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Die sozialen und politischen Wurzeln der syrischen Revolution

Ausschnitt aus einer Karte zum Syrien-Konflikt, Februar 2016 (https://en.wikipedia.org/wiki/Template:Syrian_Civil_War_detailed_map)Redaktionelle Vorbermerkung: Aktivist*innen vom LabourNet Germany, der Redaktion von Lunapark21 und aus der Berliner Mietergemeinschaft hatten für den 30. Januar 2016 zur Selbstverständigung über die Lage im Nahen Osten einen Workshop in Berlin organisiert. Mit Yacov Ben Efrat von der DAAM Workers‘ Party externer Link aus Israel und Ali Ergin Demirhan vom Infoportal sendika.org externer Link aus der Türkei sind dabei Freunde aus den Nachbarländern Syriens mit ihren Erfahrungen ausführlich zu Wort gekommen. Wir dokumentieren hier in deutscher Übersetzung den Vortrag, den Yakov Ben Efrat in diesem Workshop gehalten hat. (Das englische Original wurde am 9. Februar 2016 beim israelischen Challenge Magazine veröffentlicht externer Link)

Die sozialen und politischen Wurzeln der syrischen Revolution

Vortrag von Yacov Ben Efrat, Berlin am 30. Januar 2016

Der revolutionäre Aufstand in Syrien, der im März 2011 als Teil des Arabischen Frühlings begann, und die aktuellen Auseinandersetzungen dort haben einen großen Einfluss auf meine politische Partei, die Organisation für Demokratische Aktion (ODA-DAAM, im weiteren DAAM). Wegen der Nähe von Syrian zu Israel und Palästina haben die Entwicklungen dort direkten Einfluss auf die Lage der Palästinenser in der Westbank, im Gazastreifen und auf die Palästinenser mit israelischer Staatsbürgerschaft. Die Hamas steht der Muslim-Bruderschaft in Syrien und anderswo nahe, die Fatah arabischen Regime wie dem von Assad in Syrien und dem von Sisi in Ägypten. Die salafistischen und dschihadistischen Bewegungen beeinflussen Palästinenser auf beiden Seiten der Grünen Linie.

Wie man sich zur syrischen Revolution positioniert, sagt viel über die eigene politische Identität. Für den Aufbau einer jüdisch-arabischen Partei in Israel, wie wir das mit DAAM versuchen, ist es unabdingbar, dass wir palästinensische Partner innerhalb und außerhalb Israels finden, die eine demokratische Entwicklung in Syrien unterstützen. Wir sprechen hier über den Zusammenhang der Tragödien zweier Völker: der Syrer und der Palästinenser. Den Israelis dagegen ist das Schicksal der Palästinenser und Syrer in der Regel gleichgültig. Die Israelis sehe keine Revolution in Syrien, sie sehen nur extremistischen Islam und religiöse Kämpfe. Berlin liegt für sie gefühlt deutlich näher als Damaskus.

Beginnen wir mit der Gegenwart. Heute (30. Januar 2016) hat die Delegation der syrischen Opposition beschlossen, an der dritten Genfer Konferenz teilzunehmen und dort das Schicksal Syriens zu diskutieren. Das ist eine Tragödie. Oslo war auch eine Tragödie, aber es wurde von beiden Seiten, den Palästinensern und den Israelis unterstützt. In der Tat resultierte die Entscheidung, DAAM zu gründen, aus unserem Verständnis, dass Oslo der Auf- und Übergabe der palästinensischen Revolution gleich kam. Der Unterschied zwischen den beiden Tragödien ist: Die Syrer glauben nicht an die drei Verhandlungsrunden in Genf. Sie nehmen überhaupt nur teil, weil sie die Kontrolle über die Situation in Syrien verloren haben.

Der Konflikt in Syrien befindet sich in einer Sackgasse: Die Opposition kann Assad nicht stürzen, Assads Regierung dagegen kann Syrien nicht mehr regieren. Weder die syrische Regierung, noch die Opposition kann die jeweils andere Seite als Partner akzeptieren. Dennoch haben die Amerikaner und die Russen beide Seiten zu Gesprächen gezwungen – was schlicht absurd ist. Nicht weniger absurd ist der Zustrom der Hunderttausenden von Syrern nach Deutschland: Sie haben zwar eine Heimat, können dorthin aber nicht zurückkehren.

