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Sudan

Ein Jahr nach dem Beginn der Proteste gegen die Diktatur im Sudan: Erwartungen der Demokratiebewegung bleiben und werden eingefordert

Zur Ikone der Bewegung im Sudan geworden: Der Zug aus Atbara bringt Demostranten nach Khartum„… Gleich gegenüber von Omdurman, auf der anderen Seite des Nils, liegt die Hauptstadt Khartum. Die Männer, von denen man sich dort erzählt, sie seien das Rückgrat der Revolution, sitzen in einem Wohnzimmer mit Blumenleuchtern an den Wänden und löffeln mit den Händen Fatteh aus grossen bunten Plastikschalen. «Die Widerstandskomitees sind der Grund, warum das Regime die Revolution nicht von der Strasse schiessen konnte wie 2013», sagt Mohammed Jahia. Er trägt eine Collegejacke über knittrigem weissem Hemd und eine dünne schwarze Krawatte. Er ist so etwas wie der Wortführer des Komitees im Viertel Burri in der Hauptstadt, dem ersten Widerstandskomitee im ganzen Land. «Die Regierung war nicht mehr in der Lage, für die Grundbedürfnisse der Menschen aufzukommen: Wasser, Strom, Nahrungsmittel, Sicherheit. Da haben wir es selbst in die Hand genommen.» Die Komitees schafften es, Hunderttausende zu mobilisieren. «Wir haben diese Regierung an die Macht gebracht, uns ist sie Rechenschaft schuldig.» Die Leute seien hungrig nach Veränderung, viel Zeit bleibe der Regierung nicht, um zu liefern. Ein bisschen wirken die Männer vom Widerstandskomitee wie Wächter der Revolution. Sie wachen über Mohammed Ibrahims Erbe. (…) «Es hat sich nichts verändert für uns im Sudan», sagt er. «Das ist nicht die Regierung, für die Mohammed gestorben ist.» Seit September ist die neue Regierung um Ministerpräsident Abdalla Hamdok im Amt. Noch ist sie vor allem damit befasst, die Zerstörungen aufzuarbeiten, die dreissig Jahre islamisch-fundamentalistische Diktatur hinterlassen haben. Ende November wurde das Public Order Law gekippt, das die Moral der Menschen kontrollieren sollte und Frauen vorschrieb, wie sie sich zu kleiden hatten und mit wem sie auf die Strasse gehen durften. Am selben Tag wurde Baschirs National Congress Party verboten. Zuvor schon wurde eine Frauenquote von vierzig Prozent im künftigen Parlament festgelegt und ein Komitee zur Aufklärung des Massakers vom 3. Juni einberufen...“ aus dem Bericht „Wofür starb Mohammed Ibrahim?“ von Iman Osama und Bartholomäus von Laffert am 19. Dezember 2019 in der WoZ externer Link (Ausgabe 51/2019) zum Jahrestag des Beginns des Aufstandes gegen das Baschir-Regime. Siehe dazu einen weiteren aktuellen Beitrag zur Großdemonstration in der Hauptstadt aus Anlass des Jahrestages und ein Hintergrundgespräch vom November 2019:

  • „Thousands march in Sudan demanding fulfilling of revolution’s goals“ am 26. Dezember 2019 bei Peoples Dispatch externer Link berichtet von einer Großdemonstration in der Hauptstadt aus Anlass des Jahrestages, bei der mit Nachdruck die Erfüllung einer ganzen Reihe von Zusagen gefordert wurde – nicht zuletzt die Beendigung der bewaffneten Kämpfe in einigen Regionen des Landes, wofür die bisher unternommenen Schritte und Verabredungen berichtet werden, die die Hoffnung nähren, die Bürgerkriege würden tatsächlich beendet werden können – zumal bei allen entsprechenden Schritten massive Delegationen der Betroffenen teilnehmen sollen.
  • „»Es hat sich nichts verändert«“ am 06. November in der jungen welt externer Link war ein Gespräch von Ina Sembdner mit Shadia Abdelmoneim (KP Sudan im Berliner Exil), worin diese, tendenziell etwas anders, als im Titel nahe gelegt, unter anderem über die Ergebnisse der Oktober-Demonstrationen ausführt: „… Diejenigen, die unzufrieden sind mit der Verfassungserklärung und dem fehlenden Fortschritt, denken, dass es so viele Dinge gibt, die getan werden sollten. Vor allem geht es um die Schaffung eines neuen Rechtssystems, das den Sudanesen tatsächlich Gerechtigkeit bringen kann. 90 Prozent der Angestellten des Justizwesens sind aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Regierungspartei von Omar Al-Baschir berufen worden. Wie kann man unter diesen Umständen Gerechtigkeit herstellen? Bis zu dieser Demonstration hatte sich nichts verändert, und wir wollten die Regierung damit zwingen, ihren Job zu machen. Danach haben sie ein sogenannten Rechenschaftsausschuss eingesetzt. Das ist ein Resultat der Demonstration – Druck kann also etwas bewirken, und wir werden diesen weiter aufrechterhalten. Wenn wir die Übergangsregierung nicht unterstützen würden, käme das Militär an die Macht und würde erneut ein Regime unter seiner Führung installieren. Oder das Land würde komplett im Krieg versinken. Wir denken nicht, dass die Regierung grundsätzlich schlecht ist, aber es fehlt ihr an Erfahrung mit Demokratie. Die Menschen sind 30 Jahre lang in einem diktatorischen Regime aufgewachsen. Wir als Partei haben die ganze Zeit über verschiedene Sachen debattiert und können eine Basis für die Regierung sein, die nichts Festes in der Hand und keine Strategie für die Zukunft hat. Ich denke, dass das funktionieren kann. Wir wissen natürlich, dass es internationale Einmischung gibt – aus Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Katar, der Türkei und anderen Ländern. Sie alle verfolgen ihre eigenen Interessen im Sudan und üben Druck auf die Regierung aus…“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=160088
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