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Auch Erdogans anderer Krieg wird von der BRD unterstützt: Der neue Mindestlohn ist der alte Hungerlohn – und dafür mussten auch 2019 Tausende sterben

Istanbul Juli 2015: Protest gegen Rekord an tödlichen Arbeits-UnfällenKurz nach Erdogans Besuch in Berlin – bei der sogenannten Libyenkonferenz gehört er, wie die BRD, zu den Unterstützern des „Bürgermeisters von Groß Tripoli“ – gibt es den Besuch von Frau Merkel in der Türkei. (Wo sie vermutlich eher nicht auf einem Flughafen landen wird, dessen Betrieb immer noch aus Steuergeldern finanziert werden muss und dessen Bau viele Tote gekostet hat). Dass die BRD den Krieg des AKP-Regimes gegen alles Kurdische unterstützt, steht außerhalb jeder Debatte: Sowohl die ständigen Waffenlieferungen, als auch die kontinuierliche Repression gegen kurdische Organisationen und Aktivitäten in der BRD sind Beweis genug. Erdogans zweiter Krieg – der gegen die Arbeiterinnen und Arbeiter der Türkei – wird von der BRD naheliegenderweise ebenfalls unterstützt: Gehören bundesdeutsche Unternehmen doch zu jenen, die davon profitieren. Kurz bevor die Kanzlerin in der Türkei eintreffen wird, ist die alljährliche tödliche Statistik für 2019 öffentlich gemacht worden, die einmal mehr deutlich macht, dass das Arbeitsregime jährlich Tausende Menschen das Leben kostet – im letzten Jahr waren es knapp 1.800. Und Ende letzten Jahres wurde der neue Mindestlohn in der Türkei „festgelegt“. Womit ein Hungerlohn diktiert wurde, der so unverschämt armselig ist, dass die Gewerkschaften das entsprechende Gremium unter Protest verließen. Siehe zu „Erdogans zweitem Krieg“ und zu aktuellen gesellschaftlichen Hintergründen und Auseinandersetzungen eine Materialsammlung vom 19. Januar 2020:

„Occupational Murders claim 1736 workers in 2019“ am 13. Januar 2020 bei Sendika.org externer Link meldet über die von der Assembly for Workers’ Health and Workplace Safety zwei Tage zuvor veröffentlichten Todes-Statistik des türkischen Kapitalismus unter anderem, dass unter den 1736 Todesopfern 115 Frauen und 29 Kinder unter 15 waren. Die meisten Opfer gab es in Istanbul, wo 118 Menschen ihr Leben verloren. Die gefährlichsten Branchen – wie jedes Jahr – waren die Landwirtschaft, in der es 442 Opfer gab, die Baubranche die 336 Tote forderte und das Transportwesen mir 234 Opfern. Der von der Initiative vorgelegte Bericht unterstreicht, dass die Reaktionen auf dieses Blutbad die seit langen Jahren bekannten Beschönigungen gewesen seien: Einerseits seien die Opfer selbst schuld, weil sie Vorschriften und Bestimmungen nicht beachteten. Andrerseits werde darauf hingewiesen, dass die „Fälle“ ja untersucht würden – ohne darauf einzugehen, dass es noch nie eine juristische Aufarbeitung dieser alltäglichen Vergehen gegeben habe, sondern im Regelfall nichts geschehe oder aber Geldstrafen verhängt würden, die in 24 Raten bezahlt werden können.