Die syrische Opposition suchte Hilfe bei jedem, der ihnen eingefallen ist: den Türken, den Saudis und vor allem den Amerikanern. Doch letzte Woche, als US-Außenminister John Kerry nach Riad kam, hatte er einfach die russische Sicht übernommen: Er drohte mit Entzug der Unterstützung und verdonnerte die syrische Opposition zur Verhandlungsteilnahme ohne jegliche Vorbedingungen. Nicht einmal ein Stopp der Bombardierungen und der Aushungerung ganzer Bevölkerungsteile sollte als Bedingung vorgebracht werden dürfen. Deshalb fühlen sich die Syrer von Kerry verraten und von der Welt im Stich gelassen.

So viel zur jetzigen Situation, nun zurück zum Anfang: Als die Revolution im Jahr 2011 begann, war das eine ziemliche Überraschung. Verschiedene Leute versuchten zu verstehen, was zu diesem Aufstand geführt hatte. Betrachtet man die Vergangenheit, kann man ganz ähnliche Entwicklungen verfolgen, die letztlich zum arabischen Frühling führten. Der gemeinsame Nenner zwischen den verschiedenen Ländern war die wirtschaftliche Formel, die ihre Regierungen anzuwenden versuchten: Sie wollten die alte staatlich regulierte Wirtschaft aufgeben und stattdessen zum Neoliberalismus wechseln. Diese Verschiebung in der Politik diente kleinen Eliten, die reich und korrupt wurden, während die meisten Menschen einer Armut preis gegeben wurden, die von keinem irgendwie sozialen Sicherheitsnetz gemildert wurde. Dies gilt für Länder wie Tunesien, Ägypten und Syrien – und es hatte mit dem IS nichts zu tun. Den IS gab es da noch gar nicht.

In Ägypten begann die Revolution im Jahr 2008 mit einer Welle von Streiks in den Textilfabriken von Mahala al-Kubra. Für den 6. April 2008 hatten die Arbeiter zum Generalstreik aufgerufen. Sie wurden von einer Gruppe von Studierenden unterstützt, die die „Bewegung 6. April“ gründeten. In Ägypten spielten die Arbeiter eine sehr wichtige Rolle in der Revolution; keineswegs war dies nur die Schöpfung einer Facebook-Jugend allein. Mit fortgesetzten Streiks trugen die Arbeiter ihren Teil zum Sturz Mubaraks bei. Auch in Tunesien spielten Streiks für die Revolution eine wichtige Rolle, hier konkret die der Bergarbeiter in der Phosphatmine von Gafsa, die im Jahr 2008 begonnen hatten. Dann kam der libysche Aufstand, in den sich die USA militärisch einmischten, um Gaddafi zu stürzen. Als die Syrer das sahen, glaubten sie, auch sie hätten eine Chance, die Assad-Dynastie zu Fall zu bringen. Sie glaubten, mit friedlichen Demonstrationen, wie jenen in Ägypten, Assad stürzen zu können. Anders als in Ägypten jedoch begann das syrische Regime, die Demonstranten zu abzuschlachten. Der Glaube, der Westen werde – wie in Libyen – eingreifen, stellte sich als geradezu naiv heraus.

Mubarak, Gaddafi und Assad (der Vater) hatten viel gemeinsam. Alle kamen sie aus dem Militär, regierten ihre Ländern über 40 Jahre – und wollten ihre Staaten an ihre Söhne weitervererben. Ihre Staaten und die Bürger darin galten ihnen nichts, dienten nur als Sprungbrett für die Vergrößerung des Reichtums, den sie so – gemeinsam mit ihrer Macht – an ihre Söhne weitergeben wollten. Korruption war weit verbreitet. Wenn jemand zum Beispiel an einer Universität studieren, ein Diplom erhalten oder – nach abgesessener Strafe, endlich – das Gefängnis verlassen wollte, mussten riesige Summen gezahlt werden, bis zu 30.000 $. In den umkämpften Städten Syriens, damals und heute, nutzt Korruption sogar den Hunger der Belagerten aus: Jaish al-Islam, ein Dschihadisten-Gruppe, kauft Lebensmittel von den Offizieren aus Assads Armee und verkauft sie für ein Vermögen an diejenigen unter den hungernden Menschen weiter, die dafür zahlen können.

