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[Buch] Graue Wölfe: Türkischer Rechtsextremismus in Deutschland
„Der türkische Rechtsextremismus, hierzulande unter dem Namen ›Graue Wölfe‹ oder als Ülkücü-Bewegung bekannt, ist mit etwa 12.000 Anhänger*innen die zweitgrößte extrem rechte Bewegung in Deutschland. Die Ideologie des türkischen Rechtsextremismus ist zutiefst geprägt von autoritären, nationalistischen, rassistischen, antisemitischen und queerfeindlichen Elementen. Ebenso auffällig ist das Verschwörungsdenken im türkischen Rechtsextremismus, das mit zahlreichen Feindbildkonstruktionen unter anderem gegen Armenier, Juden, Kurden und allgemein gegen den Westen einhergeht. In den letzten Jahren hat insbesondere der israelbezogene Antisemitismus innerhalb des türkischen Rechtsextremismus an Relevanz und Intensität zugenommen, wie die antiisraelischen Mobilisierungen seit dem 7. Oktober 2023 zeigen. Küpeli beleuchtet die Geschichte, Ideologie, Akteure und Netzwerke der türkischen extremen Rechten, stellt aber auch antifaschistische Gegenstrategien vor.“ Klappentext des soeben erschienen Buches von Ismail Küpeli im Unrast-Verlag – siehe Infos zum Buch sowie „Die Geschichte des türkischen Rechtsextremismus in Deutschland“ als Leseprobe, für die wir beiden danken!
- Graue Wölfe: Türkischer Rechtsextremismus in Deutschland
- Ismail Küpeli
- ISBN: 978-3-89771-635-3
- Erscheinungsdatum 14. Mai 2025
- 140 Seiten
- 14,00 €
- inkl. 7 % MwSt. zzgl. Versandkosten
- Wir bitten um Bestellung beim Unrast-Verlag
Die Geschichte des türkischen Rechtsextremismus in Deutschland
Unmittelbar nach der Gründung der MHP 1969 in der Türkei waren auch rechtsextreme türkische Vereinigungen in Deutschland aktiv und publizierten Flugblätter mit der entsprechenden Ideologie der Grauen Wölfe:
»Der zweite Befreiungskrieg wird gegen eine Handvoll Kommunisten, Freimaurer, Zionisten, Volksfeinde und Ungläubige eröffnet. Dieser Krieg wird gemacht, um die Großtürkei wieder zu errichten« (Kultur und Solidaritätsverein, Berlin 1970).
»Wir glauben fest daran, dass der Jude, dieser Hund, der in der ganzen Welt Bosheit sät, in Finanzen und Wirtschaft eingreift um die Weltmacht zu erringen, der den Völkern das Blut aussaugt, dass dieser von dem nationalistischen türkischen Arbeiter erkannt werden muss. Diese verdammten Bazillen, die Juden waren es, die das Osmanische Reich zerstörten« (Nationalistische Arbeitervereinigung, München 1972).[1]
1973 wurde die offizielle Deutschlandvertretung der MHP gegründet und zwei Jahre später wurde in Köln ein erster europaweiter Kongress der MHP-Vereinigungen aus Frankreich, Deutschland, Niederlande, Österreich und der Schweiz durchgeführt.
Allerdings wurde die MHP 1976 durch ein Urteil des türkischen Verfassungsgerichts dazu gezwungen, ihre offiziellen Auslandsvertretungen aufzulösen. Hintergrund der Gerichtsentscheidung ist die damalige Bestimmung im türkischen Parteiengesetz, die den Parteien verbietet, Auslandsorganisationen zu gründen. Entsprechend mussten sich die bisherigen Parteivereinigungen auflösen und agierten in der Folgezeit als vermeintlich unabhängige Vereine. Aber ihre Aktivitäten für die MHP setzten sie selbstverständlich fort und organisierten z.B. Gelder für den Wahlkampf der MHP in der Türkei, woraufhin Alparslan Türkeş sich in einem Schreiben vom Juli 1977 wie folgt äußerte: »Ich möchte den Parteiorganisationen im Ausland und Hilfsorganisationen für ihre Hilfe während des Wahlkampfes danken, insbesondere für die finanzielle Unterstützung aus Deutschland, wo Menschen unserer Rasse am stärksten vertreten sind« (Hoffmann 1981: 72). Vonseiten der MHP wurde also nicht einmal der Versuch unternommen, die faktische Fortexistenz ihrer Auslandsorganisationen zu leugnen.
