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„Fünf nach Zwölf“: Landesweite Anti-Armutsdemonstrationen in Tschechien

Dossier

Tschechien Banner der Gewerkschaftsföderation "Anti-Armutsdemonstration"Bereits Anfang September 2022 gingen etwa 70.000 Menschen in Prag auf die Straße um für eine Deckelung der explodierenden Energiepreise zu demonstrieren. Organisator:innen waren ein Querfront-Bündnis von rechtsradikalen und selbsternannten kommunistischen Gruppen, die die aktuelle Regierung zum Rücktritt auffordern, sollte sie nicht bis zum Nationalfeiertag am 28. September 2022 ein neues Abkommen mit Russland über die Gaslieferungen verabschiedet haben. Die Inflation ist derweil auf 18% gestiegen. Die Regierung warf den Protestierenden vor, pro-russische Propaganda zu verbreiten. Sie selbst unterstützt Sanktionen und Waffenlieferungen gegen Russland. Ab Oktober rufen endlich Gewerkschaften zu unabhängigen Demonstrationen gegen die wachsende Armut auf. Hierzu weitere Hintergründe und Berichte:

  • Landesweiter Streik- und Protesttag am 27. November in Tschechien mit breiter Beteiligung von Schulen über Büros und Betriebe bis zum Autohersteller Skoda New
    • Prager Herbst. Tschechien: Gewerkschafter, Schüler und Studenten protestieren gegen Rentenkürzung und Staatsabbau
      Der liberalkonservativen Regierung in Prag wehte am Montag nicht nur die eisige Winterbrise entgegen, die durch die tschechische Hauptstadt fegte. Drei Viertel der Schulen und fast alle Universitäten des Landes blieben an diesem Tag geschlossen, viele öffentliche Einrichtungen wurden bestreikt. Feuerwehrleute legten die Arbeit nieder. Und auch die Industrieproduktion stand vielerorts still, etwa bei den Autowerken von Škoda. Mit dem landesweiten Protesttag bekräftigte der Gewerkschaftsdachverband CMKOS seinen Widerstand gegen den Sparkurs der Regierung. Vier Einzelgewerkschaften organisierten in zahlreichen Industriebetrieben zumeist kürzere Arbeitsniederlegungen. Tausende Gewerkschafter sowie Hunderte Studierende und Universitätsangestellte zogen durch die Prager Innenstadt. Ihre Sprechchöre richteten sich auch bei der zentralen Kundgebung vor dem Parlament gegen das gerade verabschiedete Sparpaket von Ministerpräsident Petr Fiala. »Wir sind bereit, diese Proteste fortzusetzen«, rief der CMKOS-Vorsitzende Josef Středula. Das dürfte notwendig sein. Die Inflationsrate ist weiterhin hoch. Im Oktober lag sie bei 9,46 Prozent im Jahresvergleich. Um 19 Prozent sind die Reallöhne im Verlauf des Jahres bisher gesunken. Forderungen der Gewerkschaften nach Erhöhungen von Gehältern und Mindestlöhne werden geflissentlich ignoriert. Erhöht werden nun aber das Renteneintrittsalter und der Rüstungsetat. Mit der Unterschrift des Präsidenten wurde in der vergangenen Woche das umfangreiche Kürzungspaket zur Konsolidierung der öffentlichen Finanzen endgültig verabschiedet. In den kommenden zwei Jahren sollen im Staatshaushalt umgerechnet rund sechs Milliarden Euro eingespart werden. (…) Ein Teilnehmer an der Demonstration in Prag forderte gegenüber Euronews, dass »die Menschen die Renten bekommen, die ihnen zustehen und die Regierung endlich auf die Forderungen der Gewerkschaften eingeht«. Angesichts stetig steigender Lebenshaltungskosten und sinkender Lebensstandards sei den Gewerkschaften gar nichts anderes übrig geblieben als der landesweite Streik, erklärte CMKOS-Chef Středula. Es gehe darum, »ein deutliches Zeichen« zu setzen, »damit sich die Regierung endlich bewegt«. Weil ebenso erhebliche Kürzungen im Bildungsbereich geplant sind, waren am Montag auch viele Schüler und Studierende auf der Straße…“ Artikel von Dieter Reinisch in der jungen Welt vom 30.11.2023 externer Link
    • Tschechien: Landesweite Proteste gegen Sparkurs
      Spätere Rente, weniger Ausgaben und höhere Steuern – die Mitte-Rechts-Regierung Tschechiens setzt auf einen rigiden Sparkurs. Bei den Tschechen stößt das auf Widerstand, landesweit gab es Proteste. Das Datum ihres Protesttags haben die tschechischen Gewerkschaften bewusst gewählt. Am 27. November 1989 hat ein Generalstreik am Beginn der Samtenen Revolution das Ende der kommunistischen Herrschaft eingeläutet. (…)
      75 Prozent der Schulen nehmen an Protesten teil
      Ein anderer Teilnehmer sagt: „Meine Mutter hat an einer Schule gearbeitet und ich weiß, wie es dort aussieht.“ In die Bildung werde zu wenig investiert, klagen die Gewerkschaften. Rund 75 Prozent aller Schulen beteiligten sich an den Protesten. In zahlreichen Büros und Betrieben wurde kurzzeitig gestreikt, beim Autohersteller Skoda standen die Bänder zwei Stunden lang still. Für Arbeitsminister Marian Jurecka ist das eine übertriebene Aktion. (…) Die Gewerkschaften wollen dennoch weiter protestieren, sollte die Mitte-Rechts-Regierung nicht auf sie zugehen. Laut einer Umfrage befürworten rund zwei Drittel der Tschechinnen und Tschechen den Streik. Doch nur ein kleiner Teil wollte sich beteiligen…“ Bericht von Marianne Allweiss, ARD Prag, vom 27.11.2023 in tagesschau.de externer Link
    • Siehe beim Gewerkschaftsbund CMKOS das Video externer Link der Live-Übertragung von der Demonstration am 27.11.
