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Während Erdogan in Nordsyrien Kinder bombardieren lässt und in der Türkei die Diktatur ausbaut – halten ihm seine (nicht nur) deutschen Waffenbrüder den Rücken frei: Rechtsanwaltsvereine fordern ein Ende der Zusammenarbeit

Der DIRTY DEAL: Merkels Pakt und Erdogans BeitragDie jüngere Geschichte der Türkei ist durch die Zerstörung rechtsstaatlicher Standards nach innen und völkerrechtswidrige Aggression und Kriegsverbrechen nach außen geprägt. Weder die Bombardierung der eigenen Zivilbevölkerung in den Jahren 2015 und 2016, noch die Umgestaltung des türkischen Staates zu einer Präsidialdiktatur in den Folgejahren hatten eine entschiedene Reaktion der europäischen Regierungen zur Folge. Die Entlassung von mehr als hunderttausend Staatsbediensteten, die Inhaftierung hunderter Journalist*innen und Rechtsanwält*innen, die drakonische Verfolgung und Bestrafung der Wahrnehmung demokratischer Rechte, Wahlmanipulationen und die Nichtanerkennung von Wahlergebnissen, die Erdoğan nicht passen, wie auch der völkerrechtswidrige Angriff auf den syrisch-kurdischen Kanton Afrin, waren für die europäischen Regierungen kein Anlass, die Zusammenarbeit mit dem Erdoğan-Regime in Frage zu stellen. Ein unsäglicher Grund hierfür ist das mit Erdoğan geschlossene Bündnis zur Verhinderung der Weiterwanderung flüchtender Menschen nach Kerneuropa. Die Unterzeichnenden fordern angesichts der aktuellen Geschehnisse in Nordsyrien ihre jeweiligen Regierungen auf, endlich die längst überfälligen Konsequenzen gegenüber dem die Menschenrechte und Völkerrecht mit Füßen tretenden autoritären Erdoğan-Regime zu ziehen...“ – so beginnt die Pressemitteilung „Wir fordern die sofortige Beendigung der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit mit der Türkischen Republik!“ vom 27. November 2019 externer Link (hier beim RAV dokumentiert) die von den Avocats Européen Démocrates / European Democratic Lawyers (AED/EDL), Çağdaş Hukukçular Derneği | Progressive Lawyers Association, European Association of Lawyers for Democracy & World Human Rights (ELDH), Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.,  Organisationsbüro der Strafverteidigervereinigungen, Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e.V. (RAV) und der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen e.V. verbreitet wird. Siehe dazu auch drei aktuelle Beiträge zum Wirken bundesdeutscher Behörden gegen jegliche Kritik an Erdogans Krieg und Diktatur:

  • „Repression gegen Solidarität mit Rojava“ von Antimilitaristisches Treffen Villingen-Schwenningen am 27. November 2019 bei de.indymedia externer Link aus dem Grenzgebiet zwischen Baden und Württemberg: „… Ermittlungen und Hausdurchsuchung in Villingen-Schwenningen nach einer Auseinandersetzung mit türkischen Faschisten. Am 12. Oktober gingen in Villingen rund 100 Menschen gegen den Angriff der türkischen Armee gegen Rojava auf die Straße. Im Anschluss an eine Kundgebung bildete sich eine spontane Demonstration durch die Innenstadt. Vor einem türkischen Verein provozierten zunächst einige Faschisten die DemonstrantInnen. Nachdem einer der Provokateure ein Messer zog verteidigte sich die Demonstration kollektiv. Es gelang die Faschisten zurück zu drängen. Im Moment werden durch die Polizei Vorladungen an vermeintliche TeilnehmerInnen der Solidaritäts-Demo verschickt – an „Beschuldigte“ , wie auch an „Zeugen“. Zu dem kam es bereits vor mehreren Tagen zu einer Hausdurchsuchung bei einem Genossen der türkischen Linken. Die Polizei hat eine eigene Ermittlungsgruppe bei der hiesigen Staatsschutz-Abteilung eingerichtet…“
