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„Wahlen zu gewinnen, ohne politische Macht aufzubauen, macht die Linke unfähig“ – was bedeutet der Sturz von Castillo in Peru?

Dossier

Peru: „Vacarlos a todos“ - sie sollen alle gehen, samt ihrer VerfassungPräsident Pedro Castillo wollte seiner Absetzung durch die Auflösung des Parlamentes zuvorkommen. Das ging schief. Jetzt sitzt er in Haft. (…) Damit endete der 17 Monate dauernde Machtkampf zwischen Castillo und dem Parlament zugunsten des Letzteren. (…) Der politisch unerfahrene Castillo hatte nicht nur keinen Rückhalt im Parlament, er vergraulte auch politische Verbündete, verschliss Minister im Wochentakt und stand zuletzt unter dem Verdacht der Korruption und Vorteilsnahme. Seine linken Vorhaben, sei es eine Steuerreform oder die Förderung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft, wichen dem Gezerre um Posten und Stimmen im Kongress. (…) Mit der Einsetzung der bisherigen Vizepräsidentin Dina Boluarte ist die demokratische Ordnung einstweilen wieder hergestellt. (…) Doch viele Peruaner empfinden es als Hohn, dass sich die Parlamentarier nun als Retter der Demokratie feiern. Eine große Mehrheit, 87 Prozent der Befragten, möchte auch die Abgeordneten loswerden. „Que se vayan todos“, alle sollen gehen. Dazu müsste der Kongress Neuwahlen zustimmen…“ Aus dem Artikel von Hildegard Willer am 8. Dezember 2022 bei der Informationsstelle Peru externer Link („Perus Präsident abgesetzt und verhaftet: Peru bleibt in der Dauerkrise“) – siehe weitere, auch zu den anschließenden Protesten, auf der Suche nach einer Antwort:

  • Nach massiver Repression am Unabhängigkeitstag und gegen den „Dritten Marsch auf Lima“ soll nun Peru auch noch eine neue Polizeieinheit mit Ex-Soldaten bekommen New
    • Kritik an Plänen für neue Polizeikräfte
      Die Kritik an der Schaffung einer neuen Polizeieinheit mit ehemaligen Angehörigen der Streitkräfte in Peru wird trotz der Bemühungen der Regierung um Akzeptanz für das Projekt immer stärker. Ministerpräsident Alberto Otárola und Innenminister Vicente Romero erklärten, wie die Lücke von 40.000 bis 50.000 Polizeibeamt*innen durch junge Menschen geschlossen werden soll, die ihren freiwilligen Militärdienst beendet haben und eine sechsmonatige Ausbildung erhalten sollen. Dennoch mehren sich die Einwände gegen die Pläne. Trotz der Warnungen von Sicherheitsexpert*innen bekräftigte Romero, dass die Ausschreibung für Ex-Soldaten gestartet wird, sobald das Parlament das Gesetz verabschiedet hat. Er versicherte, dass die Mitglieder der neuen Polizeieinheit nur Aufgaben zur Prävention von Verbrechen wie Raub, Diebstahl und Vandalismus übernehmen würden.
      Unqualifizierte Bürgerwehr befürchtet
      Hingegen kritisierte der ehemalige Vizeminister für öffentliche Sicherheit, Ricardo Valdés, die Regierung versuche, eine Art kommunale Bürgerwehr zu schaffen, die jedoch mit Waffen, Streifenwagen und Motorrädern ausgestattet sei und die Befugnis habe, mutmaßliche Verbrecher*innen zu verfolgen und gegebenenfalls zu töten. (…)Für Stefano Miranda, einen auf Polizeiangelegenheiten spezialisierten Juristen, ist der Gesetzentwurf verfassungswidrig und eine Idee „von Leuten, die mit der Nationalpolizei und ihren Funktionen herumexperimentieren wollen“. Es sei „ein populistischer Entwurf, in keiner Weise seriös oder fachgerecht“. Er hält es für riskant, Polizeibeamt*innen einzusetzen, die keine Berufspolizist*innen sind, weil „wir nicht in der Lage wären, Korruption und Fehlverhalten zu kontrollieren“…“ Meldung am 4. August 2023 im Nachrichtenpool Lateinamerika externer Link
    • Unabhängigkeitstag in Peru von massiver Repression überschattet
      „Mit mehr als einer Woche Abstand hat die Polizei in Peru zahlreiche Personen festgenommen, die an den Protesten des „Dritten Marsch auf Lima“ (amerika21 berichtete) gegen die Regierung von Dina Boluarte und den Kongress teilgenommen hatten. Betroffene und Anwälte prangern die willkürliche Art der Festnahmen und die Erfindung unbegründeter Anschuldigungen an. Fast hundert Personen aus Lima und den Regionen Moquegua, Puno, Arequipa und Chiclayo, darunter viele Journalist:innen, wurden am vergangenen Wochenende in Haft genommen. Seit den jüngsten Massenprotesten liegen zudem noch zahlreiche Menschen mit Verletzungen in Krankenhäusern. José Balarazo, Mitglied des Netzwerks von Anwälten, die die Freilassung der Inhaftierten fordern, prangerte gegenüber Telesur an, dass die Einsatzkräfte Protestierenden mit Trängengasgranaten und Gummigeschossen direkt in den Genitalbereich schossen. Die Welle von Festnahmen geschah rund um den Unabhängigkeitstag, den Peru am 28. Juli begeht. Wenige Kilometer entfernt zur großen Militärparade anlässlich dieses Tages wurden Demonstrierende auf der Plaza Dos de Mayo von der Nationalpolizei mit Tränengasgranaten attakiert. Zahlreiche Angehörige von Menschen, die bei den seit Dezember vergangenen Jahres stattfindenden Protesten gegen die Regierung Boluarte getötet wurden, hatten sich dort versammelt, um mit Transparenten und Bildern ihrer Angehörigen zu gedenken. Weitere Proteste fanden vor der Abteilung für soziale Angelegenheiten im Bezirk Rimac statt. Dort hielten Demonstrierende einen Sitzstreik ab, um die Freilassung des Journalisten, Universitätsdozenten und Dokumentarfilmers Kenty Aguirre sowie des Vorsitzenden des Koordinationskomitees der Nachbarschaftsorganisationen des Nordens von Lima, Raúl Tinco, zu erwirken. Beide waren am vergangenen Freitag verhaftet worden. Nach Angaben des alternativen Mediums Red Muqui setzte die Polizei auch dort ein starkes Aufgebot ein, um die Proteste einzudämmen. Tinco wurde schließlich gegen 20 Uhr Ortszeit freigelassen. Aguirre wies nach seiner Freilassung am Sonntag laut einer ärztlichen Untersuchung 17 Verletzungen auf. Nach Angaben der Zeitung La República wird er die Polizei wegen Folter und Amtsmissbrauch anzeigen. In ihrer ersten Präsidialbotschaft zum 28. Juli gedachte Präsidentin Dina Boluarte der Opfer der Proteste gegen ihre Regierung, die in acht Monaten über 60 Todesopfer, vor allem indigener Herkunft, zur Folge gehabt haben (amerika21 berichtete). (…) Boluarte sagte in ihrer Rede zu, dass sie den Empfehlungen der Kommission nachkommen werde. Das Alternativmedium Wayka betonte jedoch, dass sich diese Versprechungen nicht bei den jüngsten Protesten widergespiegelt hätten, da die Repression, Einschüchterungen und Bedrohungen seitens der Ordnungskräfte weitergingen.“ Beitrag von Antonia Rodriguez Sanchez vom 3. August 2023 bei amerika21 externer Link
  • Mehr als 30.000 PolizistInnen und Einschüchterungsversuche gegen „Dritten Marsch auf Lima“, Streiks und Proteste in ganz Peru, weitere bis zum 29. Juli angekündigt
    • „Dritter Marsch auf Lima“ und Proteste in ganz Peru
      Landesweite Demonstrationen gegen die Regierung von Dina Boluarte halten an. Forderungen nach Rücktritt, Neuwahlen und Verfassungskonvent. Mehr als 30.000 Polizist:innen im Einsatz
      Zehntausende haben seit dem vergangenen Mittwoch und bis in das Wochenende hinein in den größten Städten Perus gegen die Regierung von Dina Boluarte und für eine Auflösung des Kongresses demonstriert. Schulen und Universitäten blieben geschlossen. Die Regierung setzte ein massives Polizeiaufgebot ein und es kam vereinzelt zu Straßenschlachten. Die Zusammenschluss Coordinadora Nacional Unitaria de Lucha (CNUL), der verschiedene soziale Organisationen vereint, rief zudem zu weiteren Protesten vom 24. bis zum 29. Juli auf. (…) Die Regierung setzte circa 8.000 Polizist:innen in der Hauptstadt Lima und weitere 25.000 im restlichen Land ein. Die Sicherheitskräfte versuchten vor allem mit dem Einsatz von Tränengas, die Proteste frühzeitig aufzulösen. Nach Angaben des Büros des Ombudsmanns wurden landesweit acht Personen verletzt, davon zwei Polizisten und sechs Demonstrierende, darunter zwei Journalisten. Jorge Pizarro, Sprecher der CNUL, betonte die Reichweite der Demonstrationen und die hohe Beteiligung in Lima, trotz der medialen Kampagne von offizieller Seite zur Kriminalisierung der Proteste. Im offiziellen Diskurs werden die Demonstrierenden immer wieder in die Nähe von terroristischen Vereinigungen gerückt und die sozialen Proteste in jeder Weise diskreditiert, um die massive Repression zu rechtfertigen…“ Beitrag von Julia Liebermann vom 24.07.2023 in amerika21 externer Link
    • Denkmal in Lima gestürmt: Protestler in Peru geraten mit der Polizei aneinander
      Die Verhaftung von Ex-Präsident Castillo im vergangenen Dezember entfesselt Unruhen und Gewalt auf den Straßen Perus. In der Hauptstadt Lima ist die Lage besonders angespannt. Demonstranten stürmen ein Denkmal und geraten mit der Polizei aneinander.“ Meldung und Video vom 23.07.2023 in N-TV externer Link
    • Rechte unter Druck: Tausende gegen Boluarte
      „… Die Einschüchterungsversuche der peruanischen Regierung haben ihr Ziel nicht erreicht. Trotz der Drohung von Innenminister Vicente Romero, mit »harter Hand« gegen »gewalttätige Proteste« vorzugehen, forderten Zigtausende am Mittwoch (Ortszeit) erneut Neuwahlen und den Rücktritt der De-facto-Präsidentin Dina Boluarte. (…) Der erste Protesttag, an dem nach Angaben des Innenministeriums 21.000 Menschen auf die Straße gingen, war offenbar weitgehend friedlich verlaufen. Zur Beteiligung gibt es jedoch unterschiedliche Angaben. Die Organisatoren berichteten über Demonstrationen und Kundgebungen in 59 der 195 Provinzen des Landes, sowie 21 Straßenblockaden in zehn Provinzen. Laut Jorge Pizarro, einem Sprecher des »Nationalen Einheitskomitees des Kampfes«, war die Beteiligung »trotz der offiziellen und medialen Kampagne zur Kriminalisierung der Proteste« größer als erwartet. Wie Telesur unter Berufung auf örtliche Medien berichtete, hatten sich allein in der Stadt Huancavelica rund 3.000 Demonstranten an den Protesten gegen die Putschregierung beteiligt. Nachdem die Teilnehmer Sprechchöre wie »Das vereinte Volk wird niemals besiegt werden« und »Kein Schritt zurück, bis zum Sieg« skandiert und einige versucht hatten, die Tür eines Verwaltungsgebäudes in Brand zu setzen, seien sie von der Nationalpolizei mit Tränengasgranaten beschossen worden. (…) Unterdessen haben Anführer von sozialen, indigenen und Bauernorganisationen der Provinzen Cusco und Puno am Mittwoch eine Verfassungsklage eingereicht. Diese richtet sich unter anderem gegen Boluarte, Romero und den Kommandanten der Polizei, Jorge Angulo. Sie machen geltend, über Beweise für Willkür durch Polizei und Streitkräfte zu verfügen, und werfen Boluarte und ihrer Regierung die Kriminalisierung der Demonstrationen vor, wodurch ihre Menschenrechte wie das Recht auf Protest, Versammlungsfreiheit und freie Meinungsäußerung verletzt würden.“ Artikel von Volker Hermsdorf in der jungen Welt vom 21. Juli 2023 externer Link
    • Vor regierungskritischem Protest: Höchste Sicherheitsstufe in der Hauptstadt von Peru
      „Die peruanische Regierung hat angesichts der für den 19. Juli geplanten regierungskritischen Großdemonstration „Tercera Toma de Lima“ (Dritte Besetzung Limas) den Ausnahmezustand auf Nationalstraßen im Landessüden verlängert. Diese Maßnahme wurde mit der „Garantie des freien Personen- und Warenverkehrs“ während den Feierlichkeiten des Unabhängigkeitstags am 28. Juli begründet. (…)  Einer der Protestsprecher, Claudio Mamani aus Cusco, erklärt: „An zwei oder drei Orten verlangen sie von den Bürgern bereits Ausweise und führen Kontrollen durch wie sie es noch nie getan haben.“ So solle Angst unter den anreisenden Protestierenden hervorgerufen werden. „Wir möchten eine friedliche Demonstration durchführen, aber bereits bevor diese angefangen hat, provozieren [die Sicherheitskräfte] die Bevölkerung“, sagt Mamani weiter. „Wir werden so oder so nach Lima kommen!“ Auch aus der Provinz Puno wird berichtet, dass Menschen an der Reise nach Lima behindert würden. (…) Druck baut sich derweil auch in den USA auf, die die Boluarte-Regierung ökonomisch und militärisch unterstützen: Die progressive Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez beantragte eine Suspendierung der finanziellen Unterstützung. Erst nach der Durchführung freier und fairer Wahlen sowie einem Ende der Repression gegen Protestierende und indigene Gruppen sollten die USA die Zahlungen an Peru fortsetzen, so die Politikerin der Demokratischen Partei.“ Beitrag von Marco Pastor vom 18. Juli 2023 in amerika21 externer Link
  • Erneut »Toma de Lima«, Marsch auf Lima am 19. Juli geplant: Perus De-facto-Präsidentin will bleiben – ohne Rücktritt »sozialer Aufruhr« 
    „Perus Putschpräsidentin Dina Boluarte will sich bis 2026 an der Macht halten. Das erklärte sie nun auch persönlich gegenüber Medien am Wochenende. Ob Boluarte das trotz der verschärften Repression gegen große Teile der Bevölkerung durchsetzen kann, ist allerdings ungewiss. Am Sonntag kündigten Bürgergruppen aus der Region Puno – dem Zentrum der Proteste – für den 19. Juli einen als »Toma de Lima« (Einnahme von Lima) bezeichneten Marsch mit Tausenden Teilnehmenden in die Hauptstadt an, sollte Boluarte bis dahin nicht zurückgetreten sein. Weiter fordern sie die Auflösung des von Rechtsparteien dominierten Parlaments und Neuwahlen. »Die Peruaner sind entschlossen, die Demokratie wiederzuerlangen«, kündigte die Confederación General de Trabajadores del Perú (CGTP), der größte Gewerkschaftsbund des Landes, an. Vertreter sozialer Bewegungen und indigener Organisationen erklärten, nur durch Boluartes Rücktritt könne »ein sozialer Aufruhr vermieden werden«. Ob es bei markigen Absichtserklärungen bleibt oder der zivile Widerstand gegen das Regime die Kraft und den langen Atem besitzt, die Diktatur zu beseitigen, ist offen. Zwar wird Boluarte laut der jüngsten IPSOS-Umfrage nur von 13 Prozent der Bevölkerung unterstützt, doch sichert sie ihre Macht mit immer brutaleren Mitteln. Seit dem Putsch gegen den gewählten Präsidenten Pedro Castillo am 7. Dezember 2022 wurden bei Protesten rund 70 Personen getötet und Tausende verletzt. Die Interamerikanische Menschenrechtskommission (IACHR) prangerte Anfang Mai Massaker, Exzesse und Fälle von rassistisch motivierten »außergerichtlichen Hinrichtungen« an. Doch während die Regierungen Mexikos, Chiles, Kolumbiens und anderer lateinamerikanischer Länder das nicht durch Wahlen legitimierte Regime dafür kritisieren, schweigt die Bundesregierung zu den Menschenrechtsverletzungen, an denen europäische Regierungen nicht unbeteiligt sind. »Viele der Kugeln, die die jungen Bauern getötet haben, kamen aus Europa«, so die ehemalige linke Präsidentschaftskandidatin Verónika Mendoza gegenüber junge Welt. Mendoza fordert die europäischen Länder auf, »keine Waffen mehr an den peruanischen Staat« zu verkaufen…“ Artikel von Volker Hermsdorf in der jungen Welt vom 21. Juni 2023 externer Link („Marsch auf Lima. Perus De-facto-Präsidentin will bleiben – ohne Rücktritt »sozialer Aufruhr«“), siehe auch:

    • Peru vor der dritten „Übernahme Limas“ am 19. Juli: Wie ist die politische Lage? 
