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Zugeständnisse an die breite Protestbewegung in den USA – und die reaktionäre Gegenmobilisierung: Hetz- und Drohkampagne vor allem gegen Autonome Zonen

Seattle/USA: The Capitol Hill Autonomous Zone oder #Chaz„… Kernpunkte der Anordnung sind eine Anweisung an das Justizministerium, durch die Bereitstellung von Bundesmitteln Anreize für die lokalen Polizeibehörden zu schaffen, ihre Beamten besser auszubilden. Insbesondere bei der Anwendung von Waffengewalt und in Deeskalationsstrategien sollen die Polizist*innen besser geschult werden. Der Einsatz von Würgegriffen soll verboten werden – es sei denn in Situationen, in denen die Anwendung tödlicher Gewalt legitim ist. Ein nationales Register polizeilicher Übergriffe soll es erleichtern, übertrieben gewalttätige Polizist*innen aus dem Dienst zu entfernen. Im Übrigen äußerte Trump seine Bereitschaft, mit dem Kongress zusammenarbeiten, Reformgesetze auf den Weg zu bringen…“ – aus dem Beitrag „Alles nur Einzelfälle“ von Bernd Pickert am 17. Juni 2020 in der taz online externer Link, an dessen weiteren Ausführungen nicht die Kritik der Demokraten daran irgendwie interessant ist, sondern vor allem die These, Trump wolle damit nicht nur ein erzwungenes Zugeständnis machen, sondern auch „seinen Leuten“ die Grenzen solcher Zugeständnisse signalisieren. Siehe dazu auch eine weitere Meldung über Zugeständnisse in der aktuellen Situation, zwei Beträge zur „Anti-Antifa“ (und autonome Zonen) Hetzkampagne der Rechten (nicht nur) in den USA, sowie einen Videobericht über eine neue autonome Zone in Philadelphia – und zwei Berichte zum Polizeiüberfall auf den Versuch, auch in Portland eine solche Zone zu organisieren:

„Polizist wegen Mordes angeklagt“ ist eine dpa-Meldung vom 18. Juni 2020 externer Link (hier ebenfalls in der taz) über eine schnelle Anklage, die ebenfalls als Zugeständnis an die Massenproteste zu bewerten ist – wenn man erinnert, wie lange so etwas üblicherweise dauert: „.. Nach dem Tod des Afroamerikaners Rayshard Brooks nach einem Polizeieinsatz in der US-Metropole Atlanta muss einer der beteiligten Beamten die Todesstrafe fürchten. Die Staatsanwaltschaft klagte den Polizisten am Mittwoch (Ortszeit) unter anderem wegen Mordes an. Er habe übermäßige Gewalt angewendet, sagte Staatsanwalt Paul Howard in Atlanta im US-Bundesstaat Georgia. Darauf steht im Falle einer Verurteilung lebenslange Haft ohne Bewährung oder gar die Todesstrafe. Der Tod des 27-Jährigen nach dem Einsatz hatte die landesweiten Proteste gegen Polizeigewalt und Rassismus in den USA nach dem Fall George Floyd in Minneapolis weiter angeheizt. Brooks war am Freitagabend am Steuer seines Wagens eingeschlafen, als er in der Schlange an einem Schnellrestaurant wartete. Polizisten stellten fest, dass er zu viel getrunken hatte und wollten ihn festnehmen. Es kam zu einem Handgemenge, Brooks griff nach dem Elektroschockgerät eines Beamten und floh. Einer der beiden Polizisten feuerte Schüsse ab, die ihn im Rücken trafen und tödlich verletzten. Er wurde fristlos entlassen, der andere Beamte vorläufig suspendiert. Brooks habe in mehr als 40 Minuten der Unterhaltung mit den Beamten „niemals irgendein aggressives Verhalten gezeigt“ oder eine Bedrohung dargestellt, sagte Staatsanwalt Howard. Sein Verhalten sei kooperativ und „fast schon fröhlich“ gewesen. Nachdem der Mann nach den Schüssen zu Boden ging, habe der nun angeklagte Polizist Brooks zusätzlich getreten. Über zwei Minuten, während er um sein Leben kämpfte, habe sich niemand um den 27-Jährigen gekümmert. Eine Kugel des Polizisten hatte Brooks demzufolge ins Herz getroffen. In einer ersten Aussage habe der Polizist danach „ich habe ihn erwischt“ gesagt…“

