ein Anliegen, dieses Hörspiel für alle zugänglich zu machen, um den Komplex Rostock-Lichtenhagen 1992 verständlicher zu machen. Wir verstehen dies als einen Beitrag zur Aufklärung. Es müssen noch viele andere folgen. Hörspiel von Dan Thy Nguyen verarbeitet die Sicht der Überlebenden des rassistische Pogroms“ Hörspiel von Dan Thy Nguyen am 01.08.2022 bei der RLS externer Link
  • Vor 30 Jahren: Pogromstimmung in Rostock-Lichtenhagen 
    Die rassistischen Angriffe im August 1992 in Rostock-Lichtenhagen jähren sich. Der militante Fremdenhass fand unter dem Beifall der BürgerInnen statt. Die offene Pogromstimmung wurde von angereisten Neonazis aus dem In-und Ausland befeuert. (…) Bis heute ist offiziell ungeklärt, ob die Krawalle von organisierten Rechtsextremisten mit initiiert waren und inwieweit die Inlandsgeheimdienste darüber informiert waren. Der damalige Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), Hans-Ludwig Zachert, hatte gegenüber Medien betont, die Randale sei „organisiert und gesteuert“ worden und wurde dafür von mehreren Präsidenten diverser Landesämter für Verfassungsschutz massiv kritisiert. Eine „überregionale Steuerung“ habe es nicht gegeben, behauptete etwa der damalige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Eckhart Werthebach. Unterstützung bekam Werthebach vom damaligen Hamburger Verfassungsschutz-Präsidenten, Ernst Uhrlau. Der sprach im Gegensatz zur Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern, die hinter den Krawallen Neonazis aus Berlin und Hamburg vermutete, von einer „hausgemachten Randale“. Neonazis im Osten seien „sehr eigenständig“, so der Verfassungsschützer…“ Ausführlicher Artikel von Anton Maegerle am 16. August 2022 bei Endstation Rechts externer Link
  • Rechtsextremismus: Das Pogrom und wir
    Sie haben vor 30 Jahren die rechtsextremen Angriffe von Rostock-Lichtenhagen miterlebt. Hier erzählen sie, was sie nicht vergessen können – und was aus ihnen wurde. (…) Ich habe nun selber Kinder und frage mich oft: Was will ich ihnen mitgeben? Sie sollen nicht mit Angst durch die Straßen gehen. Aber auch darauf vorbereitet sein, dass es immer noch Rassismus gibt, dass man das, glaube ich, nie ganz aus den Menschen herausbekommen wird. Doch sie sollen auch wissen: Wir sind Teil dieser Gesellschaft, Deutschland ist unser Zuhause. (…) Von den Nachbarn sprach später niemand darüber. Es wurde einfach weggeschwiegen. Mein Mann und ich sind 1997 weggezogen, wir haben uns in einem benachbarten Dorf ein kleines Haus gebaut. In Lichtenhagen bin ich nur sehr selten…“ Protokoll von Fabian Hillebrand und Vanessa Vu vom 10. August 2022 in der Zeit online externer Link (leider nur die erste Seite ohne paywall)
  • Damals wie heute: Erinnern heißt verändern! Großdemo am 27. August 2022 in Rostock-Lichtenhagen – und weitere Veranstaltungen
    • Damals wie heute: Erinnern heißt verändern! Großdemo am 27. August 2022 – 14 Uhr – Rostock-Lichtenhagen
      30 Jahre nach dem rassistischen Pogrom werden wir am 27. August 2022 gemeinsam in Rostock-Lichtenhagen auf die Straße gehen. Denn rassistische Gewalt und institutioneller Rassismus gehen bis heute Hand in Hand. Dem Erinnern muss ein Handeln folgen. Wir fordern: Den Angriff in Lichtenhagen 1992 als rassistisches Pogrom benennen!
      Rostock im August 1992. Im Stadtteil Lichtenhagen werden über drei Tage hinweg Geflüchtete und ehemalige Vertragsarbeiter:innen aus Vietnam angegriffen. Die Polizei schreitet gegen den zeitweise aus mehreren tausend Menschen bestehenden Mob kaum ein und zieht sich schließlich ganz zurück. Die Angreifer:innen werfen daraufhin Brandsätze in das Haus. Mehr als 120 Menschen retten sich über das Dach des Gebäudes. Bis heute scheut sich die Hansestadt Rostock dieses Pogrom klar als solches zu benennen.