      „… Perus Bevölkerung leidet immer noch an kollektivem Gedächtnisschwund. Diese Krankheit nutzen die Fujimoristas und die anderen rechten Fraktionen aus, um den Kongress, die Generalstaatsanwaltschaft, das Verfassungsgericht, die Aufsichtsbehörde für das Hochschulwesen Sunedu (ohne jeglichen Protest der Studierenden) und die Ombudsstelle für Menschenrechte nach Belieben kontrollieren zu können. Außerdem sind diese Fraktionen sehr unzufrieden mit den Wahlbehörden und der Nationale Justizbehörde (JNJ) und wollen sie deshalb übernehmen. Nun will auch noch die Tochter des inhaftierten Ex-Diktators Alberto Fujimori zum vierten Mal in Folge für die Präsidentschaft kandidieren. (…) Lügen kann nicht nur Keiko Fujimori, die Anführerin der kriminellen Partei Fuerza Popular (FP). Es ist ein weit verbreiteter Wert in der peruanischen Politik. Ein Beispiel ist die derzeitige Präsidentin Dina Boluarte. Als der Kongress im Dezember 2021 die Amtsenthebung Pedro Castillos anstrebte, sagte die damalige Vizepräsidentin Boluarte: „Wenn sie den Präsidenten absetzen, werde ich mit ihm gehen.“ (…) Obwohl das Regime keine Legitimation hat und sich nur um die Unterdrückung der sozialen Proteste gekümmert hat, kann sich Boluarte mit Unterstützung des Kongresses und der wirtschaftlichen Machtgruppen weiter an der Macht halten. Welche Bedeutung haben schon Umfragen? Laut der jüngsten Erhebung von Ipsos-Peru lehnen 77 Prozent der Peruaner*innen die Regierung Boluarte und 81 Prozent den Kongress ab. Gerade einmal 13 Prozent unterstützen die aktuelle Amtsträgerin. Kann eine Präsidentin mit fast einstelligen Zustimmungsraten regieren? In Brasilien, einem Land mit mehr als 210 Millionen Einwohner*innen, wurde Präsidentin Dilma Rousseff 2016 nach ihrer Amtsenthebung durch ihren Vizepräsidenten Michel Temer ersetzt. Er konnte mit nur drei Prozent Zustimmung regieren und seine Amtszeit regulär beenden. In der Politik ist alles möglich. (…) Jetzt bereiten sich die verschiedenen Organisationen auf die Demonstrationen am 19. Juli in Lima vor. Sie fordern den Rücktritt von Dina Boluarte, die vor einigen Tagen erklärte, sie werde „bis 2026 regieren“. Monate zuvor hatte der Kongress einige Gesetzentwürfe blockiert, mit denen die Präsidentschafts- und Kongresswahlen vorgezogen werden sollten. Es gab zwei Terminvorschläge für diese Wahlen: Dezember 2023 und April 2024. Beide Termine kamen nicht zustande. (…) In Peru erleben wir eine Krise der politischen Repräsentation und der Parteien. So erreichte 2021 Pedro Castillo im ersten Wahlgang nicht einmal 19 Prozent der Stimmen, und Keiko Fujimori wurde mit weniger als 14 Prozent Zweite. Die Überpersonalisierung von Keiko Fujimori ist stark. Aber ich glaube, noch stärker ist das Gedächtnis eines Teils der Bevölkerung, der nicht an kollektivem Gedächtnisschwund leidet und gegen Fujimori ist. Bis jetzt hat uns dieser Teil der Bevölkerung davor bewahrt, in die Fänge dieser kriminellen Organisation der Fujimoristas zu geraten. Ich wage sogar zu prophezeien, dass bei einer Wahl zwischen dem Teufel und Fujimori sich die Fujimori-Gegner*innen für den Teufel entscheiden würde. Schließlich wird die Hölle immer sympathischer sein als der Fujimorismus.“ Beitrag von Jesús Rojas in der Übersetzung von Annette Brox vom 25. Juni 2023 beim Nachrichtenpool Lateinamerika externer Link
    • Zum nächsten „Marsch auf Lima“ und Generalstreik in Peru am 19. Juli 
      Neue Mobilisierungen in Peru haben am Montag zehntausende Menschen im Land auf die Straßen gebracht. Zentrale Forderungen waren erneut der Rücktritt von Präsidentin Dina Boluarte und das Abhalten von Neuwahlen. Nachdem Boluarte als Reaktion verkündet hatte, bis 2026 im Amt bleiben zu wollen, haben Gewerkschaften und soziale Bewegungen erneut zu Massendemonstrationen und einem Generalstreik aufgerufen. Zum 19. Juli soll erneut zu einem Marsch auf die Hauptstadt Lima aus allen Landesteilen mobilisiert werden. Der mittlerweile dritte Marsch („Toma de Lima“, „Einnahme von Lima“) wird unterstützt von mehr als 500.000 ronderos (Mitglieder der rondas campensinas, bäuerliche Gruppierung der kommunalen Selbstverwaltung in Peru) aus den 13 Provinzen und 70 Distrikten des Landes. (…) Der Vorsitzende des größten Gewerkschaftsbundes CGTP (Confederación de Trabajadores de Perú) der Region Lambayeque, Erwin Salazar, erklärte, dass sich die verschiedenen Regionen, die in der CGTP organisiert sind, ebenfalls mobilisieren würden. (…) Mit dem dritten Marsch auf Lima verbinden die beteiligten Organisationen die Hoffnung auf eine neue Runde der Mobilisierung, in der der Norden und der Süden des Landes ihre Kräfte geschlossener als bisher einbringen werden. Boluarte hatte für den Montag über 8.000 Polizist:innen in der Hauptstadt und den zentralen Zufahrtsstraßen eingesetzt. Sie kritisierte den Aufruf zum Protest und machte die Organisatoren für den möglichen Tod von Demonstrierenden verantwortlich…“ Beitrag von Julia Liebermann vom 24.06.2023 in amerika21 externer Link
  • Peru: „Die Demokratie hat nachhaltig Schaden genommen“ 
    „Die Aktionen des peruanischen Kongresses zur Kontrolle der unabhängigen Organe des Landes sind mehr als eine Bedrohung und haben bereits nachhaltige Schäden für die Demokratie verursacht. Diese Einschätzung vertrat der Journalist Gustavo Gorriti und bezog sich dabei auf die Kontrolle des Kongresses über das Verfassungsgericht, seine Allianz mit der Generalstaatsanwaltschaft und seinen Versuch, die Ombudsstelle Defensoría del Pueblo zu übernehmen. Außerdem, so Gorriti, würden die gewählten Volksvertreter*innen nicht einmal in einem „minimal akzeptablen“ Maße die Wähler*innen repräsentieren. Auch fehle es an einem Mindestmaß an Gleichgewicht und Ausgewogenheit der politischen Kräfte. Zudem sei die Regierung „im Wesentlichen ein Vasall der hegemonialen Gruppe im Kongress“, die durch die extreme Rechte repräsentiert werde und „ein erhebliches Maß an Kontrolle über den Staat“ erlangt habe. Diese gefährliche Machtkonzentration könnte negative Auswirkungen haben, zum Beispiel auf die Ermittlungen zur staatlichen Gewalt bei sozialen Protesten. (…) Mit einer Generalstaatsanwältin wie Patricia Benavides, die wegen des Nichtauffindens ihrer Doktorarbeit unter Druck steht, aber durch ihre Allianzen mit der extremen Rechten gestützt wird, gebe es keine Garantie dafür, dass die Staatsanwaltschaft eine „objektive Arbeit“ leiste. „Solange die Teams, die diese Ermittlungen durchführen, auf die eine oder andere Weise direkt der Generalstaatsanwältin Patricia Benavides unterstellt sind, gibt es keine Garantie für eine objektive Arbeit“, so Gorriti. Umso mehr, als die Exekutive versuche, ihre politische Verantwortung zu leugnen. Doch Regierung und Behörden seien nach Ansicht des Direktors von IDL-Reporteros durchaus verantwortlich, „weil sie nicht wussten, wie man die richtigen Anweisungen zur richtigen Zeit erteilt“. Für Gorriti lässt sich dieses Szenario nicht einfach mit vorgezogenen Neuwahlen überwinden. „Wenn es keine guten Alternativen gibt, werden wir ein Problem, auch wenn es ernst und schwerwiegend ist, gegen ein anderes austauschen“…“ Meldung vom 13. Mai 2023 beim Nachrichtenpool Lateinamerika externer Link
  • Proteste in Peru: Abschlussbericht der Interamerikanischen Menschenrechtskommission CIDH bestätigt staatliche Gewaltverbrechen  „Auf einer Pressekonferenz ist der Abschlussbericht der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (CIDH) über die Menschenrechtslage in Peru während der regierungskritischen Proteste seit Ende letzten Jahres vorgestellt worden. Hintergrund sind die Menschenrechtsverletzungen während der landesweiten Proteste gegen Präsidentin Dina Boluarte. Diese war Anfang Dezember vom Kongress zur Präsidentin ernannt worden, nachdem das Parlament die Absetzung ihres Vorgängers Pedro Castillo beschlossen hatte. Über 60 Menschen sind seitdem von Polizei- und Militärangehörigen getötet worden (amerika21 berichtete). Der Bericht, der den Zeitraum zwischen dem 7. Dezember 2022 und dem 23. Januar dieses Jahres abdeckt, ist das Ergebnis des mehrtägigen Aufenthalts einer CIDH-Delegation in dem südamerikanischen Land zu Beginn dieses Jahres. Er bestätigt die Vorwürfe gegen die Sicherheitskräfte. Um sich ein Bild von der Menschenrechtslage zu machen, war die Delegation im Januar nach Peru gereist, als bereits 47 Menschen bei den Protesten ums Leben gekommen waren. Die Delegierten führten mehr als 60 Gespräche, unter anderen mit Präsidentin Dina Boluarte, anderen Regierungsmitgliedern, Vertreter:innen der Staatsanwaltschaft, der Kirche und der Ombudsbehörde, Familien der Opfer und Organisationen der Zivilgesellschaft. Im Abschlussbericht wird die staatliche Reaktion während der Demonstrationen als „unverhältnismäßig, wahllos und von tödlicher Gewaltanwendung geprägt“ bezeichnet. Die CIDH verweist insbesondere auf die hohe Zahl der Toten und Verletzten, vor allem derjenigen, die nicht in direkte Konfrontationen mit den Streitkräften verwickelt waren. Sie heben ein besonderes Ausmaß an Gewalt in den südlichen Regionen Juliaca, wo die Proteste allein am 9. Januar 17 Todesopfer forderten, und Ayacucho hervor, wo sie „außergerichtliche Hinrichtungen“ durch den Staat sowie eine Einstufung als „Massaker“ nicht ausschließen. Der Bericht analysiert verschiedene Faktoren, die die Proteste ausgelöst haben. Besonders hervorgehoben wird die institutionelle Krise Perus, die seit mindestens 2016 andauert. Zudem wird die Rolle der Stigmatisierung aufgrund regionaler und rassistischer Faktoren in der öffentlichen Debatte betont. Diese Diffamierungen, so der Bericht, „sind nicht harmlos, sondern tragen im Gegenteil dazu bei, ein Umfeld zu schaffen, in dem Diskriminierung, Stigmatisierung und institutionelle Gewalt gegen diese Bevölkerungsgruppe toleriert und geduldet werden“. So ließen sich auch die unterschiedlichen Reaktionen der staatlichen Streitkräfte darauf zurückführen. (…) Stuardo Ralón, Vizepräsident der CIDH und Leiter der Delegation in Peru betont, dass der Bericht keinen bindenden Charakter habe: „Wir geben Peru keinen politischen Weg vor, sondern drängen auf einen breiten Dialog, der Vereinbarungen beinhalten kann“, so Ralón. Nichtsdestotrotz fordert er die Regierung auf, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, die für eine Wiedergutmachung erforderlich sind.“ Beitrag von Agnes Sieben vom 10. Mai 2023 in amerika21 externer Link
  • Peru: Eine Verfassung für alle Menschen im Land
    Im Interview von Antonella Navarro (Übersetzung: Ulrike Geier) in den Lateinamerika Nachrichten Nr. 586 vom April 2023 externer Link erläutert die Aktivistin Lourdes Huanca die Lage in Peru: „… Patriarchale Strukturen sind sehr stark in Lateinamerika und wir haben immer dafür gekämpft, das sichtbar zu machen. Deswegen haben wir die Föderation der Landwirtinnen, Handwerkerinnen, indigenen und erwerbstätigen Frauen Perus (Fenmucarinap) vor 17 Jahren gegründet und sind landesweit aktiv. Unsere Arbeit beruht auf zwei Hauptsäulen: einerseits Empowerment von Frauen und andererseits Ernährungssouveränität. Unser Kampf gilt dem Schutz des Wassers, der Erde und unserer Kultur und Weltanschauung. Wir kämpfen kompromisslos für die Verteidigung der Menschenrechte und Vielfalt, setzen uns aber genauso für das Recht auf Abtreibung ein. Unsere Großeltern haben uns gelehrt, das Land zu verteidigen, aber sie haben uns nicht eingeschärft, wie wir uns als Frauen zu verteidigen haben. Wir sind Teil der lateinamerikanischen Koordination bäuerlicher Organisationen (CLOC-Vía Campesina). Dort werden wir darauf vorbereitet, politische Führungsarbeit zu leisten. Als Organisation machen wir politische Öffentlichkeitsarbeit, damit wir z. B. vom Frauen- oder Landwirtschaftsministerium empfangen werden. (…) Die Regierung hat [die struktureller Exklusion der indigenen Bevölkerung] schon immer fatal vernachlässigt, nicht nur jetzt unter Boluarte. Auch die vorherigen Regierungen haben sich nie darum gekümmert, der indigenen Bevölkerung ein gutes Leben zu ermöglichen. In den meisten unserer Regionen haben sich Bergbauunternehmen angesiedelt und man sollte meinen: Wenn sie dort Gold abbauen, sollte das Land besser dran sein. Es sollte bessere Schulen, Straßen und Krankenhäuser geben sowie fähige Fachleute. Aber dort, wo sich die Bergbauunternehmen befinden, häuft sich extreme Armut am stärksten. In Bagua gab es ein Massaker, als Indigene aus der Regenwaldregion sich gegen einen Gesetzesvorschlag auflehnten, der es den großen Unternehmen ermöglichen sollte, sich das Land anzueignen. Die Regierung sieht nur diejenigen als Menschen an, die in den Städten leben, weil sie dort Trinkwasserzugänge und Kanalisationen bauen. In unseren indigenen Dörfern haben wir so etwas nicht. Dort leben wir mit Flüssen, die verschmutzt sind von Bergbau und Erdöl. Sie wollen uns auch genetisch verändertes Saatgut aufzwingen, was die indigenen Gemeinden töten und uns zu reinen Konsumenten machen würde. Wir ernten, weil wir die einheimischen Saatkörner haben und die Pachamama (Mutter Erde) ist für uns kein Geschäft, sondern unser Leben. Wir sind gezwungen in die Städte zu migrieren, weil die Bergbauunternehmen sich unsere Territorien aneignen. Wir müssen in eine rassistische Kultur migrieren, die schon in der Schule beginnt. Wieso können sie an den Schulen nicht in unseren Sprachen unterrichten? Warum müssen sie unsere Kultur und unsere Sitten so verstümmeln? Das wertet die indigene Bevölkerung ab, und es ist noch schlimmer, wenn Du eine Frau bist. Das ist es, was alles in Peru zerstört hat, diese anerzogene Abwertung. (…) Unsere Forderungen sind: Rücktritt von Boluarte, Freiheit für Pedro Castillo, Auflösung des Kongresses, Gerechtigkeit für die 72 getöteten Held*innen und dass eine plurinationale, paritätisch besetzte, verfassungsgebenden Versammlung einberufen wird. Diese neue verfassungsgebende Versammlung ist wichtig, weil sie unser Leben verändern würde. Die indigenen Völker sind in der Verfassung von 1993 überhaupt nicht vertreten. In der Legislative und Exekutive müssen aber auch Indigene, junge Menschen, Frauen und Intellektuelle vertreten sein; wir brauchen eine Verfassung für alle, denn wir sind ein plurinationales Land.“
  • Peru: Opferverbände fordern Bestrafung von Verantwortlichen der Massaker
    Bei einem Bündnistreffen Hinterbliebener und Opfer staatlicher Repression prangerten die Teilnehmenden die Straffreiheit von Menschenrechtsverbrechen an und forderten den Rücktritt von Präsidentin Dina Boluarte. Hintergrund sind die seit Dezember letzten Jahres begangenen Menschenrechtsverletzungen bei den landesweiten Protesten gegen Boluarte. Diese war Anfang Dezember vom Kongress zur Präsidentin ernannt worden, nachdem das Parlament die Absetzung ihres Vorgängers Pedro Castillo beschlossen hatte. Bei den Protesten waren insgesamt über 60 Menschen von Polizei- und Militärangehörigen getötet worden (…) Auch zahlreiche Opferanwält:innen nahmen an dem Treffen teil. Diese gaben an, dass sie Präsidentin Boluarte wegen der während ihrer Regierung begangenen Verbrechen strafrechtlich angezeigt hätten. Neben anderen Vereinbarungen kündigten die Familien der Opfer an, einen Marsch in die Hauptstadt vorzubereiten, um Fortschritte bei den Ermittlungen gegen Verantwortliche zu erwirken. Im Anschluss fanden sich die Teilnehmenden zu einer Sitzblockade auf der Plaza de Armas in Juliaca ein, um der 19 Opfer in der Stadt zu gedenken, die dort am 15. Januar ihr Leben verloren, sowie derer, die am 10. Dezember in Ayacucho getötet wurden.
    Vergangenen Freitag forderte die Repression ein weiteres Opfer. Der 36-jährige Manuel Quilla Ticona erlag nach einem mehrwöchigen Krankenhausaufenthalt den Folgen erlittener Polizeigewalt. Angehörige klagen an, dass er während der Demonstrationen in Lima verhaftet und in einer Polizeistation gefoltert wurde.
    Inzwischen hat die Anzahl der Proteste in Peru abgenommen. Dienstag letzte Woche wurden 40 blockierte Straßen in 13 Provinzen registriert. Zahlreiche Menschen versammelten sich am Freitag vor dem Rathaus im Bezirk Miraflores (Lima), nachdem der Bezirksbürgermeister den Ort der Erinnerung (Lugar de la Memoria) auf unbestimmte Zeit hatte schließen lassen. Grund seien fehlende Sicherheitszertifikate, so die örtlichen Behörden. Die Schließung erfolgte am selben Tag, an dem Amnesty International dort einen Bericht über die Lage der Menschenrechte in Peru vorstellen sollte. Kritiker:innen sehen in dem Vorgehen der Bezirksregierung einen gezielten Angriff auf jene Institutionen, die sich der Wahrheitsfindung verschreiben.“ Beitrag von Antonia Rodriguez Sanchez vom 06.04.2023 in amerika21 externer Link
  • Peru: Umstrittene Strafverfolgung Castillos und verstärkte Kriminalisierung der Proteste
    Laut Anwälten kein ordnungsgemäßes, faires Verfahren gegen Castillo. Boluarte lehnt weiterhin Rücktritt ab und will Strafmaße für Delikte bei Protesten erhöhen
    Die Rechtmäßigkeit der Strafverfolgung von Pedro Castillo, dem im Dezember abgesetzten und inhaftierten Präsidenten Perus, wird weiterhin angezweifelt. Sein Anwalt Eugenio Zaffaroni hat vor der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (CIDH) die sofortige Freilassung Castillos und die Wiedereinsetzung ins Präsidentenamt gefordert. Castillo ist seit dem 7. Dezember 2022 in der peruanischen Hauptstadt inhaftiert. Seine Familie fand in Mexiko Zuflucht. Ihm wird vorgeworfen, mit der Ankündigung das Parlament aufzulösen einen Staatsstreich eingeleitet zu haben, was den Tatbestand der Rebellion erfüllen könnte. (…) Derweil weigert sich Dina Boluarte, eingesetzte Interimspräsidentin, das Präsidentenamt frühzeitig niederzulegen, den Weg freizumachen für Neuwahlen und damit einer zentralen Forderung der Protestierenden nachzukommen. Nach einem Treffen am vergangenen Montag mit verschiedenen Parteien im Kongress, erklärte der Parteivorsitzende der „Partido Morado“, Luis Duran Rojo, gegenüber der Presse, die Staatschefin halte daran fest, dass ihre Regierung „keine Übergangsregierung“ sei und dass sie im Amt bleiben solle, bis der Kongress über eine Vorverlegung der Präsidentschafts- und Parlamentswahlen entscheide. Boluarte treibt stattdessen die Kriminalisierung der Proteste voran. Am vergangenen Freitag übermittelte sie dem Kongress einen Gesetzentwurf, der Änderungen im Strafgesetzbuch vorsieht. Der Vorschlag zielt darauf ab, die Haftstrafen für Delikte zu erhöhen, die während des Ausnahmezustands begangen werden. So soll in Zukunft eine „Behinderung des Funktionierens der öffentlichen Dienste“ (Art. 283), „die Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit von Personen oder die schwere Schädigung von öffentlichem oder privatem Eigentum“ mit mindestens acht Jahren bestraft werden, bisher gelten Strafen von mindestens sechs Jahren. Die Frist für polizeilichen Gewahrsam soll von 24 Stunden auf 48 Stunden erhöht werden. Darüber hinaus sieht der Entwurf die Möglichkeit einer vorläufigen Festnahme für zehn Tage vor…“ Beitrag von Julia Liebermann vom 25.02.2023 in amerika21 externer Link
  • Ein Ende der Staatskrise in Peru ist nicht in Sicht, Demonstrationen reißen trotz Repressionen nicht ab
    • Peru: Proteste gegen Putschisten. Demonstrationen reißen trotz Repressionen nicht ab. Forderungen nach Rücktritt der De-facto-Präsidentin, Auflösung des Kongresses und Neuwahlen
      „Der Aufstand gegen das Putschistenregime in Peru lässt sich auch mit zunehmender Repression und Polizeigewalt nicht niederschlagen. Obwohl bei der Unterdrückung von Protesten nach Angaben örtlicher Medien bereits mehr als 60 Menschen durch Einsatzkräfte getötet und Hunderte verletzt worden sind, haben Tausende Menschen zum Wochenbeginn erneut den Rücktritt der De-facto-Präsidentin Dina Boluarte, die Auflösung des von der Rechten dominierten Kongresses und vorgezogene Wahlen im Jahr 2023 gefordert. Der lateinamerikanische Nachrichtensender Telesur berichtete am Montag über neue Streiks und Demonstrationen in den Städten Trujillo und Piura sowie in den Regionen Lambayeque und San Martín im Norden des Landes. Die Aktionen ergänzten die starken Proteste in den südlichen Landesteilen, die dort seit dem parlamentarischen Staatsstreich vom 7. Dezember vergangenen Jahres gegen den vom Volk gewählten linken Präsident Pedro Castillo anhalten. In der südlichen Region Arequipa organisierte die örtliche »Frente de Defensa de los intereses de los trabajadores« (Front für die Verteidigung der Arbeiterinteressen) erneut einen Streik. In der Region Puno, in der mehr als drei Viertel der Bürger indigenen Gemeinschaften angehören, forderten Demonstranten Gerechtigkeit für die Opfer der Repression. »Heute ist das Aymaravolk auf die Straße gegangen«, meldete der Telesur-Korrespondent von dort. Zugleich seien soziale und indigene Verbände dabei, neue Märsche in Richtung der Hauptstadt Lima zu organisieren, um die Proteste auch dort zu forcieren, berichtete der Reporter. In der Hauptstadt hatten Einheiten der Nationalpolizei Regierungsgegner am Sonnabend mit Tränengasgranaten beschossen und deren Demonstrationen gewaltsam aufgelöst. Gegenüber örtlichen Medien betonten Teilnehmer dennoch ihre Entschlossenheit, die Proteste fortzusetzen, bis die Regierung Boluarte zurücktrete und die Verantwortlichen für die Opfer der Repression zur Rechenschaft gezogen würden. Amnesty International (AI) hatte Anfang vergangener Woche bestätigt, dass Einsatzkräfte »zu verschiedenen Zeitpunkten wahllos auf Demonstrierende gefeuert« hätten. Dabei seien tödliche Waffen eingesetzt worden, erklärte die AI-Vertreterin bei Vorlage eines Untersuchungsberichtes. Unter Boluarte komme es zu schweren Menschenrechtsverletzungen, die durch den Rassismus gegenüber der indigenen Bevölkerung verstärkt würden, hieß es von der Organisation…“ Artikel von Volker Hermsdorf in der jungen Welt vom 22. Februar 2023 externer Link
