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Südafrika: Wenn der Ausnahmezustand eine Klassenfrage ist – erzeugt er Rebellion

Das Plakat der südafrikanischen Xcluded Kampagne ab Februar 2020„Lockdown“ – den Ausnahmezustand wegen der Corona-Epidemie verhängte die südafrikanische Regierung vor Wochen. Und setzte ihn vom ersten Tag an mit Polizei, Militär und allseitiger Repression um. Besser: Versuchte ihn umzusetzen. Wobei dann – unter vielem anderen – die Polizei eine Krankenschwester erschoss, die gegen mangelnde Schutzmaßnahmen protestierte. „Hände waschen“ und „Abstand halten“ mögen in Europa einigermaßen funktionieren, oder auch in südafrikanischen Mittelklasse-Gegenden. In den Townships Südafrikas – wie in brasilianischen Favelas oder indischen Slums, oder, oder… – bewirken sie im Wesentlichen: Dass den Menschen ihre Lebensgrundlage entzogen wird. Wenn dann noch hinzu kommt, dass Bergbau-Unternehmen weiter produzieren wollen – und dürfen – und dass unter dem Vorwand von Hygiene-Maßnahmen in Wirklichkeit Zwangsräumungen stattfinden (so krass, dass selbst die südafrikanische Justiz ihre Einwände erhebt – wenn sie entsprechend Druck erfährt), dann ist es keine Überraschung mehr, wenn sich nicht nur an allen Ecken und Enden des Landes Protest und Widerstand entfalten, sondern diese Bewegung auch zunehmend organisierten Ausdruck findet. Siehe zur wachsenden Rebellion in Südafrikas Townships unsere ausführliche kommentierte Materialsammlung „Ausnahmezustand als Klassenfrage“ vom 20. April 2020:

Südafrika: Der Ausnahmezustand als Klassenfrage“

(20. April 2020)

„Lives over profits! Bread not bullets!“ am 17. April 2020 bei der C-19 Peoples Coalition externer Link ist eine Erklärung des sozialen Bündnisses, das aus Anlass der Epidemie und der sich daraus entwickelnden Regierungspolitik zu Beginn der Ausgangssperren entstanden war. Das Bündnis, dem rund 250 Organisationen angehören, zieht darin Bilanz der ersten drei Wochen Ausnahmezustand und unterstreicht angesichts der dekretierten Verlängerung, die Leitlinie der Politik müsse eben eine ganz andere sein, als jene, die die Regierung befolge, nämlich: „Brot statt Kugeln!“. Dabei wird nicht nur auf die Slum-Stadtviertel verwiesen, sondern insgesamt unterstrichen, dass 5,5 Millionen Menschen, die informell arbeiten, ohne Einkommen seien, was mindestens die dreifache Zahl an Menschen bedeute, die von Hunger bedroht seien. Weswegen ein Ernährungsprogramm insbesondere für die Kinder eine ganz zentrale Aufgabe jeglicher Politik sei, die positiv auf die Epidemie reagieren wolle. In der Erklärung wird zum Einen ein Vier Punkte Sofortprogramm gefordert, das sowohl die massive Ausweitung der „Schulspeisungen“ vorsieht, als auch die Schaffung von Sicherheiten für informell arbeitende Menschen – und es wird die Forderung erhoben, jetzt endlich zu reagieren, indem ein landesweites öffentliches Gesundheitssystem aufgebaut wird, das auf dem Einsatz von 10.000 freiwilligen Helfern und Helferinnen basieren müsse.

„21 DAYS OF SHAMEFULL, EMBARRASING AND LACK OF VISION DURING LOCKDOWN“ am 13. April 2020 beim Gewerkschaftsbund SAFTU externer Link ist eine Stellungnahme der regionalen Föderation von Kwazulu Natal über die – negativen – Erfahrungen mit 21 Tagen Ausgangssperre, die die arme Bevölkerung sowohl in den Slums, als auch und erst recht auf dem Land machen musste. Dagegen fordert der Verband die Verwirklichung eines Sieben-Punkte-Planes, der die Durchführung solch selbstverständlicher, bis dahin aber ausgebliebener Maßnahmen beinhaltet, wie die systematische Desinfektion sowohl von Transportmitteln, als auch von Einrichtungen wie Schulen und Behörden und anderer Orte mit nach wie vor bestehendem Publikumsverkehr.