„Wieder Grubenunglück in Şirnex“ am 24. Dezember 2019 bei der ANF externer Link meldete einen alltäglichen Vorfall: „… Beim Einsturz eines Kohlebergwerks in den Cûdî-Bergen in der nordkurdischen Provinz Şirnex (Şırnak) ist mindestens ein Kumpel eingeschlossen worden. Die Kohlegrube befindet sich unweit des Dorfes Nêvava (türkisch: Üçkiraz) und wird illegal betrieben. Wie viele Arbeiter sich zum Zeitpunkt des Unglücks in der Grube unter Tage aufhielten, ist unklar. Offiziellen Stellen zufolge sollen es zwei Arbeiter gewesen sein, von denen sich einer retten konnte. Rettungskräfte bemühten sich, ihn zu bergen. Was zum Einsturz des Kohlebergwerks führte, ist allerdings noch unklar. In Şirnex starb zuletzt im Mai dieses Jahres ein Kumpel bei einem Erdrutsch in einem Erzbergwerk nahe Avgamasiya (Toptepe)...“

„Türk-İş says new monthly minimum wage not enough to last even 10 days“ am 26. Dezember 2019 bei duvaR externer Link ist die Meldung, dass der nicht eben radikale Gewerkschaftsbund Türk- İş die Verhandlungen zur Festlegung des neuen Mindestlohn unter Protest verlassen habe: Die 2.324 Lira reichten noch nicht einmal aus, um 10 Tage damit leben zu können, geschweige denn einen ganzen Monat lang…

„Minimum wage increases 15% to TL 2,324, workers‘ unions not satisfied“ am 26. Dezember 2019 bei Daily Sabah externer Link berichtet, beim Zustand der „Medienlandschaft“ in der Türkei wenig überraschend, vor allem über die Äußerungen des zuständigen Arbeitsministeriums über diesen Beschluss. Es sei eben eine Erhöhung um 15% wird darin unterstrichen – und dies, wird fleißig hinzugefügt, angesichts einer Prognose für die jährliche Inflation von 8,2%… In der „dreiseitigen Kommission“ sind Staat, Unternehmen und Gewerkschaften jeweils mit 5 Vertretern präsent, wobei die größte Gewerkschaftsföderation, eben Türk-İş, alle Gewerkschaften vertritt. Die drei Verbände Türk-İş, Hak-İş und DISK hatten zuvor unterstrichen, dass für sie gemeinsam keine Festlegung unter 2.578 Lira annehmbar sei…

„United Labor Congress calls for general strike“ am 24. Dezember 2019 bei der ANF externer Link berichtet von einer Aktion des gewerkschaftlichen Netzwerkes United Workers‘ Congress (BIK) in Istanbul, mit der die AktivistInnen vor allem einen Mindestlohn einforderten, der zum Leben reicht – und für dessen Durchsetzung einen Generalstreik forderten. Bei der Aktion wurde darauf verwiesen, dass es eine wachsende Anzahl von Selbstmorden aus wirtschaftlichen Gründen gebe, aber bei den Verhandlungen die Betroffenen selbst nicht anwesend seien – Verhandlungen über den Mindestlohn müssten öffentlich geführt werden, wurde bei der Aktion als eine zentrale Forderung unterstrichen.

„New minimum wage determined in Turkey: Bosses pleased, workers‘ union left table“ am 26. Dezember 2019 bei SolInternational externer Link ist eine Meldung im KP-nahen Portal, worin neben dem Protest der Gewerkschaften auch darauf hingewiesen wird, dass diese sogenannte Erhöhung dieses Mal eben nur ein Mehrheitsbeschluss war und kein gemeinsamer – was das Ministerium „bedauerte“ – und der Sprecher des Unternehmerverbandes zitiert, der sich „zufrieden“ zeigte.

„Turkish Trade Unions united in their fight for fair wages“ am 07. Januar 2020 bei IndustriAll externer Link berichtet von einer Pressekonferenz der drei Metallgewerkschaften Özcelik-Is, Birlesik Metal-Is und Türk Metal, bei der sie auf die Blockadehaltung der Unternehmen hinwiesen, die in monatelangen Verhandlungen zu nichts bereit gewesen seien – und bekannt gaben, dass am Sonntag, 19. Januar in Bursa und Gebze Gewerkschaftsdemonstrationen stattfinden sollten. Bereits seit Wochen gab es immer wieder kurze Warnstreiks.

