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Orban-Sonderregime in Ungarn: Vollmachten wie in einer Diktatur, unterstützt von der EU, gefürchtet von – Krankenhaus-PatientInnen

Ungarn: 20.000 in Budapest gegen Orbans Schulpolitik im Februar 2016„… In den 10 Jahren, seit die Regierung des ungarischen Premierministers Viktor Orbán und seine FIDESZ-Partei an der Macht sind, hat die Europäische Kommission bei Hunderten von Anlässen unmittelbar bei Mitgliedstaaten interveniert, um Einschnitte bei der Gesundheitsversorgung, den Renten und den Leistungen bei Arbeitslosigkeit durchzusetzen, sich für die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen einzusetzen und die Kollektivverhandlungsrechte einzuschränken. Angesichts eines Gesetzes vom 30. März, das unter dem Deckmantel des COVID-19-Notstands den Premierminister Ungarns ermächtigt, auf unbestimmte Zeit per Dekret zu regieren, bestehende Gesetze ausser Kraft zu setzen und Medienkritiker bis zu 5 Jahre ins Gefängnis zu schicken, kann die Präsidentin der Europäischen Kommission sich nicht einmal dazu durchringen, den Premierminister der betreffenden Regierung beim Namen zu nennen. Als Zeitpunkt für die eskalierende Attacke auf die Demokratie ist ein Moment höchster Ablenkung gewählt worden. Während die Notstandsbefugnisse vordergründig als Reaktion auf die Viruskrise angenommen wurden, hat sich Orbán die Pandemie zunutze gemacht, um eine Reihe von Verordnungen zu erlassen, die mit COVID-19 nichts zu tun haben. Die Regierung hat Massnahmen verabschiedet, um die Steuereinnahmen von Städten, die von der Opposition regiert werden, zu beschneiden, und Vorschriften eingeführt, die es ermöglichen, im Arbeitsgesetzbuch und in Kollektivvereinbarungen vorgesehene Massnahmen zum Schutz der Beschäftigung auf unbestimmte Zeit auf Eis zu legen. Zu den derzeitigen gesetzgeberischen Prioritäten des Regimes gehören die Aberkennung der gesetzlichen Anerkennung von trans Personen und ein Gesetz zur Geheim-Einstufung von Informationen über die staatlichen Bauvorhaben, mit denen sich Orbán und seine Kumpane bereichert haben, für zehn Jahre. Orbán ist nicht das einzige Staatsoberhaupt, das sich die Pandemie zunutze macht, um eine autoritäre Agenda zu verfolgen – Trump in den Vereinigten Staaten, Chinas Parteistaat, Bolsonaro in Brasilien, Erdoğan in der Türkei und der indische Premierminister Modi machen sich die Krise geschickt zunutze, und ihre Länder haben ein unvergleichlich grösseres globales Gewicht als Ungarn. Aber die Europäische Union ist die zweitgrösste Wirtschaftsmacht der Welt, die sich gemäss ihrer Verfassung zu Demokratie, Menschenrechten und, ja, ‘Solidarität’ bekennt…“ – aus dem Editorial „Kampf gegen Europas autoritäres Virus: Der Fall Ungarn“ vom 06. Mai 2020 bei der IUF externer Link (und eben jetzt auch auf Deutsch) ist eine Erklärung der Internationalen Föderation der Nahrungsgewerkschaften, die sowohl das Orban-Regime kritisiert, als auch dessen Unterstützung durch die EU (an die dennoch appelliert wird). Siehe dazu sowohl weitere Beiträge über die Unterstützung des Regimes durch die EU, als auch zur sozialen „Auswirkung“ dieser Politik – inklusive der Menschen, die sterben müssen, weil sie aus dem Krankenhäusern verjagt wurden:

„EU unterstützt Orbáns Diktaturmaßnahmen“ von Markus Salzmann am 11. Mai 2020 bei wsws externer Link zur Unterstützung des Regimes durch die EU unter anderem: „… Die ohnehin nur noch auf dem Papier vorhandenen Rechte auf Datenschutz und Privatsphäre sind mit dem Notstandsgesetz nun auch formal gefallen. Der Minister für Innovation und Technologie, also die Regierung, hat jetzt das Recht, auf sämtliche verfügbaren Personendaten zuzugreifen. Ebenso wurden Teile der europäischen Datenschutzverordnung außer Kraft gesetzt. Das Recht auf Datenauskunft bzw. -löschung wird ebenso ausgehebelt wie die Möglichkeit, Rechtsmittel dagegen einzulegen. Außerdem entbindet das Dekret Regierungsstellen von der Pflicht, über die Sammlung und Verarbeitung personenbezogener Daten aufzuklären. Das gesamte Gesetz ist gegen die ungarische Arbeiterklasse gerichtet. Das wird daran deutlich, dass Bestimmungen des Arbeitsrechts vollständig außer Kraft gesetzt werden können. Manche Berufsgruppen können jetzt sogar zu 24 Stunden Dienst am Stück verpflichtet werden. Mit dieser Regelung finden die Angriffe der Orbán-Regierung auf die Schutzrechte für Arbeiter ihren bisherigen Höhepunkt. Zugleich können EU-Fördergelder ohne Risikoanalyse oder Vor-Ort-Überprüfung ausgezahlt werden. Dies kommt großen Unternehmen zugute, die meist unter Kontrolle der Regierung stehen oder Orbán politisch nahestehenden Personen gehören. Über 140 „systemrelevante“ Unternehmen wurden mit Verweis auf den Kampf gegen die Pandemie unter militärische Kontrolle gestellt. Um dies alles auch gegen Widerstand in der Bevölkerung durchzusetzen, wurde die Armee mit polizeilichen Befugnissen ausgestattet. Kritikern der Regierung droht das Gesetz mit drakonischen Strafen. So werden die Verbreitung von Falschnachrichten mit bis zu fünf und Verstöße gegen Quarantänevorschriften mit bis zu acht Jahren Gefängnis bestraft. Die Straftatbestände sind so schwammig formuliert, dass jede abweichende Meinung oder oppositionelle Handlung darunterfallen kann. „Viktor Orbán regiert jetzt als Diktator“, kommentierte der ungarische Verfassungsrechtler Gábor Halmai. Mit dem Notstandsgesetz habe Orbáns System auch seine formale demokratische Natur verloren. (…) Die Coronakrise hat auch die soziale Katastrophe im Land ans Licht gebracht. Von den rund zehn Millionen Einwohnern leben über eine Million unter der Armutsgrenze. Diese Zahl steigt nun weiter rasant an. Trotz wegfallender Einkommen durch die Krise gibt es keine zusätzliche staatliche Unterstützung. Besonders prekär ist die Lage der rund 300.000 Roma im Land, die unter teilweise unmenschlichen Bedingungen in Ghettos leben. Nach den Lockerungen sind sie noch höheren Risiken ausgesetzt. „Wen der Virus in die Slums kommt, wird es brutal,“ zitiert Reuters Krisztina Jasz vom European Anti-Poverty Network. Während der Widerstand gegen Orbán im Land zunimmt, findet er in der herrschenden Klasse Europas Zuspruch für den Aufbau einer Diktatur. Die EU-Kommission erklärte ausdrücklich, sie werde nicht gegen die Notstandsgesetze vorgehen. Laut einem Bericht der Welt, der von Justizkommissarin Vera Jourova bestätigt wurde, gebe es „keine konkreten Ansatzpunkte für die Verletzung demokratischer Grundrechte“ und daher seien „keine unmittelbaren Gegenmaßnahmen aus Brüssel erforderlich“. Hinzu kommen massive EU-Finanzhilfen für die ungarische Regierung, von denen kein Cent in den Ausbau der maroden öffentlichen Gesundheitseinrichtungen geht oder betroffenen Arbeitern zugutekommt. Ungarn erhält 5,6 Milliarden EU-Soforthilfen, was 3,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts des Landes entspricht. Italien, das in Europa am schlimmsten vom Coronavirus betroffene Land, erhält hingegen nur 2,3 Milliarden, was 0,1 Prozent seines BIP entspricht. Das EU-Parlament hat dies ausdrücklich abgesegnet...“

„Ungarns Regierung kassiert ab“ von Eric Bonse bereits am 19. April 2020 in der taz online externer Link zur Finanzhilfe der EU für das Orban-Regime – diesmal sogar ausdrücklich unter Berücksichtigung der reaktionären Maßnahmen des Regimes: „… Die ersten EU-Hilfen im Rahmen der Coronakrise erreichen offenbar die Falschen. Ausgerechnet Ungarns autoritärer Regierungschef Viktor Orbán darf sich über eine Finanzspritze von 5,6 Milliarden Euro freuen – dabei ist sein Land von der Krise kaum betroffen. Das schwer gebeutelte Italien erhält hingegen nur 2,3 Milliarden. Auch Spanien schneidet mit 4,1 Milliarden schlechter ab als Ungarn. Dies geht aus einer Aufschlüsselung der EU-Kommission hervor. Die Brüsseler Behörde wollte die Zahlen auf Nachfrage der taz zunächst nicht kommentieren. Über die „Extramilliarden“ für Orbán hatte zuerst der Spiegel berichtet. Nach dessen Angaben sei in Brüssel darüber bereits am 13. März entschieden worden, das EU-Parlament habe im Eilverfahren zugestimmt. (…) Die Coronahilfen sollten zentral von der EU verteilt und nicht einfach an die ungarische Regierung überwiesen werden. Das EU-Parlament hat wiederholt gefordert, ­Orbán auch finanziell abzustrafen, weil er unter dem Vorwand der Coronakrise das ungarische Parlament entmachtet hat. EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hält jedoch weiter ihre schützende Hand über Orbán. Sie wolle die Entwicklung beobachten, sagte die CDU-Politikerin. „Ich bin bereit, zu handeln, wenn die Einschränkungen das erlaubte Maß übersteigen“.“

