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Schwedens Gewerkschaftslinke auf der Suche nach strategischen Alternativen zum Streik

Die Autorengruppe des Artikels über Gewerkschaften in Schweden bei einer Protestaktion gegen die Einschränkung des StreikrechtsWährend in der schwedischen Gewerkschaftsarbeit eine sozialparterschaftliche Konsensorientierung weit verbreitet ist, träumen linke Gewekschafter*innen ­häufig auf unrealistische und romantisierende Weise ­- von Massenstreiks. Dagegen argumentieren Rasmus Hästbacka und Kristian Falk von der syndikalistischen Basisgewerkschaft SAC (Sveriges Arbetares Centralorganisation externer Link, Zentralorganisation der schwedischen Arbeiter*innen), dass auch lokale Strategien und innerbetriebliche Kämpfe Organisierungen stärken und Druck aufbauen können. Siehe ihren (engl.) Artikel „Let’s find alternatives to striking“ vom 08. November 2021 im Blog organizing.work externer Link – siehe die teilweise (Maschinen)Übersetzung hieraus:

  • Was ist eine Gewerkschaftsbewegung? Es ist vernünftig zu sagen, dass sie aus Kollegen in Bewegung besteht, Kollegen, die zusammenhalten und gemeinsam handeln. Dies ist zu unterscheiden von der Gewerkschaftsbürokratie, d.h. von Vertretern, die über der Basis stehen, und von bezahlten Gewerkschaftsfunktionären außerhalb des Kollektivs der Arbeitnehmer. Auf dem schwedischen Arbeitsmarkt gibt es kleine, verstreute Inseln einer Gewerkschaftsbewegung, die im Schatten der großen Gewerkschaftsbürokratien stehen. Zu diesen Inseln gehören die syndikalistische SAC, die schwedische Hafenarbeitergewerkschaft und einige lokale Arbeitszweige innerhalb der zentralen Bürokratien LO (Landsorganisationen i Sverige alias Nationale Organisation in Schweden), TCO (Tjänstemännens Centralorganisation oder Bund der Berufsangehörigen) und Saco (Sveriges Akademikers Centralorganisation oder Schwedischer Bund der Berufsverbände).
    Eine Wiedergeburt der schwedischen Gewerkschaftsbewegung wird durch den „Konsensfundamentalismus“ behindert, d. h. die einseitige Ausrichtung der Gewerkschaftsspitzen auf einen Konsens (samförstånd) mit den Arbeitgebern durch Tarifverträge. Doch seit Jahrzehnten suchen die Arbeitgeber diesen Konsens zu einem immer höheren Preis für die Arbeitnehmer. Jetzt wächst in Schweden ein Arbeitsmarktslum mit ähnlichen Bedingungen wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts: gefährliche Arbeitsbedingungen, sehr niedrige Löhne und einfach kriminelle Arbeitgeber.
    Als Syndikalisten lehnen wir rechtsverbindliche Tarifverträge nicht ab. In der Tat testen wir in der SAC derzeit eine neue Tarifvertragsstrategie. Aber wir betonen immer, dass es der kollektive Kampf ist, der den Tarifverträgen ihren Wert verleiht.
    Während die Spitzenfunktionäre von LO, TCO und Saco unter einem Konsensfundamentalismus leiden, leidet die Opposition an der Basis oft unter einer Streikfixierung. In der schwedischen Arbeiterbewegung wird häufig zu großen Streiks oder sogar zu einem Generalstreik aufgerufen. Die Streiks wurden als Reaktion auf den aktuellen Angriff auf das schwedische Beschäftigungsschutzgesetz, die niedrigen Löhne und die Angriffe auf das Streikrecht ausgerufen. Im Jahr 2019 wurde versucht, einen symbolischen Streik durchzuführen, um auf die Klimakrise hinzuweisen. Soweit uns bekannt ist, wurde kein Arbeitsplatz geschlossen.
    Zugegebenermaßen haben auch wir SAC-Mitglieder uns manchmal in der Streikfixierung verirrt und versucht, Streiks zu überstürzen. Ein Beispiel dafür ist ein Streik zur Verteidigung der Arbeitslosenversicherungskassen im Jahr 2006, die von der schwedischen Regierung angegriffen wurden. Er endete mit einer schmerzhaften Niederlage.
