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Der „Tsunami der Demokratie“ rockt Barcelona: Die spanische Regierung bleibt auf Konfrontationskurs, die „Gewerkschaften des Königs“ machen Front gegen die demokratische Bewegung

Barcelona am 20.9.2017: Massendemo gegen NotstandIn Spanien darf man: Sagen, dass die Franco-Diktatur in Ordnung war (auch im Parlament). Offene Briefe schreiben, mit denen sein Denkmal verteidigt wird (auch, wenn man Offizier ist). In Spanien darf man nicht: Zunehmend mehr, vor allem aber nicht sagen, dass man die Lostrennung Kataloniens von der spanischen Monarchie haben will. So kam das Willkür-Urteil der spanischen Justiz zustande, das es jetzt geschafft hat, nicht nur die katalanische Separatistenbewegung neu zu befeuern, sondern darüber hinaus eine ganze Reihe – Zehntausende – von Menschen, die dies gar nicht vertreten, wohl aber für das demokratische Recht auf eine entsprechende Meinung eintreten. Die Regierung weigert sich, in neue Gespräche mit der Regionalregierung einzutreten – erst müsse die sich für die „Ausschreitungen“, die bei den Protesten passiert seien, entschuldigen. Dass sich die spanische Regierung für die Ausschreitungen der Polizei entschuldigen solle – insgesamt vier Menschen verloren in der letzten Woche jeweils ein Auge – war bisher kein Thema. Und während die Basis- und Alternativen Gewerkschaften sich an der demokratischen Massenbewegung beteiligen, weigern sich die beiden größeren Verbände mit mehr als seltsamen Argumentationen. Siehe dazu eine kleine Materialsammlung mit Berichten über die Mobilisierung, über Polizei-Brutalität und sehr unterschiedliche gewerkschaftlichen Reaktionen, sowie den Hinweis auf unseren ersten Beitrag zu den neuerlichen Massenprotesten nach dem Urteil:

„Katalonien revoltiert!“ von Lola Villanova am 18. Oktober 2019 beim re:volt magazine externer Link hebt unter anderem hervor: „… Das Referendum bildete eine der zentralen Herausforderungen für den Status quo des spanischen Königreiches seit der sogenannten Transition, die Übergangsphase vom Faschismus unter Franco zu einer vermeintlichen Demokratisierung nach 1975, die es versäumt hat, sich mit der Aufarbeitung des Franquismus auseinanderzusetzen. Die katalanische Bewegung stellte im Oktober 2017 nicht nur die Einheit des Staates in Frage, sondern die Figur des Königs, die Gewaltenteilung und die Legitimität einer liberalen Demokratie im Europa des Kapitals, die unfähig ist eine friedliche Antwort auf einen seit Jahren bestehenden politischen Konflikt zu finden. In Teilen der linken und linksradikalen Szene wurde die Frage der katalanischen Unabhängigkeitsbestrebungen kontrovers diskutiert. Während einige den basisdemokratischen, emanzipatorischen und antifaschistischen Charakter der Bewegung hervorheben, sehen andere das Ziel der Konstruktion eines neuen Nationalstaates und die sozialdemokratische und reformistische Akteur*innen, die die Bewegung umfasst, als problematisch an. Doch über die Unabhängigkeitsfrage hinaus stellt dieses Urteil ein Präzedenzfall für die Verfolgung und Kriminalisierung jeglicher sozialer Proteste in Spanien dar. Nach der Urteilsbegründung sind auch gewaltfreier Widerstand und friedliche Aktionen des zivilen Ungehorsams, welche im Rahmen des Unabhängigkeitsvotums 2017 eine zentrale Rolle spielten, an sich geeignet und ausreichend, um den Strafbestand des Aufstandes, eine in Spanien als „Verbrechen“ definierte Tat, die gewaltsames Verhalten voraussetzt zu erfüllen. Beweise für die dem „Straftat Aufstand“ zugrundeliegende Gewalt sind im Urteil nicht zu finden. Diese unsäglichen Urteile brachten Hunderttausende Menschen auf der Straße und auf die zentralen Plätze. Und die staatliche Gewalt gegen sie war erbarmungslos…“

„Katalonien im Generalstreik“ von Ralf Streck am 18. Oktober 2019 bei telepolis externer Link berichtet unter anderem: „… Sie zeigt, dass die Empörung über die drakonischen Urteile weite Kreise über die Unabhängigkeitsbewegung hinaus erfasst hat, dass es jetzt Aufruhr sein soll, Wahlurnen aufzustellen. „Andere Generalstreiks haben nicht dieses Niveau erreicht“, erklärt auch die Anarchistin Roser Pineda aus der Marschsäule, die in Vic gestartet ist. Auch für sie markieren, wie das Referendum zuvor, die Urteile und die Reaktion einen Wendepunkt, der die Bewegung auf eine neue Stufe hebe. Die Märsche blockierten viele Straßen, doch wegen des Generalstreiks wurden auch etliche Flüge gestrichen. Züge und die Metro fahren nur noch sehr eingeschränkt. Streikposten und die Komitees zur Verteidigung der Republik blockieren zudem mit Barrikaden Straßen und Schienen im ganzen Land. Tausende Menschen haben auch das Wahrzeichen Barcelonas, die Sagrada Familia, eingekreist und geschlossen. Große Fabriken wie die Volkswagen-Tochter Seat in Martorell haben genauso die Werkstore geschlossen, wie die große Supermarktkette Bonpreu. Natürlich wird auch der Hafen bestreikt, weil sich die Gewerkschaft der Hafenarbeiter dem Aufruf der kleinen Gewerkschaften angeschlossen hat, die der Unabhängigkeitsbewegung nahe stehen. Aus dem Hafen ziehen die Arbeiter genauso demonstrierend in die Innenstadt, wie Arbeiter und Arbeiterinnen aus Industriegebieten. Gewaltbilder, wie man sie die letzten Tage aus Barcelona gesehen hat, gab es nicht…