    • UNI Europa solidarisiert sich mit dem tschechischen Landesstreik
      Für heute, den 27. November 2023, hat der Tschechisch-Mährische Gewerkschaftsbund (ČMKOS) zu einem landesweiten Streik- und Protesttag aufgerufen – eine der größten Mobilisierungen der letzten 30 Jahre…“ engl. Soli-Erklärung der UNI vom 27.11.23 externer Link
    • Siehe aber auch: „Jetzt erstmal Zoff. Lehrer*innenorga und Streikinitiator*innen distanzieren sich und fordern Rücktritt des tschechischen Gewerkschaftsverbandschefs Středula, weil der rechte prorussische Gestalten aufs Podium des Streikprotests gelassen hatte.“ Post von kapturak vom 27.11. auf bsky externer Link
  • Tschechische Gewerkschaften protestieren am 27. November erneut gegen das „Konsolidierungspaket“ der Regierung 
    Die Gewerkschaften in der Tschechischen Republik bereiten sich darauf vor, am 27. November gegen die von der Regierung vorgeschlagenen Maßnahmen zu demonstrieren, die die Kaufkraft der Arbeitnehmer verringern würden.
    Die tschechische Regierung schlägt ein so genanntes Konsolidierungspaket vor, das u.a. die Einführung eines Arbeitnehmerbeitrags zur Krankenversicherung in Höhe von 0,6 Prozent, eine Begrenzung des Steuerrabatts für Ehegatten mit geringem Einkommen, die Abschaffung der Kindergartensteuer und die Streichung des Steuerrabatts für die Zahlung von Gewerkschaftsbeiträgen vorsieht. Die Gewerkschaften lehnen die Maßnahmen entschieden ab, da sich das inflationsfördernde Konsolidierungspaket negativ auf die Arbeitnehmer und Familien auswirken wird. Man rechnet mit einem jährlichen Anstieg der Verbraucherpreise von 3 bis 3,5 Prozent, bei einer geschätzten Gesamtinflationsrate von sechs Prozent. Darüber hinaus plant die Regierung, die Zahlungen für die Übertragung und Verteilung von Strom einzustellen und die Unterstützung für erneuerbare Energien zu beenden, was zu einem erheblichen Anstieg der Strompreise führen würde.
    In einem gemeinsamen Schreiben externer Link fordern IndustriAll Global Union und industriAll Europe die Regierung der Tschechischen Republik auf, sich mit den Gewerkschaften auseinanderzusetzen. „Die Regierung muss in einen sozialen Dialog eintreten, um Änderungen bei der Besteuerung anzugehen und dabei das Wohlergehen der Arbeitnehmer und ihrer Familien im Auge behalten. „Wir stehen hinter euch in eurem Kampf und unterstützen eure Demonstration am 27. November und euren einstündigen Warnstreik
    .“ engl. Meldung vom 15.11.2023 von industriAll Europe externer Link („Czech unions protest against government measures“, maschinenübersetzt)

  • Tschechien: Gewerkschaften kündigen Streiks gegen Sparpaket der Regierung an 
    Der tschechische Gewerkschaftsdachverband ČMKOS hat in der vergangenen Woche Streiks angekündigt. Es ist die Reaktion auf ein drastisches Sparpaket der rechten Regierung, das unter anderem die Senkung der Löhne im Öffentlichen Dienst, Rentenkürzungen und die Beschneidung von Sozialleistungen vorsieht.
