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Solidarität mit Venezuela 2014

venezuela 2014Die Regierung spricht nicht davon, die Opposition auch nicht, aber im Grund geht es bei den Auseinandersetzungen in Venezuela darum, wer die Milliarden Franken aus dem Erdölgeschäft bekommt. Die alte Oligarchie will, dass es wieder so wird, wie es früher war, bevor Hugo Chávez 1999 zum ersten Mal Präsident des Landes wurde: dass das Geld unter ein paar wenigen Familien und internationalen Ölkonzernen verteilt wird und allenfalls ein paar Brosamen für Sozialprogramme übrig bleiben. Für den amtierenden Präsidenten Nicolás Maduro, den politischen Erben des im letzten März verstorbenen Chávez, gehört das Öl dem Volk – abgesehen von ein paar Dutzend Millionen Franken für die neu entstandene Öloligarchie, die man im bolivarischen Staat treffend Boligarchen nennt. Anders gesagt: Der Grossteil der Gewinne des staatlichen Ölkonzerns PdVSA fliesst in gigantische Sozialprogramme, und das ist jedenfalls viel gerechter als die Vorstellungen der Opposition“ – diese durchaus treffende Grundskizze ist aus dem Kommentar Besser endlich reden statt weiter hetzen und schiessen von Toni Keppeler am 27. Februar 2014 in der WoZ.

Im Alltagsleben aber eine Folge der Wirtschaftspolitik, nicht nur in dem einen Jahr seit der letzten Präsidentschaftswahl: „Inzwischen, fast ein Jahr später, hat sich die Situation in Venezuela jedoch deutlich verändert. Insbesondere das Thema Währungs- und Finanzpolitik ist der Regierung scheinbar komplett entglitten. Die Kehrseite der Umverteilungspolitik ist eine dramatische Inflationsrate. Die erhöhte Geldmenge wird nicht ausreichend in produktive Strukturen investiert, sondern durch den privaten Groß- und Einzelhandel in Form von andauernden Preiserhöhungen abgesaugt. Da diese Gewinne in der Landeswährung schnell an Wert verlieren, versuchen die privaten Unternehmer das Geld auf dem schwarzen Markt möglichst in ausländische Währungen, mit Vorliebe in Dollar, umzutauschen. So haben der private Einzelhandel und der Devisenschwarzmarkt die Inflationsrate im vergangenen Jahr auf 56 Prozent getrieben. Dies ist der schlechteste Wert seit Amtsantritt der Regierung Chávez im Jahr 1998 und geht deutlich auf Kosten der Kaufkraft der venezolanischen Bevölkerung“ so wird es in dem Artikel Venezuela: Revolte der Ausgeschlossenen externer Link von Malte Daniljuk am 25. Februar 2014 bei telepolis beschrieben – und wen Inflation in der Regel am meisten trifft ist bekannt, wobei die Ausgeschlossenen in diesem Artikel die ehemaligen Eliten sind…

Venezuela: 2014 is not 2002 externer Link heisst der Artikel von Rafael Uzcategui am 23. Februar 2014 bei libcom, der aus anarchistischer Sicht die These der Regierung kritisiert, es handele sich um eine Wiederholung des Putschversuchs von 2002 – was unter anderem, seiner Argumentation zufolge, schon wegen der Entwicklung innerhalb der Armee, in der die Opposition im Gegensatz zu damals fast keinen Einfluss mehr habe nicht zutreffen könne.

Der Bericht Großdemonstrationen für den Frieden in Venezuela externer Link von Philipp Zimmermann am 24. Februar 2014 bei amerika21.de beginnt so: „In der venezolanischen Hauptstadt haben am Wochenende mehrere Großdemonstrationen gegen die Gewalt stattgefunden“ – unter anderem natürlich auch Verweis darauf, dass die Regierung immer noch Unterstützung einer deutlichen Mehrheit hat.

Der Beitrag Venezuela: reaccionan los de abajo. Convocan gran marcha y control popular en localidades para el 27 de febrero externer Link am 25. Feberuar 2014 bei Clajadep-LaHaine berichtet nicht nur von den massiven Vorbereitungen einer Grossdemonstration von Basisorganisationen gegen die rechte Offensive, sondern macht auch das Problem deutlich, dass eben die Massenmobilisierung dieser Basisorganisationen in den letzten Jahren gelitten hat – zugunsten einer Haltung, auf die Regierung zu setzen, statt selbst aktiv zu sein.