    • Aufstand der Abgehängten. Ein Ende der Staatskrise in Peru ist nicht in Sicht
      „… Sie sind martialisch ausgerüstet, mit Schutzschild und Knüppel: Polizisten versperren jedem, der den San-Martin-Platz in Lima betreten will, den Weg. (…) Seit Dezember entlädt sich in Peru eine Wut, die sich vor allem bei der ärmeren Landbevölkerung über Jahre angestaut hat. „Die Regierung hilft uns Bauern nicht“, erklärt der 75-jährige Luciano Quispe, während er seinen Kühen Futter in den Trog schüttet. „Stattdessen gibt sie ausländischen Konzernen großzügige Minenkonzessionen und stopft sich selbst die Taschen voll.“ Die Wut und das Misstrauen gegenüber der Politik-Elite in Lima sitzt tief bei Quispe, dem früheren Direktor der Schule seines Andendorfes Matucana. (…) Peru gilt als politisch äußerst instabil, selbst für südamerikanische Verhältnisse. Castillo ist nur der jüngste Fall einer Reihe von gescheiterten Staatschefs. In der Galerie des Präsidentenpalastes reihen sich inzwischen die Ölgemälde zahlreicher Kurzzeit-Präsidenten aneinander. Allein in den letzten fünf Jahren wurden fünf verschiedene Präsidenten vereidigt. Alle, die das Amt seit den 1990er-Jahren innehatten, waren danach in Skandale und Korruptionsvorwürfe verwickelt. Die Ex-Präsidenten, die noch leben, sitzen entweder im Gefängnis, stehen unter Hausarrest, befinden sich in Untersuchungsverfahren oder haben sich ins Ausland abgesetzt. Dies zeigt, wie dysfunktional und verwundbar die peruanische Demokratie ist. (…) Wirtschaftlich lebt Peru vor allem von der Ausbeutung seiner reichen Bodenschätze, die allerdings oft mit Umweltverschmutzung einhergeht und der lokalen Bevölkerung kaum Wohlstand bringt. Der frühere Lehrer Quispe fordert deshalb eine neue Verfassung, weil es „so mit Peru nicht weitergehen darf“. Er meint die allgemeine politische Instabilität, wo der Kongress derart mächtig ist, dass er den Präsidenten bereits aufgrund „moralischer Unfähigkeit“ absetzen kann. Dies ist im Vergleich zu anderen Demokratien sehr ungewöhnlich. Weil der Präsident wiederum den Kongress auflösen kann, kommt es in Peru häufig zu einem politischen Patt, einem Dauerkonflikt zwischen Regierung und gesetzgebender Gewalt. Diese politische Selbstbeschäftigung führt dazu, dass viele Peruaner das Vertrauen in das politische System verloren haben. Gleichzeitig bezeichneten manche Parlamentarier die Demonstranten als „Terroristen“. „Dabei fordern diese Menschen nur mehr Teilhabe am Wohlstand in Peru, also bessere Bildung und Gesundheitsversorgung“, erklärt José Incio, Sozialwissenschaftler an der Katholischen Universität von Lima. Incio geht davon aus, dass die Proteste in Zukunft immer wieder aufflammen werden, wenn Peru seine strukturellen Probleme nicht löse. Ein neuer verfassungsgebender Prozess könnte dafür sorgen, dass der soziale Frieden wieder hergestellt wird – auch wenn dies im politisch zerstrittenen Peru derzeit unrealistisch erscheint.“ Beitrag von Levin Schwarzkopf und Matthias Ebert vom 19. Februar 2023 bei tagesschau.de externer Link
  • Ausnahmezustand verlängert, ein Vorstandsmitglied des Gewerkschaftsbundes CGTP in Pucallpa verhaftet und Gewerkschaften in Peru im landesweiten unbefristeten Streik
    • Gewerkschaften in Peru im landesweiten Streik, Regierung verlängert Ausnahmezustand
      Forderung nach Rücktritt von Präsidentin Boluarte und Dialog mit Behörden über die politische und soziale Krise. Ministerium für Arbeit: Streik ist unzulässig
      Verschiedene Gewerkschaftsverbände in Peru haben am vergangenen Donnerstag einen unbefristeten Streik begonnen, um den Rücktritt von Präsidentin Dina Boluarte zu fordern, der „Instabilität im Land ein Ende zu setzen“ und einen Dialog mit den Behörden über die derzeitige politische und soziale Krise zu erwirken. Aufgerufen haben unter anderem Dachverbände wie die Gewerkschaft der Bildungsarbeiter Perus (Sutep), die Föderation der peruanischen Bauarbeiter (FTCCP) und der Allgemeine Bund der peruanischen Arbeiter (CGTP). Die Regierung hat unterdessen den Ausnahmezustand in den Gebieten verlängert, in denen die großen Proteste gegen die Regierung stattfinden. Präsidentin Boluarte hatte am Mittwoch nach der Ausrufung des Streiks erklärt, dass dieser unverständlich sei, da sie bereits mit Vertretern der CGTP gesprochen und dabei zu einem ständigen Dialog eingeladen habe. In einem Interview mit Exitosa bestritt der stellvertretende Generalsekretär des CGTP, Gustavo Minaya, dies: „Es gab weder einen Dialog noch einen Anruf“, betonte er. Das Ministerium für Arbeit und Beschäftigungsförderung (MTPE) hat den landesweiten Streik indes für unzulässig erklärt. Tausende Bürger:innen und Delegationen aus verschiedenen Regionen des Landes versammelten sich dennoch am Donnerstag auf der Plaza Dos de Mayo in Lima und anderen zentralen Plätzen des Landes, um gegen die Regierung Boluarte und für die Auflösung des Kongresses und eine verfassungsgebende Versammlung zu protestieren. (…) In Juliaca (Puno) wurden in der Nacht zum Freitag mindestens 23 Menschen verletzt, als Sicherheitskräfte gegen eine Gruppe von Demonstrant:innen mit Tränengasgranaten und Plastikschrot vorgingen. In der Region Apurímac wurde am Freitagmorgen der Tod eines jungen Mannes in Folge einer Schussverletzung durch die Polizei bestätigt…“ Beitrag von Antonia Rodriguez Sanchez am 12.02.2023 in amerika21 externer Link
    • Die CGTP prangert an, dass die Diktatur von Dina Boluarte und ihre Unterdrückungsinstrumente den Genossen Ernesto Tapia, den nationalen Führer der #CGTP, willkürlich festgenommen haben, für den wir seine sofortige Freilassung fordern. #Dictadura #DinaBoluarte #huelganacional #represion #peru“ span. Tweet der CGTP PERU vom 9. Feb. 2023 externer Link mit Foto
    • Das Problem heißt Lithium. Peru: Demonstrationen gegen De-facto-Regierung gehen weiter. Inhaftierter Expräsident Castillo gibt erstes Interview zu Hintergründen von Putsch
      In Peru haben erneut Zehntausende Menschen mit Straßenblockaden und Demonstrationen den Rücktritt der De-facto-Präsidentin Dina Boluarte gefordert. Zu den als »Paro nacional« (Generalstreik) angekündigten Protesten hatte der Gewerkschaftsverband Confederación General de los Trabajadores del Perú (CGTP) aufgerufen und angekündigt, die Proteste und Streiks in den nächsten Tagen fortzusetzen. Schwerpunkt der Demonstrationen war die Hauptstadt Lima, wo Tausende Menschen ab dem frühen Donnerstag nachmittag (Ortszeit) durch die Innenstadt zogen. Zuvor waren Hunderte Menschen über die Panamericana in die Innenstadt gelangt. Weitere Forderungen der Demonstranten sind eine neue Verfassung und die Freilassung des inhaftierten Expräsidenten Pedro Castillo. In der Stadt Pucallpa im Osten des Landes forderten Demonstranten auch die Freilassung von Ernesto Tapia, leitendes Mitglied der CGTP in der Region. Der Gewerkschafter war am Tag zuvor »mitten in der Mobilisierung von der Polizei geschlagen und festgenommen worden«, hieß es in einem Artikel von La República. Laut Telesur gab es in mindestens 18 Provinzen des Landes Proteste. In Juliaca im Süden Perus versammelten sich bereits am Vormittag Angehörige ermordeter Demonstranten. Gegen 16 Uhr Ortszeit kam es in der Nähe des Flughafens zu »Auseinandersetzungen« zwischen Protestierenden und Polizei; die habe Tränengas eingesetzt, schrieb La República…“ Artikel von Thorben Austen, Quetzaltenango, in der jungen Welt vom 11.02.2023 externer Link
  • „Ein neues politisches Bündnis für alle“ aus 130 Organisationen, Bündnissen und Institutionen – als Ausweg aus der politischen Krise in Peru 
    „Als Ausweg aus der politischen Krise in Peru schlagen 130 Organisationen, Bündnisse und Institutionen der peruanischen Zivilgesellschaft einen nationalen Plan für Demokratie, Menschenrechte sowie nachhaltige und inklusive Entwicklung vor. In dem von der Nationalen Menschenrechtskoordination (CNDDHH) veröffentlichten gemeinsamen Erklärung externer Link wird ein neues politisches Bündnis gefordert, das alle Bürger*innen einschließen soll. Mit dieser Erklärung hoffen die Unterzeichnenden, einen demokratischen Raum zu öffnen für „ein neues politisches Projekt für die Marginalisierten, die Opfer von Klassismus, Rassismus und Patriarchat, die jahrhundertelang vernachlässigt wurden“. Sie fordern außerdem den Rücktritt der Übergangspräsidentin Dina Boluarte und Neuwahlen noch in diesem Jahr. (…) Die Situation erfordere eine politische Plattform und eine kurz- und mittelfristige Agenda für das ganze Land, um einen rechtmäßigen politischen Raum zu schaffen. „Dies ist der Weg, um der eindeutig konservativen und autoritären Bedrohung entgegenzutreten und sie abzuwenden“, heißt es in der Erklärung. „Denn ihr Ziel ist es, ihre eigene ideologische Agenda gegen die allgemeinen Bürgerrechte und ein autoritäres und ausgrenzendes Regime im Dienste der Mächtigen durchzusetzen.“ Aus diesem Grund müssten die Vertretungen der protestierenden zivilgesellschaftlichen Gruppen in den verschiedenen Landesteilen darin gestärkt werden, sich zu artikulieren und mit den staatlichen Organen zu verhandeln. „Wir weisen jeden Versuch zurück, diese Agenda zu ignorieren und einen Dialog auf das zu beschränken, was die Regierung als soziale Agenda bezeichnet“, so die Erklärung. „Wir verpflichten uns, mit unseren Vorschlägen und Positionen an einem breit angelegten nationalen Dialog teilzunehmen, ausgehend von den verschiedenen Regionen im Land. In Erwartung der Einsetzung einer neuen Regierung wollen wir so einen Konsens über kurz- und mittelfristige Strategien erreichen.“ Die unterzeichnenden Organisationen schlagen außerdem vor, sich mit den Regionalregierungen sowie den sozialen Organisationen im Norden, im Zentrum und im Süden Perus zu koordinieren und zu verbünden, um Räume für einen repräsentativen und autonomen regionalen Dialog zu schaffen. Schließlich fordern sie die Vertreter*innen der Delegationen der Vereinten Nationen, der Europäischen Union und der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) auf, weiterhin wachsam zu sein und sich zu den schwerwiegenden Vorfällen in Peru zu äußern, „um zu verhindern, dass sich die Stigmatisierung der sozialen Proteste und deren gewaltsame Unterdrückung verschlimmern.“ Meldung vom 5. Februar 2023 beim Nachrichtenpool Lateinamerika externer Link, siehe auch:

  • Kongress von Peru ignoriert die zentralen Forderungen der landesweiten Proteste. Indigene Aymara rufen unbefristete Mobilisierung gegen Dina Boluarte aus 
    „… Der peruanische Kongress hat mit 75 Gegenstimmen den Vorschlag des Abgeordneten Jaime Quito (Perú Libre) für vorgezogene Wahlen im September 2023 und für ein Referendum über eine verfassungsgebende Versammlung abgelehnt. Der Gesetzentwurf sah vor, dass das neu gewählte Staatsoberhaupt sein Amt am 31. Dezember 2023 antritt. Mit der Abstimmung wurden zugleich weitere Diskussionen über vorgezogene Parlamentswahlen auf August verschoben und damit eine der Hauptforderungen der Proteste gegen Präsidentin Dina Boluarte ignoriert. Vertreter:innen der indigenen Aymara in Puno haben beschlossen, dass sie so lange protestieren und Straßen blockieren werden, bis die Präsidentin zurücktritt. „Wir sind keine Terroristen. Wir haben gesehen, wie viele unserer Brüder getötet worden sind. Wir fordern den Rücktritt von Dina Boluarte“, so ein Gemeindemitglied aus Plateria gegenüber La Republica. In einer Pressekonferenz in Talara (Piura) verkündete Boluarte erneut, dass sie nicht von ihrem Amt zurücktreten werde. Sie wies darauf hin, dass die Vorverlegung der Parlamentswahlen in den Händen des Kongresses liege. „Mein Rücktritt steht in dieser Situation nicht zur Debatte. Ich weiß, dass es einen kleinen Teil der Bevölkerung gibt, nämlich die Gruppen, die Gewalt und Chaos im Land verursachen, die den Rücktritt von Präsidentin Boluarte erpressen wollen. Wir werden dieser politischen Erpressung nicht nachgeben“, versicherte die durch die Absetzung und Verhaftung des gewählten Präsidenten Pedro Castillo ins Amt gekommene. (…) Vorvergangenen Samstag wurde der erste Todesfall bei Protesten in der Hauptstadt Lima bekannt. Das Opfer war Víctor Santisteban Yacsavilca (55), wie das peruanische Ombudsbüro bestätigte. Kameraaufzeichnungen zeigen, wie das Opfer von einer Tränengasgranate der Polizei am Hinterkopf getroffen wurde und daraufhin zu Boden ging. Die Anwältin Ruth Luque sagte, der Tod sei aufgrund eines schweren Schädel-Hirn-Traumas eingetreten. „Eine schmerzliche Nachricht, die dringende politische Antworten erfordert“, twitterte sie. Auch die Gesundheitsbehörde EsSalud teilte zunächst mit, dass der Verstorbene mit einem „schweren Schädel-Hirn-Trauma“ eingeliefert worden sei. Später veränderte sie das Kommuniqué, in dem es nun hieß, dass er mit einer „starken Prellung“ und in einem „schlechten Allgemeinzustand“ in Folge eines „Schlages“ eingetroffen sei. Nach Angaben des nationalen Journalistenverbands Perus (ANP) nehmen auch Repression und Gewalt gegen Pressevertreter:innen zu. So seien bisher 153 Journalist:innen im Zusammenhang mit den Protesten gegen die Regierung angegriffen worden, die meisten von ihnen von Polizeikräften. Zu den schwerwiegendsten Vorfällen zählt der ANP die von Polizeibeamten ausgesprochene Morddrohung gegen den Fotojournalisten der spanischen Nachrichtenagentur Efe, Aldair Mejía am 7. Januar in Juliaca ( Puno). Wenige Stunden später wurde der Journalist von einem Granatsplitter im rechten Bein getroffen, der einen Knochenbruch verursachte. (…)Unterdessen kann die Regierung Boluarte weiterhin auf die Unterstützung der USA zählen. US-Vizeaußenministerin Wendy Sherman traf sich am vergangenen Dienstag mit der peruanischen Außenministerin Ana Cecilia Gervasi in Washington. Wie aus einer Pressemitteilung des State Department hervorgeht, „bekräftigte Sherman die Unterstützung der USA für Peru und Präsidentin Boluarte und ihre Bemühungen, die peruanische Demokratie zu stärken und Frieden, Stabilität und die Einheit des peruanischen Volkes zu sichern“. Die Vizeaußenministerin habe die Regierung Boluarte „ermutigt, weiterhin Schritte zu unternehmen, um die Verantwortlichen für Gewalttaten zur Rechenschaft zu ziehen“.“ Beitrag von Antonia Rodriguez Sanchez vom 6. Februar 2023 bei amerika21 externer Link
  • Stimmen des Protests. Menschen aus Peru teilen ihre Gedanken und persönlichen Erfahrungen zu den Protesten
    „Es war der erste Tag des unbefristeten Streiks in Abancay, einer Stadt in der südlichen Region Apurímac. Die Atmosphäre war angespannt, aber es herrschte eine gesellige Stimmung. Vor allem aufgrund der vielen Menschen, die aus den verschiedenen Provinzen kamen, um ihren Forderungen und gemeinsamen Zielen Gehör zu verschaffen. Am ersten Tag, dem 12. Dezember, verlief der Streik ohne jegliche Auseinandersetzungen. Die Polizei beschützte die öffentlichen Einrichtungen und es gab keine Zwischenfälle, außer in der Stadt Andahuaylas, drei Stunden von Abancay entfernt, wo fünf Tote gemeldet wurden. Am nächsten Tag gab es in Abancay nur wenig Polizeipräsenz. Dagegen gab es viele Beamte in Zivil und anstatt die öffentlichen Einrichtungen zu schützen, sahen wir, wie die infiltrierten Polizisten Angriffe auf öffentliches und privates Eigentum verübten. Viele gaben dennoch den Demonstranten die Schuld. Am Abend ging eine Gruppe von Bürgern auf die Straße, um gegen den Vandalismus zu protestieren, wobei sie die Demonstranten, insbesondere die angereisten Indigenen, ohne jeden Grund beschuldigten. Diese reaktionären Gruppen gewannen mit der Zeit an Stärke und wurden später mit dem Slogan „Nein zu Vandalismus; kein Terrorismus mehr“ bekannt. Sie zeichnen sich durch ihre rassistischen und klassistischen Äußerungen aus. (…) Wie wir auf nationaler Ebene und speziell hier in der südlichen Andenregion gesehen haben, hat die Tatsache, dass ein Präsident abgesetzt wurde, der von einer Mehrheit in diesen Gebieten gewählt wurde, die Bevölkerung mobilisiert. Zumindest mich mobilisierte das starke Gefühl, dass wir nie an der politischen Gestaltung dieses Landes teilnehmen konnten. Über Jahre erlegten uns der Kongress und die Exekutive Gesetze auf, die meist zu ihren Gunsten waren. Jetzt gerade sehen wir, wie die Regierung den neoliberalen Unternehmen die Steuern erlässt und millionenschwere Verträge für viele Jahre verlängert. Die Bevölkerung spürt, dass es so nicht weitergehen kann und dass es Veränderungen geben muss. (…) Ich habe das Gefühl, dass sich der gesamte Süden und jetzt auch der Norden und das Zentrum des Landes auflehnen. Das ist ein gutes Zeichen, denn es zeigt die Ablehnung des neoliberalen Systems, in dem wir leben. Ich spüre auch eine Hoffnung, dass wir – trotz der Trauer über die Morde – mit neuen Perspektiven und neuen Gedanken in der Gemeinschaft zusammen vorankommen werden. Wir werden den heutigen Individualismus überwinden. Schritt für Schritt, trotz aller Unzulänglichkeiten, aller Probleme, die auftauchen werden. (…) Die Repression der Regierung von Dina Boluarte ist keineswegs neu. ANFASEP besteht nun seit 40 Jahren. Wir sind es leid, Gewalt zu sehen. Derzeit ermorden sie Menschen in vielen Dörfern, in Juliaca, in Andahuaylas, in Ayacucho. Wir protestieren lautstark und sie töten uns mit Schüssen, am helllichten Tag. Sie haben junge Menschen voller Lebensenergie getötet. Ihre Familien leiden, so wie wir gelitten haben. Ich weiß nicht, ob es für diese Menschen Gerechtigkeit geben wird. Hier in Ayacucho sind wir in Trauer und niemand unternimmt etwas. Die gekauften Journalisten, die alle Fujimori befürworten, äußern sich nicht dazu. (…) Ich war gerade auf der Arbeit in der Apurímac-Region. Um zwei Uhr erfuhr ich, dass mein Bruder von einer Kugel getroffen worden war. Man schickte mir per WhatsApp ein Video. Mein Bruder war Präsident der bäuerlichen Gemeinde von Anta und Präsident des Bauernverbandes der Anta-Provinz. Er war als Gemeindepräsident federführend in der Organisation der Proteste._Auf einem Gemeindetreffen wurde die Entscheidung getroffen, gegen die Regierung von Dina Boluarte zu demonstrieren. Er war ständig bei den Treffen gewesen, weil die Gemeinschaft von Anta dort war. (…) Auch die Rechten haben dazugelernt, sie machen Propaganda, indem sie sagen, die verfassunggebende Versammlung sei für Terroristen, für Leute, die nur Böses für unser Land wollen und sie nennen als Beispiel Chile. Wir haben von Chile gelernt, dass es möglich ist, durch Mobilisierung und Solidarität einen verfassunggebenden Prozess anzustoßen. Aber es gab auch viele Fehler auf Seiten der Linken selbst, die sich vielleicht zu sehr in institutionelle Fragen verstrickt haben und dabei vergaßen, den breiten Massen zu zeigen, dass eine neue Verfassung einen Gewinn darstellt. In Chile hat die Rechte das Referendum am Ende gewonnen. Das können wir hier nicht zulassen.“ Stimmen des Protestes in den Lateinamerika Nachrichten Nr. 584 vom Februar 2023 externer Link in der Übersetzung und Transkription von Moritz Aschemeyer, Tininiska Zanger Montoya, Elisabeth Erdtmann, Sarah Schaarschmidt & Johanna Saggau
  • Parlament verhindert Neuwahlen, Tausende demonstrieren am Samstag, 4.2. mit Feuerwerkskörpern gegen das Tränengas der Polizei – internationale Solidarität gegen (rechte) Gewalt und (rassistische) Rohstoffausbeutung überfällig
    • Tausende demonstrieren in Lima gegen Perus Präsidentin Boluarte
      Das peruanische Parlament verhinderte Neuwahlen für die kommenden Monate, am Samstagabend kam es dann zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei
      In der peruanischen Hauptstadt Lima haben am Samstag erneut Tausende Menschen gegen Präsidentin Dina Boluarte protestiert. Nach Angaben der Organisatoren handelte es sich um die größte Demonstration seit Beginn der Proteste im Dezember, in deren Verlauf bereits 48 Menschen starben. Bei Einbruch der Dunkelheit kam es am Samstagabend zu Auseinandersetzungen zwischen Protestierenden und der Polizei. Bauerngewerkschaften, Bürgerorganisationen und Studentenbewegungen aus den Andenregionen Cusco und Puno im Süden des Landes zogen gemeinsam mit Einwohnern der Hauptstadt zur Plaza Dos de Mayo, um erneut den Rücktritt Boluartes und die Auflösung des Parlaments zu fordern. Bei Einbruch der Dunkelheit setzte die Polizei Tränengas ein, um die Demonstranten auseinanderzutreiben, die sich in Richtung des Parlaments und des Regierungspalastes bewegten. Die mit Helmen und selbst gemachten Schilden ausgestatteten Protestierenden stellten sich den Sicherheitskräften entgegen und feuerten Feuerwerkskörper ab.