Im Jahr 2008, als die Streikwelle in Ägypten begann, erkannten wir bei DAAM, dass dies der Beginn einer Revolution war. Wir fragten uns, wer die Streikenden waren, denn bisher hatten sich Demonstrationen in Ägypten ausschließlich auf die palästinensische Frage konzentriert, nie auf Probleme innerhalb Ägyptens.

Wir wandten hier dieselbe Analyse an wie auf den Kampf der Palästinenser. Wir sind immer davon ausgegangen, dass wir den Palästinensern nicht helfen können, wenn sie sich nicht zuerst selber helfen. Sie haben weder eine Wirtschaft noch soziale Infrastruktur, während Israel beides hat, und zusätzlich eine starke Armee. Wir haben immer gesagt: „Ihr müsst Eure soziale Infrastruktur entwickeln. Die Raketen der Hamas allein werden die Besatzung nicht beenden, werden nicht in die Unabhängigkeit führen. Wenn Ihr eine Kultur habt, eine Wirtschaft, einen Zusammenhalt in der Gesellschaft, und eine Strategie, werdet Ihr keine Raketen brauchen. Und die Aussage „Gott ist groß“ hilft übrigens ebenfalls nicht weiter.“

Wir haben dieses Muster auch im Libanon gesehen, wo die Hisbollah, eine ultra-nationalistische schiitische Bewegung, bereit war, das Leben von Libanesen und Palästinensern im Libanon zu opfern. DAAM hat diesen Bluff benannt, hat unmissverständlich darauf hingewiesen, dass die Hisbollah die anti-israelische Taktik benutzt, um die Macht im Libanon zu übernehmen – genauso wie es die Hamas in Gaza getan hat. Keine von beiden Gruppen stellt eine echte Bedrohung für Israel dar, und keine von beiden hat je einen echten Krieg gegen Israel gewonnen. Es ging ihnen immer nur um ihre eigene Vormachtstellung. Kein Wunder also, dass die Hisbollah heute Syrer – und nicht etwa Israelis – tötet.

Während der Aufstände im Arabischen Frühling wurde deutlich, dass die arabischen Völker die Lügen der anti-israelischen Slogans durchschauten. Wie ist das passiert? Analysieren wir die Situation in Syrien. Zur Jahrhundertwende, nach dem Tod von Hafez al-Assad, durchlief Syrien einen tiefgreifenden wirtschaftlichen Wandel von einer verstaatlichten Wirtschaft zur Marktwirtschaft. Die Familie Assad übernahm Infrastruktur und Kommunikation, überließ aber den Handel den großen sunnitischen Familien. Im Juni 2000 starb Hafez Assad und sein Sohn Bashar kehrte, mit all seiner westlichen Bildung, aus dem Vereinigten Königreich zurück. Die Menschen hofften auf größere Freiheit. Zu Beginn seiner Herrschaft erlaubte Bashar Assad eine gewisse politische Öffnung, auch bekannt als Damaszener Frühling. Innerhalb von drei Monaten jedoch endete diese Phase, und all diejenigen, die sich etwas zu frei gefühlt hatten, landeten schließlich im Gefängnis. Nach der Ermordung des libanesischen Premierministers Rafik Hariri im Jahr 2005 musste sich Bashar Assad wegen lokaler Proteste und dem Druck des Westens aus dem Libanon zurückziehen. Dieser Rückzug hatte negative Auswirkungen auf die syrische Wirtschaft, denn der Libanon – Bestechung und Schmuggel sei dank – war bis dahin eine nicht zu vernachlässigende Einnahmequelle für die Herrscher Syriens gewesen. Es war ein heftiger Schlag für Assad: Er hatte die Libanesen nicht davon abhalten können, ihn aus dem Land zu werfen.

Zur gleichen Zeit veröffentlichten syrische Oppositionskräfte die Erklärung von Damaskus. Diese Kräfte beinhalteten (1) die syrische Muslim-Bruderschaft, die die demokratischen Spielregeln der modernen Staaten akzeptierten; und (2) eine linke Partei namens Demokratische Volkspartei, geführt von Riad Turk und (3) unabhängige Persönlichkeiten, die für ihre Opposition gegen das Regime Assad bekannt waren. Das war der Beginn einer neuen, unabhängigen Opposition in Syrien.