„Postal workers protest hard working conditions: We are not slaves, we are workers“ am 11. Dezember 2019 bei Sendika.org externer Link vermeldet Protestaktionen der Postbeschäftigten in verschiedenen Städten gegen die immer schlechteren Arbeitsbedingungen. Die 2013 von Erdogan privatisierten Postunternehmungen sparen seitdem ein – in dem immer weniger Personal beschäftigt wird. Die dadurch sinkende Qualität der Dienstleistungen führt dazu, dass oftmals die Beschäftigten die Unzufriedenheit der Kunden „ausbaden“ müssen…

„Death in Turkey shines light on Central Asian domestic workers“ von Killian Cogan am 21. Oktober 2019 im Eurasianet externer Link meldet den ungeklärten Tod einer Putzfrau aus Usbekistan in der Türkei – und verweist darauf, dass dies kein Einzelfall sei…

„Private school teachers‘ boycott in Turkey is of historical significance“ am 20. Dezember 2019 bei SoLInternational externer Link berichtet von der ersten Streikaktion von Lehrerinnen und Lehrern an den Schulen der privaten Doga-Kette in Istanbul, Ankara und Izmir – die erste ihrer Art, drei Tage lang anwachsend, gegen Lohnrückstände – auch hier wird diese Entwicklung in Zusammenhang gebracht mit den – in diesem Fall unterschiedlichen – Privatisierungsoffensiven und entsprechenden Maßnahmen.

„Turkish Airlines not honoring contracts“ am 04. Januar 2020 bei Sendika.org externer Link meldet den Protest gegen das Renommier-Unternehmen, der aufgrund von massiven Problemen der Überarbeitung sich entwickelt hatte. THY, an dem der Staat beteiligt ist, müsse aus Prestige-Gründen zahlreiche Linien bedienen, für die es nur wenig Nachfrage gebe, weswegen ein Sparkurs auf Kosten der Beschäftigten eingeschlagen wurde – und sich das Unternehmen die „Freiheit“ nahm, öffentlich zu erklären, man werde unterzeichnete Tarifabkommen nicht befolgen…

„Türkei – Die Zahlen sprechen für sich“ von Devrim Berna Selara am 12. Dezember 2019 bei Freie Sicht externer Link enthält Informationen zum gesamtgesellschaftlichen Hintergrund solcher Entwicklungen, beispielsweise: „… Laut dem türkischen statistischen Amt TÜİK erhöhte sich die Zahl der Arbeitslosen im Juli 2019 gegenüber dem Vorjahr um 1,65 Millionen (14,1%) auf 4,596 Mio. Menschen. Die Jugendarbeitslosigkeit (15-24 Jährige) liegt bei dramatischen 27,1 %, eine Zunahme von mehr als 5,4% zum Vorjahr 2018. Hinzu kommt noch die Dunkelziffer, der in familiären Verhältnissen beschäftigten und der illegal als Tagelöhner arbeitenden Flüchtlinge. Die Zahl der per Dekret von den Universitäten und Hochschulen entlassenen Akademiker stieg Ende 2018 auf 6.081. Ende 2016 waren es 56.575 Staatsbedienstete, die per Dekret entlassen worden waren, mit dem letzten Dekret wuchs die Zahl auf nun 125.806 entlassene Staatsbedienstete an. Es sind vor allem Frauen, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind. Die Zahl der nach Arbeit suchenden Frauen stieg um 8,2% auf nun 34,6%. Somit ist jede dritte Frau arbeitslos. (…) Zurzeit liegt die Hungergrenze für eine 4-köpfige Familie bei einem monatlichen Einkommen von 2.058 TL und die Armutsgrenze bei 6.705 TL. Die Betrachtung der Einkommenszahlen zeigt die verheerende Situation einiger Familien. 2,136 Millionen Menschen haben einen Monatslohn von weniger als 2.020 TL. 847.643 Frauen erhalten eine Witwenrente von unter 1.000 TL. Über 8,647 Millionen Menschen haben monatliche Einnahmen von 673 TL. Über 6,85 Millionen Menschen bekommen eine Rente von unter 2.000 TL...“

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=161302
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