„Auf dem Weg in die Diktatur“ von Edmond Jäger am 09. April 2020 in der jungle world externer Link zu einer weiteren Form der europäischen Unterstützung für Orban&Co: „… Orbáns Fidesz wurde immer noch nicht aus der Europäischen Volkspartei (EVP) ausgeschlossen. Seit März 2019 ist die EVP-Mitgliedschaft der Fidesz auf unbestimmte Zeit ausgesetzt. Vergangene Woche beantragten 13 EVP-Mitgliedsparteien den Ausschluss der Partei. Vertreter von CDU und CSU ­gehören nicht zu den Unterzeichnern. 13 westeuropäische EU-Mitgliedsstaaten, darunter Deutschland, veröffentlichten eine gemeinsame Erklärung, die jeden Versuch verurteilt, die derzeitigen Krisenmaßnahmen zur Schwächung der Demokratie zu nutzen. Ungarn wird darin nicht namentlich erwähnt. Später schlossen sich Estland, Lettland und Litauen der Erklärung an. Am 2. April erklärte auch die ungarische Regierung, sich der Erklärung anzuschließen. Regierungskritische Medien bezeichneten das als »Troll-Diplomatie«. Die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) sagte am 31. März in Brüssel: »Alle Notstandsmaßnahmen müssen auf das, was notwendig ist, begrenzt und streng verhältnismäßig sein. Sie dürfen nicht unbegrenzt dauern.« Auch sie erwähnte Ungarn nicht. Ohne die Stimmen der Fidesz-Abgeordneten im europäischen Parlament wäre von der Leyen 2019 nicht zur EU-Kommissionspräsidentin gewählt worden...“

„Ungarn – Keine Zeit für Demokratie“ von Ráhel Mészáros am 09. April 2020 bei der Rosa Luxemburg Stiftung externer Link zu den sozialen „Bestandteilen“ der rechtsradikalen Politik in Ungarn: „… Mit der Ausrufung des Notstands kündigte die Regierung auch einen Plan zum Schutz der ungarischen Wirtschaft und Arbeitnehmer*innen an. Der Plan berücksichtigt auch Arbeiter*innen im Gesundheitswesen und stellt ihnen ein einmaliges Zusatzgehalt sowie eine Lohnerhöhung von 20 Prozent ab November in Aussicht. Eine Stellungnahme der ungarischen Ärztekammer begrüßte das zusätzliche Gehalt als großzügigen Beitrag, wies aber gleichzeitig darauf hin, dass eine beträchtliche Lohnerhöhung nötig sei, um stabile Arbeitsverhältnisse zu gewährleisten und um zu verhindern, dass ungarische Ärzt*innen womöglich ins Ausland auswandern. Zudem hat die Regierung einen Sonderfonds angekündigt, der sich aus Beiträgen mehrerer multinationaler Unternehmen, Banken und Kommunen speisen soll. Allerdings setzt der Beschluss die Kommunen auch unter verstärkten Druck, da sie bereits zusätzliche Aufgabenbereiche übernehmen mussten, die im Bereich der Sozialfürsorge durch die Pandemie entstanden und für die keine zusätzlichen Mittel vorgesehen sind – zum Beispiel die Versorgung von Senior*innen oder Obdachlosen. Ein neues Dekret sieht nun vor, dass Parken landesweit kostenlos sein soll, wodurch den Kommunen noch weitere Mittel verloren gehen. In Budapest haben oppositionelle Bezirksbürgermeister ihre Bedenken über den Mangel an Informationen und Ressourcen geäußert und den Fonds als neue Austeritätsmaßnahme dargestellt. Wie überall in Europa sehen ungarische Arbeiter*innen verschärfter wirtschaftlicher Unsicherheit entgegen. Anders als der Rest der Europäischen Union hat der ungarische Staat jedoch keine Löhne für Arbeiter*innen übernommen, deren Stellen durch die Krise gefährdet sind. Seit Ausbruch der Pandemie haben in Ungarn in den letzten Wochen 30.000 Menschen ihre Arbeit verloren, und mehreren Studien zufolge verfügt die ungarische Bevölkerung über sehr geringe Ersparnisse, während die Zahlung von Sozialleistungen auf drei Monate beschränkt ist. Die ohnehin massive Arbeitslosigkeit wird in den nächsten Monaten voraussichtlich noch weiter zunehmen. Auch die Rückkehr ungarischer Bürger*innen, die ihre Arbeit im Ausland verloren haben, wird diese Zahl weiter ansteigen lassen. Die hohe Arbeitslosigkeit wirkt sich auch stark auf die Bildung aus. In ärmeren Teilen des Landes stellt der Fernunterricht eine große Herausforderung für die Bevölkerung dar – 20 Prozent der Schüler*innen fehlt nicht nur die dafür notwendige Infrastruktur (Internetzugang oder Computer), zuhause haben sie auch keine Stromversorgung oder genug Platz, um ihre Hausaufgaben zu erledigen, da sie ihre Zimmer mit Geschwistern oder gar älteren Familienmitgliedern teilen müssen…“