In den Artikeln von Yassin Haj Saleh externer Link , geschrieben zwischen 2006-2009 (veröffentlicht in „Syrien. Auf einem Fuß gehen„, arabische Ausgabe), prognostizierte dieser nicht etwa einen Aufstand. Er sah eine Explosion voraus, die entweder vom Volk oder von religiösen Konflikten ausgehen würde. Er sah voraus, dass es zu einer sektiererischen Explosion kommen könnte, weil das Regime die normale Entwicklung der Nation in einem demokratischen Prozess nicht zuließ. Er sprach auch über das Problem des Terrorismus und erklärte, die Regierung würde den Namen „Terrorist“ auf jede Form von Opposition anwenden. Er hielt es für möglich, dass die Regierung selbst eine Reihe von mysteriösen Bombenanschlägen inszeniert haben könnte. Bereits im Jahr 2006 sprach er über den Einfluss des Internets auf die Menschen, und er sprach von Armut und großer sozialer Ungleichheit als Ursachen für eine zukünftige soziale Explosion.

Haj Saleh sah voraus, dass die marginalisierten Bevölkerungsteile in Syrien sich entweder dem Jihad oder der Politik zuwenden werden (vgl. Seite 108 des o.g. Buches). Er erklärte, dass, wenn das Regime weiterhin in repressive Sicherheitsmethoden statt in Lösungen für soziale Probleme investiert, weiterhin neoliberale Ökonomie ohne demokratische Entwicklung promotet, dies die Garantie für das Heraufbeschwören religiöser Konflikte sein wird. Im Jahr 2006 konnte er keine Revolution in Syrien vorhersagen, da es im Land weder politische Parteien noch Gewerkschaften gab. Auch hatten externe arabische Kräfte wie Saudi-Arabien, Katar und die Türkei bis dahin keine große Rolle gespielt.

Als die Revolution im März 2011 ausbrach, war Assad bereit, bis zum letzten gegen sein Volk zu kämpfen. Die Syrer dagegen waren überzeugt, der Westen werde dies nicht zulassen und rechtzeitig eingreifen. Die revolutionäre Jugend sammelte sich um den Syrischen Nationalrat (SNC), der – bestehend aus der Linken, der Muslim-Bruderschaft und Figuren wie Burhan Ghalioun und George Sabra – quasi eine natürliche Fortsetzung der Erklärung von Damaskus war. Der SNC erhielt sofort internationale Anerkennung und einen Platz in der Arabischen Liga. Dann aber begannen Saudi-Arabien und Iran, die beiden großen Feinde des Arabischen Frühlings, die die Muslimbrüder auf der einen und die Demokratie auf der anderen Seite fürchten, ihre konterrevolutionäre Intervention.

Saudi-Arabien sah den neuen, demokratisch gewählten Präsidenten von Ägypten, Mohammed Morsi aus der Muslim-Bruderschaft, als eine große Gefahr und inszenierte einen Militärputsch, angeführt vom jetzigen ägyptischen Präsidenten Abed al-Fattah Sisi. Zur selben Zeit begannen die Saudis, salafistische und dschihadistische Kräfte in Syrien aufzupäppeln. Davon profitierten etwa Ahrar A-Sham und al-Qaida. Katar ging dagegen davon aus, dass die Herrschaft der saudischen Königsfamilie in Gefahr wäre, wenn Saudi-Arabien sich der revolutionären Welle weiterhin entgegenstellt. Mit seinem Geld und seinem Satellitenkanal al-Jazeera unterstützte Katar also die Muslimbruderschaft massiv.

Dann, im November 2012, gelang den Saudis mit Hilfe von US-Außenministerin Hillary Clinton eine Art Staatsstreich innerhalb der Führung der Syrischen Opposition: Sie setzten ihren Mann, Ahmad Djerba, an die Spitze einer neuen, „repräsentativeren“ Konstruktion namens „Nationale Koalition der Opposition in Syrien“. In der Zwischenzeit hatte Assad eine Reihe von Dschihadisten aus seinen Gefängnissen entlassen. Er wusste um ihr Know-how im Umgang mit Waffen – das sie natürlich zu nutzen begannen. Syriens friedliche Demonstranten, die von Anfang an eine friedliche Revolution beabsichtigt hatten, konnten von nun an nur noch von der Seitenlinie aus zusehen. Die ganze Zeit über hielt der Westen nutzlose Konferenzen ab, zum Zeichen der Solidarität mit der syrischen Opposition, jedoch ohne jede praktische Auswirkung etwa in Form von Material oder militärischer Unterstützung.