„Anti Anti-Antifa!“ von Arthur Buckow am 18. Juni 2020 in der jungle world externer Link (Ausgabe 25/2020) zur inhaltlichen Mobilisierungs-Strategie der Rechten (nicht nur) in den USA: „… Auf die Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt in den USA nach der gewaltsamen Tötung George Floyds durch einen Polizisten hat Präsident Donald Trump reagiert: mit der Ankündigung, »die Antifa« als Terrororganisation einstufen zu wollen. Ein durchsichtiges Manöver, durch die absurde Zuschreibung der Urheberschaft den Protest zu delegitimieren und ein Signal an die eigene, rassistische Wählerschaft zu senden: I’m your man! Statt nun enerviert den Kopf auf die Tischplatte fallen zu lassen, reden wir über »die Antifa«. Wir bekennen uns oder versuchen darzulegen, dass wahlweise »die Antifa« gar nicht so relevant für die Proteste ist und auch gar nicht so militant, oder wenn doch, dann halt aus guten Gründen, und überhaupt: Sie ist ja weder hierzulande noch in den USA ein eingetragener Verein, sondern eine quantité négligeable. Gesten der Verteidigung also, wo Antifa doch einmal Angriff hieß. Dabei ist das Reden über »die Antifa« zurzeit vor allem eines: das Schweigen über den Rassismus. So muss man Trump wieder einmal konzedieren: Der Mann weiß, wie man die öffentliche Debatte dreht. Und er erhält Zustimmung auch hierzulande von genau ­jenen, denen dieseVerschiebung gerade recht kommt. Wer beispielsweise Henryk M. Broder dabei zuschaut, wie er in aller publizistischen Öffentlichkeit kalt und dumm wird, bekommt von ihm in der Welt nach allerlei Häme über den »alltäglichen Rassismus« – den er natürlich in Anführungszeichen setzt – das Urteil serviert: »Der Antifaschismus ist der Faschismus des 21. Jahrhunderts.« Schenkelklopfen zuvörderst bei denen, die immer noch gerne »Neger« sagen wollen – oder wenigstens »Negerküsse«. Broder ist sicher kein »durchs Judentum verhinderter Faszist« (wie der junge Adorno über Marcuse urteilte). Denn nichts hindert einen Broder mehr an seiner Elsässerwerdung. Und auch ansonsten noch nicht vollends durchgeknallte Liberale sekundieren, wie beispielsweise ein Autor der »Salonkolumnisten«, mit seiner »his­torischen Einordnung« eines »toxischen Begriffs«: »Antifa ist ein Produkt der Giftküche des Stalinismus«. Hinfort damit! Statt Antifa wird der »Einsatz der Demokraten für die offene Gesellschaft« empfohlen, eine rhetorische Steinmeierei, mit der man sich zumindest mal für niedere Dienste in der freiheitlich-­demokratischen Grundordnung empfiehlt. Bis es soweit ist, bitten die »Salonkolumnisten« noch um Spenden. Dabei haben all die Anti-Antifaschisten, so sehr sie sich auch noch liberal gebärden mögen, durchaus ein feines Gespür dafür, was für sie selbst tatsächlich eine Gefahr darstellen könnte. Mit Rassismus können sich westliche Gesellschaften nämlich bestens arrangieren, sie profitieren oft sogar davon. Und für den Programmpunkt »Ausländer raus« hat man drinnen Bild, Seehofers Innenministerium und im Notfall ein paar freie Kameradschaften, draußen hat man Frontex und die Lager im Lande Erdoğans. Anders ist das Verhältnis zum Antifaschismus. Denn der stellt, wenn er konsequent ist, immer auch die System­frage(n): Warum wesen Rassismus und Antisemitismus unvermindert fort? Warum werden liberale Kleinbürger immer wieder zu rechtsextremen Wutbürgern? Warum greifen vorgeblich freiheitliche Gesellschaften in Krisen immer wieder zu autoritären Lösungsversuchen? All diese Fragen sind immer auch soziale Fragen. Genau das wissen die Anti-Antifaschisten, und sie lieben diese Verhältnisse und profitieren von ihnen zu sehr, als dass sie ihre Verbesserung je zulassen würden. Denn der Feind steht links!…“