Im Mai 1978 reiste Türkeş für ein Gespräch mit Franz Josef Strauß (CSU), den damaligen bayerischen Ministerpräsidenten, nach Deutschland. Die Gesprächsinhalte sind wie folgt dokumentiert: »Alparslan Türkeş und seine beiden Begleiter unterhielten sich mit Franz Josef Strauß zuerst über die kommunistische Gefahr, die man gemeinsam bekämpfen muss. Strauß sagte dem Vernehmen nach den MHP-Politikern zu, dass in Zukunft für die MHP und die Grauen Wölfe ein günstiges psychologisches Klima in der Bundesrepublik mit entsprechender Propaganda geschaffen werden und zudem die politische Stellung der MHP in Europa verbessert werden müsse, damit die MHP hier in einem besseren Licht erscheine« (Hoffmann u.a. 1981: 74–75). Der gemeinsame Antikommunismus ermöglichte auch Kontakte zwischen der MHP und der herkunftsdeutschen extremen Rechte, so etwa zu der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD.
Im Juni 1978, nur einen Monat nach dem Gespräch zwischen Türkeş und Strauß wurde als Ersatzorganisation für die aufgelöste offizielle MHP-Auslandsvertretung die Avrupa Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu (Föderation der türkisch-demokratischen Idealistenvereine in Europa) gegründet, die nach kurzer Zeit umbenannt wurde in Almanya Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu (Föderation der türkisch-demokratischen Idealistenvereine in Deutschland, ADÜTDF; bekannt auch als Türk Federasyon). Am Gründungskongress von Türk Federasyon nahmen Vertreter von 54 Vereinen teil, während es bei der ersten Jahreshauptversammlung ein Jahr später bereits 108 Vereine waren. Der Verband wuchs schnell und wurde zum Zentrum der Aktivitäten der Grauen Wölfe. Türk Federasyon erhielt dabei Unterstützung seitens der CDU/CSU. So wurde etwa die Stadthalle von Schwalmstadt, in der 1979 die Jahreshauptversammlung von Türk Federasyon stattfand, von dem CDU-Kommunalpolitiker und Türkei-Experten des BND, Hans-Eckardt Kannapin, für einen vermeintlichen Kulturabend gemietet. Bei einer MHP-Großveranstaltung im Oktober 1978 in Berlin nahmen auch mehrere CDU-Politiker teil, die von Türkeş persönlich begrüßt wurden (vgl. Hoffmann u.a. 1981: 76). Als weitere Unterstützer der Grauen Wölfe werden folgende CDU-Bundestagsabgeordnete genannt: Heimo Georg, Albrecht Hasinger, Heinz Schwarz (vgl. Aslan/Bozay 2012: 237). Durch die Beteiligung der MHP an den rechten Koalitionsregierungen in der Türkei zwischen 1975 und 1979 öffnete sich eine weitere Tür für die Einflussnahme in Deutschland. Zu diesem Zeitpunkt wurde der Türkischunterricht an deutschen Schulen auch von Lehrer*innen abgehalten, die vom türkischen Bildungsministerium gesandt wurden und laut türkischen linken Oppositionellen mehrheitlich aus türkischen Rechtsextremisten bestanden (vgl. Hoffmann u.a. 1981: 87).