    Die Streikhäufigkeit in Schweden ist seit Anfang der 1990er Jahre tatsächlich sehr gering, und der Aufruf zu Streiks ist oft von einer gewissen Fantasie geprägt. Die Organisatoren dieser Möchtegern-Streiks romantisieren Bilder von französischen Streiks oder von Streiks in Schweden vor dem Zweiten Weltkrieg. Aber eine hohe Streikfrequenz sollte nicht fetischisiert werden, und sie hat keinen Wert an sich, wenn sie keine Ergebnisse erzielt. Es ist ein unglücklicher Mythos, dass der Streik immer die beste Waffe der Arbeitnehmer ist.
    Eine wichtige, aber wenig bekannte Tatsache ist, dass die syndikalistische SAC eine Tradition der Skepsis gegenüber Streiks hat. Dies wurde bereits im Manifest an die Arbeiter Schwedens von 1910 zum Ausdruck gebracht, das von der SAC herausgegeben wurde. Arbeitskämpfe sollten nicht auf einen Kampf mit „verschränkten Armen“ reduziert werden, heißt es im Manifest, und „die Zeit ist längst vorbei, als es genügte, die Schaufel und den Hobel beiseite zu legen und den Arbeitgebern die Friedensbedingungen vorzuschreiben.“ Streiks seien oft kostspielig und langwierig, argumentierten die Syndikalisten, und anfällig für Streikbruch und Aussperrungen. Die schwedischen Arbeitgeber reagierten in vielen Branchen mit solidarischen Aussperrungen. (…)
    In den SAC-Bildungsprogrammen haben wir besser gelernt, zu betonen, dass der Weg zu einem erfolgreichen Streik in der Regel lang ist. Der erste kleine Schritt kann darin bestehen, dass die Beschäftigten ihr Schweigen brechen. Vielleicht fordern die Arbeitnehmer mehr Einfluss auf die Zeitplanung. Danach können sie zu einer Petition für kostenlose Arbeitskleidung übergehen. Wenn die Arbeitsbelastung hoch ist, kann der nächste Schritt darin bestehen, für mehr Personal zu plädieren. Wenn die Unternehmensleitung nicht bereit ist, Überstunden zu verweigern, kann dies der richtige Weg sein.
    Es braucht Zeit, um die Fähigkeit aufzubauen, Druck auf die Arbeitgeber auszuüben. Das ist es, was bei der Fixierung auf große Streiks übersehen wird. Die Kolleginnen und Kollegen müssen ihre Fähigkeit testen, kleine Kämpfe zu gewinnen, um zu sehen, ob sie für den nächsten Schritt bereit sind.
    Im Folgenden stellen wir eine Auswahl von Alternativen zum Streik vor, die ebenfalls dazu beitragen, die Streikfähigkeit zu entwickeln. Die Alternativen können in vier verschiedene Arten von Druck eingeteilt werden: moralischer, psychologischer, wirtschaftlicher und rechtlicher Druck. (…)
    Die Organisierung am Arbeitsplatz ist selten ein Zuckerschlecken, aber im Allgemeinen kann man sagen, dass Humor den Kampfgeist stärkt. In den Memoiren des schwedischen Syndikalisten John Andersson wird eine Geschichte über einen Lohnkonflikt im Hafen von Göteborg im Jahr 1912 erzählt. Die Hafenarbeiter führten Bummelstreiks durch. Die Vorarbeiter wurden in den Laderaum geschickt, um das Tempo zu erhöhen. Die Arbeiter reagierten darauf, indem sie noch langsamer arbeiteten und das christliche Lied sangen: „Der Fürst der Finsternis kommt herab“. Die Vorarbeiter wurden müde, und als sie die Leiter hinaufkletterten, sangen die Arbeiter das Lied: „Deine helle Sonne geht wieder auf.“

Siehe zum Thema im LabourNet von 2019: Initiative Strike Back: Alternativen zur zentralistischen Gewerkschaftspolitik in Schweden

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=195679
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