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Gleicher Lohn für gleiche Arbeit in Schweden? War mal. Vorbild für tarifvertraglose EU?

Auch in Schweden immer aktuell: Clara Zetkin für Gleicher Lohn für Gleiche ArbeitDie EU-Kommission („Wächterin des Gemeinschaftsrechtes“) billigt den eindeutigen Bruch des EU-Arbeitsrechtes („Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“,Art. 113) durch Schweden. Mit dem Beitritt zur EU wurde im schwedischen Arbeitsrecht die Lohndiskriminierung mit Billigung der EU-Kommission als Vorbild für die EU eingeführt und das Tariflohnsystem abgeschafft.  Zunächst im gesamten Öffentlichen Dienst wurde das bislang geltende „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ abgeschafft, wovon besonders die Frauen betroffen sind“ – so beginnt der Beitrag „Das neue schwedische Modell für das EU-Arbeitsrecht“ von RH vom 18. Juli 2015 in dem auch ausführlich die Haltung der Gewerkschaften zur faktischen Abschaffung des Tarifvertragswesens kritisiert wird – wie auch die anarchosyndikalistische Herangehensweise…

Das neue schwedische Modell für das EU-Arbeitsrecht

Die solidarische Lohnpolitik und das Tariflohnsystem wurden in Schweden schon vor  ca 20 Jahren verabschiedet. Tiefgreifend sind die Folgen für das Arbeitsrecht.
Dies geschah mit dem Beginn der umfassenden Deregulierung und Privatisierung öffentlicher Einrichtungen wie der Staatsbahnen, der Gesundheitspflege, des Schulwesens und vieler bisher staatlicher Betriebe, Für die Altersfürsorge wurde eine private Rentenversicherung ähnlich der „Riester-Rente“ eingeführt. Auch die Lohnpolitik wurde privatisiert und Tarifverträgen entzogen. Begonnen wurde auf Initiative der Regierung mit dem gesamten Öffentlichen Sektor einschließlich der Beamtenschaft.

Heute sind Tariflöhne vom Arbeitsmarkt fast entfernt. Im offiziellen schwedischen Staatskalender heißt es: „Individuelle Löhne: Bereits 1990 wurde das alte Lohngruppensystem aufgehoben. … Stattdessen werden individuelle und unterschiedliche Löhne in Kronenbeträgen gezahlt…“(Übersetzung aus: Sveriges Statskalender 2010. s.28).

Nach einigen höchstrichterlichen Urteilen gilt dieses Prinzip für den gesamten Arbeitsmarkt. „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ wird zwar nach Art. 113 des EG-Grundvertrages gefordert, diese Gleichmacherei des 19.Jahrhunderts wird  jedoch von den Befürwortern des reformierten Arbeitsrechts als veraltet angesehen. Statt durch Tarifverhandlungen werden die Löhne und Gehälter von den Vorgesetzten individuell festgelegt. Die Gewerkschaften begnügen sich damit, an ihre einzelnen Mitglieder Ratschläge für die individuellen Verhandlungen zu verteilen.
Diese Liberalisierung des Arbeitsrechtes fördert sowohl die Gefolgschaftstreue der Beschäftigten   als auch die Rivalität unter ihnen. In der staatlichen und kommunalen Bürokratie werden Verwaltungsabläufe ohne Neigungen der Untergeordneten zu Widersprüchen reibungsloser. In der Wissenschaft herrscht die erwünschte Meinung auch über die Professorengehälter – im Gerichtswesen über die Richtergehälter.
Die EU-Kommission duldet diesen Widerspruch zum EU-Arbeitsrecht, vermutlich weil ihr ein Vorreiter für künftiges, liberales Arbeitsrecht der EU als Neues Schwedisches Modell willkommen ist. Die Einführung dieser umfassenden Lohndiskriminierung wurde hinter verschlossenen Türen von der sozialdemokratischen Regierung und den Vorsitzenden der Einzelgewerkschaften beschlossen. Weder   öffentliche noch   verbandsinterne Diskussionen gingen der Liberalisierung des Arbeitsrechtes voraus. Bis heute ist diese Lohnpolitik unter einer Glocke des Totschweigens. Anfragen nach Begründungen an die Verantwortlichen warum Art.113 („Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“) der EU in Schweden nicht gelten soll, bleiben unbeantwortet. Deshalb ist man auf   Vermutungen angewiesen. Die sozialdemokratischen Minister haben sich vorauseilend der Liberalisierungspolitik der EU auch im Arbeitsrecht angepasst. Die Linkspartei (ehem. Kommunisten) folgen traditionell der sozialdemokratischen Regierung. Die Führung der Einzelgewerkschaften besteht ausnahmslos aus Einkommensmillionären, denen wegen mangelnder Verbandsdemokratie autoritäre Maßnahmen wie in diesem Fall erlaubt werden.