      Wir fordern: Rassistische Gewalt benennen und bekämpfen! Das brennende Sonnenblumenhaus ist bis heute ein Symbol rechter Gewalt. Aber nicht nur hier und nicht nur 1992 werden unzählige Menschen durch rechte und rassistische Gewalt verletzt, getötet und traumatisiert – Lichtenhagen war und ist kein Einzelfall…“ Aufruf und alle Infos beim Bündnis „Gedenken an das Pogrom. Lichtenhagen 1992 externer Link , siehe auch:
    • 21. August 2022 – Kundgebungen & Bustour in Rostock, Schwerin, Nostorf-Horst. Kundgebungstour: Gedenken heißt verändern!
      Anlässlich des Gedenkens an das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen erweitern wir den Blick: Mit einer Kundgebungstour von Rostock über Schwerin nach Horst benennen wir diejenigen Akteur:innen, die in der Debatte oft vergessen werden. Wir sprechen über Kontinuitäten von Rassismus und Kontinuitäten von Widerstand. Dieses wie jedes Jahr: Gedenken heißt verändern! Kontinuitäten von Rassismus und Widerstand. Die Tour ist im Wesentlichen ein inhaltlicher Beitrag zum Gedenken an das Pogrom. Wir wollen den Blick für Akteur:innen rund um das Pogrom hinaus erweitern: Sowohl räumlich, als auch zeitlich auf die Auswirkungen der rassistischen Angriffe und Gesetze. Außerdem legen wir einen Fokus auf die Widerstände von Betroffenen und Aktivist:innen…“ Alle Infos bei Pro Bleiberecht MV externer Link
    • Siehe Veranstaltungen bei Deutschland ist Brandstifter! 30. Jahre nach dem Pogrom in Rostock-Lichtenhagen externer Link
    • Siehe auch den Twitter-Account von Gedenken Lichtenhagen 1992 externer Link
  • 30 Jahre nach dem rassistischen Pogrom in Rostock-Lichtenhagen. Erinnern heißt kämpfen. Erinnern heißt verändern.
    Schwerpunkt in »der rechte rand« Nr.197 externer Link vom Juli / August 2022
  • Rostock erinnert an Lichtenhagen-Pogrom vor 30 Jahren
    „… In Rostock sollen im August zahlreiche Ausstellungen und öffentliche Veranstaltungen an die rassistischen Ausschreitungen vor 30 Jahren im Stadtteil Lichtenhagen erinnern. „Das Pogrom ist Teil unserer Stadtgeschichte“, sagte Chris von Wrycz Rekowski (SPD), Erster Stellvertreter des Oberbürgermeisters, am Dienstag in Rostock. Für alle nachfolgenden Generationen bleibe die wichtige Aufgabe, Rassismus und Hetze gegen nationale, religiöse oder ethnische Minderheiten zu verurteilen. Gemeinsam mit zahlreichen Partnern hätten Vereine, Institutionen und die Stadt unterschiedliche Formate zum Gedenken an das Pogrom, seine Ursachen und Folgen entwickelt. So zählten unter anderem Lesungen, Filmvorführungen und Begegnungsangebote zum Programm. In Zusammenarbeit der Universität Rostock, der Landeszentrale für politische Bildung Mecklenburg-Vorpommern und der Heinrich-Böll-Stiftung Mecklenburg-Vorpommern solle Ende August zudem der Umgang mit rassistischer Gewalt in den 1990er-Jahren im Rahmen eines wissenschaftliches Kolloquiums aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet werden. (…) Am 24. August 1992 hatten Hunderte Jugendliche und Erwachsene das „Sonnenblumenhaus“ im Rostocker Stadtteil Lichtenhagen belagert. Darin befand sich die Zentralen Aufnahmestelle für Asylsuchende. Aus der Menge heraus wurden Steine und Brandsätze geworfen. Etwa 150 Menschen konnten sich nur durch Flucht auf das Dach des Hauses vor dem Feuer retten, darunter 120 Vietnamesen, ein ZDF-Team und einige Rostockerinnen und Rostocker. Die Belagerung war der tragische Höhepunkt der vom 22. bis 26. August 1992 andauernden ausländerfeindlichen Krawalle vor dem „Sonnenblumenhaus“ und dem benachbarten Wohnheim für Vietnamesinnen und Vietnamesen.“ Hinweis vom 3. August 2022 im MiGAZIN externer Link, siehe auch: Stadt Rostock: 30 Jahre rassistische Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen externer Link
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=201176
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