Im Sommer 2013 setzte Assad Chemiwaffen gegen die Bevölkerung von Gouta A-Sharqia in der Nähe von Damaskus ein. Damit verstieß er gegen alle internationalen Verpflichtungen – und hatte die berühmte rote Linie von US-Präsident Obamas überschritten. Obama versprach, nun endlich nachdrücklich gegen das Assad-Regime aktiv zu werden, und das syrische Volk setzte alle Hoffnungen auf dieses Versprechen. Bei DAAM unterstützten wir alle Maßnahmen, die dazu führen würden, dass Assad sein Volk nicht länger massakrieren würde, und wir warteten darauf, dass Obama anfing zu handeln. In letzter Minute entschied sich Obama jedoch abzuwarten, was der britische Premier David Cameron tun würden. Der Rest ist Geschichte. Großbritanniens Labour-Partei sprach sich gegen jede Aktion aus, einige von Camerons eigener Tory-Partei ebenso, und schon hatte Obama einen Vorwand sich zurückzuziehen. Statt eines Militärschlags wurde eine Vereinbarung mit Russland über die Beseitigung der Chemie-Waffen in Syrien ausgehandelt, das Regime blieb unangetastet.

Ende des Jahres 2014 zog Obama seine Armee aus dem Irak ab. Exakt zum selben Zeitpunkt startete der irakische PM Nouri al-Malaki, als Vertreter der regierenden schiitischen Mehrheit vom Iran unterstützt, eine Welle der Repression gegen die sunnitische Minderheit, die einen friedlichen Aufstand in den sunnitischen Gebieten der Provinz Anbar begonnen hatte. Die Amerikaner hielten an der Unterstützung für al-Malaki fest. Im Juni stürmte der IS dann plötzlich die Stadt Mosul, die irakische Armee löste sich in Luft auf, und all ihre teuren amerikanischen Waffen fielen in die Hände des IS, dessen Kämpfer von einem ehemaligen Baath-Offizier der Armee Saddam Husseins angeführt werden. Zur gleichen Zeit zog sich Assad aus der Wüstengegend im Nordosten Syriens zurück. Der IS konnte so ohne Widerstand einmarschieren, ungehindert vordringen und die syrische Stadt Raqqa zur Hauptstadt des Islamischen Staates erklären.

Wo stehen wir also? Assad hat Syrien bereits zerstört, die Menschen hungern und sterben. Obamas neue Strategie aber erschöpft sich im Kampf gegen den IS. Nach 9/11 haben die Amerikaner den Glauben an Saudi-Arabien verloren und sich für den Iran als zuverlässigeren Partner entschieden. Der Iran mag ein Problem im Nahen Osten sein und ist ein bitterer Rivale für Israel, aber er stellt für Europa und New York keine solche Bedrohung dar wie der IS. Daher unterschreibt Obama das Atomabkommen mit dem Iran und ignoriert dabei den Widerspruch aus Israel und Saudi Arabien. Im Kampf gegen den IS im Irak arbeiten die USA mit dem Iran zusammen, während der Iran in Syrien gegen die (mittlerweile) fundamentalistische, von den Saudis und der Türkei unterstützte Opposition an der Seite Assads und Russlands steht. Zur gleichen Zeit bekämpfen die Saudis mit niedrigschwelliger amerikanischer Unterstützung die iranische Intervention im Jemen. All dies zeigt, wie konfus die amerikanische Politik in der Region eigentlich ist, und warum die USA derart diskreditiert sind.