  • „Heilbronn: Polizei durchsucht Wohnungen von kurdischen Aktivisten“ am 27. November bei der ANF externer Link berichtet: „… Die Polizei hat am Mittwoch die Wohnungen von fünf kurdischen Aktivist*innen und die Räumlichkeiten des Demokratischen Kurdischen Gesellschaftszentrum in Heilbronn durchsucht. Bei den Razzien sind zahlreiche Gegenstände beschlagnahmt worden. Wie Sait Öztürk, Ko-Vorsitzender des kurdischen Vereins in Heilbronn gegenüber ANF äußerte, wurden die Durchsuchungen mit einem Verdacht von Straftaten nach dem Vereinsgesetz begründet. Konkret ginge es um Dokumente, die bei einer Vereinsdurchsuchung im Juni des vergangenen Jahres beschlagnahmt wurden. „Als ich heute Morgen von der Nachtschicht kam, warteten bereits Dutzende Polizisten vor meinem Haus. Nachdem ich die Tür aufgeschlossen hatte, verschafften sich die Beamten ebenfalls Zutritt. Es wurde alles auf den Kopf gestellt. Sogar der Garten wurde durchsucht“, erklärte Öztürk. Die Einsatzkräfte hätten neben zahlreichen Vereinsdokumenten auch persönliche Gegenstände wie seinen PC, ein Mobiltelefon, Datenträger und Bücher mitgenommen. Um 10.45 Uhr sei die Durchsuchung beendet worden. Öztürk empfindet die Maßnahme als Repression. Er sieht einen Zusammenhang zwischen dem Polizeieinsatz und den intensiven politischen Beziehungen zwischen der deutschen und türkischen Regierung in Bezug auf die Kriminalisierung kurdischer Strukturen in der Bundesrepublik…“
  • „Antifaschistischer Stadtrundgang – Solidarität mit der PKK – Kriminalisierung beenden“ am 28. November 2019 ebenfalls bei de.indymedia externer Link unterstreicht aktuell nochmals die Vorgeschichte der „ewigen Zusammenarbeit“: „… Im Jahr 1993 sprach die deutsche Bundesregierung ein Betätigungsverbot gegen die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) aus und ebnete so den Weg für die Kriminalisierung der kurdischen Identität. Seit 26 Jahren wird an diesem Verbot festgehalten, obwohl sogar das EU-Gericht in Luxemburg entschied, dass die Lage einer Neubewertung unterzogen werden müsste. Zudem urteilte ein Gericht in Belgien, dass die PKK nicht als Terrororganisation geführt werden kann, da sie keine Bürger*innen terrorisiert, sondern lediglich für die Rechte der Kurd*innen kämpft. Für die Bundesregierung spielen all diese Dinge keine Rolle. Durch den sogenannten „Flüchtlingsdeal“, der mit Erdogan unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Interessen und Verwertungslogiken abgeschlossen worden ist, geht die Bundesregierung immer repressiver gegen kurdische Organisationen und die Identität der Kurd*innen vor. Im Februar diesen Jahres verbot das Bundesinnenministerium den Mezopotamien-Verlag in Neuss. Mit der Begründung, dass der Verlag eine Unterorganisation der PKK sei, wurde ein Vertrieb verboten, welcher lediglich mit Büchern, DVDs und Musik auf kurdischer Sprache handelte. Die Entfaltung einer kurdischen Identität in der Diaspora wird den Menschen somit erschwert und das Gefühl eines Verbotes ihrer eigenen Identität macht sich bei den Betroffenen breit. Solche Verbote und Repressionen sind dabei kein Einzelfall. Immer wieder stehen kurdische Aktivst*innen vor Gericht und müssen sich vor einer Anklage unter dem Paragraphen 129 fürchten. Allein das Organisieren von Bussen für Demonstrationen und Protesten ist für die Geheimdienste oftmals ein ausreichendes Zeichen, um den Aktivist*innen eine Mitgliedschaft in der PKK zu attestieren, zu verfolgen und einzuschüchtern – oftmals enden diese Verfahren in hohen Haftstrafen für die Betroffenen…“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=158052
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