»
Russland »
»
»
Russland »
»

Antifaschismus in Russland: Ist eine schwere Straftat

Solidaritätsaktion gegen die Prozesswelle gegen Anarchisten in Russland, April 2019„… Ein Militärgericht in der Stadt Pensa sprach sie schuldig, einem antifaschistischen und anarchistischen Terrornetzwerk anzugehören. Die Männer sind zwischen 24 und 32 Jahren alt, einige von ihnen hatten von Folter in der Haft berichtet. Russische Menschenrechtsorganisationen werfen den Behörden vor, den Fall konstruiert zu haben. Ziel sei es, der Bevölkerung eine terroristische Bedrohung vorzuspiegeln und zugleich die Jugend des Landes einzuschüchtern, erklärte eine Vertreterin der Organisation Memorial. Zu dem Fall der sechs Jugendlichen gab es am vorletzten Wochenende in Berlin eine Solidaritätsausstellung. Dort wurden auch Videos von der Erklärungen der jungen Linken gezeigt, in der sie sehr eindringlich beschrieben, dass sie als Studierende sich antifaschistisch betätigt hatten, kriminalisiert und teilweise schwer gefoltert wurden. Es nicht der erste Fall von Repression gegen unabhängige Linke in Russland. Als unabhängige Linke kann man diejenigen Oppositionellen bezeichnen, die nicht im Rahmen der Opposition agierten, die das Putin-System erlaubt und zulässt. Innerhalb dieses Rahmens befindet sich beispielsweise die größte aktuelle Oppositionspartei, die Kommunistische Partei. Das schließt allerdings nicht aus, dass auch ihre Mitglieder öfter mal Repressalien ausgesetzt sind. Doch die anarchistischen und antiautoritären Linken, die sich dezentral organisieren, werden immer wieder mit Terrorismusvorwürfen belegt. Dazu gehört beispielsweise Ilja Romanow, der seit Jahrzehnten wegen seiner oppositionellen Aktivitäten immer wieder Gefängnis und Repression ausgesetzt ist. In dem bereits 2016 von Valerie Waldow, Luca Bublik und Johannes Spohr herausgegebenen Sammelband „Isolation und Ausgrenzung als postsowjetische Erfahrung“ berichtet Ilja Romanow über seine Repressionsgeschichte in den letzten zwei Jahrzehnten in Russland. In dem Band werden auch Briefe weiterer linker Gefangener in Russland und Belarus dokumentiert...“ – aus dem Beitrag „Hohe Haftstrafe gegen Antifaschisten in Russland“ von Peter Nowak am 10. Februar 2020 bei telepolis externer Link über die jüngsten Urteile samit einer Skizze zu ihrer gesellschaftspolitischen Einordnung. Zu den brutalen Urteilen gegen die russischen Antifaschisten – und wie sie sich in ein gesellschaftliches Umfeld einordnen – fünf weitere Beiträge:

„Mit Plastikkugeln zur Revolution“ von Robert Putzbach am 10. Februar 2020 in neues deutschland online externer Link zu den aktuellen Urteilen: „… Die Vermutung liegt nahe, dass an den Angeklagten ein Exempel statuiert werden sollte. Die am Montag in Pensa ergangenen Urteile gegen sieben Antifaschisten fallen extrem hart aus, selbst für russische Verhältnisse. Die Beschuldigten im sogenannten Netzwerk-Prozess werden einen großen Teil ihres Lebens hinter Gittern verbringen. Die vermeintlichen Terroristen sind zwischen 23 und 31 Jahre alt, größtenteils Studenten. Sie eint ihr offenes Bekenntnis zu linken Ideologien und die Leidenschaft für sogenannte Airsoftwaffen, die echten Pistolen ähneln, allerdings mit kleinen Plastikkugeln befüllt werden. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die Angeklagten damit für den bewaffneten Umsturz trainierten. Wann und wo der vermeintliche Terrorakt stattfinden sollte, blieb bei der Gerichtsverhandlung offen…“

