[Esther Bejarano (1924 – 2021)] »Wir können froh sein, dass wir eine Antifa haben«

Esther BejaranoEsther Bejarano war KZ-Überlebende, Antifaschistin und Kommunistin. Sie verstarb am 10. Juli 2021 im Alter von 96 Jahren. Es ist eine Zeit um innezuhalten, zurückzublicken und dann in die vor uns liegende Arbeit einzusteigen – weitermachen. (…) Mit Esther verlässt uns eine laute und starke Stimme, die auf Ungerechtigkeiten hinweisen konnte und es stets tat. Sie hinterlässt eine große Lücke, die es nun zu füllen gilt. In Kreuzberg tauchte am Tag ihres Todes ein Plakat auf: »Esther wir machen weiter, wir sind da, versprochen! Aber ohne dich wird es schwerer. Deine Antifas.« Das Plakat spricht mir aus der Seele – denn Esthers Worte waren von Gewicht, ihre Kraft beeindruckte und ihr Netzwerk war unendlich groß. Nun heißt es innehalten und Abschied nehmen von einer großartigen Frau, die den Kampf für eine gerechtere Welt nie aufgab. Und dann heißt es: weitermachen! Jetzt braucht es erst recht diejenigen, die gegen Nazis, Rassismus und Antisemitismus auf die Straße gehen. (…) Wir machen weiter, liebe Esther! Danke, dass Du den Weg mit uns bis hierher gegangen bist.“  Nachruf von Anika Taschke vom 13.07.2021 bei Jacobin.de externer Link – stellvertretend für viele- und nun die schöne Trauerrede von Rolf Becker:

  • Abschied von Esther: »Mir lebn ejbig – wir leben trotzdem.« New
    „… Es war Esthers Wunsch, dass ich zum Abschied von ihr spreche – einem Abschied, der wie bei allen Menschen, die wir lieben, nicht enden wird. »Liebe – Tod des Todes« (Claus Bremer). Abschied nach mehr als dreißig Jahren einer Freundschaft, die zur Wahlverwandtschaft wurde. Aus Esthers Brief vom 18. April 2015: »… ich wollte immer einen beschützenden Bruder haben, und so habe ich mir Dich ausgesucht. Wie viele gemeinsame Kämpfe gab es, wie viele gemeinsame Veranstaltungen. Gemeinsam streiten, gemeinsam wirken für Gerechtigkeit, gegen jedwede Ausgrenzung von Menschen, gegen die schlimme Asylpolitik in Deutschland und Europa, gegen Ausländerhass, für Völkerfreiheit, für Völkerverständigung.« (…) Von Esther an mich wie uns alle gerichtet, ihr wie testamentarisch Verfügtes: »Nie mehr schweigen, wenn Unrecht geschieht. Seid solidarisch! Helft einander! Achtet auf die Schwächsten! Bleibt mutig. Ich vertraue auf die Jugend, ich vertraue auf euch! Nie wieder Faschismus – nie wieder Krieg!« (…) »Sagen, was ist« – Auftritte, um Nachkommende aufzuklären über angeblich Vergangenes und zum Handeln zu ermutigen. Auftritte über Auftritte, um darauf hinzuweisen, dass sich bei zunehmendem gesellschaftlichem Druck erneut Unsagbares ereignen kann, auch ohne dass Rauch aus Verbrennungsöfen aufsteigt. »Sagen, was ist«, im Sinn von Rosa Luxemburg als »revolutionärste Tat«, forderte Esther auch ein, wenn es, ganz gleich aus welchem Anlass, um ihre Person ging. (…) »Nie mehr schweigen, wenn Unrecht geschieht« – aus einem Brief von Esther vom 8. November 2003 zum zweiten »Bettlermarsch« in Hamburg: »Diese Menschen sind obdachlos geworden, weil sie im Kapitalismus dem Konkurrenzkampf nicht standhalten konnten, weil sie arbeitslos wurden und dann mangels Geld ihre Wohnung gekündigt bekamen und so immer tiefer in den Abgrund gesunken sind. Es ist das System, das unmenschlich, ja menschenverachtend ist. Der Trend geht nach rechts. Wenn dieser Rechtsruck nicht verhindert wird, kann wieder Faschismus mit all seinen schrecklichen Folgen entstehen.« »Nie mehr schweigen, wenn Unrecht geschieht« – Esthers Forderung gegen die unmenschlichen Rückführungsaktionen der Roma nach Serbien und ins Kosovo aufzutreten: »Sie sind wie wir in Auschwitz und anderen Lagern als ›unwertes Leben‹ vernichtet worden. Und heute abschieben?« »Nie mehr schweigen, wenn Unrecht geschieht« – zur Flüchtlingsfrage, als der Hamburger Senat die Aufnahme der Lampedusa-Flüchtlingsgruppe verweigerte: »Wir können doch nicht heute noch immer Menschen wie Tiere behandeln.« Und zur Begründung der Ablehnung dieser – gemessen an heutigen Flüchtlingszahlen – kleinen Gruppe durch die Hansestadt: »Der Senat muss nur wollen.« (…) Um es klar auszusprechen, ohne das Wegschauen und das Decken nach 1945 hätte es das Oktoberfestattentat, die Anschläge von Rostock-Lichtenhagen, Hoyerswerda, Solingen und Mölln und den NSU so nicht geben können. Es hätten aus den Erfahrungen und Ereignissen des Nationalsozialismus die richtigen Konsequenzen gegen den Hass gezogen werden müssen. Es gab jedoch eine Toleranz gegen Täterinnen und Täter, und Nazis wurden und werden in diesem Land direkt und indirekt, durch politische Kampagnen und das Schweigen und Wegschauen, ermutigt, weiter Hass und Leid zu verbreiten. Das ist der rote Faden von damals zu heute.« (…) »Nie mehr schweigen, wenn Unrecht geschieht« – diese Aufforderung bezog Esther auch auf die Unterdrückung, Vertreibung und Ausgrenzung der Palästinenser. (…) Trauer über den Tod meiner großen Schwester – zugleich tief empfundene Dankbarkeit für alles, was sie mir und uns war und bleibt. »Presente« – wie es auf Kuba heißt, wo sie 2017 auf ihrer letzten großen Reise Solidaritätskonzerte gegen den seit 60 Jahren dauernden Boykott des Landes durch die USA gab: »Presente« – Esther, du bist und bleibst anwesend, bleibst bei uns…“ Trauerrede von Rolf Becker externer Link zur Beisetzung von Esther Bejarano auf dem Jüdischen Friedhof Ohlsdorf in Hamburg am Sonntag, dem 18. Juli, dokumentiert in der jungen Welt vom 21.07.2021
  • Gedenkseite für Esther Bejarano externer Link beim Auschwitz-Komitee
  • siehe auch unseren Tweet dazu externer Link

Siehe im LabourNet u.a.:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=191843
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