      Am Freitag hatte das Parlament eine Entscheidung über Neuwahlen noch in diesem Jahr zunächst bis voraussichtlich August verhindert. Unter Berufung auf einen Verfahrensfehler lehnte der Verfassungsausschuss des peruanischen Parlaments es ab, einen von Boluarte eingebrachten Gesetzentwurf zu behandeln, demzufolge die Parlamentswahl auf den Oktober 2023 vorverlegt werden sollte. Eine rasche Neuwahl wäre nach Einschätzung von Experten nunmehr nur dann möglich, wenn Boluarte zurückträte. Dadurch würde Parlamentspräsident José Williams ihr Amt übernehmen und könnte umgehend Neuwahlen ausrufen…“ Agenturmeldung vom 5. Februar 2023 in derstandard.at externer Link, siehe auch 2 wichtige Artikel zu den Hintergründen und notwendiger Solidarität:
    • Staatsstreich in Peru: Generalstreik angesichts der extremen Rechten
      Seit Dezember versinkt Peru in einer bürgerlichen und militärischen Diktatur. Die extreme Rechte und das Militär haben die Macht des demokratisch gewählten sozialistischen Präsidenten Pedro Castillo übernommen, nachdem dieser das Parlament auflösen wollte, um einen neuen verfassungsgebenden Prozess einzuleiten. Seine Vizepräsidentin Dina Boluarte nahm am 7. Dezember 2022 seinen Platz ein. Seitdem ist das Vorgehen gegen die Anhänger Castillos, die mehrheitlich aus der indigenen und bäuerlichen Bevölkerung des Landes stammen, blutig: Es gab etwa 60 Tote. Die Mobilisierung der Bevölkerung fordert die sofortige Abhaltung von Wahlen, den Rücktritt Boluartes und die Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung. Die Wahlen, die bereits von 2026 auf 2024 vorgezogen wurden, könnten Ende des Jahres stattfinden: zu spät, meinen die Demonstranten, die Aufständischen und die Linken in der Versammlung. Sie müssen jetzt stattfinden. Die Zeit ist reif für internationale Solidarität. (…)
      Diese Mobilisierungen stießen jedoch sehr schnell auf blutige Repressionen. Ab Anfang Dezember wurden die Demonstrationen im Rahmen des auf nationaler Ebene ausgerufenen Ausnahmezustands gewaltsam unterdrückt. Zum Zeitpunkt des „Weihnachtsfriedens“ waren in den Departements Apurimac, Arequipa, Ayacucho und Junin, die alle im Süden des Landes liegen, bereits rund 20 Personen von der Polizei ermordet worden. Am 17. Dezember führte die Polizei eine Razzia in den Räumlichkeiten von zwei politischen Parteien und der Konföderation der Bauerngemeinschaften durch, in denen Dutzende von sozialen Führern aus verschiedenen Regionen untergebracht waren. Die Polizei „sät“ Waffen, um die Täter beschuldigen zu können. Bei Oppositionspolitikern werden Hausdurchsuchungen durchgeführt. Die Staatsanwaltschaft leitet Verfahren gegen gesellschaftliche Führer wegen „Mitgliedschaft in kriminellen Organisationen“ ein – die Abteilung für Terrorismusangelegenheiten (DIRCOTE) ist für die Fälle zuständig. Wenn Dina Boluarte eine Ansprache an das Land hält, überlässt sie dem Kommandanten der Streitkräfte die Bühne. Sie bleibt dabei, dass sie alle notwendigen Maßnahmen ergreifen wird, um die „Ordnung“ wiederherzustellen. Währenddessen berichten die Fernsehnachrichten nur von gastronomischen Messen und anderen Ereignissen: Das Schweigen der Mainstream-Medien auf nationaler und internationaler Ebene ist ohrenbetäubend. (…)
      Für die mobilisierten Andengemeinschaften ist die Frage des Extraktivismus, der als Fortsetzung der kolonialen Gewalt durch Enteignung empfunden wird, ebenfalls zentral. In einer Region wie Cusco waren die Infrastrukturen von Bergbau- und Gasprojekten die ersten, die ins Visier genommen wurden: Die Gasproduktionsstätte Kepashiato wurde im Dezember mehrere Tage lang besetzt, bevor sie gewaltsam vertrieben wurde; die Bergbausiedlungen großer transnationaler Unternehmen (Glencore-Xstrata, Hudbay) wurden von den Demonstranten überrannt. Noch einen Schritt weiter gingen Gemeinschaften, die das Lager eines Bergbauunternehmens, Anabi, in Brand setzten, das seit etwa zehn Jahren ungestraft für schwere Umweltverschmutzungen und Steuerhinterziehung verantwortlich ist. Rassismus äußert sich sowohl in verbalen Demütigungen als auch in der materiellen und wirtschaftlichen Organisation einer Gesellschaft, die weiterhin das an natürlichen Ressourcen reiche Land an den Meistbietenden ausliefert und seine BewohnerInnen zur Armut verurteilt. Bei den Mobilisierungen der letzten Tage in Lima zogen Demonstrationszüge zur US-Botschaft, nachdem in den sozialen Netzwerken ein Interview mit einem hohen US-Militär veröffentlicht worden war, in dem dieser behauptete, dass die gesamte südamerikanische Region aufgrund der großen Lithiumvorkommen für sein Land von strategischer Bedeutung sei. Der Rassismus, der untrennbar mit dem (Neo-)Kolonialismus verbunden ist, steht also nach wie vor im Mittelpunkt des politischen Konflikts und der schrecklichen Unterdrückung, die die indigenen Völker der Quechua, Aymara, Chanka usw. erleben. (…)
      Zunächst einmal ist es dringend notwendig, internationalen Druck aufzubauen, um das Gefühl der Straflosigkeit der Regierung Boluarte zu begrenzen, und die Solidaritätsfonds, die im ganzen Land und in den peruanischen Gemeinden in Europa und anderswo organisiert werden, finanziell zu unterstützen. Der Bedarf ist immens: für die Krankenhauskosten der Verletzten, für die Ausrüstung der Erste-Hilfe-Brigaden auf den Demonstrationen, für die Suppenküchen und die Unterbringung der in Lima angekommenen Delegationen, für ihre Reisekosten… Internationale Solidarität wird konkret sein oder nicht sein.“ fr. Artikel von Caroline Weill vom 3.2.2023 bei Ballast externer Link – Tenir tête, fédérer, amorcer („Coup d’État au Pérou : grève générale face à l’extrême droite“, maschinenübersetzt)
    • Die offenen Adern Perus. Großer Reichtum an natürlichen Rohstoffen: Zu den Hintergründen des Sturzes von Präsident Castillo
      „In einem Artikel des Internetportals geopoliticaeconomica.com beleuchtet der Journalist Benjamin Norton mögliche wirtschaftliche Hintergründe des Putsches in Peru und der Rolle der USA. Dem am 20. Januar auf spanisch und englisch veröffentlichten Artikel zufolge hatte sich die Botschafterin der USA in Peru, Lisa S. Dougherty Kenna, bereits einen Tag vor der am 7. Dezember im Parlament durchgesetzten Amtsenthebung und Inhaftierung des Präsidenten Pedro Castillo mit dem damaligen Verteidigungsminster Emilio Gustavo Bobbio getroffen. Bobbio war bereits der sechste Verteidigungsminister unter Pedro Castillo seit dessen Amtsantritt am 28. Juli 2021 und war erst einen Tag vor dem Treffen mit Kenna ernannt worden. Am Folgetag spielte er eine dubiose Rolle bei den Vorgängen, die zur Amtsenthebung des linken Staatschefs führten. Castillo wollte in Reaktion auf das fünfte Amtsenthebungsverfahren gegen ihn das Parlament auflösen und Neuwahlen ausrufen. Mauro Valderrama von der Kommunistischen Partei Perus (PCP) äußerte im Dezember im jW-Interview die Vermutung, Castillo sei »von den Streitkräften bei dieser Entscheidung manipuliert worden«. Sofort nach Bekanntgabe der Parlamentsauflösung begannen seine Minister zurückzutreten, und Bobbio sorgte dafür, dass sich die Armee gegen den Präsidenten wandte. Nachdem Castillo verhaftet und die bisherigen Vizepräsidentin Dina Boluarte zur Staatschefin ernannt worden war, traf sich die Botschafterin Kenna, – nach Presseinformationen auch neun Jahre lang Mitarbeiterin des US-Geheimdienstes CIA –, am 18. Januar mit Óscar Vera Gargurevich, der nach dem »parlamentarischen Putsch« am 10. Dezember zum Minister für Energie und Bergbau ernannt worden war, sowie Vize­ministern verschiedener Ressorts. Ein »hochrangiger institutioneller Dialog« habe zwischen »Peru und den Vereinigten Staaten stattgefunden«, twitterte das peruanische Ministerium am gleichen Tag, bei dem es »um Entwicklungsfragen im Bergbau ging«. (…) Peru ist laut einer Studie der privaten »Universidad del Pacifico« in Lima »einer der weltweit führenden Exporteure von Kupfer, Blei, Zink, Zinn, Silber und Gold (…). In den letzten Jahren trug der Bergbau rund 13 Prozent zum peruanischen Bruttoinlandsprodukt bei und machte mehr als 70 Prozent der Exporte aus. Diese Aktivität ist zentrales Diskussionsthema der nationalen Politik und eine der wiederkehrenden Ursachen gesellschaftlicher Konflikte«, heißt es in dem 2021 veröffentlichten Text. (…) Castillo orientierte sich an den klassischen Programmen linker Regierungen der vergangenen zwanzig Jahre auf dem Kontinent. Höhere Gewinne durch neue Konzessionsverträge und eine erhöhte Besteuerung der Ausbeutung der Bodenschätze sollten die Sozialprogramme finanzieren. Um langfristig die Rolle Lateinamerikas als Rohstofflieferant zu durchbrechen, sollte eine eigene Industrie aufgebaut werden. Nach dem parlamentarischen Putsch vom 7. Dezember scheint dieser Plan erst mal gescheitert zu sein.“ Artikel von Thorben Austen in der jungen Welt vom 4. Februar 2023 externer Link
  • #ParoNacionalPeru am 31.1.2023 mit Straßenblockaden in mindestens 25 der 195 Provinzen für sofortigen Rücktritt von Boluarte, Neuwahlen und neue Verfassung
    • Peru: Breites Bündnis in Lima. Kongress debattiert über vorgezogene Neuwahlen. Demonstranten fordern neue Verfassung
      „Begleitet von neuen Protesten, hat der peruanische Kongress am Dienstag (Ortszeit) die Debatte über einen Gesetzentwurf zur Vorverlegung der Parlamentswahlen auf 2023 fortgesetzt. Mehrere Abgeordnete hatten den Entwurf eingebracht, um die Blockaden und Streiks in zahlreichen Regionen des Landes zu beenden. Bei den seit Wochen anhaltenden Protesten gegen die De-facto-Präsidentin Dina Boluarte war am Wochenende ein weiterer Demonstrant durch Polizeigewalt ums Leben gekommen. Bisher sind nach Angaben des Nachrichtensenders Telesur mehr als 60 Menschen von Einsatzkräften getötet und Hunderte verletzt worden. »Die Situation in Peru wird von Stunde zu Stunde komplizierter«, schrieb die peruanische Tageszeitung La República am Dienstag. Gewerkschaften, soziale Organisationen und linksstehende Parteien hatten für Dienstag zu einer weiteren landesweiten Demonstration aufgerufen, um den Forderungen nach einem Rücktritt Boluartes, der Freilassung des inhaftierten Expräsidenten Pedro Castillo sowie Neuwahlen und einem Referendum für eine neue Verfassung Nachdruck zu verleihen. Selbst wenn also der Kongress, dessen Votum bis jW-Redaktionsschluss noch nicht vorlag, sich mehrheitlich für vorgezogene Wahlen entscheiden sollte, wäre damit nur eine Forderung der Demonstranten erfüllt. Auch ein Rücktritt der Putschpräsidentin Boluarte würde die Lage nicht entspannen. Eine Hauptforderung bei den Protesten ist die Wahl einer verfassunggebenden Versammlung. Die derzeitige Verfassung stammt aus der Zeit des Diktators Alberto Fujimori (1990–2000). Der am 7. Dezember vergangenen Jahres durch einen parlamentarischen Staatsstreich gestürzte linke Präsident Castillo hatte sich für eine neue Verfassung eingesetzt. Die Sprecherin der Rechtspartei »Fuerza Popular«, Patricia Juárez, kündigte den Widerstand ihrer Partei dagegen an. (…) Trotz der Polizeigewalt und einer steigenden Zahl von getöteten und verletzten Demonstranten gehen die Proteste unvermindert weiter. Telesur berichtete am Montag von Straßenblockaden in mindestens 25 der 195 Provinzen des Landes. Laut La República fordern 150 Lehrkräfte und Forscher der bedeutenden Universidad Nacional Mayor de San Marcos den sofortigen Rücktritt von Boluarte und die Vorverlegung der Parlamentswahlen auf 2023. Der Gewerkschaftsbund CGTP und die ANP bestehen außerdem auf einem Referendum über die Einsetzung einer verfassungsgebenden Versammlung. Obwohl es für Dina Boluarte und ihre Regierung langsam eng wird, versucht das Regime den Schein der Normalität zu wahren. Trotz anhaltender Proteste und der Beratung im Parlament reiste Außenministerin Ana Cecilia Gervasi am Montag zu einem zweitägigen Besuch in die USA, um »die Beziehungen zu stärken«. Der US-Botschafter bei der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS), Francisco Mora, hatte am vergangenen Donnerstag erklärt, dass sein Land »die peruanische Regierung unterstützen wird, nicht nur im Dialog, sondern auch bei der Aufklärung der bei den Protesten registrierten Todesfälle«.“ Artikel von Volker Hermsdorf in der jungen Welt vom 1. Februar 2023 externer Link – siehe Berichte und Videos unter #ParoNacionalPeru
    • Peru: Gewerkschaften fordern ein Ende der tödlichen Repressionen gegen Demonstranten
      Der IGB und seine Regionalorganisation für Amerika, TUCA, verfolgen die Situation der Gewalt und der staatlichen Repression in Peru nach dem Sturz des verfassungsmäßigen Präsidenten Pedro Castillo mit großer Sorge. (…) Die Gewerkschaften in Peru sind Teil einer großen Koalition sozialer Bewegungen und haben diese Forderungen der Bevölkerung aktiv unterstützt, indem sie sich an friedlichen Mobilisierungen im ganzen Land beteiligt haben. „Die internationale Gewerkschaftsbewegung appelliert an die internationale Gemeinschaft, die Vereinten Nationen, die Europäische Union und andere Gremien, die Situation in Peru als dringenden Fall von Demokratieabbau und massiver Verletzung der Menschenrechte zu betrachten. Wir fordern, dass sie Maßnahmen gegen das Boluarte-Regime ergreifen. „Wir rufen dazu auf, die Gewalt der Sicherheitskräfte und des Militärs gegen das peruanische Volk zu beenden und Verhandlungen mit den sozialen Bewegungen und den fortschrittlichen politischen Kräften aufzunehmen, um einen friedlichen Übergang zu einer demokratischen Gesellschaft zu erreichen, in der die Interessen der gesamten peruanischen Bevölkerung zum Ausdruck kommen“, so der stellvertretende Generalsekretär des IGB, Owen Tudor.“ engl. IGB-Meldung vom 02.02.2023 externer Link („Peru: Unions demand an end to lethal repression against protesters“, maschinenübersetzt)
    • Was geschieht in Peru? Der Kampf gegen die Putschregierung von Boluarte
      „Julio Blanco [Redakteur von La Izquierda Diario Peru] wies [im Interview von Guadalupe Oliverio und Eduardo Brenis Pita von der PTS] einleitend darauf hin, dass der Volksaufstand in Peru Prozess ist, wie es ihn seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben hat. Die Proteste sind größer als die Demonstrationen im Juli 2000, die den Sturz der neoliberalen Regierung von Alberto Fujimori im Juli 2000 einleiteten. Anschließend beschrieb er, wie es zu den aktuellen Protesten kam: Die Situation begann mit den Bewegungen der rechten und rechtsextremen Opposition zum Sturz von Pedro Castillo. Dieser unternahm einen bonapartistischen Versuch, den Kongress und die Justiz lahmzulegen. Das wiederum führte zum parlamentarischen Putsch gegen Castillo und zum Amtsantritt von Dina Boluarte. Das löste verschiedene Proteste und Mobilisierungen in verschiedenen Provinzen des Landes aus, die allmählich Massencharakter annahmen und sehr starke Ausmaße annahmen, wie z.B. die Besetzungen von Flughäfen, Straßenblockaden, bis hin zu einem allgemeinen Volksaufstand und der Konfrontation mit der brutalen Repression. Dieser Prozess fand statt, „indem einerseits die Handlungen des Kongresses in Frage gestellt wurden und andererseits auch das, was hier als ‚politische Klasse‘ bezeichnet wird, d.h. die Kaste der Politiker:innen, die in den letzten 30 Jahren den Interessen der Unternehmer:innen gedient haben“. Auf die Frage, wie die Regierung Boluarte wahrgenommen wird, erklärte der Redakteur von La Izquierda Diario Peru, dass sie von vielen Teilen der armen Massen als eine Fortsetzung der Konzerninteressen gesehen wird, die zudem einen tiefgreifenden Rassismus aufweisen. Diese Massensektoren hatten Castillo als ihren Präsidenten angenommen, „weil es das erste Mal war, dass eine Person, die aus diesen Sektoren, aus den Bauernfamilien, aus den Provinzen kam“, an die Regierung kam. Und nach dem Putsch hatten sie das Gefühl, dass „diejenigen, die jetzt regieren, keine Option mehr sind, nicht einmal annähernd, sondern eher das Gegenteil“, was zu sozialen Unruhen beitrug. Die derzeitigen Mobilisierungen stellen die Verfassung von 1993 in Frage, die von Fujimori nach einem Staatsstreich durchgesetzt wurde. Diese Verfassung bildet die Grundlage für die neoliberale Politik, die als die berühmten Strukturreformen bekannt ist, welche den Interessen der großen multinationalen Konzerne Vorrang einräumt, die Ausplünderung des Landes begünstigt und eine Reihe von sozialen Rechten und Leistungen abschaffte. Aus diesem Grund besteht ein krasser Gegensatz zwischen denjenigen, die im Zusammenhang mit dem Bergbau und dem Export von Agrarprodukten Reichtum angehäuft haben, und dem Rest der verarmten und prekär arbeitenden Bevölkerung. Offizielle Statistiken weisen 75 Prozent informelle Arbeit aus, wobei die prekäre Arbeit 90 Prozent und die Armut 85 Prozent erreicht. Es ist daher kein Zufall, dass die Massenmobilisierungen in diesen Regionen der Sierra Central und Sierra Azul begannen. Ein Erbe, das auch Castillo in seiner kurzen Präsidentschaft fortsetzte, da er bei seinem Amtsantritt auf einen verfassungsgebenden Prozess verzichtete, obwohl dies eines seiner wichtigsten Wahlversprechen war. (…) Julio wies auch darauf hin, wie sehr die CGTP-Gewerkschaftszentrale an Ansehen verloren hat: Sie ist bei den Massenmobilisierungen kaum vertreten, was aufzeigt, wie sehr auch sie die organische Krise des Regimes sie betrifft. Diese Delegitimierung der Gewerkschaftsbürokratie hat tiefe Wurzeln in der allgemeinen Prekarität der Arbeiter:innen, aber gleichzeitig auch in der anfänglichen Politik der CGTP, Boluarte aufzufordern, ihren Aufrufen zum „Dialog“ zu vertrauen und sich daran zu beteiligen. (…)Zum Schluss und als Antwort auf Fragen zum Slogan der verfassungsgebenden Versammlung bekräftigte Julio Blanco, dass die Mobilisierungen eine Infragestellung der herrschenden Kaste – von Boluarte, Kongress und Justiz – mit einer Ablehnung der strukturellen Bedingungen verbinden. Alle gehen auf die Straße, um das Regime von ’93 herauszufordern. „Deshalb ist die Losung der verfassungsgebenden Versammlung wichtig und eine demokratische Forderung, vielleicht die fortschrittlichste demokratische Forderung, die in einem kapitalistischen Regime wie diesem erhoben werden kann. Aber damit die verfassungsgebende Versammlung Wirklichkeit wird und das Ziel hat oder erreicht, alles zu verändern, wie es jetzt auf der Straße gesagt wird, ist es wichtig, zuerst dieses alte Regime von ’93 zu besiegen oder durch Taten zu liquidieren, und das werden wir nicht durch bloße Erklärungen erreichen, sondern es ist wichtig, diesen Prozess des Kampfes zu vertiefen“…“ Interview mit Julio Blanco in der Übersetzung von Stefan Schneider bei Klasse gegen Klasse am 31. Januar 2023 externer Link
  • In Peru steht die Macht der Straße gegen die Macht überlebter Institutionen: „Boluarte ist für Viele nicht mehr nur eine Verräterin, sondern eine Mörderin“
    • In Peru steht die Macht der Straße gegen die Macht überlebter Institutionen
      Die Regierung in Peru von Präsidentin Boluarte greift inzwischen auf ein Ausmaß an Repressionen zurück, dass es an die Zeit des autoritären Staatschefs Alberto Fujimori nach 1990 erinnert
      Seit Dezember nun schon wird Peru von nicht abreißendem Massenprotest erschüttert. Mehr als 50 Menschen sind gestorben, mehrheitlich Opfer von Polizeigewalt. Doch das Aufbegehren gegen die vom rechtsgerichteten Kongress eingesetzte Regierung unter Dina Boluarte bleibt ungebrochen. Jüngster Höhepunkt war ein Sternmarsch auf die Hauptstadt. Es kamen Zehntausende, teilweise aus abgelegenen Provinzen, um dem Motto „Einnahme von Lima“ zu folgen. Das führte zu Straßenschlachten, bei denen die Sicherheitskräfte auf Tränengas und Gummigeschosse zurückgriffen. Ein Gebäude ging in Flammen auf, zahlreiche Menschen wurden schwer verletzt. Zugleich wurde am vergangenen Wochenende auf brutale Weise die staatliche Universität San Marcos geräumt. Studenten hatten sie als Zeichen des Widerstands besetzt und wollten Tausenden der Demonstranten eine Unterkunft verschaffen. Die Polizei rückte mit gepanzerten Fahrzeugen an, setzte in menschenverachtender Weise Tränengas ein und misshandelte besonders indigene Frauen. Gut 200 Aktivisten blieben tagelang ohne Rechtsgrundlage in Haft. Die Polizei rechtfertigt das mit dem zuvor ausgerufenen Ausnahmezustand. (…) Ein weiterer Faktor, der die Gewalt in Peru erklärt, sind die Verhaltensweisen bei Militär und Polizei, die bei den Strategien der Aufstandsbekämpfung aus den 1990er Jahren verharren, als die maoistische Guerilla „Leuchtender Pfad“ in Peru operierte. Wohl nicht zufällig ist gerade auf Internetvideos zu sehen, wie Polizisten bei der Räumung der Universität San Marcos verkünden: „Wir haben es geschafft. Wir haben alle Terroristen verhaftet.“ Dieses Narrativ dominiert die Titelseiten der großen Tageszeitungen, die sich in der Hand einiger weniger oligarchischer Familien befinden…“Artikel von Axel Anlauf im Freitag 04/2023 vom 27.1.2023 externer Link
    • Aufruhr in Peru: Wenn sich die Aymara erheben