Direkte Reaktionen der Bevölkerung gab es auch schon während der ganzen Tage: Etwa wenn die Demonstranten die neuen Busse des ÖPNV zerstörten oder die Bolivarianische Universität attackierten: „In more recent days, the class character of the demonstrations has become clearer. The government’s new bus system, offering clean and safe travel at low prices, has been attacked, 50 of them on Friday alone. The Bolivarian University, offering higher education to people excluded from the university system, was besieged Friday — though the demonstrators failed to get in to wreck it“ – aus Is Venezuela Burning? externer Link von Mike Gonzalez am 23. Februar 2014 im Jacobinmag, der zur extrem regierungskritischen Schlussfolgerung kommt „But the literally billions of dollars that have “disappeared” in recent years, and the extraordinary wealth accumulated by leading Chavistas, are the clearest signs that their interests have prevailed. At the same time, the institutions of popular power have largely withered on the vine. The promises of community control, of control from below, of a socialism that benefited the whole population, have proved to be hollow“. (Ein Vergleich zwischen neu angehäuftem Reichtum führender Chavisten mit der Schwäche der Institutionen der Volksmacht – er kommt zur Schlussfolgerung, die Regierung befinde sich in einer existentiellen Krise). Dieser Artikel – wie auch etwa die Antwort darauf Federico Fuentes replies to Mike Gonzalez’s ‚Is Venezuela burning?‘ externer Link am 26. Februar 2014 dokumentiert bei Venezuela Analysis worin dieser Gonzalez falsche Daten nachzuweisen versucht und die Meinung vertritt, das sei seit 12 Jahren die Position diverser linker Strömungen, die mit der Zeit nicht richtiger geworden seien, sind zum einen natürlich Debatten innerhalb der internationalen Solidarität mit der Revolution in Venezuela, die jedoch in ähnlicher Stoßrichtung auch innerhalb des Landes existieren.

So macht der Bericht Trabajadores petroleros en Monagas cierran filas por la paz y en contra del imperialismo externer Link am 25. Februar 2014 bei Trabajadores Aporreando deutlich, dass auch im Kernsektor Ölwirtschaft die Belegschaften auf Seiten der Regierung stehen und Imperialismus und Reaktion für die Gewalt verantwortlich machen. Was die Probleme der wirtschaftlichen Entwicklung betrifft, von denen beispielsweise der Fahrzeugbau in einer tiefen Krise steckt so ist die ebenfalls bei Aporrea bereits am 29. Januar 2014 veröffentlichte Erklärung Pronunciamiento sobre la actual situación del sector Automotriz externer Link eine Erklärung der Gründungskonferenz der Föderation der Automobilgewerkschaften ein Dokument, das neben der Kritik an den multinationalen Unternehmen der Branche im Lande auch ausführlich die Haltungen und Reaktionen staatlicher Institutionen kritisiert, wie auch eine Politik, die den Import fördert anstatt der Produktion – aber mit der Erklärung schliesst Los verdaderos mafiosos son los empresarios…

All dies bestätigt eine Haltung, die besagt „Solidarität mit der Revolution in Venezuela“ – was eben gerade nicht heisst, dass jede und jeder, die die Regierung kritisieren oder Proteste organisieren, wie etwa die Stahlarbeiter im Herbst 2013 (LabourNet Germany interviewte Streikende) automatisch das Geschäft der Reaktion betreiben würden, im Gegenteil: Es gibt genügend solche Aktionen, die auf eine Vertiefung und Fortführung der Revolution abzielen, was keineswegs von allen Regierungsmaßnahmen gesagt werden kann. Dass auf der anderen Seite die bürgerliche Reaktion aktiv ist – wie im aktuellen Fall nach den Wahlniederlagen in sich gespalten – und die USA versuchen, das zu befördern und auszunutzen ist ebenfalls klar.

Zusammengestellt und kommentiert von Helmut Weiss, 27. Februar 2014

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=54050
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