„Tödliche Ausgangssperre“ von Christian Selz am 02. April 2020 in der jungen welt externer Link berichtete bereits aus den ersten Tagen des Ausnahmezustandes: „… Keine vier Tage später zählte Südafrika bereits drei Tote, die vorgeblich der Durchsetzung der Ausgangssperre zum Opfer gefallen waren. Die Täter stammten zwar nicht aus den Reihen des Militärs, sondern trugen die Uniformen der Polizei und in einem Fall eines privaten Sicherheitsdienstes. Dennoch ist die Sorge im Land groß, dass die Ausgangssperre zu weitgehenden Grundrechtsverletzungen führen kann. Von tödlichen Übergriffen durch Soldaten wurde bisher zwar nicht berichtet, in »sozialen Medien« kursieren jedoch etliche Videos, die zeigen, wie Armeeangehörige Zivilisten schlagen oder zu entwürdigenden Handlungen zwingen. Der Sprecher der Unabhängigen Ermittlungsstelle für Polizeivergehen (IPID), Sontaga Seisa, erklärte am Montag, nicht nur insgesamt 21 neue Beschwerden gegen Polizeiangehörige erhalten zu haben, sondern auch »eine signifikante Zahl an Meldungen außerhalb unseres Mandats«. Die IPID ist nicht befugt, gegen Militärs zu ermitteln. Doch selbst der Polizist, gegen den im Zusammenhang mit den tödlichen Schüssen auf einen 40jährigen Mann im Township Vosloorus bei Johannesburg am Sonntag ermittelt wird, bleibt zunächst auf freiem Fuß. Anders als der Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes, der die Tat gemeinsam mit ihm verübt haben soll, musste er am Dienstag nicht einmal persönlich vor Gericht erscheinen. Dabei sind die Vorwürfe drastisch. Nachdem Einsatzkräfte beim Versuch, eine Kneipenrunde aufzulösen, nach eigenen Angaben angegriffen worden seien, sollen die beiden Männer ihr flüchtendes Opfer bis auf dessen Grundstück verfolgt haben. Eine Schwester des Opfers schilderte gegenüber dem Nachrichtenportal Eyewitness News, wie die Großmutter versucht habe, den Schwerverletzten auf die Veranda des Hauses zu ziehen, wo einer der Angreifer dann nachgesetzt und aus Nahdistanz auf den am Boden liegenden Mann geschossen habe. Dabei seien auch vier Kinder zwischen fünf und elf Jahren durch Munitionssplitter verletzt worden. Dem Nachrichtenportal IOL berichteten Nachbarn des Opfers, dass der beschuldigte Polizist vor Ort bekannt sei und auch den Getöteten kannte...“

„South African Police Fatally Shoot Health Workers During Protest Over Working Conditions“ am 31. März 2020 bei I-Harare externer Link meldete – vor den meisten südafrikanischen Medien – den tödlichen Polizeieinsatz gegen einen Protest in einem Krankenhaus des Free State, wo Krankenschwestern ohne Schutzkleidung arbeiten sollten – und die Polizei mit Anti-Repressionseinheiten samt Tränengas und anderen Kriegswaffen aufmarschierte. Hinterher haben sich dann irgendwelche (selbst) entschuldigt… Nachdem eine Kollegin gestorben war und mehrere verletzt wurden…