      „Massakern und Militärmanövern zum Trotz: Perus neue Präsidentin stösst weiter auf erbitterten Widerstand – gerade aus dem Süden des Landes, wo man sich kollektiv zu organisieren weiss. «Für die Verräterin kennen wir keine Gnade. […] Wenn ich sie kriege, bekommt sie die hier zu spüren – die tötet nicht, aber sie korrigiert die Korrupten und Verlogenen», schimpft Maruja Inquilla Sucasaca und schwingt dabei eine Peitsche, das Symbol der Gemeinschaftsjustiz der Aymara-Indigenen. Die 48-jährige Bäuerin aus einem Dorf in Puno im Süden des Landes ist nach Lima gereist, um den Protest ins Zentrum der Macht zu tragen. Jetzt steht sie mit ihrem farbigen Hut an der Absperrung vor der San-Marcos-Universität, wo die Polizei in einem Grosseinsatz die Protestdelegationen verhaftet, die im Gebäude Unterschlupf gefunden hatten. «Sie meint, sie könne uns mit Kugeln und Mord zu Gehorsam zwingen, aber so geht das nicht!» Mit «sie» meint Sucasaca die neue Präsidentin von Peru, Dina Boluarte. Ihre Bilanz nach nur fünfzig Tagen im Amt: 46 tote und über 900 verletzte Demonstrant:innen. Seit dem hilflosen Versuch ihres Vorgängers Pedro Castillo, das Parlament aufzulösen und so seiner Absetzung durch ebendieses zuvorzukommen, ist das Land im Aufruhr. Auch wenn Dina Boluarte als Castillos’ Vizepräsidentin gemäss Verfassung seine rechtmässige Nachfolgerin ist, wird sie von einer Mehrheit der Peruaner:innen als illegitim betrachtet: Nur bei den reichsten Einkommensklassen in Lima erreicht sie bessere Zustimmungswerte als er. Ihre Unbeliebtheit sei Ausdruck von Machismo, meinte Boluarte. Mit ihrem Status als erste Frau im Präsidialamt, die dazu Quechua-sprachig ist und aus einer Andenprovinz stammt, versuchte sie erfolglos, Sympathien zu gewinnen. Ohne eigene Machtbasis im Parlament wird die ehemals Linke als Marionette wahrgenommen, die lediglich ausführt, was die rechte Parlamentsmehrheit und die verhasste Wirtschaftselite der Hauptstadt von ihr verlangen. Wie Bäuerin Sucasaca stammen auch die meisten der 200 letzten Samstag in der Uni Verhafteten aus Puno (bis Montag waren alle wieder frei). In den Tagen zuvor hatten sie unter ständigem Tränengasbeschuss auf den Strassen und den Plätzen des Regierungsviertels protestiert. Jene, die rechtzeitig entwischen konnten, erzählen, wieso sie gekommen sind: «Wenn die Polizei bei uns Leute erschiesst, kümmert sich in Lima niemand darum», meint ein Mittvierziger. «Wir wollen den Rücktritt von Boluarte, die Auflösung des Parlaments, schnellstmögliche Neuwahlen und eine verfassungsgebende Versammlung», fasst sein Kollege die Forderungen zusammen. Und: «Wir sind keine Terroristen. Die Verantwortlichen der Massaker müssen bestraft werden.» (…) Derweil entstehen zahlreiche Theorien dazu, wer in der Regierung wirklich das Heft in der Hand hält. Ist es Premierminister Alberto Otárola? Sind es die Generäle? Welche Rolle spielt die oberste Staatsanwältin, Patricia Benavides, die mit parteiischen Anklagen und Umstrukturierungen des Justizapparats in die Politik eingreift? Ist alles eingefädelt von der Diktatorentochter Keiko Fujimori, die sich im Wissen um ihre Unpopularität im Hintergrund hält? Oder gar vom berüchtigten Architekten des Fujimori-Regimes aus den neunziger Jahren, Vladimiro Montesinos, der wegen diverser Verbrechen im Gefängnis sitzt? Wie auch immer, die Vorgeschichten und die Verstrickungen von Schlüsselpersonen in Regierung, Parlament und Justiz sowie in den gleichgeschalteten Massenmedien deuten darauf hin, dass die Gewaltentrennung auf der Kippe steht. Klar ist: Seit der Ausrufung des Ausnahmezustands sind die Sicherheitskräfte ausser Rand und Band. In den sozialen Medien zirkulieren Videos von wild um sich schiessenden Polizist:innen und Militärs. Auch wenn manche Demonstrant:innen mit ihren Steinschleudern nicht zimperlich sind und es zu zahlreichen Brandanschlägen auf öffentliche Gebäude und Fahrzeuge kam, bei denen auch ein Polizist ums Leben kam – die Zahl der Todesopfer lässt sich in keiner Weise rechtfertigen. (…) Ein Rücktritt von Boluarte und baldige Neuwahlen würden dem gebeutelten Land wohl eine Verschnaufpause bringen. Die tieferliegende Krise wäre damit nicht gelöst. Der Weg einer verfassungsgebenden Versammlung ist zwar lang und kompliziert, trotzdem scheint es vielen die beste Option, um dem drohenden Abrutschen in den Autoritarismus entgegenzuwirken.“ Bericht aus Lima von Thomas Niederberger in der WOZ Nr. 4 vom 23. Januar 2023 externer Link
    • Omar Coronel: „Boluarte ist für Viele nicht mehr nur eine Verräterin, sondern eine Mörderin“
      Im Interview von Alexandra Schmeil am 26.1.2023 in amerika21 externer Link erläutert der peruanischen Protestforscher Omar Coronel seine Sichtweise: „… Als auslösender Faktor [für die landesweiten Proteste] ist der Weggang von Pedro Castillo zu nennen. Er hat sich selbst geputscht, aber viele, vor allem seine Anhänger, sehen dies eher als einen Versuch, seine Wahlversprechen zu erfüllen. Seine unmittelbare Verhaftung wird seitens der Opposition und von Teilen der Gesellschaft als Gegenputsch gewertet. Die erste Welle der Proteste wurde von seinen Anhängern organisiert. Ihnen schlossen sich später breitere Kreise an, die den Kongress ablehnen und Dina Boluarte [Nachfolgerin, da Vizepräsidentin unter Castillo] als Verbündete des Kongresses sehen. Sie hat eine Zustimmungsrate von weniger als zehn Prozent. Außerdem sagte Boluarte anfangs, dass die Wahlen im Jahr 2026 stattfinden würden, was auf große Ablehnung stieß. Die Menschen haben das Gefühl, dass diejenigen, die bei den letzten Wahlen verloren haben, nun an die Macht gekommen sind. Dies und die Repression, mit der die Regierung reagiert, haben dazu geführt, dass sich immer mehr Menschen angeschlossen haben. Der historische Faktor spielt eher in der zweiten Phase der Proteste eine Rolle. Es geht nun nicht mehr nur um die Freilassung von Castillo oder die Absetzung von Boluarte, sondern auch um andere, eher lokale Forderungen, die es schon immer gab und die zum Beispiel mit Korruption, Bergbau oder Landfragen zu tun haben. Und schließlich haben die Proteste auch mit politischer Ermüdung zu tun. Die aktuelle Krise hat ihre Wurzeln in den Jahren 2016 und 2017, als sich die Exekutive, das Parlament und die Zivilgesellschaft gegenüberstanden. Viele Menschen sind seitdem der Meinung, dass sich etwas ändern muss. Eine der Hauptforderungen der Protestierenden ist deshalb die Bildung einer verfassungsgebenden Versammlung aus wie zuletzt in Chile und im Jahr 2006 in Bolivien. (…) Die Proteste waren in einigen Fällen gewalttätig und eine Störung des öffentlichen Lebens, aber das lässt sich nicht verallgemeinern. In jedem Protest, egal ob in Peru oder anderswo, gibt es gemäßigte und radikale Anführer. Die Radikalen sagen den Protestanten: „Ich habe euch doch gesagt, dass die Regierung so handeln wird. Darauf können wir nur mit mehr Gewalt antworten“ Den Gemäßigten gelingt es weniger, die Menschen zu überzeugen; dazu hat die Regierung beigetragen. (…) Das Ziel der Blockaden und Besetzungen besteht darin, zu stören, das Land zu lähmen, und damit die Regierung zum Zuhören zu zwingen. Es ist eine extreme Maßnahme die tatsächlich sehr hohe Kosten verursacht. (…) Die Demonstranten lehnen Boluarte ab, da sie in den Augen der Menschen nicht mehr nur eine Verräterin von Castillo, sondern nun auch eine Mörderin ist. Ihr Rücktritt würde jedoch die unmittelbare Nachfolge-Präsidentschaft von José Williams bedeuten; Präsident des Kongresses und dem rechten Flügel nahe stehend. Er ist ein General im Ruhestand, der in den internen Konflikt verwickelt war. Deshalb bezweifel ich, dass das Volk ihn als Präsidenten akzeptieren würde. Die Protestierenden fordern nicht nur den Rücktritt von Boluarte, sondern auch einen Wechsel im Rat des Kongresses, damit gemäßigtere Akteure das Ruder übernehmen. Der Kongress wird dies aber auf keinen Fall zulassen, es sei denn, die Proteste in Lima werden genauso groß wie im Jahr 2020, was ich für unwahrscheinlich halte. (…) Idealerweise sollte es einen Dialog mit Boluarte geben, was mir aber unwahrscheinlich erscheint. Die einzige Möglichkeit, die Proteste zu beenden, bestünde darin, dass sie zurücktritt und ein gemäßigterer Kongressrat einen Raum für Dialog mit den Regionalpräsidenten und den Anführern der Proteste öffnet. Ich glaube nicht, dass dies demnächst passieren wird. Vermutlich wird Boluarte kurzfristig erst einmal an der Macht bleiben während die Proteste andauern und wachsen. Aktuell mangelt es an legitimen politischen Akteuren. Normalerweise machen sich reife Politiker:innen Sorgen um ihre Zukunft, weil sie an ihrer politischen Karriere festhalten – hier nicht. Wir haben viele Leute, die keiner Partei angehören und die daran denken, in ihren Beruf beispielsweise als Unternehmer:in zurückzukehren; sie haben also keinen Anreiz, ihre politischen Ziele zu verwirklichen. Die nächsten Wahlen werden sehr polarisiert sein und leider ist die politische Mitte extrem geschwächt, das ist gefährlich für jede Demokratie.“
  • Massive Polizeigewalt bei landesweitem Streik und Straßenblockaden: Zahl der Todesopfer auf 54 gestiegen, brutalste Stürmung der besetzten San Marcos-Universität in Lima
    • Ausnahmezustand in Peru: Polizei stürmt besetzte Universität
      Am Samstag hat die peruanische Polizei die von Studierenden besetzte San Marcos-Universität in Lima gestürmt. 205 Studierende und Mitglieder angereister Protestdelegationen, die in der Universität kampiert hatten, wurden festgenommen. Das brutale Vorgehen der Sicherheitskräfte und der Mangel an rechtsstaatlichen Grundlagen des Einsatzes ernteten innerhalb und außerhalb Perus Kritik. In den Morgenstunden begann ein Großaufgebot der Polizei von mindestens vier Hundertschaften mit der Stürmung der Hochschule. Seit Mittwoch hatten Studierende die traditionsreiche staatliche Universität im Herzen der Hauptstadt besetzt, um gegen die Regierung von Dina Boluarte zu protestieren und um Delegationen, die aus dem Süden des Landes angereist waren, um an den Demonstrationen teilzunehmen, eine Unterkunft zu bieten. Bei der Erstürmung ging die Polizei mit großer Härte gegen die Studierenden vor. Mit gepanzerten Fahrzeugen rammten die Sicherheitskräfte die verbarrikadierten Tore des Campus ein. Es wurden Gummigeschosse und Tränengas eingesetzt. Studentenwohnheime auf dem Gelände der Universität wurden während der Razzia ebenfalls durchsucht. Videos in den sozialen Medien zeigen, wie die Polizei dabei auch Zimmer und Eigentum Unbeteiligter verwüstet. Laut der peruanischen Koordinationsstelle für Menschenrechte soll es beim Polizeieinsatz zu Misshandlungen gekommen sein: Studentinnen sollen gezwungen worden sein, sich vor den Polizisten nackt auszuziehen, um sie im Intimbereich „nach Drogen“ zu untersuchen. Für die Festnahmen gab es weder eine richterliche Anordnung noch offizielle Haftbefehle. (…) Die jüngsten Ereignisse haben auch eine historische politische Dimension: San Marcos – die älteste Universität auf dem amerikanischen Doppelkontinent – gilt seit Jahrzehnten als Hochburg der intellektuellen Linken in Peru. Zur Zeit der Diktatur unter Alberto Fujimori wurden dort politisch engagierte Studierende systematisch verfolgt, gefoltert und ermordet. Im Mai 1991 war es damals zu einer ähnlichen Stürmung des Universitätscampus gekommen. Insbesondere in der peruanischen Rechten gibt es bis heute Vorbehalte gegenüber der Hochschule. Ein selbst gedrehtes Video eines Polizisten bei der Erstürmung zeigt, wie er stolz die auf dem Boden liegenden gefangenen Studierenden präsentiert und kommentiert: „Wir haben es geschafft: Wir haben alle Terroristen festgenommen! Wir haben San Marcos zerstört!“Beitrag von Quincy Stemmler vom 23.01.2023 in amerika21 externer Link
    • Erneut massive Polizeigewalt bei landesweitem Streik: Zahl der Todesopfer auf 54 gestiegen. Straßenblockaden in ganz Peru
      Polizei geht mit Tränengas und Gummigeschossen gegen Demonstrierende vor (…) Der größte Gewerkschaftsbund (CGTP) hat zum landesweiten Streik aufgerufen und seit Donnerstag versammeln sich Menschen aus allen Teilen des Landes in der Hauptstadt, um unter dem Motto „La toma de Lima“ (Die Einnahme von Lima) gegen die Amtsenthebung von Präsident Pedro Castillo und für Neuwahlen zu demonstrieren. Landesweit wurden 145 Straßenblockaden registriert. Wie in den Wochen zuvor waren die Proteste der vergangenen Tage von massiver Repression seitens der Polizei und zahlreichen verletzten und getöteten Demonstrant:innen gekennzeichnet. Boluarte drohte in einer Ansprache den Protestierenden „mit der ganzen Härte des Gesetzes“ und verkündete, dass sie nicht zurücktreten werde. Die Einsatzkräfte gingen mit Tränengas und Gummigeschossen gegen die Protestteilnehmer:innen in Lima vor, wobei mindestens 18 Personen teils schwer verletzt wurden. Eine Gruppe von Demonstrierenden versuchte, zum Regierungspalast zu gelangen, wurde jedoch von der Polizei zurückgedrängt. Der Journalist Jaime Herrera beschrieb das Vorgehen der Polizei: Die Menschen „marschierten friedlich und die Polizei hat ohne jeden Grund begonnen, Tränengasgranaten zu werfen. Als die Demonstranten die Polizeiabsperrung sahen, hielten sie an, sie versuchten nicht einmal näher heranzukommen“. Eine dieser Granaten ist möglicherweise die Ursache für den Brand in einem Gebäude in der Nähe des zentralen Platzes San Martín. Der Besitzer des Hauses beschuldigt die Polizei, sie habe Tränengasgranaten auf das Dach geworfen, kurz danach sei das Feuer entfacht. Als Protestierende versuchten, vor den Flammen zu flüchten, wurden sie von den anwesenden Polizisten zurückgedrängt. In einer anschließenden Pressekonferenz betonte Innenminister Vicente Romero, dass die Einsatzkräfte keine Schuld an dem Brand tragen würden…“ Beitrag von Julia Liebermann und Anne Hellmund vom 21.01.2023 in amerika21 externer Link („Proteste gegen Regierung in Peru“)
    • So behandelt die peruanische Nationalpolizei Aktivisten und Studenten in der Öffentlichkeit, unvorstellbar hinter verschlossenen Türen und ohne Kamera. Peru ist eine Diktatur! Lateinamerika muss es verurteilen, Peru muss beim CELAC-Treffen am 24. in Argentinien sanktioniert werden. Schweigen ist ein Komplize.“ Tweet von Aníbal Garzón vom  21. Jan. 2023 externer Link mit Video
    • „… In #Peru wurde ein massiver Gebäudebrand, der auf der Plaza San Martin ausbrach, weitgehend Regierungsagenten angelastet. Dies geschah bereits im Jahr 2000 während der Manifestation der 4 Suyos, als die Bank von Perú von Undercover-Polizisten in Brand gesteckt wurde…“ engl. Tweet von Ill Will vom 21.1. externer Link mit Video
  • „Toma de Lima“ und Generalstreik: Massive Mobilisierung in und nach Lima weitere Tote, nun mindestens 53 Menschen, Proteste in 18 Regionen
    • Protestwelle gegen Perus Staatschefin Dina Boluarte hält an
      Zu schweren Unruhen kam es wieder in der Hauptstadt Lima sowie in Arequipa im Süden des lateinamerikanischen Landes. Dort wollten rund 1000 Demonstranten den Flughafen stürmen – einer kam dabei ums Leben. (…) Tausende Menschen waren am Donnerstag unter dem Motto „Toma de Lima“ (Einnahme von Lima) vor allem aus dem Süden von Peru in die Hauptstadt gekommen. Auch in anderen Teilen des südamerikanischen Landes kam es zu Unruhen. In Arequipa im Süden des Landes versuchten rund 1000 Demonstranten, den Flughafen zu stürmen. Die Polizei drängte die Menschen mit Tränengas zurück. Dabei kam nach Angaben des peruanischen Menschenrechtsbeauftragten ein Demonstrant ums Leben…“ Beitrag vom 20.01.2023 bei DW externer Link
    • 19.1.2023 Lima großer Brand  im Zentrum von Lima, Verletzte, heftige  Auseinandersetzungen. Feuer habe  Polizei gelegt.“ Thread von Eva Schöck-Quinteros vom 20. Jan. 2023 externer Link mit Videos
    • Während #Peru in einen Generalstreik bricht, strömen Massen in die Hauptstadt #Lima , die den Rücktritt des Präsidenten und des gesamten Kongresses fordern. Universitäten, die ihre Türen für Auswärtige zum Schlafen geöffnet haben, werden derzeit von der Polizei angegriffen. Während des aktuellen Aufstands gegen die Regierung in #Peru sind mindestens 53 Menschen gestorben und über 600 verletzt worden. (…) „Autobahnen mit riesigen Felsbrocken und Glasscherben blockiert. Ganze Städte durch Massenproteste geschlossen. 50 Familien, die um ihre Toten trauern. Ruft nach einem neuen Präsidenten, einer neuen Verfassung, einem insgesamt neuen System. Versprechen, den Kampf in die Hauptstadt Lima zu tragen.““ engl. Thread von Ill Will vom 19.1 externer Link mit Videos, auch einigen von @telesurenglish
    • Die Mobilisierung in Lima ist massiv. Delegationen aus verschiedenen Provinzen des Landes kamen und forderten den Rücktritt von Dina Boluarte. Proteste wiederum werden in 18 Regionen und 127 Straßensperren registriert.“ span. Tweet von Marco Teruggi vom 19. Jan. 2023 externer Link mit Video
    • Tausende von Peruaner:innen aus verschiedenen Regionen, sind auf dem Weg nach Lima, um an der  „Marcha de los Cuatro Suyos“ teilzunehmen. Bild: Start der Caravane in Ilave, einer  Aymara-Stadt (…) Die Medien warnen derweil von einem Aufmarsch von Gewalttätern, Chaoten, Vandalen und Plünderern in Lima (…) Es gibt mindestens ein weiteres Todesopfer in Macusani (Puno): Eine 35-jährige Frau wurde durch einen Kopfschuss getötet. Eine 2. Person soll sich in kritischem Zustand befinden. Als Reaktion auf den Mord wurde die Polizeistation von #Macusani angezündet. (…) Die Antapaccay-Kupfermine von #Glencore in der Nähe von #Espinar/Cusco läuft mit „eingeschränkter“ Kapazität, nachdem in den vergangenen Tagen Brandanschläge auf ihre Anlagen verübt worden sind. Angehörige der Awajun blockieren die Strasse entlang der Oleoducto Norte-Pipeline im Norden der Region Amazonas #Loreto und drohen, die Pipeline zu unterbrechen…“ Umfangreicher Thread von Organisierte Autonomie Zürich vom 18./19.1.23 externer Link zu den Kämpfen in Peru mit vielen Infos und Fotos/Videos
    • Siehe auch Peru uprising externer Link auf Telegram
  • Nationalpolizei nimmt Angehörige der indigenen Bevölkerung beim Sternmarsch der Karawanen aus mehreren Provinzen nach Lima fest – und greift den Gewerkschaftsbund CGTP an, der für 19. Januar zum nationalen Streik aufruft
    • Sternmarsch nach Lima. Proteste lassen trotz Ausnahmezustands und Repression nicht nach. Rücktritt der Putschregierung gefordert
      „Nach dem parlamentarischen Staatsstreich vom 7. Dezember vergangenen Jahres gegen den linken Präsidenten Pedro Castillo versinkt Peru immer tiefer in Gewalt und Chaos. Obwohl das Regime der De-facto-Staatschefin Dina Boluarte versucht, jeden Widerstand mit äußerster Härte zu unterdrücken, gehen die landesweiten Proteste unvermindert weiter. Am Wochenende brachten mehr als 100 Straßensperren den Verkehr in weiten Teilen des Landes zum Erliegen. Die Regierung setzte darauf per Dekret für die Hauptstadt Lima und drei weitere Regionen die verfassungsmäßigen Rechte der Bevölkerung auf Bewegungs- und Versammlungsfreiheit außer Kraft und rief in den betreffenden Gebieten den Notstand aus. Mit der Maßnahme soll auch das Eingreifen der Armee offiziell legalisiert werden. Trotz zunehmender Repression und Bedrohung haben sich laut Telesur am Montag Tausende Mitglieder der indigenen Aymara- und Quechua-Gemeinschaften sowie gewerkschaftlicher und sozialer Organisationen aus verschiedenen Provinzen in mehreren Karawanen auf den Weg nach Lima gemacht. Die Demonstrationszüge knüpfen an eine legendäre Protestaktion gegen den Diktator Alberto Fujimori vom 27. Juli 2000 an. Beim damaligen »Marcha de los Cuatro Suyos« (Marsch der vier Himmelsrichtungen) waren Zigtausende Land- und Stadtbewohner aus allen vier Himmelsrichtungen Perus mehrere Tage lang unterwegs nach Lima gewesen, wo am Abend mehr als 100.000 Menschen auf dem Paseo de la República »¡Abajo la dictadura!« (Nieder mit der Diktatur!) skandierten. (…) Laut einer am Sonntag vom sozialwissenschaftlichen Institut für Peruanische Studien (Instituto de Estudios Peruanos, IEP) veröffentlichten Umfrage wird die Regierung Boluartes aktuell von 71 Prozent der Befragten abgelehnt. 88 Prozent – und damit acht Prozentpunkte mehr als im Vormonat – lehnen die Beschlüsse des Parlaments ab. Dagegen halten 60 Prozent die Proteste für gerechtfertigt, und die Hälfte der Befragten gab an, sich mit den Demonstranten zu identifizieren. Bei jungen Menschen ist die Zustimmung zu den Protesten laut IEP mit 72 Prozent am höchsten. In einer Telesur-Meldung wird auf eine ältere, vom Meinungsforschungsinstitut Ipsos Peru durchgeführte Umfrage verwiesen, derzufolge sich bereits im Dezember 52 Prozent der Befragten für schnellstmögliche Neuwahlen aussprachen.“ Artikel von Volker Hermsdorf in der jungen Welt vom 17. Januar 2023 externer Link, siehe dazu:
    • Die Nationalpolizei hat heute die indigene Bevölkerung der Chankas festgenommen, die in die Hauptstadt #Lima reist, um gegen das peruanische Regime zu protestieren. Die Campesino-Indigene Karawane wurde illegal in Humay-Pisco festgehalten.
