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Man muss kein Freund von Nawalny sein, um die Gewaltorgie der russischen Polizei zu verurteilen – die erstmals Widerstand hervorruft…

Solidaritätsaktion gegen die Prozesswelle gegen Anarchisten in Russland, April 2019„… Heute, am 23. Januar, ist in der Russischen Föderation ein Funke entfacht worden. Von Moskau bis Ulan-Ude sind Zehntausende auf die Straßen geströmt, um gegen Putin, Korruption und Unterdrückung zu protestieren. Auf den ersten Blick mögen diese Demonstrationen wie die gleichen Oppositionsproteste wirken, die jedes Mal losgehen, wenn ein prominenter Oppositionskandidat akut unterdrückt wird. Aber für uns vor Ort haben wir das Gefühl, dass sich etwas verändert hat. Die übliche passive Haltung, die für diese Art von Protesten typisch ist, wurde aufgegeben. Die Menschen wehren sich gegen die Polizei. Auch finden diese Kundgebungen nicht nur an den typischen Orten statt und sie bestehen auch nicht nur aus denselben politisch aktiven Menschen der Oberschicht. Aus der Stadt Tschita hören wir Geschichten, dass die Polizei vertrieben wurde. In Perm applaudiert eine Menschenmenge, nachdem Anarchist:innen eine Rede über Rebellion, selbstorganisierte Aktivität und Solidarität gegen Unterdrückung hielten. In Irkutsk empfingen die Menschen die Anarchist:innen und ihre Worte ebenfalls mit großer Herzlichkeit. An einem Ort blockierten Menschen Polizeiautos, während sie an einem anderen Ort einen Demonstranten aus dem Gewahrsam befreiten. Auf einer Straße schlug ein Mann einen Polizisten k.o., auf einer anderen skandierten die Menschen »Freiheit! Freiheit!«, während eine Frau einem Polizisten einen Schlagstock aus der Hand reißt. Jenseits des wachsenden Interesses an anarchistischen Ideen, das sicherlich aufregend ist, gibt es ein noch aufregenderes anarchisches Potenzial in der Revolte, die heute ausgebrochen ist, wie bescheiden es auch immer ist...“ – aus einem der Brief-Berichte, die in dem Beitrag „Brief aus Russland – Über die Proteste am 23. Januar“ am 26. Januar 2021 bei Schwarzer Pfeil externer Link dokumentiert sind und die sehr deutlich machen, dass es keineswegs nur „Nawalny-Fans“ waren, die da protestierten. Siehe dazu vier weitere aktuelle Beiträge, die insgesamt deutlich machen, dass es keineswegs nur um den Herrn Nawalny geht – und dass der Widerstand gegen Polizeirepression eine neue Erscheinung in Russland ist:

  • „Nawalny-Proteste heizen Russland ein“ von Ute Weinmann am 24. Januar 2021 bei nd online externer Link berichtet unter anderem: „… Anders als in Minsk setzt die russische Polizei bislang weder Blendgranaten noch Schusswaffen ein, stattdessen belässt sie es bei grober physischer Gewalt. Aber das könnte sich durchaus ändern. Wo in der Vergangenheit, wie beispielsweise bei den Moskauer Protesten vor den Wahlen zum Stadtparlament 2019 der Wurf eines Papierbechers als Straftatbestand ausreichte, können sich die Strafverfolgungsbehörden nun auf wesentlich handfestere Argumentationen stützen. Tatsächlich ließ sich am Samstag tatkräftiger Widerstand beobachten, wie es für russische Verhältnisse bei politischen Aktionen extrem ungewöhnlich ist. Es kam nicht nur zu einzelnen Schlagabtauschen zwischen Protestierenden und Polizeikräften, sondern an einer Stelle bildete sich eine Kette junger Männer, die mit kurzem Anlauf versuchte, die vor ihnen stehende Polizeifront zu durchbrechen. Außerdem kam ein schwarzer Dienstwagen, der vermutlich dem Inlandsgeheimnis FSB gehört, zu Schaden. Etwa 40 Polizisten seien leicht verletzt worden. Fast ein Dutzend Strafermittlungen sind in mehreren Städten bereits angelaufen. Gewalt gegen Polizisten steht dabei im Vordergrund, aber es geht auch um Vorwürfe, Minderjährige gezielt zur Teilnahme aufgerufen zu haben, unter anderem im sozialen Netzwerk TikTok. Veröffentlichte Fotos, Videoaufnahmen und die in Moskau mittlerweile flächendeckend installierte Gesichtserkennung erleichtern den Ermittlern die Arbeit. Ob die Wut über die Verhältnisse bei Kremlkritikern ausreicht, um trotz steigender Risiken weiterzumachen, zeigt sich schon am kommenden Wochenende…“
  • „Nawalny vs. Kreml“ von Dima Yanyky am 19. Januar 2021 beim sozialismus.info externer Link hatte bereits berichtet: „… Ziemlich lange versuchte das Regime, die Korruptionsermittlungen von Alexey Nawalny einfach zu ignorieren. Allerdings wurde Nawalny in Zeiten von Krise, wachsenden politischen Spannungen und Unzufriedenheit für Putins Regierung und die russischen Oligarch*innen immer gefährlicher. Mittlerweile bekommt er Unterstützung nicht nur aus den verarmten Massen und der Jugend, sondern auch von kleinbürgerlichen urbanen Schichten. Kleinunternehmer*innen, Künstler*innen, selbstständige IT-Spezialist*innen, die weder Unterstützung von irgendwelchen Parteien, noch vom Staat bekommen, die in ihrer wirtschaftlichen Existenz von der Willkür der Beamten abhängig sind und Angst vor der Polizei und der Mafia haben machen Nawalny zur Stimme des Bildungsbürgertums. Abgesehen davon bekommt Nawalny anonyme Unterstützung von einigen Millionär*innen, die auch mit Putins Regierung unzufrieden sind und den harten Griff des Bonapartes lockern wollen. Obwohl die bonapartistische Regierung Putins die Interessen der herrschenden kapitalistischen Klasse mit eiserner Faust verteidigt, träumen viele Superreiche von einer klassischen bürgerlichen Demokratie wie in Westeuropa. Die schützenden Umarmungen der staatlichen Strukturen erscheinen vielen Millionär*innen viel zu eng. Neben Nawalny wurden auch mehrere linke, soziale und feministische Aktivisten und Aktivistinnen verhaftet. Wegen der komplizierten Wirtschaftslage und zunehmenden internationalen politisch-militärischen Spannungen ist es sehr eng für Putin geworden. Eine politische Niederlage Putins würde nicht einfach zum Austausch einiger politischer Figuren führen, sondern den Zusammenbruch seines ganzen Systems bedeuten...“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=185580
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