Moscheevereine als rechtsextreme Organisierungsform
Auch nach dem Putsch von 1980 in der Türkei agierten die Grauen Wölfe in Deutschland als eine staatsloyale Bewegung, die gemeinsam mit staatlichen Akteure gegen vermeintliche Feinde vorgingen. Wegen des Militärputschs 1980 und der daraufhin einsetzenden Repressionen flohen viele Menschen aus der Türkei nach Europa, insbesondere nach Deutschland. Der türkische Staat befürchtete wiederum, geflüchtete türkische und kurdische Linke könnten unter den als unpolitisch angesehenen ›Gastarbeitern‹ an Einfluss gewinnen. Um dies zu unterbinden, intervenierte die Türkei mit enormen finanziellen und organisatorischen Ressourcen. Der Aufbau des Moscheeverbands Diyanet İşleri Türk İslam Birliği (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion, DITIB), die Gründung zahlreicher Moscheen in vielen deutschen Städten, der Ausbau der Strukturen der türkischen Botschaften und Konsulate erfolgte in jener Zeit ebenso wie die Stärkung der Grauen Wölfe, ihrer Moscheevereine und des Moscheeverbands Türk Federasyon. Sowohl die DITIB-Moscheen als auch die Moscheen der Türk Federasyon sorgten dafür, dass die konservativ und religiös geprägte Mehrheit der türkeistämmigen Bevölkerung in Deutschland im Zugriffsbereich des türkischen Staates und der türkisch-islamischen Ideologie blieb. Im Zuge dessen verbreitet(e) DITIB durch Veranstaltungen in ihren lokalen Moscheevereinen nationalistische, rassistische und antisemitische Narrative. So wurden etwa 2018 während des türkischen Angriffskrieges auf Afrin/Rojava in DITIB-Moscheen in Deutschland kriegsverherrlichende Inszenierungen aufgeführt, in denen Kinder in Soldatenuniformen und mit türkischen Fahnen Kriegsszenen nachspielten. Im Januar 2023 organisierte der DITIB-Moscheeverein in Wuppertal eine Veranstaltung mit dem Publizisten Mehmet Işık, der in seinen Publikationen antisemitische und antiarmenische Verschwörungsnarrative verbreitet und den Genozid an den Armenier*innen von 1915 leugnet. Eine ähnliche Veranstaltung fand im März 2025 in der DITIB-Zentralmoschee in Duisburg statt, diesmal mit dem Historiker Ebubekir Sofuoğlu, der unter anderem antisemitische Verschwörungsnarrative, in denen ›Zionist*innen‹ für den Zusammenbruch des Osmanischen Reichs verantwortlich gemacht werden, verbreitet. Dies sind nur wenige Beispiele für die politischen Veranstaltungen in DITIB-Moscheevereinen. Auch weitere Dachverbände und Organisationen wie etwa die Islamische Gemeinschaft Milli Görüş (IGMG), die ihren Ursprung in der islamistischen Milli-Görüş-Bewegung in der Türkei hat, stärken und stabilisieren das rechte Milieu innerhalb der türkischstämmigen Community in Deutschland. Dieses Milieu ist dann wiederum für rechtsextreme Akteure ansprechbar und mobilisierbar.
Gleichzeitig diente Deutschland als sicherer Hafen für türkische Rechtsextremisten wie etwa den bekannten rechtsextremen Musiker Ozan Arif. Nach dem Militärputsch 1980 musste Ozan Arif die Türkei verlassen und zog nach Deutschland, wo er elf Jahre lebte. In diesen Jahren unterstützte er die MHP durch Konzerte, die in vielen europäischen Ländern stattfanden. 1991 kehrte er in die Türkei zurück, wo er bis zu seinem Tod 2019 weiter als rechtsextremer Musiker aktiv war.