„Linke Aktivisten zu langer Haft verurteilt“ am 10. Februar 2020 bei der Deutschen Welle externer Link zu Differenzierungen beim Urteil: „… Geleitet wurden die Ermittlungen vom Inlandsgeheimdienst FSB, der den 27-jährigen Dmitri Ptschelintsew beschuldigte, die sogenannte „Netzwerk“-Organisation mit dem Ziel gegründet zu haben, die Regierung in Moskau zu stürzen. Zudem habe er versucht, Regierungsbüros und Mitarbeiter anzugreifen. Fünf weitere Männer wurden der Beteiligung an der Organisation für schuldig befunden. Mehrere Mitglieder der Gruppe wurden außerdem wegen illegalen Waffen- und Sprengstoffbesitzes sowie wegen versuchten Drogenhandels verurteilt. Die Angeklagten, die 2017 und 2018 verhaftet worden waren, hatten alle Vorwürfe stets bestritten. Sie gaben an, sie seien in der Haft mit Elektroden gefoltert und geschlagen worden, um ein Geständnis abzulegen. Zusammen mit ihren Anwälten hatten sie den Behörden vorgeworfen, den Fall ausgearbeitet zu haben...“

 „Folter und Repression gegen Linke in Russland“ von Peter Nowak am 06. Februar 2020 bei telepolis externer Link berichtete im Vorfeld der Urteile über die Berliner Solidaritäts-Ausstellung: „… In Berlin ist die Zahl der Ausstellungen und Galerien groß. Doch die dreitägige Exposition „Meiner Ausstellung getreu protokolliert“, die am vergangenen Montag endete, hat eine besondere Brisanz. Es war eine Solidaritätsausstellung mit einer Gruppe russischer Linker, die seit 2 Jahren als Terroristen stigmatisiert werden und offener Folter ausgesetzt waren. Die Ausstellung war vorher in Petersburg zu sehen. Berlin war die einzige Station im Ausland. Zur Eröffnung waren auch Freunde und Angehörige der Angeklagten anwesend, die über einen Fall von Repression gegen Linke in Russland berichteten, der leider bisher wenig Aufmerksamkeit bekommen hat. Zehn Aktivisten aus Sankt Petersburg und Pensa sind seit mehr als zwei Jahren in Haft, weil sie beschuldigt werden, an den Tätigkeiten einer angeblichen terroristischen Organisation namens „Set“ (dt. „Netzwerk“) teilgenommen zu haben. Sie wurden mit Elektroschocks gefoltert, zusammengeschlagen und moralischem und physischem Druck ausgesetzt, um sie so zu einem Schuldbekenntnis zu zwingen. Die meisten Angeklagten bestreiten ihre Schuld und fordern, die Anwendung von Folter zu untersuchen. Die Exponate der Ausstellung drehten sich um diese Folter, die nicht nur in diesem Fall angewendet wird. Doch besonders eindringlich ist es, wie der Gefangene Viktor Filinkow darüber spricht, wie er bei der Folter zusammengebrochen war und weiter misshandelt wurde. Er sitzt mit einem Mitgefangenen in einem Käfig im Gerichtssaal und hat 10 Minuten Zeit mit unabhängigen Journalisten zu sprechen. Er berichtet darüber, wie er mit Elektroschocks misshandelt wurde, so dass ihn sein gesamter Körper schmerzte und er die Schläge, die er zusätzlich bekommen hat, gar nicht mehr fühlte. Auch die anderen Beschuldigten wurden ähnlich misshandelt, einige unterschrieben dann angebliche Geständnisse, dass sie sich im Sinne der Anklage terroristischer Aktivitäten schuldig gemacht haben. Sie haben diese Geständnisse später widerrufen und mitgeteilt, dass sie unter Folter erpresst wurden…“

