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Spontaner und erfolgreicher landesweiter Streik der Autokuriere von Trendyol Express in der Türkei findet Nachahmer bei HepsiJet, Aras Cargo und Sürat Cargo…

Dossier

Landesweite Streiks der Kuriere in der TürkeiTrendyol Express, die größten türkischen Online-Shopping-Website mit mehr als 9.000 Kurieren, die Pakete an Kunden und Einzelhandel liefern, kündigte am 24.1. eine Lohnerhöhung von 11 Prozent für 2022 an, während die Inflation in der Türkei nach offiziellen Angaben bei 36 Prozent liegt (inoffiziell bei 82 Prozent) – eines Lohns unter dem Mindestlohn. Dies veranlasste Tausende von Kurieren ab 24.1. zu 3 Tagen wütenden Aktionen. Hunderte versammelten sich vor der Trendyol-Zentrale im Istanbuler Stadtteil Maslak und kündigten an, dass sie die Arbeit auf unbestimmte Zeit niederlegen würden, wenn ihre Forderungen nach einer 50-prozentigen Lohnerhöhung, weniger Arbeitsdruck und keinen Repressionen gegen Streikende nicht erfüllt würden. Tausende von Kurieren organisierten sich über „soziale“ Medien und weigerten sich bald im ganzen Land, Produkte auszuliefern, begleitet durch Autokonvois und Massenproteste. Nach drei Tagen haben die Eigentümer einer Lohnerhöhung von 38% zugestimmt. Einge der Kuriere fordern immer noch 50%, während nun auch Kuriere von HepsiJet, Aras Cargo und Sürat Cargo mehr Geld fordern und streiken… Siehe dazu einige Informationen:

  • Streik gegen mickrige Lohnerhöhung und hohe Arbeitsbelastung: Kuriere protestieren vor landesweiter Zentrale von Trendyol Go – am 23. Januar 2023 geht es weiterNew
    • „Trendyol Go-Kuriere demonstrierten vor dem Hauptsitz des Unternehmens und forderten eine höhere Gehaltserhöhung. Die Kuriere haben zu einem Streik gegen die hohe Inflation und die zunehmende Arbeitsbelastung aufgerufen. Die Kuriere, die weiterhin vor der Trendyol-Zentrale warten, sagen, dass sie die Zentrale in Maslak nicht verlassen werden, bis ihre Forderungen akzeptiert werden…“ Meldung von Sendika.org vom 17. Januar 2023 externer Link („Trendyol Go kuryeleri sefalet zammına karşı bir kez daha Maslak’ta genel merkez önünde“)
    • Belagerung der Zentrale vorerst beendet, am 23. Januar 2023 soll es weitergehen
      „Zwei Tage Arbeitsniederlegung gegen die miserable Gehaltserhöhung und die harten Arbeitsbedingungen @Trendyol. Den TrendyolGo-Beschäftigten wurde versprochen, dass sie sich um eine Lösung für ihre Forderungen bemühen und sich am Montag wieder treffen würden. Wenn nötig, werden wir wiederkommen, stärker @Trendyol.“ Tweet von UMUT-SEN (@umut_Sendikasi) vom 17. Januar 2023 externer Link (türk.)
  • Auswertung der „legendären Widerstandstage“ des Trendyol Streiks
    Die türkische gewerkschaftliche Organisation Umut-Sen hat am 16. März 2022 eine Auswertung in Deutsch externer Link (in der Übersetzung durch Levent Konca), aber auch Spanisch, Englisch und Türkisch veröffentlicht, in der sie die Ursachen für den Streik benennt. Darunter fällt unter anderem die Prekarisierung der Arbeiter:innen, die trotz Studium nur Jobs in der ‚Gig-Economy‘ finden, also als Fahrer:in in Lieferdiensten zu Niedriglöhnen. „… 70 Prozent der bei Trendyol Beschäftigten bestehen aus jungen Männern, die einen Universitätsabschluss haben. In der Türkei hat man in den letzten zehn Jahren zahlreiche private Provinz-Universitäten eröffnet und in den öffentlichen Universitäten die Studierendenkontingente erhöht. Es ist sicherlich positiv, dass jungen Menschen der Zugang zur Bildung erleichtert wurde. Allerdings geht es dem Staat hier nicht darum, jungen Menschen in der Türkei Zugang zur qualitativ hochwertigen Bildung zu ermöglichen. Denn man hat einerseits mit den Stiftungsuniversitäten die Bildung an den Privatsektor verschleudert, andererseits unterwarf man an öffentlichen Universitäten wissenschaftliche Mitarbeiter*innen, die qualitativ hochwertige Bildung bieten könnten, einem Leistungskontrollsystem und schuf dadurch ein Klima, in dem wissenschaftliche Forschung und Meinungsfreiheit unmöglich sind. Fast alle wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen wurden und werden dazu gezwungen, mit projetkbezogenen Geldern zu forschen. Gleichzeitig versucht man, die Wut von 18-Jährigen, die eine Bedrohung für die bestehende Ordnung darstellen könnten, zu kontrollieren, indem man sie 2-4 Jahre an Universitäten hält und die Arbeits- und Perspektivlosigkeit hinauszögert. Junge Menschen, die noch vor zehn Jahren nach dem Studium eine Karriere hätten haben können, merken nun langsam, dass sie keine Zukunftsperspektiven haben. Junge Menschen, die sich für die Arbeit als scheinselbstständige Kuriere entschieden haben, spüren heute das Bedürfnis nach Organisierung und Aufstand, da auch diese Arbeit ihnen keinen Ausweg bietet. Sie erleben es als Erniedrigung, dass sie auf die eine oder andere Weise in den Abgrund der Gesellschaftsordnung gezogen werden, und kämpfen neben Lohnerhöhungen auch für ihre Würde. …“ Darin auch Ausführungen zum ökonomischen Modell von Trendyol sowie zur Genese und Strategie der Streikbewegung
  • Die Streiks im Liefersektor der Türkei breiten sich aktuell überall aus und erzielen erste Erfolge, die wiederum anstecken 
    So konnten die Lieferanten der Firma Trendyol Ende Januar eine Lohnerhöhung um 38,8 Prozent und Sicherheit für die Streikenden vor Entlassung erkämpfen. Dieser Erfolg gab Anlass für Mitarbeiter anderer Lieferanten wie Hepsiburada, HepsiJet und Yemeksepeti ebenfalls in den Streik zu treten. Siehe dazu:

    • „… Spontane Streiks breiten sich vor allem unter den Kurierdiensten aus. Am 25. Januar schlugen Tausende von Autokurieren von Trendyol das Angebot einer Lohnerhöhung von 11 Prozent aus und legten landesweit die Arbeit nieder. Diese Kuriere arbeiten als unabhängige Zusteller für Trendyol, die größte türkische E-Commerce-Plattform. Die Kuriere hatten eine 50-prozentige Erhöhung gefordert, erhielten jedoch auch nach dem Streik nur 38 Prozent. Das Ergebnis hat dennoch auch Beschäftigte anderer Frachtunternehmen veranlasst, die Arbeit niederzulegen, weil sie noch weniger verdienen.
      Am selben Tag protestierten fast 60 unabhängige Kuriere bei Aras Kargo in der westlichen Stadt Denizli gegen eine Lohnerhöhung von nur 10 Prozent.
      Tausende von Kurieren bei Yemek Sepeti setzen ihren spontanen Streik seit Tagen fort. Sie fordern ein Mindestgehalt von 5.500 TL (354 Euro) plus Sozialleistungen und die Anerkennung einer Gewerkschaft. Die Kuriere hielten am Donnerstag eine Massenkundgebung vor dem Hauptsitz des Unternehmens in Istanbul ab.
      Die Kuriere von Hepsijet lehnten ebenfalls eine 28-prozentige Gehaltserhöhung ab und legten in Istanbul, Ankara und andern Städten die Arbeit nieder. Sie fordern den gleichen Lohn wie die Kuriere von Trendyol.
      Die Kuriere von Scotty lehnten ebenfalls eine Gehaltserhöhung von 22 Prozent ab und brachen Lohnverhandlungen ab. Sie organisierten einen Protest vor der Unternehmenszentrale in Istanbul und forderten eine Gehaltserhöhung von 40 Prozent.
      Auch die Kuriere von Yurtiçi Kargo, einem der größten Frachtunternehmen der Türkei, brachen am Dienstag Lohnverhandlungen ab. Die Beschäftigten lehnten das Angebot einer Lohnerhöhung von 17 Prozent ab und forderten stattdessen 40 Prozent, außerdem die Wiedereinstellung der entlassenen Streikenden…“ Aus dem Artikel „Türkei: Inmitten der Pandemie breiten sich spontane Streiks gegen die Teuerung aus“ von Ulaş Ateşçi vom 5.2.2022 bei wsws externer Link
    • Siehe auch unser Dossier: 12 Gewerkschaften und Verbraucherorganisationen rufen zum Verbraucherboykott des gewerkschaftsfeindlichen türkischen Lieferdienstes Yemeksepeti auf externer Link
  • Siehe für aktuelle Meldungen auf Twitter die Yemeksepeti-Initiative für Kurier- und Lagermitarbeiter externer Link und Trendyol Workers Committee externer Link und daraus u.a.:
  • Nach dem Widerstand der Handwerker-Kurier von Trendyol und Aras Cargo erhalten wir die Nachricht, dass unsere Arbeiter-Kurier-Spediteur-Brüder von vielen anderen Unternehmen ihre Kontakte geschlossen und die Fracht nicht geliefert haben. Heute haben auch die Mitarbeiter von HepsiJet und Sürat Cargo Kontakte geschlossen!…“(türk.) Thread vom 27.1.22 von Yemeksepeti İşçi Komitesi externer Link
  • Nach Trendyol schlossen die Kuriere in Aras Kargo ihre Kontakte gegen die Elendserhöhung Fast 60 Handwerkskuriere, die für Aras Cargo arbeiteten, kündigten heute Morgen ihre Arbeit und gingen zum Gebäude der Regionaldirektion, gegen die Preiserhöhung von weniger als 10 Prozent…“ (türk.) Thread vom 26.1.22 von Yemeksepeti İşçi Komitesi externer Link