Die Moschee- und Vereinsverbände sind bis heute die tragende Säule der türkischen extremen Rechten in Deutschland. t ADÜTDF (auch bekannt als Türk Federasyon), unter dessen Dach neben den Moscheevereinen auch die Ülkü Ocakları (Idealistenclubs) organisiert sind, stellt den größten Verband. Die Ülkü Ocakları sind die sozio-politische Zentren der MHP-Anhänger*innen und insbesondere Anlaufstellen für die Jugend. Hier werden junge Graue Wölfe – noch intensiver als in den Moscheevereinen – ideologisch geschult und in die Partei- und Verbandsstrukturen eingebunden. Bundesweit vereinigt die Türk Federasyon über 200 Ortsvereine und hat insgesamt etwa 7.000 Mitglieder. Türk Federasyon führt seit ihrer Gründung im Jahr 1978 Jahreshauptversammlungen durch, die in den 1990er-Jahren noch von bis zu 25.000 Mitgliedern und Sympathisant*innen besucht wurden. Die türkische extreme Rechte reicht allerdings darüber hinaus und umfasst zwei weitere Verbände. Die Avrupa Türk-İslam Birliği (Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa, ATIB) ist eine Abspaltung von der ADÜTDF und versammelt etwa 25 Moscheevereine. Die ATIB konzentriert sich auf die Organisation der Gotteshäuser und gibt sich im Auftreten moderat. Sie bietet aber gerade dadurch türkischen Nationalist*innen, denen die MHP und die Türk Federasyon zu ›radikal‹ sind, eine Möglichkeit, im erweiterten Milieu der Grauen Wölfe zu verbleiben. Die ATIB hat bundesweit mindestens 2.500 Mitglieder (vgl. BfV 2023: 11). Deutlich kleiner fällt der Moscheeverband Avrupa Türk Kültür Dernekleri Birliği (Verband der türkischen Kulturvereine in Europa, ATB) aus, der etwa 15 Moscheevereine organisiert und der Büyük Birlik Partisi (Partei der Großen Einheit, BBP) in der Türkei nahesteht, die aber dort weitgehend bedeutungslos ist. Insgesamt stehen ATIB und ATB für einen stärker islamisch und islamistisch orientierten Teil im Spektrum der Grauen Wölfe. Die türkische extreme Rechte, die sich neben diesen drei Dachverbänden in weiteren eher informellen Netzwerken organisiert, ist mit mehr als 12.000 Anhänger*innen in Deutschland (vgl. BfV 2023: 11) die zweitstärkste rechtsextreme Kraft in Deutschland nach der rechtsextremen Alternative für Deutschland (AfD) mit etwa 52.000 Mitgliedern.
Seit Jahrzehnten sind türkische Rechtsextremist*innen über diese Verbände in Deutschland aktiv und können über ihre lokalen Moscheevereine einen relevanten Teil der türkeistämmigen Bevölkerung in Deutschland erreichen und politisch beeinflussen. In den Einrichtungen, die den Moscheen angeschlossen sind (Seminarräumen, Küchen, sozialen Versammlungsräumen usw.), wird das eigene Klientel politisch geformt und zusammengehalten. Dabei können sie gegenüber der deutschsprachigen Öffentlichkeit bisher erfolgreich den Anschein eines ganz normalen Moscheevereins wahren, dessen vereinsinterne Arbeit und Aktivitäten im Stadtteil keinerlei extremen Ideologien folgen würde. So ist es auch wenig überraschend, dass solche Vereine auch vielfach Teil der kommunalen Integrations- und Stadtpolitik sind. Darüber hinaus nimmt die türkische Rechte durch ihr nahestehende Listen Einfluss auf die Ausländer- und Integrationsräte. Beispielhaft dafür ist der Integrationsrat in Duisburg, der auf die Anerkennung des Genozids an den Armenier*innen durch den deutschen Bundestag im Jahr 2016 mit einer Gegenresolution reagierte, in welcher der Genozid geleugnet wurde. In Essen, einer weiteren Ruhrgebietsstadt erreichte die Liste der türkischen extremen Rechte bei den Integrationsratswahl 48% der Stimmen. In weiteren westdeutschen Städten sind solche Listen ebenfalls stark in den Ausländer- und Integrationsräten vertreten.