    Die Fünf-Parteien-Koalition, die in Prag die Regierung stellt, hatte nur wenige Tage zuvor ihr Sparpaket unter dem Titel „Tschechien in Form bringen“ vorgestellt. Mit den Kürzungen sollen im kommenden Jahr 94 Milliarden Kronen (rund vier Milliarden Euro) und 2025 150 Milliarden Kronen eingespart werden. Die 55 Einzelmaßnahmen beschneiden vor allem die Ausgaben, darüber hinaus werden Steuern angehoben. Die größten Einsparungen sollen durch die Kürzungen von Subventionen in einem Umfang von 46 Milliarden Kronen erreicht werden. Dies betrifft vor allem die Unterstützung kleinerer und mittlerer Unternehmen sowie von sozialen Projekten. Damit wird die ohnehin katastrophale soziale Infrastruktur im Land weiter ausgedünnt. 20 Milliarden Kronen sollen direkt zu Lasten der Beschäftigten im öffentlichen Dienst eingespart werden. Dies soll durch Senkung der Löhne und Stellenstreichungen erreicht werden. Davon sind die Beschäftigten in Kliniken, Schulen, Kindergärten und dem öffentlichen Verkehr betroffen, die während der Corona-Pandemie Übermenschliches geleistet und sich großen Gefahren ausgesetzt haben.
    Neben dem „Konsolidierungspaket“ hat die tschechische Regierung auch eine Reform des Rentensystems vorgeschlagen. Premierminister Minister Petr Fiala von der rechtsliberalen Bürgerpartei (ODS) brüstete sich damit, seit zehn Jahren als erster Regierungschef eine „Reform“ der Renten umzusetzen. Vorgängerregierungen hatten dies ebenfalls geplant, aufgrund von massiven Protesten aber entweder fallen gelassen oder stark abgeschwächt. Die Reform sieht unter anderem eine Erhöhung des Renteneintrittsalters von derzeit 65 auf bis zu 68 Jahren sowie eine Verschärfung der Regeln für die Frühverrentung vor. Letzteres bedeutet erhebliche Einbußen für jene, die aufgrund körperlich anstrengender Arbeit früher in Rente gehen müssen. Darüber hinaus werden Renten endgültig von der Inflation entkoppelt und sollen auf absehbare Zeit nicht mehr bzw. nur noch gering steigen.
    Bereits im März hebelte die Regierung die bislang gesetzlich festgelegte Rentenanpassung aus, mit der Folge, dass Rentner anstatt 75 Euro monatlich nur 32 Euro mehr erhielten.
    Während die Unternehmenssteuern nur um 2 Prozent steigen, was dank der Senkungen der letzten Jahre von Unternehmen leicht zu verschmerzen ist, geht die Anhebung der Grundsteuer- und der Mehrwertsteuer voll zu Lasten von kleineren und mittleren Einkommen. Die Erhöhung der Grundsteuer trifft vor allem Besitzer von Häusern in ländlichen Gebieten, die oft nicht mehr besitzen als ihr Eigenheim. Gleichzeitig führt sie zu einem weiteren Anstieg der Mieten, die in Großstädten wie Prag bereits astronomisch sind.