  • Ein neuer Widerstand auf dem Weg der Trendyol-Arbeiter: Auch der HepsiJet-Arbeiter fordert sein Recht
    Nach dem 3-tägigen Widerstand der Mitarbeiter von Trendyol Express gegen die niedrige Lohnerhöhung erhöhte das Unternehmen die Untergrenze von 9.000 Lira + MwSt. auf 12.000 500 Lira.
    Nach den Trendyol-Mitarbeitern kam eine Aussage von HepsiJet-Mitarbeitern, die auf die gleiche Weise arbeiten. Mit den Worten „Wir wollen unsere Rechte“ sagten die Mitarbeiter von HepsiJet, dass sie nicht einmal eine Untergrenze wie bei Trendyol haben, und ihre Löhne, die 3,75 Lira pro Paket betragen, wurden 2022 um 1 Lira erhöht. Es gibt Geld, wenn wir Pakete transportieren, sonst nicht. Die Forderung der Mitarbeiter von HepsiJet lautet wie folgt:
    Wir sind Mitarbeiter von HepsiJet. Wir bringen jeden Tag Fracht zu Ihnen nach Hause. Aber wissen Sie, wie wir diese Pakete transportieren? Lauf. Denn unsere Pauschalgebühr beträgt 3,75 Lire. Das Gehaltserhöhungsangebot, das sie uns für 2022 angeboten haben, beträgt 4,75 Lire. Also geben sie eine Erhöhung von 1 Lira. Wir arbeiten mit einer Gebühr pro Paket. Wir haben kein festes Honorar. Wenn wir Pakete tragen, gibt es Geld, wenn wir keine Pakete tragen, gibt es kein Geld. Und unsere Arbeitsbelastung ist hoch, unser Verdienst gering. Wir haben Freunde, die 200 km an einem Tag zurücklegen. Fahrzeugkosten, Benzin, Wartung, Buchhaltung, alle Ausgaben kommen aus unserer Tasche. Die Wanderungen in Benzin, Brot und Käse sind offensichtlich. Wir unterstützen ein Haus, wir zahlen einen Autokredit. Unsere Löhne liegen unter dem Mindestlohn. Wenn wir versuchen, unsere Rechte geltend zu machen, werden wir befragt, weil uns ein Beitrag auf Facebook gefallen hat. Wie ist das Gerechtigkeit? Wir wollen, dass unsere Stimmen von allen gehört werden und dass alle Manager hören, was ich will. Als Mitarbeiter von HepsiJet fordern wir unsere Rechte als diejenigen ein, die Ihre Pakete zu Ihnen nach Hause tragen und jeden Tag ihren Schweiß vergießen.
    Garantie 12.000 TL + MwSt. ist unser Recht
    Ü
    ber 50 km wollen wir Kraftstoffunterstützung pro km.
    Beenden Sie die Unterdrückung und Bedrohung von Arbeitnehmern, die ihre Rechte einfordern. Erneuern Sie die Verträge aller unserer Freunde, deren Verträge gekündigt wurden“ Maschinenübersetzung des (türk.) Artikel vom 27.1.2022 bei Sendika.org externer Link
  • Türkische Online-Shopping-Beschäftigte erringen großen Sieg nach einem gemeinsamen Kampf
    Der Streik wurde plötzlich zu einer landesweiten Arbeitsniederlegung. Überall im Land kamen die Lieferungen zum Stillstand, als die Beschäftigten begannen, Fotos von ihrem Streik und ihren Treffen zu schicken. Bilder von geparkten Fahrzeugen und Arbeitern, die sich zum Kaffeetrinken versammelten, verbreiteten sich wie ein Virus, während das Unternehmen sich bemühte, sein Versprechen, pünktlich zu liefern, zu erfüllen. Die Arbeiter schickten Solidaritätsbotschaften: „Starten Sie Ihr Auto nicht, seien Sie nicht zum Hungern verurteilt“, über alle Plattformen der sozialen Medien. Jede Stadt oder Einheit postete ihre Streikbilder und rief dann einen anderen Ort auf, sich dem Streik anzuschließen, was prompt beantwortet wurde, und eine weitere Gegend oder Stadt wurde eingeladen, eine Kette von Standorten zu bilden, die sich dem Streik anschlossen. Bald stellten die Trendyol-Mitarbeiter den gesamten Betrieb im Land ein.
    Die Geschäftsführung einer der größten türkischen Online-Shopping-Websites, Trendyol, weigerte sich, den in Armut lebenden Arbeitnehmern angemessene Löhne zu zahlen. Während die Umsätze und Gewinne dank harter und ununterbrochener Arbeit selbst unter der aktuellen Pandemie stiegen, weigerten sich die Eigentümer, den Beitrag der Beschäftigten zum Erfolg anzuerkennen.
    Die Spediteure, die „angeheuert“ werden, um die garantierten Pakete vor allem zu den Einzelhändlern zu fahren, legten die Arbeit nieder, als der Konzern ihnen nur eine 11%ige Lohnerhöhung gewährte. Dieser Betrag liegt weit unter der Inflationsrate, die selbst nach den unzuverlässigen Zahlen der Regierung bei etwa 30 % liegt. Einige Wirtschaftswissenschaftler haben die derzeitige Preissteigerungsrate auf 80 % geschätzt.
    Am 24. Januar legten die Zusteller die Arbeit nieder und stoppten die Verteilung der Pakete. Stattdessen bildeten sie einen Konvoi aus ihren Fahrzeugen und fuhren um die Zentrale von Trendyol in Istanbul.
    Die Beschäftigten bezeichneten die angebotene Lohnerhöhung von 11 % als „Erhöhung der Armut“, während das Land über die unbedeutende Erhöhung spottete. Sie kündigten an, dass sie bis zu ihrer Forderung nach einer angemessenen Lohnerhöhung nichts für Trendyol abliefern würden. Sie rechneten vor, dass die Fahrer auch mit dem neuen Angebot immer noch unter dem Mindestlohn des Landes arbeiten würden. Um das Angebot des Unternehmens zu kontern, wurden die Forderungen der Arbeitnehmer wie folgt erhöht:

    1. 50 % mehr Lohn für die „Fertigstellung der Lieferung“.
    2. Abschaffung des „zweiten Schlitzes“.
    3. Keine Vergeltungsmaßnahmen gegen alle Arbeitnehmer, die sich am Streik beteiligt haben
    4. Verhinderung jeglicher organisierter oder von oben gesteuerter Schikanen gegenüber den Beschäftigten. (…)

    Es hat nur drei Tage gedauert, um die gierigen Eigentümer in die Knie zu zwingen. Die Eigentümer und Manager haben gestern einer Lohnerhöhung von 38 % zugestimmt. Mit dieser Zusage begannen die Arbeitnehmer, sich gegenseitig zu gratulieren und die Solidarität und die uneingeschränkte Beteiligung der Arbeitnehmer im ganzen Land zu loben, um den Sieg zu sichern. In einigen Botschaften hieß es: „Wir werden nicht zulassen, dass sie auch nur einem einzigen von uns die Arbeit stehlen!“ Maschinenübersetzung aus dem (engl.) Artikel vom 26.1.2022 bei Sendika.org externer Link

Siehe auch im LabourNet Germany:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=197314
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