      #INDIGENOUS #Peru #PeruResiste
      Trotz des vom #Peru verhängten Ausnahmezustands fahren Campesinos aus mehreren Regionen, einschließlich Lima, in Karawanen in die Hauptstadt, um gegen @DinaErcilia und den Kongress zu protestieren. Video: Die Ureinwohner der Chankas verlassen heute #Apurimac Campesino-Ureinwohner versammeln sich in Sicuani, #Cusco , um eine Mobilisierung in Richtung #Lima zu beginnen, um an Protesten gegen die Regierung, den Kongress und die Forderung nach Wahlen in diesem Jahr teilzunehmen
      .“ engl. Thread von @PersonalEscrito 16.1. externer Link mit Videos – siehe weitere Meldungen und Videos auf dem Twitter-Kanal von OjoPúblico externer Link
    • Heute hat die @PoliciaPeru umgaben den Treffpunkt der ANP mit sozialen und gewerkschaftlichen Führern, die versuchten, diejenigen von uns einzuschüchtern, die den #ParoNacional für den 19. Januar ausgerufen hatten. Die CGTP lehnt die Verfolgung und Unterdrückung von Volksorganisationen und ihren Führern ab.“ span. Tweet von Confederación General de Trabajadores del Perú – CGTP vom 17.1. externer Link mit Fotos – siehe zum Hintergrund:
    • Die CGTP ruft die Arbeiterklasse und das peruanische Volk auf, sich aktiv am Großen National-, Bürger- und Volksstreik vom 19. Januar 2023 zu beteiligen und den Rücktritt von Dina Boluarte und dem Vorstand des Kongresses zu fordern. #DinaRenuncia #ParoNacional #Peru“ span. Tweet von Confederación General de Trabajadores del Perú – CGTP vom 15.1. externer Link mit Grafik des Aufrufs
  • Peruanische Regierung ruft für Teile des Landes 30tägigen Ausnahmezustand aus mit weitreichenden Kompetenzen fürs Miltär 
    Die peruanische Regierung hat wegen der anhaltenden Proteste gegen sie den Ausnahmezustand in der Hauptstadt Lima und drei weiteren Regionen verhängt. Die Maßnahme soll für 30 Tage gelten. Im staatlichen Amtsblatt wurde ein Dekret veröffentlicht, dass es der Armee erlaubt, während eines 30 Tage geltenden Ausnahmezustands einzugreifen, um die Ordnung aufrechtzuerhalten. Laut dem Dekret werden außerdem mehrere verfassungsmäßige Rechte ausgesetzt, so etwa die Bewegungs- und Versammlungsfreiheit. Zuletzt behinderten mehr als 100 Straßensperren den Verkehr im Land. Vor allem der Süden, wo der Schwerpunkt der Proteste lag, war betroffen, aber auch die Umgebung von Lima. (…) Bei den Protesten sind bislang mindestens 42 Menschen ums Leben gekommen. Die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte (IAKMR) fordert eine Untersuchung der Niederschlagung der Proteste, da es Hinweise auf „exzessive Gewaltanwendung“ gebe. Die peruanische Staatsanwaltschaft leitete inzwischen Ermittlungen wegen „Völkermords“ gegen Boluarte und mehrere andere hochrangige Beamte ein…“ Meldung vom 15.01.2023 bei DW externer Link („Peru ruft für Teile des Landes Notstand aus“), siehe auch:

    • Menschenrechtler:innen in Peru prangern „Massaker“ bei Protesten an: 19 Tote in Juliaca
      „Todesfälle bei Repression der Demonstrationen hören nicht auf. De-facto-Regierung beschuldigt den inhaftierten Präsidenten Castillo, Proteste zu schüren. Bei den jüngsten Protesten gegen Perus neue Regierung sind in der Stadt Juliaca bei Polizeieinsätzen 19 Menschen getötet worden. Die Exekutivsekretärin der Nationalen Menschenrechtskoordination Perus, Jennie Dador, machte die staatlichen Sicherheitskräfte für die „wahllose Gewaltanwendung“ und die Todesfälle in der Hauptstadt des Departamento Puno verantwortlich. „Was gestern geschah, war wirklich ein Massaker“, sagte sie am Dienstag, und: „Es waren außergerichtliche Exekutionen“ Seit dem Amtsantritt von Präsidentin Dina Boluarte am 7. Dezember 2022 werden 47 Tote infolge staatlicher Repression gegen Demonstrierende verzeichnet. Das Departamento Puno ist zum jüngsten Epizentrum der Gewalt geworden. Der peruanische Premierminister und ehemalige Verteidigungsminister, Alberto Otárola, kündigte nach den Geschehnissen in Julianca eine dreitägige Ausgangssperre in Puno an. In einer Fernsehansprache, die er zusammen mit einer Gruppe von Minister:innen hielt, führte Otárola die Ereignisse in Juliaca auf einen „massiven und organisierten Angriff auf die Polizei“ zurück. Die Todesfälle se ien „Ausdruck der direkten Verantwortung derjenigen, die einen Staatsstreich durchführen wollen“. Außerdem deutete der Premierminister an, dass der seit Anfang Dezember inhaftierte Präsident Pedro Castillo die Proteste schüre und koordiniere. In einem offenen Brief an die Bevölkerung verurteilte der „Runde Tisch zur Armutsbekämpfung in Puno“ die staatliche Gewalt in Juliaca und wies darauf hin, dass die am Montag vorgetragene Version der Minister:innen „nicht der Wahrheit entspricht“. „Angesichts der wiederholten Äußerungen der Verachtung seitens der Regierungsvertreter und der Nichtanerkennung ihrer Verantwortung für diese Ereignisse, die sich nicht nur in Juliaca, sondern auch in Ayacucho, Apurimac, Arequipa, Cusco und anderen Orten abgespielt haben, fordern wir Versöhnung und Wiedergutmachung, die in konkreten und aufrichtigen Taten zum Ausdruck kommen“, heißt es in dem Brief. Dies seien nicht die einzigen Menschenrechtsverletzungen, für die sich die neue Regierung verantworten müsse. Die Kriminalisierung der Proteste zeige sich auch durch willkürliche Massenverhaftungen. Allein letztes Wochenende seien 200 Personen festgenommen worden, darunter auch Kinder, klagte Jennie Dador. All das habe sie bei der Menschenrechtskommission der Organisation Amerikanischer Staaten, CIDH, angeprangert. (…) In insgesamt 32 Provinzen gehen die Proteste und Straßenblockaden gegen die aktuelle Regierung und die staatliche Gewalt weiter. Am Mittwochabend meldete das peruanische Ombudsbüro den Tod von Remo Candia Guevara, dem Vorsitzenden der Bäuer:innengemeinde von Anta. Cania sei bei den jüngsten Protesten in der Stadt Cusco an den Folgen einer Schussverletzung verstorben. Mittlerweile hat der Kongress mit 71 Ja- und 45 Nein-Stimmen die Einsetzung einer Ermittlungskommission zu den Menschenrechtsverletzungen gebilligt, die seit dem 7. Dezember 2022 von Sicherheitskräften begangen worden sind.“ Beitrag von Antonia Rodriguez Sanchez vom 14. Januar 2023 bei amerika21 externer Link, siehe auch:

      • PERU: HEUTE NACHT verabschiedeten sich mehr als 100.000 Menschen von den 19 Menschen, die während der Proteste in Peru getötet wurden. Mit den Särgen auf ihren Schultern drängte sich eine riesige Prozession von Menschen auf die Plaza de Armas der Stadt und forderte Gerechtigkeit und den Rücktritt von Dina Boluarte.“ span. Tweet von @PiensaPrensa vom 12. Jan. 2023 externer Link mit Video
    • Mehrere Rücktritte in Perus Regierung – nun auch der Arbeitsminister
      Der nationalen Ombudsstelle zufolge sind bereits rund 50 Menschen bei den Unruhen in Peru ums Leben gekommen. Die Regierung erhöht den Druck auf Übergangspräsidentin Boluarte: Ein viertes Mitglied hat seinen Rücktritt verkündet. Nach der Amtsenthebung und Verhaftung des ehemaligen Präsidenten Perus, Pedro Castillo, dauern die Unruhen im Land an. Der Druck auf Übergangspräsidentin Dina Boluarte wächst. Arbeitsminister Eduardo García Birimisa gab bekannt, sein Amt niederzulegen. Laut der Zeitung „El Comercio“ ist er bereits das vierte zurückgetretene Mitglied der aktuellen Regierung. In einem auf Twitter veröffentlichten Brief an die Staatschefin forderte er eine Entschuldigung der Regierung bei der Bevölkerung für das Vorgehen der Sicherheitskräfte. Die Zahl der Menschen, die bei den Protesten ums Leben gekommen sind, ist nach Angaben der nationalen Ombudsstelle mittlerweile auf rund 50 gestiegen. Mehrere Hundert Menschen wurden demnach verletzt…“ Meldung vom 13.01.2023 in tagesschau.de externer Link
    • Mehr unter #DinaRenunciaYa
  • Mindestens 17 Tote bei Protesten in Juliaca, insgesamt mindestens 46 – Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Perus Präsidentin wegen „Völkermords“
    • Massaker in Peru. Repression erreicht bisherigen Höhepunkt: Mindestens 17 Tote bei Protesten gegen De-facto-Präsidentin
      Das Dröhnen der Militärhubschrauber ist ohrenbetäubend, schwerbewaffnete Polizisten jagen Demonstrierende regelrecht. Auf den dunklen, verwackelten Handyvideos, die im Internet aus Peru kursieren, wird ein Massaker an Protestierenden bezeugt, das die öffentlichen Stellen so nicht bestätigen wollen. Bei den seit vergangener Woche andauernden Demonstrationen gegen die De-facto-Präsidentin Dina Boluarte kam es am Montag nachmittag (Ortszeit) in der südperuanischen Stadt Juliaca zu zahlreichen Todesopfern. In einem der Videos berichtete ein Arzt des örtlichen Krankenhauses von zahlreichen Verletzungen durch Schusswaffen. Demonstrierende suchten Schutz hinter großen Metallplatten und Straßenschildern und bewarfen die Polizei mit Steinen. Am Dienstag bestätigte die lateinamerikanische Nachrichtenseite Telesur 17 Tote in Juliaca. Damit wird die Zahl der Todesopfer der polizeilichen Repression seit Beginn der Proteste in Peru auf insgesamt mindestens 46 geschätzt. (…) Unmittelbar nach Bekanntwerden der staatlichen Gewalt gegen Demonstrierende mehrten sich die Forderungen nach einem Rücktritt der ehemaligen Vizepräsidentin Boluarte. (…) Die Parlamentsfraktion von Castillos Partei Perú Libre drängte in einer Erklärung auf den »Stopp des Land- und Luftmassakers in Juliaca-Puno« und forderte Boluarte auf, »ihr Amt niederzulegen, den Regierungspalast zu verlassen, Neuwahlen auszurufen und das Land zu einer verfassungsgebenden Versammlung zu führen«. Die Rechten steuerten rhetorisch dagegen. Kabinettschef Alberto Otárola kündigte am Montag abend weitere »Sicherheitsmaßnahmen« an und bezeichnete die Demonstrationen als Putschversuch…“ Artikel von Thorben Austen in der jungen Welt vom 11.01.2023 externer Link
    • Ermittlungen gegen Perus Präsidentin wegen „Völkermords“
      In Peru hat die Staatsanwaltschaft nach den jüngsten Ausschreitungen Untersuchungen gegen Präsidentin Dina Boluarte eingeleitet. Seit Wochen kommt es zu Protesten, mindestens 40 Menschen sind ums Leben gekommen. Angesichts der tödlichen Proteste gegen Perus Präsidentin Dina Boluarte hat die Generalstaatsanwaltschaft nun Ermittlungen gegen die Politikerin angekündigt. Man werde den mutmaßlichen Verbrechen des „Völkermords, der vorsätzlichen Tötung und schweren Körperverletzung“ nachgehen, erklärte die Generalstaatsanwaltschaft. Die Vorermittlungen richteten sich auch gegen Kabinettschef Alberto Otárola, Innenminister Víctor Rojas und Verteidigungsminister Jorge Chávez. Das Büro der Präsidentin sowie die Büros der Minister reagierten zunächst nicht auf Anfragen zu Stellungnahmen. (…)Bei den Protesten kommt es immer wieder zu blutigen Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten. Mindestens 40 Menschen wurden bereits getötet, mehr als 600 weitere verletzt. Erst am Montag hatte es mit 17 Toten einen traurigen Rekord gegeben externer Link. Viele von ihnen starben bei Konfrontationen mit den Sicherheitskräften rund um den Flughafen der Stadt Juliaca. Demonstranten hatten versucht, den Flughafen zu besetzen. Die Ausschreitungen hielten auch am Dienstag an. Dabei kam ein Polizist in seinem Auto ums Leben, nachdem es angezündet worden war. Kabinettschef Otárola verkündete eine dreitägige nächtliche Ausgangssperre in der südlichen Region Puno, die ein zentraler Schauplatz der Proteste ist…“ Beitrag vom 11.01.2023 bei der Deutschen Welle externer Link
  • Proteste in mehreren Regionen Perus gehen trotz zunehmender Repression weiter – Gewerkschaftsdachverband CGTP ruft zum unbefristeten Generalstreik auf
    • Größte Arbeitervereinigung in Peru ruft zu solidarischen Protesten gegen Regierung auf
      Soziale und politische Organisationen nehmen Mobilisierung wieder auf. Von Polizeiführung lancierter „Friedensmarsch“ als Verfassungsbruch kritisiert
      Nach einer zweiwöchigen Ruhepause über den Jahreswechsel gehen die Proteste gegen die Regierung von Präsidentin Dina Boluarte weiter. Gewerkschaften und soziale Organisationen hatten für Mittwoch zu friedlichen Märschen und Protesten aufgerufen. Nach Angaben des peruanischen Ombudsbüros wurde in den Andenregionen Cusco, Puno, Cajamarca, Moquegua und Huánuco sowie in den Ölgebieten des Amazonas ein unbefristeter Streik ausgerufen. In den südlichen Regionen sowie im zentralen Departamento Junin blockierten Demonstrierende Straßen. Die Polizei soll Tränengas eingesetzt haben, um die Straßensperren aufzuheben. (…) Mehrere Organisationen äußerten Besorgnis über mögliche weitere Todesopfer bei den Protesten, nachdem von offizieller Stelle angekündigt wurde, dass Streitkräfte und Polizeitruppen in die „konfliktreichsten Gebiete“ entsandt wurden. Das Koordinationskomitee der linken und progressiven politischen Organisationen (COIP), das seine Teilnahme an den Protesten bestätigte, warnte davor, auf „Provokationen durch die Sicherheitskräfte und den rechten Sektor“ einzugehen. (…) Die CGPT, größter Gewerkschaftsverband in Peru und dem Weltgewerkschaftsbund angeschlossen, rief zu einem Marsch in der Hauptstadt auf, um sich mit den Mobilisierungen in verschiedenen Regionen, insbesondere im Süden des Landes, zu solidarisieren. In seiner Erklärung heißt es, die Präsidentin müsse sich „der Tragweite ihrer Entscheidungen bewusst werden“ und Verantwortung für „die Ermordung von Brüdern und Schwestern durch die Repression ihrer Regierung übernehmen„…“ Beitrag von Antonia Rodriguez Sanchez vom 06.01.2023 in amerika21 externer Link auch mit Informationen zu „Marcha por la Paz“ (s.u.) und der Rolle der Polizei

    • Aufruhr in Peru. Welle von Protest gegen Absetzung des linken Präsidenten Pedro Castillo. Übergangsregierung antwortet mit Gewalt
      Trotz zunehmender Repression durch Polizei und Armee gehen die sozialen Proteste in Peru weiter. Am Mittwoch (Ortszeit) demonstrierten in mehreren Departements des Landes Tausende gegen die nicht gewählte De-facto-Präsidentin Dina Boluarte (…) Der Gewerkschaftsdachverband Confederación General de Trabajadores del Perú (CGTP) und soziale Organisationen riefen zu einem unbefristeten Generalstreik auf, mit dem sie eine verfassunggebende Versammlung durchsetzen wollen. Die Ordnungskräfte gingen erneut mit äußerster Härte gegen die Protestierenden vor. In Lima setzte die Polizei Tränengas ein, um Demonstranten zu vertreiben, die ein Protestcamp auf dem Manco-Cápac-Platz in der Nähe des Stadtzentrums errichtet hatten. Trotz des Polizeieinsatzes schlugen Dutzende von ihnen ihre Zelte aber erneut auf einem der Bürgersteige auf und beriefen sich auf das Recht zu protestieren. In mehreren Regionen blockierten Streikende Straßen und Brücken. Der Verkehr kam in zahlreichen Städten zum Erliegen. Der Radiosender RPP meldete, dass am Mittwoch sieben Nationalstraßen von Blockaden betroffen waren. (…) Vor Beginn der erneuten Protestwelle hatten rechte Unterstützer Dina Boluartes zu einem »Marsch für den Frieden« aufgerufen, dem sich laut der russischen Nachrichtenagentur Sputnik ebenfalls Tausende anschlossen. Die De-facto-Präsidentin bat von Cusco aus darum, »für den Frieden zu marschieren«. Weil auch Polizisten zunächst aufgefordert waren, an dem Marsch zur Unterstützung Boluartes teilzunehmen, verlangt die Parlamentsfraktion der Linkspartei »Perú Libre« den Rücktritt von Innenminister Victor Rojas…“ Artikel von Volker Hermsdorf in der jungen Welt vom 06.01.2023 externer Link
    • Peru: Kontroverse über die Räumung eines Platzes geht der Wiederaufnahme der Proteste voraus
      Eine Kontroverse über die Räumung von Oppositionsdemonstranten, die auf einem öffentlichen Platz kampierten, geht der Wiederaufnahme sozialer Proteste voraus, die im letzten Monat in Peru 26 Todesopfer forderten. Trotz eines massiven Polizeieinsatzes, mit dem die Demonstranten gestern vom Platz Manco Capac in der Nähe des Zentrums von Lima vertrieben wurden, schlugen Dutzende von ihnen ihre Zelte erneut auf einem der Bürgersteige auf und beriefen sich auf ihr Recht zu protestieren, forderten vorgezogene allgemeine Wahlen für 2023 und die Absetzung von Präsidentin Dina Boluarte. (…) Die Räumung des Platzes wurde von der rechtsextremen Parlamentarierin Patricia Juárez unterstützt, die argumentierte, dass das Gesetz die Besetzung öffentlicher Plätze verbiete, da diese allen gehörten. Die progressive Abgeordnete Sigrid Bazán erinnerte Juárez daran, dass Aktivisten ihrer Partei, der Fuerza Popular, schon früher öffentliche Plätze für ihre Proteste genutzt haben, ohne dass Juárez etwas gesagt hätte. (…) Aus dem jüngsten Bericht des Büros des Bürgerbeauftragten über die Proteste geht hervor, dass zwischen heute Abend und dem kommenden Donnerstag Mahnwachen und andere Demonstrationen gegen die Regierung in den südlichen Andenregionen Cusco, Puno, Apurímac, in der nördlichen Andenregion Cajamarca und in der bevölkerungsreichen Gemeinde San Juan de Lurigancho in Lima stattfinden werden.