„Wieso die USA brennen“ von Loren Balhorn am 18. Juni 2020 bei der Rosa Luxemburg Stiftung externer Link skizziert zum einen die soziale Dimension des strukturellen Rassismus in den USA, wie sie sich gerade im Angesicht der Epidemie nochmals extrem deutlich zeigt – und verweist auf die rechte Hetzkampagne Trumps vor dem Hintergrund mangelnder politischer Alternativen: „… Eine weiße Familie besitzt im Jahr 2020 in den USA im Durchschnitt zehnmal mehr Nettovermögen als eine Schwarze Familie. Trotz des kleinen Wirtschaftsaufschwungs der letzten Jahre bleibt die Arbeitslosigkeit unter Schwarzen doppelt so hoch wie unter Weißen. «Diversity» wird zwar im ganzen Land gepredigt, doch unter der Oberfläche bestehen nach wie vor gravierenden Disparitäten. Der entwürdigende und in etwa 200 Fällen pro Jahr mörderische Umgang der Polizei mit Schwarzen Menschen ist – über Social Media beschleunigt – der Zündfunke für immer neue Proteste. Egal ob in Minneapolis, Orlando, Los Angeles oder New York – die Wut richtet sich nicht nur gegen Polizeigewalt, sondern gegen die kleinen und großen Erniedrigungen, die Schwarze US-Amerikaner*innen täglich erleben. Der jetzige Ausbruch ist kein Zufall. Kein Land wurde so stark vom Coronavirus getroffen wie die USA. Über 40 Millionen Menschen verloren durch die Pandemie ihre Arbeit, 100.000 starben. Während die weiße Donald Trump-Anhängerschaft in den letzten Monaten ungestört gegen Quarantäne und Lockdown-Maßnahmen protestierte – oft sogar schwer bewaffnet –, verhaftete die Polizei überproportional häufig Schwarze Menschen wegen Verstößen gegen Corona-Maßnahmen. Und: Jeder fünfte Corona-Tote in den USA ist ein Schwarzer Mensch, obwohl sie nur zehn Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen. (…) Joe Biden bemüht sich, mit Protestierenden ins Gespräch zu kommen. Er und andere Demokraten können letztlich jedoch nichts Weiteres anbieten als heute zu demonstrieren und morgen mehr Demokraten ins Amt zu wählen. Die Strategie, die sie seit Jahrzehnten propagieren – ohne nennenswerte Erfolge. Durch das Ende der Bernie Sanders-Kampagne gibt es keinen Akteur auf der nationalen Bühne, der für eine glaubwürdige Alternative steht. Er trug als einziger nicht zur Verschärfung des US-Polizei-Regimes bei. Seine Kontrahent*innen können den Demonstrierenden nur schwer erklären, wieso sie es dieses Mal anders machen werden. Insofern könnten die Szenen der letzten Tage auch der Anfang eines längeren Protestzyklus sein. Bisher betonen die meisten Bürgermeister*innen und Gouverneure, dass man bemüht sei, das Recht auf freie Meinungsäußerung zu garantieren. Gleichzeitig versuchen Justizministers William Barr und viele Landesregierungen, «externen Agitatoren» die Schuld für Brände und Plünderungen in die Schuhe zu schieben und den Einmarsch der Nationalgarde zu rechtfertigen. Welche Lösungen die herrschenden Eliten des Landes anstreben, sollten die Demonstrationen länger andauern, bleibt offen. Ihnen dienen die Proteste als Legitimation, um staatliche Repression gegen die Schwarze Bevölkerung und Linke zu verschärfen. In der Tat scheint Trumps neue Strategie gegen stagnierende Umfragewerte zu sein, die jetzigen Proteste als einen Kulturkampf zu deuten und sich selbst als Hüter von Recht und Ordnung zu inszenieren. Seine Ankündigung, die ebenso berüchtigte wie nebulöse «ANTIFA» als terroristische Organisation einstufen zu wollen, dient der Ablenkung vom eigentlichen Problem – und stachelt seine Wählerbasis auf...“

„Philadelphia’s Homeless Create Camp Maroon Autonomous Zone with Protesters“ von Status Coup am 14. Juni 2020 bei You Tube externer Link eingestellt, ist ein Videobericht über eine selbstorganisierte Zeltstadt in Philadelphia, die gemeinsam von Obdachlosen und AktivistInnen organisiert wird und an der sich insgesamt mehrere Hundert Menschen beteiligen – eine Zahl, die anwächst. Die Aktiven haben sich nach diversen Hetzattacken ausdrücklich als weitere „Autonome Zone“ definiert – und die (sehr zahlreichen, aber aus verschiedensten Gründen ausgesprochen lesenswerten) Kommentare dazu machen deutlich, dass es darüber eine gesellschaftliche Debatte gibt.

„ARRESTS ARE BEING MADE: PortlandPolice have moved in to PKAZ and have declared the autonomous zone a civil disturbance“ am 18. Juni 2020 im Twitter-Kanal von Jade Elliott externer Link ist ein Videobericht über den Angriff der Polizei in Portland auf den dortigen Versuch, ebenfalls eine Autonome Zone zu organisieren. Zahlreiche Festnahmen und geschleifte Zelte sind darin zu sehen. Inklusive eines Links zur Polizei in Portland, die ihren Überfall mit „Störung der öffentlichen Ordnung“ begründet, und dazu auch Proteste vor dem Sitz des (demokratischen) Bürgermeisters anführt (der sich seinerseits – wie von der Partei zu erwarten – keineswegs von der Polizei-Aktion distanziert…)

„Officers are clearing the closed area. Arrests are being made. Leave the area immediately or you are subject to arrest or force. Residents in the area shelter in place“ am 18. Juni 2020 bei der Portland Police externer Link ist der erwähnte Tweet der Polizei, den wir hier anfügen nicht wegen des eindeutig drohenden Tones – sondern vor allem wegen der unglaublichen Menge an Re-Tweets und zustimmender Bekundungen, deren oftmals eher gestammelten Begründungen zeigen, dass die Hasskampagne Trumps durchaus ankommt.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=174240
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