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Die Feinde der ungarischen Rechtsregierung (und ihrer Anhänger): Fremde, Frauen, Forschung

Baubeginn für ungarische Ostmauer Mai 2015Auch wenn sicherlich viele Frauen Orban&Co gewählt haben mögen – das ist dann auch ausreichend für einen rechten (nicht nur) ungarischen Mann: Gender-Studies an den Universitäten sind künftig unerwünscht. Was anderswo mit „Orchideenfächern“ auf Wunsch diverser Personalabteilungen still und leise vollzogen wird, wird in Ungarn mit einer politischen Kampfansage verbunden. So unerwünscht sind erst recht  „Fremde“ –  die werden rundweg terrorisiert, mit Vorliebe, wenn sie nicht die Jungfrau Maria als Orientierungspunkt haben, da wird selbst Nahrung verweigert. Aber auch der einzige Philosoph von Weltrang, den Ungarn im letzten Jahrhundert hervor gebracht hat, ist Zielscheibe: Das Lukács-Archiv soll geschlossen und geschleift werden. (Vorschlag: Stattdessen das „Braune Buch“ mit Worten des Vorsitzenden Orban?). Gefördert werden stattdessen – originell ist das nicht gerade – Technologie und ausländische Investitionen, wofür wiederum mit fleißigen – ein anderes Wort für  gehorsame – Menschen geworben wird. Die eigentümliche Mischung aus traditionellen reaktionären Positionen und modernen reaktionären Positionen ist ein Kennzeichen der ungarischen Rechten, aber keineswegs ein „Alleinstellungsmerkmal“ in der europäischen Rechten. Siehe fünf Beiträge zur aktuellen Umsetzung der Grundsatzorientierung der ungarischen Rechtsregierung und eine akademische Protest-Resolution für den Erhalt des Lukacs-Archivs:

„Aushungern als Abschreckung“ von Keno Verseck am 24. August 2018 bei Spiegel Online externer Link zur Kriegsführung der ungarischen Rechten: „Der Anlass der Aktion: Seit Anfang August erhielten erstinstanzlich abgelehnte Asylbewerber in Ungarn von Behörden keine Verpflegung mehr. Vertreter von Hilfsorganisationen sprachen von „Aushungern“, Ungarns größtes Nachrichtenportal index.hu nannte es „ein barbarisches Vorgehen“. Es war die neueste Maßnahme einer seit Juli nochmals deutlich verschärften ungarischen Flüchtlingspolitik. Nach Protesten ungarischer und ausländischer Bürgerrechtsorganisationen setzte die ungarische Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde die Praxis am Donnerstag vorläufig aus. Eine Begründung bleiben Behördenvertreter schuldig, auf telefonische und schriftliche Anfragen des SPIEGEL antworteten sie nicht. (…)Bekannt gemacht hatte den Verpflegungsstopp in der vergangenen Woche das ungarische Helsinki-Komitee, eine Bürgerrechtsorganisation, die Asylbewerbern unentgeltlich Rechtschutz anbietet. Die offizielle Begründung der ungarischen Einwanderungs- und Flüchtlingsbehörde lautet, dass Asylbewerber nach der erstinstanzlichen Ablehnung ihres Antrages keinen gesetzlichen Anspruch mehr auf Verpflegung hätten. Daran ändere auch ein Widerspruch der Betreffenden gegen den Ablehnungsbescheid nichts…

„Hunger als Waffe“ von Ralf Leonhard am 18. August 2018 in der taz externer Link fasst zusammen: „Ungarn treibt die Schikanen gegen unerwünschte Asylwerber auf die Spitze. Flüchtlingen, die sich gegen einen negativen Asylbescheid wehren, wird die Nahrung verweigert. Damit sollen sie vor Abschluss des Berufungsverfahrens zur Ausreise nach Serbien gezwungen werden. Seit dem 1. Juli gilt ein verschärftes Asylrecht, wonach Asylanträge von Flüchtlingen, die aus sicheren Drittstaaten kommen, automatisch abgelehnt werden. Sämtliche Nachbarländer werden als solche eingestuft. Das Ungarische Helsinki Komitee (HHK), eine der wenigen Organisationen in Ungarn, die die Rechte von Flüchtlingen wahrnehmen, hat jetzt drei Fälle vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gebracht und recht bekommen. Eine fünfköpfige afghanische Familie – das jüngste Kind hängt mit drei Monaten noch an der Mutterbrust – war wegen anhaltender Gewalt in einem serbischen Lager nach Ungarn weitergezogen. Dort wurde ihr Asylantrag binnen kürzester Zeit abgelehnt…