„Hungary Kicks Patients Out of Hospitals to Prepare for Covid-19“ von Philippe Dam am 06. Mai 2020 bei HRW externer Link berichtet über die Säuberungskampagne gegen nicht Corona-PatientInnen in ungarischen Krankenhäusern – mit Krankenschwestern, die über die Vorgehensweise berichten – und auch über die dadurch entstandenen Todesfälle.

„Deepening of authoritarianism and uneven struggles of global capitalist reorganization: politics of the COVID-19 crisis in Hungary“ von der Solidarity Action Group am 06. Mai 2020 bei LeftEast externer Link ist ein Beitrag des Zusammenschlusses linker und demokratischer Gruppierungen in dem die verschiedenen Facetten der aktuellen Politik des Orban-Regimes in Ungarn, wie etwa auch finanzpolitische Maßnahmen, wie die Abwertung der eigenen Währung in Zusammenhang gesetzt werden mit der Zentralisierung der Staatsmacht als Kern dieser politischen Ausrichtung.

„Ungarn – Masken, Medien und Minderheiten“ von Stephan Ozsváth am 25. April 2020 bei der Deutschen Welle externer Link weist noch darauf hin, dass das ungarische Regime auch weiterhin den Kurs verfolgt, seine reaktionäre Politik regional zu verbreiten: „… „Vorwärts Ungarn“ steht auf den Aufklebern neben chinesischen Schriftzeichen. Große Kartons mit Schutzmasken und Desinfektionsmitteln stapeln sich im Bauch von Transportmaschinen auf Paletten in die Höhe – Bilder für das heimische Publikum. „Mehr als 80 Millionen Schutzmasken“ hätten die Chinesen geliefert, vermeldete Ungarns Außenminister Péter Szíjártó diese Woche. Immer wieder spricht er von einer „Luftbrücke“ mit China. Einen Teil der Medizingüter aus Fernost verteilt Ungarn in der näheren Region weiter: An Albanien, Serbien und Bosnien, aber auch an die ungarischen Minderheiten in den Anrainerstaaten. „Jeder Ungar ist für jeden Ungarn verantwortlich“, begründet das der Politiker auf seinem Facebook-Kanal. (…) „Fidesz will die Zahl seiner Verbündeten innerhalb der EU erhöhen“, sagt Tamás Bodoky, Gründer des ungarischen Investigativportals Átlátszó.hu. Mit dem EU-Mitglied Slowenien und den Westbalkan-Ländern, die noch beitreten werden, könne so eine erweiterte Visegrad-Gruppe entstehen. Der Regierung gehe es um Gas-Ressourcen aus Aserbaidschan, sagt Regierungsberater Kiszelly. Dort engagiert sich der ungarische Mineralölkonzern MOL. Ziel sei, weniger abhängig von Russland zu sein. Die Abwehr von Migranten weit weg von der eigenen Landesgrenze sei wichtig, letztlich aber auch ungarischer Ideologie-Export. Es sei „Teil einer politischen Strategie“, erklärt Kiszelly, sich deshalb auch in Medien in Slowenien und Nord-Mazedonien einzukaufen, „um die eigenen Standpunkte“ besser platzieren zu können…“

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=172345
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