    Außerdem sollen nach dem Willen der Regierung zahlreiche weitere Maßnahmen zu Lasten der Bevölkerung gehen. Darunter beispielsweise die Erhöhung der Autobahnmaut und zusätzliche Kosten für die verpflichtende Krankenversicherung. Die Mehrwertsteuer auf gedruckte Zeitungen wird auf 21 Prozent mehr als verdoppelt. Kommentatoren gehen davon aus, dass dies ein Zeitungssterben nach sich zieht, dem tausende Arbeitsplätze zum Opfer fallen…“ Beitrag von Markus Salzmann vom 22. Mai 2023 bei wsws externer Link – die im Text nachfolgenden Interpretationen über die Rolle der Gewerkschaften können wir nicht beurteilen
  • Gewerkschaftsdachverband ČMKOS ruft zur Anti-Armuts-Demonstration am 8. Oktober auf 2022 – OSIP organisiert links-syndikalistischen Block
    Am 8. Oktober ruft nun der Gewerkschaftsdachverband ČMKOS (Českomoravská konfederace odborových svazů – dt: Böhmisch-mährische Gewerkschaftskonföderation), der 32 Gewerkschaften vertritt zur Demonstration „Fünf nach Zwölf“ gegen Armut auf. Darin will unter anderem die Gewerkschaft der Arbeiterinitiative (OSIP) einen anarchistisch-syndikalistischen Gewerkschaftsblock organisieren: „Durch ihre zögerliche Haltung hat die Regierung zugelassen, dass die Situation einen Punkt erreicht hat, an dem unser Land eine der höchsten Inflationsraten in der EU hat, die Haushalte an Kaufkraft verlieren und die Unternehmen an Wettbewerbsfähigkeit einbüßen. Seit ihrem Amtsantritt haben wir wiederholt an die Regierung appelliert, sich der Situation anzunehmen, wir haben konkrete Lösungen und Maßnahmen vorgestellt, wie man vorgehen kann, und wir haben Hilfe angeboten. Die Regierung hat viele Monate lang geschwiegen und ihre Vertreter haben die Situation einfach ignoriert, anstatt den Menschen und Unternehmen tatsächlich zu helfen. Wir fordern, dass die Regierung dringend konkrete, wirksame Lösungen beschließt, auch wenn es „fünf Minuten nach zwölf“ ist, und aufhört, die extrem schwierige Situation von Familien, Arbeitenden, Rentner:innen, Alleinerziehenden sowie Unternehmen und Unternehmern zu ignorieren. Deshalb treffen wir uns am Samstag, den 8. Oktober, um 12:05 Uhr auf dem Wenzelsplatz in Prag zur Anti-Armuts-Demonstration, um eine klare Botschaft an die Regierung zu senden: Sie muss dringend handeln, um den Menschen und Unternehmen zu helfen, die aktuelle Situation zu bewältigen. Und das ist ohne wirklich wirksame staatliche Maßnahmen nicht möglich. Wir lehnen den Rückgang der Realeinkommen, das Abgleiten in die Armut, die obszönen Margen und Missbräuche, die Kürzungen ohne klare Strategie und die sinnlose Reduzierung der öffentlichen Haushaltseinnahmen ab.
    Deshalb fordern wir, dass der Staat:
    Sofortige Einführung einer Preisregulierung für die Grundbedürfnisse des Lebens und strengere Preiskontrollen,
    Regulierung der Preise für Lebensmittel, Energie, Treibstoff, Wasser und Mieten, die sofortige Ausarbeitung eines Anti-Krisen-Plans, der auch wachstumsfördernde Maßnahmen enthält, die Ausgaben im Staatshaushalt zu priorisieren, um die Wirtschaftskrise zu bekämpfen, Prinzipien in den Steuergesetzen und andere Maßnahmen durchsetzen, die sicherstellen, dass alle Bürgerinnen und Bürger der Tschechischen Republik und die hier tätigen Unternehmen (nicht nur Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Rentnerinnen und Rentner) gerecht an den Kosten der Krise beteiligt werden, die reale Kaufkraft der Löhne und Gehälter mindestens auf dem Niveau von 2022 zu halten, Anhebung des Mindestlohns auf 18 200 CZK im Jahr 2022.“ Pressemitteilung der ČMKOS vom 12. September 2022 externer Link (tschechisch – Maschinenübersetzung).
  • Aufruf zum links-syndikalistischen Block von OSIP
    „Wir haben genug! Wir laden alle verärgerten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Studierende, Rentnerinnen und Rentner und andere, die sich durch das unsoziale Verhalten der Regierung gegenüber den einfachen Menschen existenziell bedroht fühlen, dazu ein, sich dem schwarz-roten syndikalistischen Block der Gewerkschaft Workers‘ Initiative anzuschließen, der sich der Gewerkschaftsdemonstration der ČMKOS anschließen wird. Komm mit uns unter den schwarz-roten Bannern zusammen, um ein klares NEIN zur Arroganz der rechten Regierung zu sagen und sie zu einer echten Lösung zu zwingen, die uns zugutekommt und nicht ausgewählten Eigentümern, Aktionären und Spekulanten. Wir lassen uns nicht davon überzeugen, dass es nicht geht, wir wissen nur sehr genau, dass Karpfen ihren eigenen Teich nicht trockenlegen. Wir müssen sie mit unserer Entschlossenheit und Bereitschaft, für eine bessere Position zu kämpfen, zwingen. Niemand sonst wird es für uns tun! Wenn die Politiker die Stimme der Straße nicht hören, müssen wir den Druck von allgemeinen Demonstrationen, Straßenblockaden und Besetzungen von Regierungsgebäuden bis hin zur Ankündigung eines unbefristeten Generalstreiks verstärken. Lass dich einfach von Arbeitenden im Ausland inspirieren. Wenn wir aufhören zusammenzuarbeiten, wird keine Regierung lange überleben. Lassen wir uns nicht von Politikern und Gewerkschaftsführern einlullen und beschwichtigen. Ohne Kampf können wir nicht erwarten, dass sich unser Leben verbessert…“ Aufruf von OSIP vom 8. September 2022 externer Link (tschechisch – Maschinenübersetzung).