Politische Gewalt und militante Organisationen
Seit ihrer Etablierung Anfang der 1970er-Jahre waren und sind die Grauen Wölfe auch für gewaltsame Übergriffe auf türkische und kurdische Linke in Deutschland verantwortlich. Die Morde an Neşet Danış in Norderstedt 1974, Celalettin Kesim in Berlin 1980, Seyfettin Kalan in Neumünster 1995, Ercan Alkaya in Kiel 1997, Erol Ispir in Köln 1999 sind lediglich die Fälle, die bisher aufgedeckt wurden. Weitere Morde und Angriffe aus den 1980er- und 1990er-Jahren sind bis heute nicht gänzlich aufgearbeitet (vgl. Aslan/Bozay 2012: 252–253). Andere Formen von eher alltäglichen Übergriffen und Machtdemonstrationen werden selten erfasst. Eine Ausnahme bildet das Projekt Türkischer Ultranationalismus im (Amateur-)Fußball in NRW, das für das Jahr 2024 über 60 Ereignisse auflistet, die in die Kategorie türkischer Rechtsextremismus im Fußballkontext fallen. Dabei handelt es sich mehrheitlich um das Zeigen von extrem rechten Symbole und Handzeichen, wie etwa dem Wolfsgruß, und das Rufen von entsprechenden Parolen und Slogans (vgl. Rostek 2024: 30–33). Solche Aktivitäten werden auch durch rechtsextreme Musiker wie etwa Bozkopat, Osun Baba, Mehmet Borukcu und Sert Müslümanlar angefeuert. Beispielhaft sind die folgenden Zeilen aus zwei Rap-Videos aus dem Jahr 2011:
»Bin ein Anhänger der Grauen Wölfe […] Hass ist meine Uniform und hält mich immer in Höchstform […] Ein Halbmond und ein Stern sind übrig geblieben vom osmanischen Kern […] Meinen Kreuzzug kann niemand stoppen, unseren Feinden breche ich einzeln die Knochen.«
»Dieser Rap geht an die ganzen Kurden, Hurensöhne, die Scheiß-PKK-Leute. Das ist ein Bozkurt-Rap, hast Du das denn nicht gecheckt? […] Kurde verreck, Du Stück Dreck, dies ist ein Türkisch-Gangsta-Rap« (Aslan/Bozay 2012: 261).
Während über viele Jahrzehnte die rechtsextremen Gewalttäter über Strukturen und Netzwerke wie etwa Sportvereine rekrutiert wurden, die nicht primär der Organisierung politischer Gewalt dienten, änderte sich dies 2015 mit der Entstehung der rechtsextremen Organisation Osmanen Germania in Frankfurt am Main. Auch wenn die Organisation sich selbst als Boxclub bezeichnete, fokussierten sich die Aktivitäten der Gruppierung auf organisierte Kriminalität und politisch motivierte Gewalt. Es entstanden rasch etwa 20 lokale Ableger der Organisation in verschiedenen Bundesländern, davon 9 in Nordrhein-Westfalen. Die Organisation erhielt auch finanzielle Unterstützung von der türkischen Regierungspartei AKP, die von dem AKP-Abgeordneten Metin Külünk persönlich übergeben wurde (vgl. Diehl/Siemens 2018). Die AKP-Regierung nutzte die Osmanen Germania, um politische Gegner*innen (so etwa linke Oppositionelle und Regierungskritiker) in Deutschland angreifen zu lassen und einzuschüchtern. Auch bei den Protesten 2016 gegen die Anerkennung des Genozids an den Armeniern setzte die türkische Regierung die Organisation ein, wie das Magazin DER SPIEGEL am 24. März 2018 berichtete. Das Landesinnenministerium von Nordrhein-Westfalen berichtete 2017 ebenfalls von einer Zusammenarbeit zwischen Osmanen Germania und staatlichen türkischen Stellen.