„The Hammer and Good Hope“ von Jörn-Jan Leidecker am 03. April 2020 bei der Rosa Luxemburg Siftung externer Link sieht die Vorgehensweise der Regierung zwar ganz anders, als linke Gewerkschaften und soziale Bewegungen, hält aber zur Problemlage insgesamt fest: „… Insgesamt lassen sich drei Arenen unterscheiden, die unterschiedliche politische Antworten erfordern: a) die wohlhabenden urbanen Wirtschaftszentren und Vororte; b) die urbanen Townships in unmittelbarer Nähe und ökonomischer Abhängigkeit von den Zentren. Die urbanen Townships sind von einer dramatisch größeren Vulnerabilität betroffen. Und c) die ländlichen, zum Teil extrem peripheren, Gebiete, in den jedoch etwa 35 Millionen Südafrikaner*innen leben. Die Maßnahmen der südafrikanischen Regierung fokussieren auf die ersten beiden Gruppen, wohl auch aus der Einsicht, dass diese durch staatliche Maßnahmen am einfachsten erreichbar sind. Ein flächendeckender Ausbruch im ländlichen Raum ist durch Verlangsamung der Binnenmigration zwar nicht zu verhindern, aber zumindest zu verzögern. Auch wenn es makaber klingt: Letztlicht ist die ländliche Bevölkerung ohnehin auf sich gestellt. Denn, wo kein Gesundheitssystem existiert, kann es auch nicht zusammenbrechen. Die Hauptbetroffenen leben in den extrem verdichteten urbanen Townships in sehr sozial prekärer Lage. Die Townships dienen häufig als Projektionsfläche für Ängste vor Staatszerfall, für Kriminalität und von Unruhen. Die friedliche Regenbogennation Südafrika war immer eher Versprechen als Realität. Viele Prognosen, die jetzt einen Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung vorhersagen, sollten die erstaunliche Widerstandsfähigkeit der südafrikanischen Gesellschaft berücksichtigen, die trotz enormer Ungleichheit, Gewalt und Perspektivlosigkeit eine funktionierende Demokratie hervorgebracht hat. Es ist hervorzuheben, welch eine hohe Bindewirkung die nun festgelegten Regeln im Land erzielen. Die Altersstruktur Südafrikas ist sehr jung. Nur etwa acht Prozent der Bevölkerung sind über 60 Jahre alt, nur 2,5 Prozent über 70 Jahre. Die besonderen Risikogruppen sind die sozial vulnerablen Bevölkerungsteile in den urbanen Townships und Menschen mit Vorerkrankungen. Südafrika hat mit über sieben Millionen infizierten eine sehr hohe HIV-Inzidenz. Außerdem infizieren sich jedes Jahr etwa 400.000 Menschen mit Tuberkulose (TBC), einer schweren Lungenkrankheit. Nur etwa zweidrittel der HIV-Betroffenen hat überhaupt Zugang zu Antiretroviralen Medikamenten. Eine deutliche Mehrheit der Betroffenen ist schwarz und mit extremer Armut konfrontiert. Einen technischen Vorteil hat dies jedoch: Es stehen große Testkapazitäten zur Verfügung, die nun von TBC auf COVID19 umgewidmet werden können. Die Entscheidung, Militär und Polizei gemeinsam zur Durchsetzung der Ausgangssperre einzusetzen ist ein in diesem Umfang und in dieser Dauer eine einmalige in der Geschichte Südafrikas nach der Befreiung 1994. Man könnte von einem Tabubruch sprechen – und es wird in den kommenden Wochen wichtig sein zu beobachten ob hieraus ein autoritärer Impuls entsteigt. In den ersten 48 Stunden der Ausgangssperre erschoss die Polizei drei Menschen – genauso viele, wie bisher an Coronavirus in Südafrika gestorben waren…“

„De-densification is just a fancy word for eviction“ von Michael Clark am 17. April 2020 im Daily Maverick externer Link befasst sich mit der Vorgehensweise, die Bevölkerungsdichte in den Slums zu reduzieren, wie sie Regierung und Behörden offiziell vertreten. Was der Autor nur als schönfärbendes Wort für Zwangsräumungen sieht, wie sie gegenwärtig an zahlreichen Orten quer durchs Land stattfinden.

„Unfairest Cape? The hunt for affordable housing“ von Alistair MacKaye am 16. April 2020 bei Business Live externer Link berichtet über die Aktivitäten der Gruppen von Reclaim the City in Kapstadt, die mit mehreren Besetzungen – meist leer stehender öffentlicher Gebäude – den Kampf um eine alternative Reduzierung der Bevölkerungsdichte führen, die eben nicht Zwangsräumungen bedeutet – aber wiederum schnell von solcher bedroht wird.

„Shack dwellers win court victory against City of Cape Town“ von James Stent am 17. April 2020 bei Ground Up externer Link berichtet von einem Gerichtsurteil zugunsten von zwangsweise geräumten Menschen aus Kapstadter Slums, die in ihre Häuser zurück kehren dürfen – ein Urteil, das von vielen als „wegweisend“ bewertet wurde, weil es die ganze „Säuberungspolitik“ der verschiedenen politischen Verantwortlichen in Zentral- und Provinzregierung in Frage stellt.

„Covid-19: Lockdown life in crowded Lusikisi“ von Sibahle Siqathule am 18. April 2020 bei Ground Up externer Link ist eine Reportage über den Alltag in einem Armenbezirk unter den Bedingungen des Ausnahmezustandes. Dabei geht es vor allem um das alltägliche Problem des Transports für jene, die zur Arbeit müssen, sollen, wollen: Der im ganzen Land in der Regel zu einem zu mindestens beachtlichen Teil in Sammeltaxis stattfindet. Worin es dann mit dem „Problem“ des Abstandhaltens auch bereits weitgehend vorbei ist…