  • Am 3. September 2022 mobilisierte eine Querfront 70.000 Menschen gegen die Regierung unter dem Motto „Tschechien zuerst“
    „… Rechtsextreme und linksextreme Kräfte vereinten sich auf einer Kundgebung unter dem Motto „Tschechien zuerst“ und forderten ein neues Abkommen mit Moskau über Gaslieferungen und einen Stopp der Waffenlieferungen an die Ukraine, während sie die Mitte-Rechts-Regierung von Ministerpräsident Petr Fiala zum Rücktritt aufforderten. Die Demonstration auf dem Wenzelsplatz, der in der tschechischen Hauptstadt Prag seit jeher ein Ort für Massenproteste ist, schien das Ende einer relativ ruhigen innenpolitischen Phase seit Fialas Amtsantritt im vergangenen Dezember zu bedeuten. Seine Fünf-Parteien-Koalition hatte am Freitag eine von der Opposition ausgelöste Vertrauensabstimmung im Parlament überstanden. Die Opposition wirft der Regierung vor, nicht in der Lage zu sein, die steigenden Heizkosten zu bewältigen und die Inflationsrate unter Kontrolle zu bringen, die auf 18% angestiegen ist und damit zu den höchsten in der EU gehört. Auf der Kundgebung, die zum Teil von der rechtsextremen Partei für Freiheit und direkte Demokratie (SPD) und der kommunistischen Partei, die einst die ehemalige Tschechoslowakei regierte, organisiert wurde, gab es Forderungen nach militärischer Neutralität und Beschwerden über die Ankunft ukrainischer Geflüchteter. Seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine haben etwa 400.000 Menschen in der Tschechischen Republik eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten. Neben Transparenten mit Slogans wie „Das Beste für die Ukrainer:innen und zwei Pullover für uns“ sagte Zuzana Majerová Zahradníková von der rechtsextremen, EU-feindlichen Partei Trikolora zu den Protestierenden: „Die Regierung Fiala mag ukrainisch sein, sie mag Brüssel sein, aber sie ist definitiv nicht tschechisch.“ Einige Demonstranten trugen T-Shirts, die den russischen President Wladimir Putin lobten, andere trugen Transparente, auf denen sie ihre Anti-EU- und Anti-Nato-Stimmung zum Ausdruck brachten. Die Tschechische Republik gehört zu den stärksten Unterstützern des westlichen Bündnisses für die Ukraine. Die Organisatoren haben versprochen, weitere Kundgebungen zu veranstalten. Eine weitere ist für das symbolische Datum des 28. September, dem tschechischen Nationalfeiertag, geplant, falls die Regierung nicht bis zum 25. September zurücktritt. Fiala, der Vorsitzende der Demokratischen Bürgerpartei (ODS) und ehemalige Politikprofessor, bezeichnete die Demonstration als extremistisch und von russischer Propaganda angeheizt. Er sagte: „Der Protest auf dem Wenzelsplatz wurde von Kräften aufgerufen, die pro-russisch sind, extremen Positionen nahe stehen und gegen die Interessen der Tschechischen Republik sind. Es ist klar, dass russische Propaganda und Desinformationskampagnen auf unserem Territorium präsent sind und einige Leute ihnen einfach zuhören.“ Nicht-oppositionelle Stimmen haben jedoch vor den potenziell katastrophalen Folgen der drohenden Energiekrise im Winter gewarnt, die Fiala am Montag bei seinem Besuch in Prag mit dem deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz besprechen wird. Minister Pavel Blažek, ein Mitglied der Partei des Premierministers, warnte letzte Woche vor der Gefahr von Unruhen und dem Sturz der Regierung, wenn keine dringende Lösung gefunden wird. „Wenn die Energiekrise nicht gelöst wird, ist das politische System dieses Landes in Gefahr“, sagte er. Boris Cvek, ein tschechischer Kommentator, der auf der Website Britské Listy schreibt, wies auf die Anzahl der anwesenden Menschen hin. „Als ich am Morgen las, dass 5.000 Menschen da waren, winkte ich mit der Hand und dachte, dass es nicht mehr werden würden. Am Nachmittag waren es dann 70.000. Das hat mich umgehauen“, sagte er…“ Artikel von Robert Tait vom 4. September 2022 im Guardian externer Link („Thousands gather at ‘Czech Republic First’ rally over energy crisis”).
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=204607
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