      Als Teil der Protestbewegung wird es laut derselben Quelle morgen Streiks in den Andenregionen Cusco, Puno, Cajamarca, der südlichen Region Moquegua und der zentralen Andenregion Huánuco sowie in den Ölgebieten des Amazonas geben. (…)
      Unterdessen werden das Innenministerium und die Polizei weiterhin dafür kritisiert, dass sie im Gegensatz zur Wiederaufnahme der sozialen Proteste einen „Marsch für den Frieden“ fördern, obwohl die Verfassung der Polizei und den Streitkräften derartige Aktivitäten untersagt. Innenminister Victor Rojas kündigte gestern, als alles für den heutigen Marsch vorbereitet war, an, dass die Polizei und ihre Agenten nicht an der Aktion teilnehmen würden, während Videos und andere Polizeimeldungen, die zu der von der Rechten beklatschten Mobilisierung aufriefen, aus dem Internet entfernt wurden.“ Maschinenübersetzung aus dem span. Artikel vom 3. Januar 2023 in Prensa Latina externer Link

      • Über diesen „Marsch für den Frieden“ der Konservativen berichtete die Deutsche Welle Peru sehr unkritisch, wir verzichten auf die Verlinkung, ähnlich das Video vom 4.1. beim ZDF externer Link
    • Polizei setzt Tränengas gegen Demonstranten in Peru ein
      Anweisungen, Gewalt umsichtig anzuwenden, hätten die Behörden „gewissenhaft befolgt“, erklärte der Verteidigungsminister.“ Video von Reuters vom 5.1.2023 in der Süddeutschen Zeitung online externer Link – um Demonstranten davon abzuhalten, zum peruanischen Kongress in Lima vorzudringen, setzte die Polizei am Mittwoch Tränengas ein.
    • Der Bergbau und soziale Konflikte in Peru
      Das peruanische Ombudsbüro beschreibt in seinem Bericht die sozialen Konflikte in Zusammenhang mit dem Bergbau. Der im November 2022 erschienene Report zeigt, dass Auseinandersetzungen zwischen den beteiligten Parteien den Bergbau im Land weiterhin prägen. Peru erlebt aktuell breite soziale Proteste nach der Absetzung von Präsident Pedro Castillo. Für die ersten Januarwochen sind weitere Mobilisierungen angekündigt. Ungeachtet dessen gab es aber 2022 auch zahlreiche Konflikte im Zusammenhang mit dem Bergbau. Die Ombudsstelle (Defensoria del Pueblo) zählte im November für 2022 221 soziale Konflikte im Land. Davon entfielen 140 auf sozio-ökologische Fragestellungen. 94 der 140 Fälle standen in Zusammenhang mit dem Bergbau, was mehr als zwei Dritteln entspricht. 72 davon waren auch im November 2022 noch akut, was bedeutet, dass hier weiterhin ungelöste Konflikte existieren. Die Auseinandersetzungen beinhalten eine Vielzahl von Streitpunkten. Viele Vereinbarungen, die getroffen werden, werden nicht eingehalten. Beispielsweise über Festlegungen, wonach das Bergbauunternehmen einheimische Arbeiter:innen einstellen muss. Die genaue Quote ist dann oft Teil des Konflikts. Weitere Punkte sind die Kompensation für die Nutzung von Grundstücken, die den lokalen Gemeinden gehören, oder Umweltfragen…“ Beitrag von Melanie Schnipper vom 04.01.2023 in amerika21 externer Link

    • Peru: Proteste halten an, Indigene Verbände fordern Rücktritt von Dina Boluarte
      Menschenrechtskommission besucht Castillo im Gefängnis sowie soziale Organisationen. Ungewissheit über Unterstützung für Opfer staatlicher Repression (…) Indes forderte die Interethnische Vereinigung für die Entwicklung des peruanischen Regenwaldes (Aidesep), die wichtigste indigene Organisation des Amazonasgebiets in Peru, angesichts der politischen Krise und dem Tod von 28 Menschen und mehr als 600 Verletzten abermals den sofortigen Rücktritt von Präsidentin Dina Boluarte und die Auflösung des Kongresses. In einer Videobotschaft mit dem Titel „Stoppt das Massaker!“ wies der Präsident der Aidesep, Jorge Pérez Rubio, die polizeilichen Repressionen zurück und forderte die Bestrafung der Verantwortlichen für die Todesfälle sowie Gerechtigkeit für die Hinterbliebenen. Außerdem sprach er sich für die Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung aus, welche die Themen der indigenen Bevölkerung, wie etwa den Schutz von indigenen Anführer:innen, die Verteidigung interkultureller zweisprachiger Bildung und den Schutz von isoliert lebenden indigenen Gemeinden auf die politische Agenda setzen solle. Zusammen mit seinen regionalen Vertreter:innen solidarisierte sich Pérez zudem mit den Mobilisierungen ihrer Basen in Madre de Dios und im zentralen Regenwaldgebiet (Selva Central), die einen Marsch in die Hauptstadt Lima planen. Auch in anderen Regionen sollen die Proteste fortgesetzt werden. So beraten sich soziale Organisationen in Ayacucho derzeit darüber, ob die Mobilisierungen in den ersten Januartagen wieder aufgenommen werden können. In Puno riefen Aymara-Gemeinden zu einem unbefristeten Streik gegen Dina Boluarte und den Kongress auf und blockieren wichtige Straßen. Auch in La Convención (Cusco) sprach sich das Kampfkomitee für einen unbefristeten Streik aus. Dort war es der Armee am Sonntag gelungen, Demonstrierende, die die Erdgasverdichteranlage Kámani in der Ortschaft Kepashiaton belagert hatten, vom Gelände zu drängen. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums wurden dabei zwei Personen verletzt…“ Beitrag von Antonia Rodriguez Sanchez vom 28.12.2022 in amerika21 externer Link
    • Tragisches Ende eines zum Scheitern bestimmten Regierungsabenteuers
      „… Der kurzfristig neu ernannte Innenminister César Augusto Cervantes Cárdenas, ehemaliger General, hatte am 14. Dezember einen vierwöchigen Ausnahmezustand für das ganze Land ausgerufen, der u.a. den Einsatz der Armee ermöglicht. Am Abend des 13. Dezember besetzten Militärs in großer Zahl neuralgische Punkte in der Hauptstadt, in der es zu einigen Zusammenstößen kam. In einigen Provinzstädten, darunter Ayacucho, folgten schwere Auseinandersetzungen mit den Militärs, die rücksichtslos gegen die demonstrierende Bevölkerung vorgingen. Es kam zu vielen Schwerverletzten und 27 Menschen (Stand 24.12.) wurden zumeist bei Armeeeinsätzen mit letalen Waffen getötet. Menschen in den Andenprovinzen, linke Abgeordnete und Menschenrechtler*innen bezeichnen diese Verbrechen als Mord. Aus Protest traten die gerade ernannten Minister*innen für Kultur und Bildung, Jair Pérez Brañez und Patricia Correa Arangoitia, zurück.Auf der Suche nach „Rädelsführern“ aus den Anden wurden die Lokale der Bauerngewerkschaft CCP, der linken Partei Nuevo Peru, des Abgeordneten Bermejo und weitere durchsucht. Auch wenn Boluarte betont, sie habe den Einsatz von letalen Waffen und Schrot- und Gummigeschossen untersagt, war und ist ihre Befürwortung eines Militäreinsatzes nicht akzeptabel und stellt keineswegs die einzige Alternative für eine vorübergehenden Befriedung dar. Sie stellte sich hinter den mitverantwortlichen, gerade erst ernannten Verteidigungsminister Otárola und beförderte ihn inzwischen zum Premier – für die Protestierenden eine schallende Ohrfeige. Als Präsidentin trägt Boluarte die Verantwortung für die vielen Toten und Verletzten mit. Mehrere Klagen sind inzwischen vor dem Verfassungsgericht und der Interamerikanischen Menschenrechtskommission eingegangen. (…)
      Unter dem Druck der Straße änderte Boluarte ihren anfänglichen Kurs und kündigte an, eine Verfassungsreform für die Durchführung von Neuwahlen im Parlament einzureichen. Am 21. Dezember wurde mit 93 Jastimmen, 30 Gegenstimmen und einer Enthaltung die Verkürzung der Regierungsperiode auf Juli 2024 beschlossen und der Weg für allgemeine Wahlen Anfang 2024 frei gemacht. Das Ergebnis muss 2023 in zweiter Lesung erneut bestätigt werden.
      Rechtsradikale parlamentarische Kräfte, darunter der derzeitige Parlamentspräsident, drängen trotz angekündigter Neuwahlen auf eine zivil-militärische Regierung oder Diktatur in Fujimori-Manier. Sie möchten endlich alle linken, zivilgesellschaftlichen, sozialen und ökologischen Bewegungen ausschalten und die andinen Vertreter*innen, denen Castillo die Tore geöffnet hatte, hinauswerfen und wieder in die Anden verbannen. Wieder einmal werden die Protestierenden als Anhänger*innen terroristischer Organisationen diffamiert und die Justiz beginnt, sie unter dem Vorwand der Gründung terroristischer und krimineller Vereinigung zu verfolgen.
      Währenddessen flüstern die selbsterklärten Todfeinde Boluartes ihr mit Engelszungen ins Ohr und hoffen auf Zugeständnisse und Machtbeteiligung. Der Wandel ist verblüffend. Aus der „terruca“ wird nun die kompetente Krisenmanagerin. Noch. Solange Boluarte auf Polizei und Armee setzt, konservative und technokratische Minister*innen ernennt und sie die neoliberale Wirtschaftspolitik weiter vorantreibt, wird es so bleiben. Es ist längst nicht sicher, ob Boluarte bis 2024 im Amt bleibt. Fällt sie in Ungnade, sind auch ihre Tage gezählt.
      Castillo als Symbol der Demütigung
      Sich plötzlich von so viel Protest bestärkt fühlend, geht Castillo aus der Untersuchungshaft in die Offensive und pocht auf sein Präsidentenamt, dass ihm durch einen „Parlamentsputsch“ und die „Usurpatorin“ Boluarte geraubt worden sei. Dabei handelt es sich nur bei einem Teil der aufgebrachten Menschen um Anhänger*innen, die seine erneute Amtseinsetzung fordern. „Que se vayan todos“ (alle sollen gehen) lautet die zentrale Forderung. Die überwiegend große Mehrheit, ohnehin vorher schon durch sein Regime enttäuscht, will die Neuwahlen und eine Wahlreform. Die Forderung nach Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung wird bislang vorwiegend von linken Parteien und Gewerkschaften erhoben. Sie ist nicht die Parole der Stunde, die die Protestierenden zusammenführt.
      Das politische Projekt eines andinen Populismus von Castillo und Peru Libre, das mit einer kleinen parlamentarischen Fraktion und vorwiegend aus Angst vor der reaktionären Gegenkandidatin Keiko Fujimori an die Macht gespült wurde, war von Anfang an zum Scheitern verurteilt. (…)
      Die Besitzverhältnisse, die Korruption, Bürokratie, Rassismus, Ausländerfeindlichkeit, Stadt-Land-Gefälle, Klassismus von oben, die Informalität der Wirtschaft, der Staat als Beute, das Unmittelbarkeitsdenken, der schnelle Gewinn, das erzwungene Leben von der Hand in den Mund und die permanente Suche nach der schnellen Gelegenheit prägen die Gesellschaft zutiefst. Die Eliten Perus haben das Land stets als Beute-Territorium betrachten, niemals als multikulturelle Nation, die es zu entwickeln gilt. Die Informalität ist eine direkte Folge des Desinteresses an einer Industrialisierung des Landes und einer nachhaltigen und den regionalen Bedingungen angepassten Verbesserung der Lebensbedingungen in den Anden und dem Amazonastiefland. Es fehlt die materielle Grundlage, um der in die Städte migrierenden Mehrheit der Bevölkerung stabile und planbare Lebensperspektiven zu ermöglichen. Die Zurichtung des Landes für den Export von Rohstoffen und Nahrungsmitteln sind kein Ersatz dafür. Im Gegenteil, sie gefährden mittlerweile die Existenzgrundlage von Millionen Menschen. Die Marktzwänge lösen unaufhaltsam die klein- und familiäre Landwirtschaft auf und beschleunigen den Zerfall der gemeinschaftlichen Strukturen in den noch bestehenden indigenen Gemeinden in Sierra und Selva. Unter diesen Umständen ist eine beschleunigte Zerstörung des Regenwaldes nicht aufzuhalten. (…) Für Peru wäre eine verfassungsgebende Versammlung nur mittelfristig sinnvoll. Die im Nachbarland gegebenen Voraussetzungen fehlen. In Peru werden sinnvolle Reformen kaum diskutiert. Die politikverdrossene Bevölkerung wird noch viele Jahre mit dem desolaten Zustand von Politik und Staat leben müssen. Positiv stimmt die ungebrochene individuelle und kollektive Ausdauer und der Optimismus, der bei der Bewältigung des Alltags, den gemeinschaftlichen Initiativen und den vielen Kämpfen für bessere Lebensbedingungen an den Tag gelegt wird.“ Artikel von Andreas Baumgart am 3. Januar 2023 beim Nachrichtenpool Lateinamerika externer Link
  • Trotz Repression und mind. 28 Toten rufen soziale Bewegungen weiter zu Protesten auf – Bauern und indigene Aktivistinnen campieren gegen die Absetzung Castillos
    • Proteste in Peru: Sozialer Kollaps. Warum campieren nun Bauern und indigene Aktivistinnen im Zentrum der Hauptstadt gegen die Absetzung?
      „Aufstände, Dutzende Strassenblockaden, gesperrte Flughäfen und Angriffe auf Polizeistationen: Die Amtsenthebung von Präsident Pedro Castillo durch den Kongress am 7. Dezember hat in ganz Peru heftige Proteste ausgelöst – vor allem im Süden des Landes. Bis am Mittwoch gab es über zwanzig Todesopfer, die meisten durch Schusswaffen von Polizei und Militär. Hinzu kommen gegen 400 Verletzte und Hunderte Inhaftierte. Die neue Regierung von Präsidentin Dina Boluarte hat den Ausnahmezustand ausgerufen. Im Regierungsviertel, auf Nationalstrassen und an Flughäfen sind Soldaten positioniert. Die Versammlungsfreiheit ist aufgehoben, womit die Sicherheitskräfte faktisch freie Hand haben, mit tödlicher Gewalt gegen Demonstrant:innen vorzugehen. Auf dem Manco-Cápac-Platz im Zentrum der Hauptstadt Lima ist die Stimmung aufgeladen – mit Wut, Trauer und Angst. Hier campieren viele der Protestdelegationen, die aus dem ganzen Land angereist sind. William* ist Wortführer einer Ronda campesina, einer autonomen Bauernpatrouille, aus der nördlichen Amazonasregion. «Pedro Castillo ist der einzige legitime Präsident, den wir gewählt haben – er muss wieder ins Amt gesetzt werden», meint er kategorisch. «Wir werden hier so lange ausharren, bis wir das erreicht haben.» (…)«Wir stehen aufseiten der Protestierenden aus den Provinzen», erzählt Alex von der Gruppe Coordinadora 14N, der die Demonstrationen mit Videokameras begleitet. Es sei ganz anders als beim Staatsstreich vor zwei Jahren, als vor allem die Jugend aus Lima dafür sorgte, dass der vom verhassten Kongress eingesetzte Präsident Manuel Merino nach nur sechs Tagen wieder zurücktreten musste. «Viele, die damals auf der Strasse waren, bleiben jetzt zu Hause, weil sie Castillo nicht unterstützen wollen.» «Es geht nicht mehr um Castillo», meint dagegen die feministische Aktivistin Sasa, «sondern darum, möglichst bald Neuwahlen abzuhalten, damit die autoritären Kräfte sich nicht an der Macht festkrallen können.» Was sich Castillo auch immer gedacht habe, als er versucht habe, den Kongress aufzulösen – man könne es kaum einen Staatsstreich nennen, wenn nicht mal die eigenen Minister:innen, geschweige denn das Militär diesen unterstützten. Castillos eigene Sicherheitseskorte übergab ihn beim Versuch, in die mexikanische Botschaft zu flüchten, der Polizei. Allerdings habe er den perfekten Vorwand für den eigentlichen Staatsstreich geliefert, der danach gekommen sei: die Express-Amtsenthebung ohne Verfahren, der Verrat der Vizepräsidentin Boluarte, die sich von den Rechten vor den Karren spannen liess, indem sie die Proteste in die Nähe des Terrorismus rückte und das Militär auf die Strassen schickte. Boluarte habe sich untragbar gemacht, so Sasa: «Sie hat Blut an den Händen.» (…) Was jetzt in Peru geschehe, schreibt der Historiker José Carlos Agüero, sei der Ausdruck eines sozialen Kollapses. Denn Castillo sei nicht einfach nur ein unfähiger Politiker, sondern vor allem ein Symbol, mit dem sich ein Grossteil der historisch marginalisierten Bevölkerung identifiziere. «Denjenigen, die für Castillo stimmten, wurde klarer als vielleicht jemals zuvor in der Republik, was die Elite, die Massenmedien und ein grosser Teil der Bürger Limas über sie und ihre Stimmen dachten: Es waren verlorene Stimmen, inhaltsleer, von der Herkunft befleckt, weil sie von minderwertigen Menschen stammten, Indios, Ignoranten und obendrein Terroristen.» Ihre Wut kann sich somit nur noch auf der Strasse entladen. So ganz eindeutig verlaufen die Konfliktlinien zwischen Hauptstadt und Regionen dann aber doch nicht: Gemäss einer Umfrage des Instituto de Estudios Peruanos lehnen 71 Prozent die Präsidentschaft von Boluarte ab. In Lima sind es 63, im ländlichen Raum 77 Prozent. Bezüglich des Kongresses sind sich Stadt und Land einig: 80 Prozent stehen ihm ablehnend gegenüber.“ Bericht aus Lima von Thomas Niederberger in der WOZ 51/2022 vom 22. Dezember 2022 externer Link, siehe auch:
    • Neue Regierung von Peru wird international zu Dialog mit der Bevölkerung aufgefordert
      Trotz harter Repression rufen soziale Bewegungen weiter zu Protesten auf. CIDH bedauert fehlende Erklärung des peruanischen Staats zum Tod von Demonstranten. In Peru setzen die Sicherheitskräfte unvermindert Gewalt gegen die anhaltenden Proteste ein. Diese entzündeten sich nach der Absetzung und Festnahme des 2021 gewählten Präsidenten Pedro Castillo. UNO-Generalsekretär António Guterres rief die neue Regierung des Landes zur Dialogbereitschaft mit der Bevölkerung auf. (…)Die Boluarte-Regierung hat den Ausnahmezustand und Ausgangssperren verhängt und setzt Polizei und Militär zur Unterdrückung der Proteste mit äußerster Härte ein. Bei Zusammenstößen zwischen Protestierenden und Sicherheitskräften und Unfällen im Zusammenhang mit den Straßenblockaden insbesondere auf der internationalen Hauptverkehrsader Carretera Panamericana sind bis zum 22. Dezember in den Regionen Ayacucho, Apurímac, Junín, La Libertad, Cusco und Arequipa mindestens 28 Demonstranten ums Leben gekommen, viele von ihnen durch Schusswaffeneinsatz der Sicherheitskräfte. Die Zahl der Verletzten stieg auf Seiten der Protestierenden auf über 350. Auch knapp 300 Mitglieder der Sicherheitskräfte mussten bisher ärztlich behandelt werden. Das Zugeständnis der neu eingesetzten Präsidentin Boluarte und des Kongresses, die Neuwahlen, wie auch von der UNO gefordert, vorzuziehen, konnte die Auseinandersetzungen nicht beruhigen. Dazu trägt auch die Aussicht auf eine Regierungsneubildung erst in 2024 und die fehlende Bereitschaft Boluartes, die selbsternannte Übergangsregierung aufzulösen, bei. Soziale Bewegungen rufen in vielen Regionen weiter zu Streiks und Protesten auf…“ Beitrag von Benjamin Grasse vom 23.12.2022 in amerika21 externer Link
    • Ins Aus geschossen. Nach Selbstputsch durch Pedro Castillo werden in Peru Neuwahlen gefordert
      Nach dem gescheiterten Selbstputsch des linken Expräsidenten Pedro Castillo haben Exekutive und Legislative massiv an Legitimität verloren. Diese versucht die neue Präsidentin Dina Boluarte nun wiederzuerlangen. (…) Nun muss sich Boluarte schnell nach politischen Allianzen umsehen und ein neues Kabinett bilden. Dabei könnte ihr zum Vorteil werden, dass sie nie zum inneren Kreis der Regierung Castillo gehörte. Boluarte kann laut Artikel 115 der Verfassung bis zum Ende der Amtszeit von Castillo 2026 übernehmen. Doch bereits am Tag nach ihrer Übernahme kam es zu Protesten einiger tausend Menschen landesweit und zu Straßenblockaden. „Dina Boluarte überrascht uns. Nicht nur der Süden, auch andere Regionen erheben sich. Die Entscheidung der Bevölkerung muss respektiert werden. Es ist alles die Schuld des Kongresses, sie haben ihn (Pedro Castillo) nicht regieren lassen“, sagte Carmelina, eine protestierende Bäuerin aus La Joya, gegenüber der Tageszeitung El Comercio. Wie bereits in der Wahl 2021 wird peruanische Politik zunehmend in den Regionen entschieden. Noch sind die Forderungen der Proteste diffus, einige fordern die Freilassung Castillos, einige die Absetzung Boluartes. Gemeinsamer Nenner ist die vorzeitige Ausrufung von Neuwahlen. Die Präsidentin Perus hat bereits eingeräumt, dass die Wahlen vorverlegt werden können „wenn die Gesellschaft und die Situation es fordert“. Castillo hat den Ball aus dem politischen Spielfeld geschossen und weder Exekutive noch Legislative scheinen ihn zurückholen zu können. Wahrscheinlich ist, dass über kurz oder lang dem Ruf nach Neuwahlen stattgegeben wird. Dabei besteht die Gefahr, dass sich den Ball ein kompletter Außenseiter schnappt.“ Artikel von Kiva Drexel in Lateinamerika Nachrichten 583 vom Januar 2023 externer Link
  • Kongress in Peru lehnt Neuwahlen ab, Proteste und Streiks im ganzen Land gehen trotz des landesweiten Ausnahmezustands weiter, Zahl der getöteten Protestteilnehmer:innen auf 24 gestiegen… 
    „…zahlreiche Verletzte in Krankenhäusern. Anzeige gegen Präsidentin Boluarte wegen Mordes
    Die Demonstrationen in Peru für die Schließung des Kongresses und vorgezogene Parlamentswahlen reißen nicht ab. Die Zahl der Todesopfer unter den Protestteilnehmer:innen ist nach Angaben des Gesundheitsministeriums auf 24 gestiegen. Menschenrechtsorganisationen machen Präsidentin Dina Boluarte verantwortlich und verklagen sie. Unterdessen hat das Parlament mit der Stimmenmehrheit der Rechten eine vorgezogene Neuwahl abgelehnt.