Mitglieder von Osmanen Germania verübten immer wieder Angriffe auf Kurd*innen, so etwa einen Handgranatenanschlag im August 2016 in Saarbrücken und Brandanschläge im November 2016 in Stuttgart und Ludwigsburg. Die Aktivitäten der Gruppe im Bereich der organisierten Kriminalität wie etwa Erpressung und Drogenhandel führten zu polizeilichen Maßnahmen, so etwa Razzien im April 2016 in Nordrhein-Westfalen und im März 2017 in Hessen. Es folgten im März 2018 zeitgleiche Razzien in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Hessen, und Mehmet Bağcı und Selçuk Şahin, die Gründer von Osmanen Germania, wurden schließlich u.a. wegen versuchtem Mord und versuchtem Totschlag vor Gericht gestellt. Im Juli 2018 wurde Osmanen Germania durch das Bundesinnenministerium verboten.
Fast zeitgleich mit Osmanen Germania entstand ein zweites Netzwerk der militanten türkischen extremen Rechten in Deutschland. Im Mai 2015 wurde Turan e.V. im Duisburger Ortsverein der Grauen Wölfe gegründet. Durch gemeinsame Gruppenfotos und der gemeinsamen Teilnahme an politischen und kulturellen Aktivitäten ist belegt, dass es zwischen Turan e.V. und den traditionellen Strukturen der Grauen Wölfe enge Verbindungen gibt. Schon seit ihrer Gründung organisiert Turan e.V. für seine Mitglieder Kampfsportkurse, was darauf hindeutet, dass der einem Rockerclub ähnelnde Auftritt von Turan e.V. nicht nur Staffage ist, sondern deren gewalttätige und militante Vorgehensweise tatsächlich widerspiegelt. Dieser Eindruck wird noch durch ein Foto auf dem Facebook-Profil von Turan e.V. aus dem Juni 2015 bestätigt. Darauf ist ein Maschinengewehr zu sehen, auf dessen Magazin das Zeichen von Turan e.V. (drei Halbmonde, die ineinandergeschlungen sind) angebracht wurde. Zusätzlich ist mit Patronen der Schriftzug P.Ö.H. geschrieben. PÖH ist die Abkürzung für die Polizei-Sondereinheiten in der Türkei, die in dem folgenden Krieg in der Türkei durch Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen bekannt wurden. Allerdings existierte der Krieg im Juni 2015 noch nicht, d.h. das Bild ist keine Reaktion darauf und auch keine ›Solidarisierung‹ mit türkischen Sicherheitskräften im Krieg gegen die PKK. Vielmehr ist es ein Anzeichen dafür, auf welche Methoden Turan im Kampf gegen die politischen Gegner setzen würde.
Auch die politischen Themenfelder der Organisation sind nicht auf den Krieg in der Türkei beschränkt. Der Name der Organisation Turan ist kein Zufall. Turan ist das mythische Goldene Reich der Turkvölker irgendwo in Zentralasien und ein klassisches Motiv der türkischen Nationalist*innen. Bereits die Jungtürken-Bewegung, die bis zum Ende des 1. Weltkrieges im Osmanischen Reich herrschte, zielte auf die Neugründung des Turans. Nach der Niederlage der Jungtürken und der Gründung der Türkischen Republik waren turanistische Bestrebungen aus außenpolitischen Gründen nicht mehr opportun, aber ein Teil der türkischen Nationalisten hat diese Idee nie aufgegeben. So auch Turan e.V., der insbesondere mit uighurischen Nationalist*innen in Duisburg zusammenarbeitete, um die Unterdrückung des ›türkischen Brudervolkes‹ durch China anzuprangern und die Idee einer ›ost-türkischen‹ Nation zu forcieren. Turan e.V. und das Ost-Turkestan Kulturzentrum in Duisburg organisierten dazu am 10. Juli 2015 eine Kundgebung vor dem chinesischen Generalkonsulat in Düsseldorf. Turan e.V. konnte fast 10 Monate weitgehend unbeobachtet von kritischen Augen die Organisationsstrukturen aufbauen, Netzwerke und Allianzen schmieden und sich innerhalb der türkischen Rechten einen Namen machen. Erst mit einem Solidaritätsmarsch für den Anti-Terrorkampf der türkischen Sicherheitsbehörden am 26. März 2016 in Duisburg trat die Organisation in den Fokus der deutschen Öffentlichkeit. Mit unzähligen Türkei-Flaggen ausgestattet, zogen einige Hundert Rechtsextreme, in einem Demonstrationszug durch die Stadt, wobei die Turan-Mitglieder insbesondere durch ihre einem Rockerclub ähnelnden Kutten auffielen.