Der langwierige Krieg in Syrien führte zum Zerfall der syrischen Armee. Junge Menschen weigerten sich, in die Armee einzutreten und einen verlorenen Krieg zu kämpfen. Die Unterstützer des Regimes hatten den Glauben an die Möglichkeit verloren, die Opposition zu besiegen. Die syrischen Flüchtlinge in der Türkei erkannten ihrerseits, dass Assads Regime zwar geschwächt, die Opposition aber nicht stark genug ist. Dies führte zu der massiven Auswanderung nach Europa im Sommer 2015. Zu diesem Zeitpunkt beschloss Wladimir Putin, seine Luftstreitkräfte zur Rettung des Assad-Regimes einzusetzen. Unter dem Vorwand, den IS zu kämpfen, begannen die Russen, die syrische Opposition zu bombardieren, Zerstörung zu verbreiten und Zivilisten zu töten.

In Folge des Atomabkommens mit dem Iran liebäugelte die Obama-Regierung verstärkt mit den Möglichkeiten der Diplomatie. Die Flüchtlingskrise in Europa, die barbarischen Anschläge des IS in Paris und die Intervention Russlands in Syrien wurden von der Obama-Regierung als einmalige Gelegenheit für eine weitere, erfolgreiche, diplomatische Einigung in Syrien angesehen. Die USA beriefen eine neue internationale Konferenz in Wien ein, an der auch die neuen Partner Iran und Russland teilnehmen sollten. Hier wurde eine neue Sprachregelung gefunden: die Forderung, dass Assad seine Macht aufgeben müsse, wurde fallengelassen. Nach den Gesprächen in Wien stimmte der UN-Sicherheitsrat einstimmig für eine Resolution, die den Rahmen für Verhandlungen abstecken sollte. Assads weiteres Schicksal wurde hier überhaupt nicht mehr erwähnt. Im Anschluss an diese Resolution bildete die syrische Opposition einen neuen Verhandlungsausschusses (Hohes Verhandlungskommittee – HNC) in der saudischen Hauptstadt Riad. Erstmalig umfasst dieser Ausschuss auch dschihadistische Formationen, die von Saudi-Arabien unterstützt werden. Diese werden nun also als legitimer Teil der Opposition akzeptiert.

Auf Drängen von Kerry erklärte sich die ehemalige syrische Opposition mit der Teilnahme an einem erneuten Treffen in Genf einverstanden. Dort sollte eine Vereinbarung mit dem Assad-Regime verhandelt werden, obwohl niemand daran glaubte, dass eine solche Vereinbarung erreichbar ist, solange die Russen die Opposition weiter bombardieren. Beim Treffen mit dem HNC in Riad stellte Kerry ein Ultimatum: Wenn Ihr nicht nach Genf geht, stellen wir unsere Unterstützung ein. Unter diesen Umständen entschied sich der HNC zwar zur Teilnahme in Genf, aber unter einer sehr klaren Bedingung: die russischen Bombardements und das Aushungern belagerter syrischer Städte mussten aufhören.

Aktuell ist die Situation die folgende: Im Irak führt eine sektiererische schiitischen Regierung, unterstützt vom Iran und den USA, einen Krieg gegen den IS und unterdrückt die Sunniten. In Syrien setzt das Assad-Regime seinen barbarischen Krieg gegen die Demokratie mit der Unterstützung von Russland, dem Iran und der passiven Zustimmung der Obama-Regierung fort. Unter diesen Bedingungen gibt es keine wirklichen Perspektiven, dem IS Einhalt zu gebieten oder ihn gar zu besiegen – Obamas erklärtes Ziel seit mehr als einem Jahr. Solange der Irak von einer sektiererischen Regierung unter einer religiösen Verfassung regiert wird, wird die sunnitische Bevölkerung Zuflucht beim IS suchen. Und solange Assad an der Macht bleibt, wird der IS im nördlichen Syrien bleiben. Die russische Idee, dass Assad der Schlüssel zu einer Lösung wäre, wird nur zu noch mehr Blutvergießen und noch mehr Flüchtlingen führen. Assad muss gehen und für den Massenmord an 250.000 Zivilisten, die Zerstörung von mehr als 2 Millionen Haushalten und die Vertreibung von mehr als 10 Millionen syrischen Bürger zur Verantwortung gezogen werden. Unsere Unterstützung gilt all jenen demokratischen Kräfte in Syrien, die das Land auf der Grundlage von religiöser Toleranz, Demokratie und sozialer Gerechtigkeit neu aufbauen wollen.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=93140
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