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Schwedische Rechtspartei bei der Wahl drittstärkste Kraft. Ihr Programm gewinnt die Mehrheit

Schweden: Brennende VorstädteDer SD-Parteivorsitzende Jimmie Åkesson sprach in seiner Wahlkampfrede in Almedalen nicht über Migration, nicht über Asylpolitik und Grenzen, er forderte nicht, Seenotrettung im Mittelmeer lieber sein zu lassen. Åkesson sprach stattdessen über Fußball, über Nationalismus als eine positive, aufbauende Kraft und darüber, dass die Sozialdemokraten das „Volksheim“ zerstört hätten. Gleichzeitig widmeten sich alle anderen Parteien den Themen Migration und innerer Sicherheit sowie der Frage, wie mit den Schwedendemokraten nach ihrem zu erwartenden starken Wahlergebnis künftig umzugehen sei. Der diskursive Dammbruch, der diese Verschiebungen möglich gemacht hat, ist schon länger vollzogen: Scheinbar sollten die Sorgen der Menschen vor den Folgen von Migration ernst genommen werden – tatsächlich aber wurde eine rechte Partei zum Stichwortgeber der Migrationspolitik, und ihre zentralen Forderungen wurden nicht nur gesellschaftlich salonfähig, sondern auch politisch umgesetzt.  (…) Entsprechend wurde es Schwedens rot-grüner Regierung auch nicht gedankt, dass sie die Grenzen bereits im Dezember 2015 schloss und bis heute nur den absoluten europäischen Mindeststandard in Asylverfahren einhält (Grenzkontrollen, nur temporäre Aufenthaltstitel auch für anerkannte Geflüchtete, Familiennachzug nur bei Möglichkeit zur Selbstversorgung). Dass minderjährige Unbegleitete von dieser Regierung zu medizinischen Altersbestimmungen gezwungen und dann nach Afghanistan abgeschoben werden, lenkt die früher sozialdemokratische Arbeiter*innenklasse auch nicht weg von den Schwedendemokraten. Auch dank solcher Maßnahmen müssen die Rechtspopulisten gar nicht mehr über Asylpolitik sprechen – sie sprechen von innerer Sicherheit, Renten, nationaler Identität und Loyalität und vor allem davon, dass alle anderen Parteien erstens die SD kopieren (was durchaus stimmt) und zweitens das Land in den Untergang treiben…“ aus dem Artikel „Der Dammbruch“ von Cornelia Hess am 07. September 2018 in der taz online externer Link, aus dem sehr deutlich wird, dass die Berichterstattung der „Leitmedien“ in der BRD (Sorgen um Regierungsbildung, Erleichterung darüber, dass die SD nicht gar stärkste Partei geworden sind) eindeutig am wirklichen Wahlergebnis vorbei gehen, das einen Sieg des rechten Parteiprogramms zementiert. Siehe dazu auch eine Meldung zum Wahlergebnis und zwei Hintergrundbeträge zur Entwicklung in Schweden:

  • „Sozialdemokraten siegen, Zugewinne für Rechtspopulisten“ am 10. September 2018 im Deutschlandfunk externer Link vermeldet: „In Schweden haben die mitregierenden Sozialdemokraten die Parlamentswahl gewonnen.  Sie kommen nach Auszählung fast aller Wahlbezirke auf mehr als 28 Prozent der Stimmen. Das sind fast drei Prozent weniger als bei der letzten Wahl vor vier Jahren. Die als konservativ geltende Moderate Partei wurde mit knapp 20 Prozent zweitstärkste Kraft; auch sie verlor leicht. Drittstärkste Partei sind mit mehr als 17 Prozent die rechtspopulistischen Schwedendemokraten, die um fast 5 Prozent zulegten…