„Movilizaciones multitudinarias durante la jornada de huelga general en Catalunya“ am 18. Oktober 2019 bei kaosenlared externer Link ist eine kleine Sammlung von Videoberichten über den Tag des Generalstreiks in Katalonien, aus denen vor allem die unglaublich große Mobilisierung deutlich wird.

„Cuatro personas han perdido un ojo esta semana en Catalunya por disparos policiales“ am 20. Oktober 2019 ebenfalls bei kaosenlared externer Link ist einer der vielen Berichte über Polizeibrutalität gegen die Proteste – insgesamt vier Menschen wurde jeweils ein Auge ausgeschossen – die eigentlich von der Regionalregierung untersagten Gummigeschosse…

„CGT Catalunya: «Paremos la represión, construyamos la libertad»“ am 18. Oktober 2019 bei kaosenlared externer Link dokumentiert, ist die Stellungnahme und der Aufruf des anarchosyndikalistischen Verbandes – dessen Anliegen die Trennung Kataloniens nicht ist – worin das Urteil des Obersten Gerichtshofes als Bedrohung jeder oppositionellen Aktivität bewertet wird und zum Kampf gegen das Regime von 1978 aufgerufen (als mit dem „Pakt von Moncloa“ der heutige spanische Staat organisiert wurde, die vereinbarte Transition zwischen bürgerlich-demokratischen und bürgerlich-faschistischen Kräften), der auch ein Kampf gegen die Regierungen in Madrid und Barcelona sein müsse.

„CNT Barcelona ante los últimos acontecimientos represivos“ am 19. Oktober 2019 bei der CNT externer Link ist die Stellungnahme des zweiten anarchosyndikalistischen Verbandes, naheliegenderweise ebenfalls keine Organisation, die in einem eigenen katalonischen Staat eine Perspektive sieht, worin ebenfalls die Repression des Regimes scharf verurteilt wird und in Zusammenhang mit dem Urteil und früheren reaktionären Maßnahmen – wie  beispielsweise dem sogenannten Maulkorb-Gesetz – gestellt wird.

„Madrid hält Separatisten auf Distanz“ am 19. Oktober 2019 bei der Deutschen Welle externer Link über die Haltung der Madrider Zentralregierung unter anderem: „… Spaniens Regierung lehnt Gespräche mit den seit Tagen protestierenden katalanischen Separatisten ab. Erst müsse Regionalpräsident Torra die gewaltsamen Proteste in Barcelona verurteilen, hieß es aus Madrid. Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez betonte, genau diese Verurteilung von Gewalt habe es bislang durch die katalonische Regionalregierung aber nicht gegeben. Er warte immer noch auf eine entsprechende Erklärung des Regionalpräsidenten Quim Torra. Vorher werde man keine Gespräche führen. Torra hatte die Zentralregierung in Madrid nach tagelangen Unruhen mit zahlreichen Verletzten zu Verhandlungen aufgefordert. Seine Bewegung dränge die Regierung in Madrid dazu, sich mit ihr zu Gesprächen an einen Tisch zu setzen, um eine Lösung zu finden, sagte der Regionalpräsident. Er betonte, die jüngsten Unruhen spiegelten nicht den insgesamt friedlichen Charakter seiner Unabhängigkeitsbewegung wider und sie seien deshalb auch nicht repräsentativ…“

„Indignación sindical: es un ‘paro patronal’, no una huelga“ von Cristina Farres am 18. Oktober 2019 bei Cronica Global externer Link ist ein Beitrag über die Positionierung der beiden Verbände CCOO und UGT, die betonen, ihrer Ansicht nach sei das kein Streik, was an diesem Tag stattfinde, sondern bestenfalls Werksschließungen. Die Argumentation dafür ist allerdings mehr als fragwürdig: Es gebe ja keine sozialen Forderungen (womit prinzipiell auch gegen die Möglichkeit eines politischen Streiks Stellung genommen wird) und streiken würden höchstens die Studierenden (die man bei anderen, ähnlichen Aktionen sonst stets zu unterstützen vorgibt). Staatstragend scheint Vorrang zu haben, aber wenn „ihr“ spanischer Staat dann wieder einmal Streikposten vor Gericht zerrt, sollen andere mit ihnen das sein, was sie nicht sind: Solidarisch…

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=156114
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