„Aus Angst um den Mann“ von Gergely Martón am 21. August 2018 ebenfalls in der taz externer Link zum „Ende“ der Gender-Studies: „Eine Stunde lang verkündet Orbán von hier oben seine Sicht auf die Welt. Er zeichnet ein Bild von sich als globalem Akteur zwischen Trump und Putin. Und am Ende kommt der Satz, der den Westen provozieren soll: „Wir könnten bei den Wahlen zum Europäischen Parlament im nächsten Mai nebst den liberalen Demokraten auch die 68er Generation für immer verjagen.“ Orbán lächelt wie ein Pubertierender nach einem gelungenen Streich. Es dauert keine zwei Wochen, bis er Taten folgen lässt. Mitte August beauftragt er zwei seiner Minister, das Studienfach Gender Studies an den ungarischen Universitäten verbieten zu lassen. Warum, sagt er zunächst nicht.(…) Zehn Studenten und Studentinnen haben vor einem Jahr ihr Studium angefangen, dieses Jahr kommen zehn weitere hinzu. Aber danach wird wohl Schluss sein. Das Kabinett darf die Akkreditierung des Faches entziehen und die Gender Studies an dieser Uni verbieten. Mittlerweile hat die Regierung ihre Entscheidung auch begründet. Der junge Kanzleramtschef Gergely Gulyás sagte gerade mit dem Charme eines Steuerbeamten, für Menschen mit einem solchen Abschluss gebe es keine Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt. Viele Studierende halten das für eine Lüge. Die ersten Studenten der ELTE bekommen ihr Diplom erst in einigen Jahren, Zahlen liegen also noch nicht vor. Die Erfahrungen der privaten CEU zeigen aber: Die Nachfrage nach Gender Studies in Ungarn ist groß…

„Frida Kahlo und Gender Studies in Ungarn am Pranger“ von Wilma Rall am 15. August 2018 im Freie-Radios.net externer Link dokumentiert (ursprünglich von Rabe) zur Forderung der ungarischen Rechten, die Frida Kahlo Ausstellung in Budapest zu schließen – im Kontext zur Abschaffung der Gender Studies ein Sendebeitrag mit folgendem Begleittext: „Die ungarische Regierung will Gender Studies verbieten, weil sie die Fundamente der christlichen Familie untergrüben. Eine regierungsnahe Zeitung prangert die Frida Kahlo-Ausstellung in Budapest als Propaganda an, weil Kahlo Kommunistin gewesen sei, und verlangt, die Ausstellung im Nationalmuseum zu schliessen.  Der rechtsnationalistische Kulturkampf in Ungarn hat nun auch die Kunstschaffenden und AkademikerInnen erreicht, sagt die Schweizer Journalistin Gina Böni in Budapest…

„Protestieren gegen die Schließung des Lukács-Archivs!“ von Uli Weiss in der Juli-Ausgabe 2018 von Trend-Online externer Link ist der Aufruf zur Unterzeichnung einer entsprechenden Petition: „Er ist doch wie Marx ganz offenkundig ungefährlich geworden. Oder? Besteht etwa die Gefahr (bei ihm bestand sie tatsächlich nur kurzzeitig in der Verteidigung der ungarischen Räterepublik), dass irgenwelche Arbeiter mit Lukács im Kopf oder gar auf der Fahne irgendjemanden irgendwetwas wegnehmen? Der Bildungsbürger kann völlig gelassen auf Lukács herabschauen als auf ein Kulturerbe, ein Gottseidank überwundenes natürlich. Wie auf den Marx kann er auf ihn nun gönnerhaft sein Werk als einen Beleg dafür ansehen, wie haushoch er selbst sich auch über intellektuell anspruchsvollere Verachter des bürgerlichen Eigentums, der Klasse, aus der Lukács selbst stammte, erhoben hat. Auf einem bestimmten zivilisatorischem Niveau geht der Bürger so etwa mit den Marxens und anderen einst gefährlichen Denkern um. Sie werden, meist ungelesen, als Mode, auch als verkaufsfähige Sehenswürdigkeit aus dem Verlies hoch ins Wohnzimmer geholt oder gar wieder auf den Marktplatz aufgestellt. Die nun herrschenden ungarischen Bilderstürmer aber schaffen es nicht auf dieses Level. Wie auf anderen Gebieten und wie andere Populisten demontieren sie Errungenschaften der bürgerlichen Zivilisation. Sie wollen auch das Lukács-Archiv sterben lassen. Wenigstens das, außer Lukács lesen natürlich, möchte ich dafür tun, dass dies nicht geschieht – die Petition dagegen unterschreiben…

„Wir protestieren gegen die Schließung des Lukács-Archivs“ seit dem 04. Juli 2018 ist der Aufruf der Internationalen Stiftung Lukács-Archiv externer Link zur Unterzeichnung der Protest-Resolution, in dem es unter anderem heißt: „Die Bibliothek der Ungarischen Akademie der Wissenschaften (UAW), die verantwortlich ist für das Georg-Lukács-Archiv, ließ am 24. Mai 2018 das Archiv für ungewisse Zeit – offiziell bis zum Abschluss der in Lukács‘ ehemaliger Wohnung geplanten Renovierungsarbeiten – schließen. Sie entfernte die letzte sachkundige Mitarbeiterin, den handschriftlichen Nachlass hatte sie schon vorher abtransportiert. Es gibt von der Bibliothek der UAW weder verwertbare Information über eine Wiedereröffnung, noch über den Beginn der geplanten Renovierung. De jure existiert das Georg-Lukács-Archiv noch. Der Präsident der Akademie stritt an den am 6. Juni diesen Jahres mit dem Vorstand der ISLA geführten Verhandlungen entschlossen ab, dass die UAW das Archiv abschaffen wolle. Die ISLA betrachtet das nicht als Erfolg, sie vertraut aber darauf, dass die Führung der UAW abschätzen kann, welchen Schaden sie der Sache der Wissenschaft und ihrem eigenen Ansehen zufügt, wenn sie die Situation in kürzester Zeit nicht klärt…

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=136744
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