  • „Traum vom Volksheim“ von Claus Hecking am 09. September 2018 bei Spiegel Online externer Link über die inhaltliche Positionierung der politischen Parteien und der bisherigen sozialdemokratischen Regierung  – und ihre Versuche, das Programm der Schwedendemokraten zu adaptieren: „Und wie es sich für Vertreter des „modernen Volksheims“ gehört, prangert sie den Abbau von Sozialleistungen unter den Mitte-Rechts- und Mitte-Links-Regierungen der vergangenen Jahre an. „Wohin willst Du das Geld investieren – in die Wohlfahrt oder in die Einwanderung?“, fragte Åkesson Premier Löfven im Parlament. Dem Regierungschef drohen Verluste. 31 Prozent holte seine Partei 2014, diesmal werden ihr um die 25 Prozent vorhergesagt. Die Sozialdemokraten sind in den vergangenen Jahren gesellschaftspolitisch nach rechts gerückt. Sie haben die Flüchtlingspolitik drastisch verschärft und nach einer Serie von Morden und Gewalttaten eine härtere Gangart gegen Bandenkriminalität ausgelobt. Nun hoffen sie darauf, wieder stärkste Fraktion im Parlament zu werden – und dann womöglich in einer Minderheitsregierung weiter zu regieren…
  • „Ausgegrenzt und bewaffnet“ von Volodya Vagner am 06. September 2018 in der taz online externer Link mit Schlaglichtern zur sozialen Entwicklung in Malmö – und den Folgen: „Auch wenn sich die Gewalt in Malmö insofern durch den Zugang zu Schusswaffen verstehen und möglicherweise auch eindämmen lässt, greift dies laut Schclarek Mulinari nicht weit genug. „Wir erleben eine Konzentration von Waffengewalt in den ärmsten Gebieten. Diese Polarisierung der Gewalt spiegelt eine wachsende Polarisierung der Klassenverhältnisse in der Gesellschaft“. Seit dem Niedergang der Schwerindustrie Ende der 1980er setzt Malmö alles daran eine „Stadt des Wissens“ zu werden: Die Stadt bekam eine eigene Uni, in den ehemaligen Werftbezirken am Wasser entstanden teure Eigentumswohnungen. In Arbeitergegenden wie Holma, der Heimatbezirk von Ali Ajouz, zeigen sich die Schattenseite dieser Wandlung: Die Jugendarbeitslosigkeit, die in Malmö mit etwa 11 Prozent ohnehin über dem Landesdurchschnitt liegt, ist in Holma besonders ausgeprägt, der Wohnungsmangel auch. Für Jungs wie Ajouz, der wie die meisten seiner Freunde noch bei den Eltern wohnt, ist die Zukunftsstadt mit Seeblick weit weg. „Man ist hier wie eingeschlossen“, sagt er. „Ein Freund von mir sucht seit Monaten erfolglos Arbeit. Und dann kriegt er ein Angebot auf der Straße: Verdien dir während der Jobsuche doch mit Dealen was dazu. So fängt es an, und dann bleibt man darin hängen. Ich kenne keinen, der damit glücklich ist. Klar will man ein anderes Leben, einen richtigen Job, und Lohn am Monatsende. Aber was tun, wenn man schon heute Geld braucht?“ (…) Solche Geschichten erlebt die Malmöer Sozialarbeiterin Sigrun Sigurdsson immer wieder. Inzwischen seien bereits acht Jugendliche, die sie betreut habe, durch Straßengewalt ums Leben gekommen, erzählt sie, eine sonst heitere Frau mittleren Alters, mit bitterem Blick. „Alle diese Jungs sind in Malmö aufgewachsen, und ich weiß, dass man mit den richtigen Maßnahmen jeden einzelnen hätte retten können.“ Die Stiftung, für die Sigurdsson arbeitet, heißt Fryshuset und bietet eine breite Palette an sozialen Projekten in Malmö an, von Hilfe für allein stehende Mütter bis hin zu Aussteiger Programmen für Kriminelle…“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=137220
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