„Ein Kinderheim im Lockdown“ von Lutz van Dijk am 06. April 2020 in der taz online externer Link berichtete vom Alltag im Lockdown: „… Bislang gab es nach offiziellen Angaben „nur“ elf Tote aufgrund von Covid-19 in Südafrika. Doch ein Tod machte weltweit sofort Schlagzeilen: Am 31. März starb die bekannte Medizin-Professorin Gita Ramjee in einem Krankenhaus in Durban. Erst Mitte März war sie von einer Fachtagung zu „Prävention und Hygiene“ aus London zurückgekehrt. Obwohl selbst Expertin und umgehend in bester medizinischer Betreuung, starb sie innerhalb weniger Tage. Da sie sich seit Jahren für die Aids-Prävention und Frauen engagiert hatte, war ihr Name auch im Kinderhaus HOKISA im Township Masiphumelele bei Kapstadt vertraut, das durch meine Stiftung getragen wird. Dort leben seit 2002 Kinder und Jugendliche ohne Eltern oder sonstige ältere Familienmitglieder. Anders als Kindergärten und Schulen können wir in Zeiten der Ausgangssperre nicht schließen. Unser Arzt im Kinderhaus hat uns vor dem „Lockdown“ darauf aufmerksam gemacht, dass einige der Kinder besonders gefährdet seien aufgrund von Lungen-Vorerkrankungen. Es sei besser, sie aus den Townships zu evakuieren. Tatsächlich ist es gelungen, ein leerstehendes Haus in einem Nachbarort anzumieten und innerhalb von fünf Tagen zu renovieren, einzurichten und den Umzug von elf Kindern mit drei Erzieher*innen zu verwirklichen, die dort bis auf weiteres in Isolation leben. Vier Personen aus dem Kinderhaus-Team haben eine offizielle Genehmigung, weiter auf der Straße zu sein, um nun beide Häuser mit Nahrung und Medikamenten zu versorgen – so lange wie nötig. Die Jugendlichen verstehen den Ernst der Lage. Einige der Kleinen denken noch immer, es sei eine besondere Art von Ferien. Hoffentlich behalten sie dieses Gefühl noch eine Weile. Bald ist Ostern, das wie alle christlichen Feiertage auch im Township gefeiert wird. Letzte Woche gab es den ersten Toten im Township Khayelitsha. Dort leben mehr als 500.000 Menschen auf engstem Raum…“

„Schutz oder Strafe?“ von Christian Selz am 20. April 2020 in der jungen welt externer Link zum Vorgehen wegen Obdachlosigkeit: „… Vor die Tür gehen dürfen die etwa 58 Millionen Einwohner des Landes, wo bisher 3.034 mit dem Coronavirus Infizierte und 52 Todesfälle festgestellt wurden, nur noch zum Einkaufen und aus medizinischen Gründen. Besonders hart betroffen sind diejenigen, die keine Wohnung haben. Tausende Obdachlose sind in den vergangenen Wochen in Sportstadien, Schulen und anderen jetzt abgesperrten öffentlichen Räumen untergebracht worden. In der Hauptstadt Pretoria rebellierten die Internierten bereits am ersten Wochenende der Ausgangssperre Ende März. Mehr als 2.000 Obdachlose waren dort einem Bericht des Nachrichtenportals News24 zufolge von Einsatzkräften »von der Straße geholt« und anschließend auf ein Sportgelände verbracht worden. Eine deutlich zu geringe Zahl an Zelten, fehlende Decken und Matratzen, mangelnde Nahrung und fehlende Medikamente für Drogenabhängige ließen die Situation dort schnell eskalieren. Das Nachrichtenportal IOL schilderte dramatische Szenen von Menschen mit schweren Entzugserscheinungen, die von Krämpfen gezeichnet nach Medikamenten schrien. Mindestens 200 der Obdachlosen kletterten den Berichten zufolge schließlich über die Zäune und flüchteten. Zumindest in Pretoria wurden die Bedingungen seitdem verbessert. Die Obdachlosen wurden inzwischen auf mehrere kleinere temporäre Zeltunterkünfte in der Metropolregion Tshwane, zu der die Hauptstadt gehört, verteilt. Drogenkonsumenten sind nun getrennt untergebracht, bekommen Zugang zu gesundheitlicher Betreuung und werden mit der Ersatzdroge Methadon versorgt, wie Reuters am 17. April meldete. »Es ist nicht so, dass wir nicht geplant hätten, aber wir haben die Zahlen unterschätzt«, gestand der Sozialminister der Hauptstadtprovinz Gauteng, Panyaza Lesufi, inzwischen ein. Ausgegangen war die vom auch landesweit regierenden African National Congress (ANC) geführte Provinzadministration von etwa 15.000 Obdachlosen, inzwischen hat sich gezeigt, dass mehr als dreimal so viele Menschen ohne Wohnung sind. Die von der neoliberalen Oppositionspartei Democratic Alliance (DA) geführte Metropolverwaltung von Kapstadt bleibt dagegen bei ihrem harten Kurs. Obdachlose werden dort nach wie vor in einem einzigen Sammellager auf einem Sportplatz des am Stadtrand gelegenen Arbeiterviertels Strandfontein untergebracht...“

„South African government allows mining activity despite lockdown extension2 am 15. April 2020 bei Peoples Dispatch externer Link berichtet vom Beschluss der Regierung, den Bergbau im Land wieder zuzulassen – und dem massiven Protest dagegen…

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=170748
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