„»Die mögen uns nicht«“ am 23. Januar 2020 in der jungle world externer Link war ein Gespräch von Norrma Schneider mit der Band Moscow Death Brigade über die Antifa in Russland, worin es unter vielem anderen heißt: „… Vor zehn Jahren war es tatsächlich sehr gefährlich für Leute, die Punk oder HipHop hörten, weil die Bedrohung von rechts sehr real war. Man konnte leicht erstochen werden, wenn man zu einem Punkkonzert ging, was aus heutiger ­Perspektive ziemlich verrückt wirkt. Heute ist die Situation anders. Vlad Boltcutter: In den Neunzigern waren Nazis eine große Bedrohung in der ehemaligen Sowjetunion und besonders in Russland. Sie waren sehr zahlreich und die Regierung hat sie unterstützt oder zumindest weg­gesehen. Die Nazis griffen Antifaschisten und Angehörige von Minder­heiten an. Das war ein großes Problem. Als wir um 2008 mit der Band anfingen, waren Nazis immer noch eine große Sache in Russland. Ein paar unserer Freunde wurden von Nazis getötet und allgemein viele Punks und Antifaschisten. In den letzten Jahren hat sich die Situation deutlich verbessert. Es gibt verschiedene Theorien, warum das so ist, aber wahrscheinlich liegt es daran, dass die Regierung die Nazis als ­Bedrohung erkannte und anfing, auch auf sie Druck auszuüben. Zudem sind seit Beginn des Ukraine-Konflikts viele Nazis in die Ukraine gegangen, um dort auf beiden Seiten zu kämpfen. Denn das ist es, was sie wirklich wollen: Menschen töten und in den Krieg ziehen.Ich kann nicht sagen, dass es jetzt hundertprozentig sicher ist, aber man hat seit langer Zeit nichts mehr von Angriffen auf Punkkonzerte ­gehört. Jetzt kann man einfach zu einem Konzert gehen und Spaß ­haben. Es ist fast wie in Europa. Aber natürlich weiß man nicht, was morgen passiert. Im Moment kommt der Druck von der Staatsgewalt. Gerade sind viele Antifa-Leute im Gefängnis. Die ­Regierung und die Polizei versuchen, die Jugendbewegungen und Sub­kulturen zu kontrollieren. Das ist der große Unterschied zu früher, da hat sich die Regierung viel weniger da­rum gekümmert. Man vermutet, dass sie einfach abwarten wollte, während Nazis und die Antifas sich ­gegenseitig fertigmachen, damit die Jugend von den sozialen und poli­tischen Problemen abgelenkt ist…“

„Delo Seti – Protokolle von Willkür- und Folterjustiz“ von Jegor Skoworoda am 10. Februar 2020 beim Dekoder externer Link zu diesem Prozess: „… Sie hätten „geplant, Terrorakte zu planen“ – so lautete die Anklage der russischen Staatsanwaltschaft gegen sieben jungen Männer im sogenannten Fall Set (dt. Netzwerk). Am 10. Februar wurden sie in der Stadt Pensa, 550 Kilometer südöstlich von Moskau, schuldig gesprochen. Die Richter folgten mit den sechs- bis 18-jährigen Haftstrafen in vollem Umfang der Forderung der Staatsanwaltschaft. Set gehört nun neben IS und Taliban zu den in Russland „verbotenen terroristischen Organisationen“. Dabei ist nicht mal klar, ob es diese Vereinigung wirklich gab, ob sich die einzelnen Verurteilten überhaupt untereinander kannten. Die meisten der Verurteilten haben keinen Hehl aus ihren linken und antifaschistischen Überzeugungen gemacht, außerdem spielten sie gerne Airsoft, ein Geländespiel mit Softairwaffen. Viele Menschenrechtler in Russland bringen die Strafen allerdings nicht damit zusammen, sondern halten sie schlicht für drakonische Abschreckungsmaßnahmen: Die Verhaftungen seien willkürlich, der Fall selbst konstruiert, um die Menschen im Land einzuschüchtern, so der Tenor. In der Tat ist die Beweislage dünn – es gibt auch keine belastbaren Hinweise darauf, dass die Verurteilten einen terroristischen Anschlag während der Fußball-Weltmeisterschaft 2018 „geplant [haben] zu planen“. Bei Hausdurchsuchungen wurden Waffen gefunden – doch konnte deren Herkunft nicht nachvollzogen werden. Demgegenüber gibt es aber Hinweise, dass sie den Männern untergeschoben wurden. Zahlreiche Hinweise gibt es auch darauf, dass die 23- bis 31-jährigen Männer ihre „Geständnisse“ unter Folter abgelegt haben…“

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=162747
nach oben