In der Folgezeit entstanden lokale Ableger mit Schwerpunkt in Nordrhein-Westfalen, so etwa in Dortmund. Die Organisation fokussierte sich weiter auf türkisch-nationalistische Politik und bedrohte Anfang 2018 den kurdischen Fußballspieler Deniz Naki, der sich kritisch zum Krieg in der Türkei geäußert hatte. Aufgrund solcher Aktivitäten und der gleichzeitigen Ermittlungen gegen Osmanen Germania wurde Turan e.V. stärker von Medien beobachtet und der Verein löste sich 2018 vermeintlich auf. Hintergrund dieser Entscheidung war es wohl, einem Verbot wie im Fall von Osmanen Germania zu entgehen. In den Folgejahren tauchte die Gruppe nicht mehr öffentlich auf, auch wenn vereinzelt ehemalige Turan-Mitglieder mit ihren Kutten zu sehen waren. Allerdings blieben die Netzwerke weiter bestehen und Ende 2023 trat die frühere Turan-Organisation wieder ins Rampenlicht, dieses Mal ohne den Zusatz als eingetragener Verein. Als Zentrale dient wieder Duisburg, wo die Organisation eine größere Immobilie als Hauptquartier betreibt und auch die zentralen Veranstaltungen durchführt. Auffällig ist, dass die Immobilie zuvor im Besitz des lokalen DITIB-Moscheevereins war. Für eine Unterstützung durch die türkische Regierung spricht auch die Tatsache, dass im Vorfeld der offiziellen Neugründung von Turan in Duisburg, im Juni 2024, auf dem regierungsnahen Fernsehsender aTV ein längerer Werbeclip für Turan gesendet wurde, in dem die Zuschauer*innen dazu aufgerufen wurden, sich an den Aktivitäten von Turan zu beteiligen. Turan scheint die Zeit zwischen der vermeintlichen Selbstauflösung 2018 und der Neuentstehung Ende 2023 dazu genutzt zu haben, um deutlich größer zu werden. Neben der Zentrale in Duisburg entstanden 2024 lokale Gruppen in Dortmund, Krefeld, München und zahlreichen anderen deutschen Städten – teilweise mit eigenen Immobilien und Lokalen, wie etwa in Dortmund. Insbesondere in München sind auch Verbindungen zwischen Turan und dem Kampfsport-Milieu dokumentiert. Neu ist auch die Organisierung in der Türkei, wo laut Eigenangaben von Turan 50 Ortsgruppen existieren. Auch wenn diese Angabe möglicherweise übertrieben ist, sind mehrere Ableger in der Türkei im Rahmen einer Rundreise der Turan-Führung aus Deutschland dokumentiert. Die politische Positionierung von Turan bleibt indes rechtsextrem, türkisch-nationalistisch und turanistisch und die martialischen Social- Media-Äußerungen beinhalten auch Gewaltandrohungen gegen politische Gegner.
[1] Beide Zitate aus: Hoffmann u.a. 1981: 50–51
Es handelt sich bei der Leseprobe um das letzte Kapitel auf S. 86-107 des Buches.
Siehe auch das Dossier: Ende der Schonfrist. Frankreich macht es vor: Ein Verbot der „Grauen Wölfe“ ist auch hierzulande längst überfällig u.a. mit einigen Artikeln und Interviews von Ismail