Während dieser Nomenklatura offenbar die Übernahme der Liberalisierungs-Ideologie auch im Arbeitsrecht als Motiv dient, gibt es eine kleine anarcho-syndikalistische Gruppe außerhalb der traditionellen Arbeiterbewegung, die aus völlig anderen Gründen der Lohndiskriminierung zustimmt.
Anarcho-Syndikalisten sind in der deutschen Arbeiterbewegung weitgehend unbekannt. Wolfgang Abendroth („Sozialgeschichte der europäischen Arbeiterbewegung“,S.53, schrieb u.a.:“Sie repräsentierten die Gruppen, die den Übergang von der Halblegalität unter dem Sozialistengesetz zum offenen, legalen Kampf und zur Sammlung großer Teile der Arbeiterschaft nicht verstanden und mitgemacht hatten, und wurde die Keimzelle des in Deutschland nahezu einflußlosen Anarcho-Syndikalismus.“ Das gilt auch heute noch. Übrigens schrieb W.I.Lenin sein Buch „Der linke Radikalismus, die Kinderkrankheit des Kommunismus“ u.a. gegen den Anarcho-Syndikalismus.

In Schweden gibt es eine kleine autonome Gruppe außerhalb der Parteien und Gewerkschaften, die sich „Sveriges Arbetares Centralorganisation SAC“ bezeichnet und sich um die Wochenzeitung ARBETAREN gruppiert. Kürzlich machte Labournet durch Wiedergabe eines Artikels aus DIREKTE AKTION („Auf ins nächste Jahrhundert“, Juni 2012) auf diese Vereinigung aufmerksam.

Diese Autonomen – und andere linken Sekten – nehmen sich lokaler Konflikte an durch kleine Demos vor den betreffenden Arbeitsplätzen oder durch Hausbesetzungen. Lohndiskriminierung und „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ sind kein Thema ihrer Aktionen. Wiederholte Anfragen und Berichte an ihre Organisation und Zeitung bleiben ohne Antwort oder Kommentar. Offenbar ist das Kennen der Gründe für die Unterstützung der Lohndiskriminierung ungeeignet  für die Mitglieder und die Öffentlichkeit. Nach Gesprächen mit führenden Mitgliedern läßt sich erkennen, daß allgemeine Tarifverträge und das garantierte Gleichlohnprinzip stören; Lohnwillkür und Lohndiskriminierung hingegen vermehren die lokalen Konflikte, bei denen die autonomen Anarcho-Syndikalisten sich nützlich und bekannt machen können.

(Zum Internationalen Frauentag am 8.3. gab es ein Plakat der Kommunal-Gewerkschaft: „Willst Du Gehaltserhöhung? Ändere Dein Geschlecht!“)

R.H. 18. Juli 2015

Siehe dazu auch: Leserbrief zum Artikel “Gleicher Lohn für gleiche Arbeit in Schweden? War mal. Vorbild für tarifvertraglose EU?” am 24. Juli 2015 von EA, worin die hier getroffenen Aussagen über die SAC massiv kritisiert werden

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=83616
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