    Die Hauptstadt der Region Ayacucho wurde in den vergangenen Tagen zur tödlichsten Protestzone des Landes. Wie die lokale Gesundheitsbehörde informiert, starben dort neun Protestteilnehmer:innen an den Folgen von Schussverletzungen. Für viele Einwohner:innen erinnern die Ereignisse an die blutige Vergangenheit. Während des internen bewaffneten Konflikts zwischen 1980 und 2000 kam es dort zu schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen und Misshandlungen durch Uniformierte. In einem Interview mit Radio 103.3 appellierte eine Frau, die Zeugin der Repression in Ayacucho geworden war, an die Präsidentin: „Bitte stoppen Sie das Massaker, es wird viel geschossen, bitte, Señora Dina, tun Sie etwas, hier schießt das Militär direkt, bitte, keine Toten mehr“. Die Versorgung im Regionalkrankenhaus, in das mehrere Dutzend Verletzte eingeliefert wurden, brach zusammen. (…)
    Die Menschenrechtsvereinigung „Pro Derechos Humanos“ (Aprodeh) gab bekannt, dass sie aufgrund der zahlreichen registrierten Todesfälle und Menschenrechtsverletzungen Anzeige gegen Präsidentin Boluarte wegen Mordes erstattet. „Wir dokumentieren die Beweise. Wir haben keinen Zweifel mehr daran, dass sie die Hauptverantwortung für die Ereignisse in Ayacucho trägt“, sagte Gloria Cano, Anwältin von Aprodeh, gegenüber Medien. „Allein die Tatsache, dass sie die Streitkräfte einsetzt und nicht vor dem Einsatz von Schusswaffen warnt, macht sie zur Verantwortlichen“, so Cano. Bildungsministerin Patricia Correa und ihr Amtskollege im Kulturministerium, Jair Perez, gaben indes bekannt, von ihren Ämtern zurückzutreten. „Der unwiederbringliche Verlust von Brüdern und Schwestern macht es für mich unhaltbar, in Ihrer Regierung zu bleiben“, schrieb Pérez in seiner Rücktrittserklärung an Boluarte. Bei einer Pressekonferenz am Samstag verkündete Boluarte, dass sie einen Rücktritt ausschließe. (…)
    Zeitgleich mit ihrer Ansprache führte die Polizeieinheit zur Terrorismusbekämpfung in der Hauptstadt Razzien in den Räumlichkeiten des Verbandes der bäuerlichen Gemeinschaften (Confederacion de Comunidades Campesinas) und der Partei „Nuevo Peru“ (Neues Peru) durch und setzte dort Personen fest, die aus den Provinzen angereist waren und in den Räumlichkeiten übernachteten. Hunderte Demonstrant:innen versammelten sich daraufhin vor dem Gebäude, um die Freilassung der Festgesetzten zu fordern. Nach mehr als 14 Stunden konnten die 26 Mitglieder der Confederacion Campesina schließlich das Gebäude verlassen, Verfahren wurden nicht gegen sie eingeleitet.
    Trotz des landesweiten Ausnahmezustands und der Ausgangssperren in einigen Regionen gehen die Mobilisierungen weiter, darunter in Lima, Junín, Cusco, Puno, Ayacucho und Arequipa. Am Sonntag verhängte die Regierung auch eine Ausgangssperre für fünf Tage in der Provinz Huamanga, Departamento Ayacucho.
    Ein Netzwerk von etwa 300 indigenen Schriftsteller:innen und Intellektuellen Perus kündigte die Teilnahme an den Protesten an und veröffentlichte eine Erklärung, in der sie den Rücktritt Boluartes, die Beendigung der „Diktatur des Kongresses“, vorgezogene Parlamentswahlen und eine verfassungsgebende Versammlung fordern.
    Im Gegensatz zur ausdrücklichen Solidarität mit dem vom Kongress abgesetzten Präsidenten Castillo seitens der großen Mehrheit der fortschrittlichen und linken Regierungen der Region ‒ darunter Kolumbien, Venezuela, Argentinien, Mexiko und Bolivien ‒ hat die chilenische Regierung Boluarte ihre Unterstützung zugesagt…“ Beitrag von Antonia Rodriguez Sanchez am 19.12.2022 in amerika21 externer Link, siehe auch:

    • Anwältin Gloria Cano der NGO für Menschenrechte  Aprodeh bereitet eine Klage gegen die vom Kongress ernannte Präsidentin Dina Boluarte vor, da sie für Ereignisse in Ayacucho-mind. 10 Tote verantwortlich sei…“ Thread von Eva Schöck-Quinteros vom 17. Dez. 2022 externer Link zum span. Artikel bei telesurtv.net externer Link
    • Ausnahmezustand in Peru: Keine Lösung der Krise in Sicht. Spannungen werden durch Außerkraftsetzung von Grundrechten und Ausgangssperren weiter angeheizt
      „… Die Situation in Peru eskaliert nach der Absetzung und Inhaftierung von Präsident Pedro Castillo weiter. Nachdem die neue Präsidentin Dina Boluarte am Mittwoch den nationalen Ausnahmezustand verhängt hat, sind bei Zusammenstößen zwischen Protestierenden und Sicherheitskräften weitere Menschen ums Leben gekommen. Castillo bleibt derweil in Untersuchungshaft. Die Angaben zur Zahl der Toten – ausschließlich auf Seiten der Protestierenden – schwanken zwischen zehn und 21. Die Mehrheit von ihnen kam in den Andendepartamentos Apurímac und Ayacucho ums Leben. Die regionale Gesundheitsbehörde von Ayacucho bestätigte sieben Todesfälle und 52 Verletzte allein am ersten Tag des Ausnahmezustands. Die nationale Ombudsstelle fordert eine eingehende Untersuchung der Todesumstände. „Die Verantwortlichen müssen ausfindig gemacht und entsprechend sanktioniert werden“, erklärte die Institution. Sie bestätigte zudem mehr als 420 Verletzte in Folge der seit neun Tagen anhaltenden Proteste. Der Ausnahmezustand, der am vergangenen Mittwoch landesweit für 30 Tage verhängt wurde, erlaubt den Einsatz der Streitkräfte zur „Wahrung der inneren Sicherheit“. Gleichzeitig setzt er Grundrechte wie etwa die Versammlungs- und Bewegungsfreiheit außer Kraft. Mit Ausnahme während der Corona-Pandemie wurde eine solche Maßnahme auf nationaler Ebene nicht mehr seit der Diktatur unter Alberto Fujimori (1990 – 2000) eingesetzt. In 15 besonders stark von den Protesten betroffenen Provinzen wurden zudem nächtliche Ausgangssperren verhängt. Die Proteste erfassen das ganze Land. Die Ombudsstelle zählte bisher insgesamt 96 Blockaden, 59 Märsche und Sitzstreiks sowie 13 teilweise und vollständige Arbeitsniederlegungen in Provinzen der Departamentos Ancash, Ayacucho, Cajamarca, Cusco, Moquegua, Puno und San Martín. Am Donnerstag hatten soziale Organisationen, Gewerkschaften und indigene Bewegungen in mehreren Regionen des Landes zu landesweiten Streiks aufgerufen. (…) Die Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung ist eines der Hauptthemen auf den Demonstrationen. Weitere Forderungen sind die Auflösung des Kongresses und sofortige Neuwahlen sowie vielerorts die Freilassung von Castillo. (…) Am Donnerstag entschied der oberste Gerichtshof Perus, dass Castillo für 18 Monate in U-Haft bleiben soll. Richter Juan Carlos Checkley begründete die Entscheidung damit, dass es sich bei den mutmaßlichen Taten des Ex-Präsidenten um „schwere Delikte“ handele. Zudem bestehe Fluchtgefahr. Aus dem Gefängnis heraus bat Castillo, die CIDH die Achtung seiner verfassungsmäßigen Rechte zu überwachen. Der Linkspolitiker wird der „Rebellion“ sowie der „Verschwörung gegen die Staatsgewalt“ beschuldigt. Castillo hatte vergangene Woche das Parlament aufgelöst und eine Notstandsregierung ausgerufen, nachdem ihn der Kongress bereits in einem dritten Anlauf des Amtes entheben wollte. Sowohl die Sicherheitskräfte als auch seine eigene Regierung verweigerten ihm die Unterstützung. Das Parlament entmachtete ihn in einer Sondersitzung und erhob Vizepräsidentin Boluarte zur neuen Staatschefin.“ Beitrag von Julia Liebermann und Quincy Stemmler vom 17. Dezember 2022 in amerika21 externer Link
    • Peru: „Ein Putsch der Rechten“
      Nach der Absetzung des Präsidenten Pedro Castillo haben sich die Straßen Perus wieder mit Menschen gefüllt, die einen tiefgreifenden Wandel in der peruanischen Politik fordern. Bislang wurden mindestens 21 Demonstrierende durch Repressionskräfte getötet. Um die Ereignisse besser zu verstehen, haben wir mit der antirassistischen und feministischen Künstlerin Daniela Ortiz gesprochen. Sie wurde im südperuanischen Cusco geboren und befindet sich momentan wieder dort – einer der Städte, in denen ein Generalstreik stattfindet…“ Interview von Daniela Ortiz (Interview: Maru Waldhüter, Camila Parodi, César Saravia) vom 17. Dezember 2022 in amerika21 externer Link – in voller Länge empfehlenswert
    • Ein Massaker in Peru: Mehr als 17 Tote bei Protesten nach Amtsenthebung und Inhaftierung von Präsident Castillo
      Nach der Absetzung und Inhaftierung von Präsident Pedro Castillo, der am 7. Dezember seines Amtes enthoben wurde, nachdem er versucht hatte, den Kongress aufzulösen und per Dekret zu regieren, nehmen die Massenproteste in Peru zu. Mindestens 17 Demonstranten wurden bei den Unruhen getötet, als die Polizei mit Tränengas und scharfer Munition gegen die Menge vorging. Am Donnerstag entschied ein Gericht, dass Castillo für 18 Monate in Untersuchungshaft bleiben sollte, und Castillos Nachfolgerin, seine frühere Vizepräsidentin Dina Boluarte, verhängte landesweit den Ausnahmezustand und setzte einige Bürgerrechte außer Kraft. Der peruanische Soziologe Eduardo González Cueva bezeichnet das harte Vorgehen der Regierung als „Putsch im Putsch“ und sagt, dass die Unzufriedenheit mit dem gesamten politischen Establishment die Proteste antreibt. „Hier geht es nicht mehr um Castillo persönlich“, sagt er. „Es geht um die Menschen in Peru, die sich in diesem politischen System nicht vertreten sehen und einen radikalen Wandel fordern.“…“ Video und (engl.) Text des Interviews vom 16.12.22 bei Democracy Now! externer Link von Amy Goodman mit dem Soziologen Eduardo González Cueva
  • Zahl der Toten steigt: Anhaltende Proteste in Peru
    Auch sechs Tage nach der Amtsenthebung von Präsident Pedro Castillo halten die landesweiten Proteste in Peru an. Bis zum Dienstag sind auf Demonstrationen gegen die neue Präsidentin Dina Boluarte und den von Rechtsparteien dominierten Kongress sieben Menschen ums Leben gekommen. Menscherechtler:innen kritisieren das gewaltsame Vorgehen der Polizei. Unter den Getöteten waren auch Minderjährige. Die nationale Koordinationsstelle für Menschenrechte rief die Sicherheitskräfte dazu auf, den Gebrauch von Schusswaffen einzustellen: Mehrere in den sozialen Netzwerken veröffentlichte Videos zeigen den gezielten Einsatz gegen unbewaffnete Protestierende. Nachdem am Montag Demonstrierende die Landebahn des internationalen Flughafens von Arequipa gestürmt hatten, musste am Dienstag mit Cusco ein weiterer internationaler Flughafen schließen. Züge nach Machu Picchu – der touristischen Hauptattraktion des Landes – wurden eingestellt. Alle nationalen Busverbindungen wurden suspendiert. In den Departamentos Huancavelica und Arequipa setzten Protestierende Gerichts- und Verwaltungsgebäude in Brand. Die nationale Studierendenvereinigung von Peru (FEP) zeigt sich solidarisch mit den Protesten und fordert sofortige Neuwahlen. Die Universität von Cajamarca wurde besetzt. Sämtliche soziale Organisationen bekräftigten ebenfalls Forderungen nach Neuwahlen. (…) Derweil hat die Staatsanwaltschaft eine Verfassungsklage gegen den inhaftierten Ex-Präsidenten Pedro Castillo erlassen. Ihm wird „Rebellion“ vorgeworfen. Auch mehrere seiner ehemaligen Regierungsmitglieder sind mit angeklagt. Das Parlament muss der Klage nun stattgeben. Neben den Auseinandersetzungen auf der Straße ging es auch im Kongress selbst heiß her…“ Beitrag von Quincy Stemmler vom 14.12.2022 in amerika21 externer Link

    • Amnesty international hat eine Eilaktion „Peru: Tote und Verletzte bei Protesten“ externer Link gestartet: „… Sehr geehrte Frau Präsidentin, angesichts der aktuellen Proteste  nimmt in Peru die Gewalt gegen Demonstrierende zu, die Sicherheitskräfte reagieren unverhältnismäßig. Die neue Regierung scheint diejenigen ins Visier zu nehmen, die ihre Unzufriedenheit mit der aktuellen Krise zum Ausdruck bringen. Damit reagiert sie massiv auf die Demonstrationen und trägt zu einem Anstieg der Gewalt im Land bei. Bitte stellen Sie stattdessen die Menschenrechte und den Dialog in den Mittelpunkt, um eine Lösung für die aktuelle Krise zu finden…“
  • Gewerkschaften und kommunale Gruppen riefen zum Generalstreik am 15. Dezember 2022 auf

    • „… Die Sicherheitskräfte töteten am Montag, den 12. Dezember, fünf weitere Protestierende in Peru, als die Demonstrationen gegen die Absetzung des linksgerichteten ehemaligen Präsidenten Pedro Castillo durch die Rechten nicht abflauten. Die Unterstützung der Arbeiterklasse für Castillo nimmt jedoch weiter zu, da Gewerkschaften und kommunale Gruppen zu einem Generalstreik aufgerufen haben…“ Artikel von Steve Topple vom 13. Dezember 2022 auf The Canary externer Link („Security forces kill seven people as Peruvians respond to ‘coup’ against left-wing Castillo“)
    • „… Nichtsdestotrotz erklärt das peruanische Volk, dass es entschlossen ist, die Demokratie wiederherzustellen und zu stärken. Nach der Verlängerung von Castillos vorläufiger Festnahme haben die sozialen Bewegungen und Gewerkschaften im ganzen Land zu verstärkten Protestmaßnahmen aufgerufen. Die sozialen Sektoren haben für den 15. Dezember zu landesweiten Mobilisierungen zur Unterstützung von Castillo und zur Verteidigung ihrer Forderungen aufgerufen…“ Artikel von Tanya Wadhwa vom 15. Dezember 2022 auf Peoples Dispatch externer Link („Peruvians continue to resist as anti-coup protests enter second week“)
    • „… Doch die Straße blieb angesichts dieses institutionellen Staatsstreichs nicht stumm. Im Laufe der Tage häuften sich in verschiedenen Regionen die Proteste, die das Vorgehen des Parlaments und der neuen Präsidentin ablehnten. Zu den am stärksten mobilisierten Sektoren gehören insbesondere die Lehrkräfte und mehrere Sektoren der Arbeiter:innenbewegung, die von den Gewerkschaftsführungen auf Drängen ihrer Basis dazu aufgerufen wurden, sich den Bewegungen anzuschließen. Es ist wenig überraschend, dass die neue Regierung von Dina Boluarte auf diese Reaktion der öffentlichen Sektoren der Bevölkerung mit heftiger Repression reagierte. (…) Zwar versucht Dina Boluarte auf diese Weise, den Teil der Bevölkerung, der sie nicht als Präsidentin anerkennt und die Politik des Kongresses ablehnt, zum Schweigen zu bringen, jedoch verhindert der Druck der Straße, dass sie Erfolg damit hat. Nachdem für diese Woche weitere Mobilisierungen angekündigt wurden, zu denen auch landesweite Streiks der Bäuer:innen und Lehrer:innen gehören, kündigte die derzeitige, illegitime Präsidentin Perus an, die allgemeinen Wahlen auf April 2024 vorzuverlegen…“ Meldung von Klasse gegen Klasse vom 14. Dezember 2022 externer Link („Peru: Massenproteste, Repression und Neuwahlen“)
  • Landesweite Proteste in Peru für Auflösung des Kongresses und Neuwahlen. Forderung nach Freilassung Castillos. Neue Präsidentin verhängt Ausnahmezustand im Süden
    „Nach Absetzung des Präsidenten Pedro Castillo und Aufstellung des neuen Kabinetts durch die neue Präsidentin Dina Boluarte kommt es landesweit weiterhin zu massiven Protesten, Straßenblockaden und Streiks. Drei Menschen sind nach Regierungsangaben bei Auseinandersetzungen mit der Polizei zu Tode gekommen. (…) Die Demonstrierenden fordern die Auflösung des Kongresses, Neuwahlen und die Freilassung Castillos. In Andahuaylas, Arequipa, Trujillo, Iquitos, Madre de Dios, Ica, Tacna und Huacho weiteten sich die Proteste aus und wurden mit massiver Polizeigewalt zurückgeschlagen. In Arequipa besetzten Protestierende mindestens zehn Häuserblocks im historischen Zentrum. Auch der Regionalflughafen der Millionenstadt wurde laut Medienberichten am Montag von 2.000 Menschen besetzt und geschlossen. Die Arbeitergewerkschaft von Arequipa (Federación Departamental de Trabajadores de Arequipa) hat zu einem unbefristeten Streik in der Region aufgerufen, bis die nationale Regierung ihren Forderungskatalog erfüllt hat. Soziale Organisationen im Departamento Apurímac haben am Samstag beschlossen, in ihrer Region den „Volksaufstand“ zu erklären und ab dem 12. Dezember in einen unbefristeten Streik zu treten. Quellen vor Ort berichteten, dass bei Protesten in der Region am Samstag mindestens 21 Personen verletzt wurden. Mehr als 10.000 Bäuer:innen aus dem Departamento Ucayali hatten ebenfalls weitere Proteste angekündigt. Der Präsident der regionalen Bauernorganisation, Smith Díaz, erklärte gegenüber lokalen Medien: „Wir lehnen diesen tyrannischen und putschistischen Kongress ab. Wir erkennen auch Dina Boluarte nicht als Präsidentin an“. Sie fordern vorgezogene Wahlen, die sofortige Freilassung von Castillo und eine verfassunggebende Versammlung. (…) Währenddessen hat Präsidentin Boluarte ein neues Kabinett vereidigt. In ihrer Ansprache dazu sagte sie, „die Konsolidierung der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit, des Gleichgewichts der Kräfte und der Regierbarkeit im Land“ sei die wichtigste Aufgabe Ihrer Regierung. Als eine Ihrer ersten Amtshandlungen hat sie als Reaktion auf die Proteste den Ausnahmezustand für die südlichen Regionen des Landes ausgerufen. Nachdem sie zunächst angekündigt hatte, die Amtsgeschäfte bis 2026 zu Ende zu führen, hat Boluarte inzwischen angesichts der anhaltenden massiven Proteste vorgezogene Neuwahlen für April 2024 in Aussicht gestellt.“ Beitrag von Julia Liebermann vom 13. Dezember 2022 bei amerika21 externer Link
  • Die nächste große plurinationale Revolte findet jetzt in Peru statt und die indigenen Völker sollten darauf achten. Peru steht nach der Verhaftung des Ex-Präsidenten Pedro Castillo wegen seines Versuchs, den Kongress wegen Korruption aufzulösen, in Flammen. Seine Vizepräsidentin Dina Boluarte ist jetzt Präsidentin, wird aber von den Massenprotestwellen in ganz Peru als illegitim angesehen. Was sind also ihre Forderungen, um Peru zu verändern? Es gibt 3 Forderungen: (1) Die sofortige Freilassung und Wiedereinsetzung von Pedro Castillo als rechtmäßiger Präsident, (2) die Schließung des Kongresses und die Ausschreibung neuer Parlamentswahlen und (3) eine konstituierende Versammlung zur Ausarbeitung einer neuen Plurinationalität und Verfassung . Die armen, indigenen Völker, Arbeiter und politischen Unabhängigen haben sich in diesen 3 Forderungen vereint. Castillos Erklärung, den Kongress zu schließen, fand Anklang bei diesem Teil der peruanischen Gesellschaft, der gegen ein neoliberales Peru ist, das durch den Kongress und die aktuelle Verfassung von 1993 geschützt wird. Dieser Massenaufstand, um die Verfassung von 1993 zu ersetzen, ähnelt den Massenprotesten, die 2019 in Chile stattfanden, um Pinochets Verfassung in diesem Jahr durch eine plurinationale Verfassung zu ersetzen. Aber die Linke sollte genau aufpassen und aus den Fehlern in Chile lernen. Alle sollten darauf achten, insbesondere indigene Völker. Die Forderung nach einem plurinationalen Kongress wurde von indigenen Völkern vorangetrieben, darunter Castillo, der ein indigener Bauer ist. Und Siedlerregierungen wie Perus Kongress sehen Plurinationalität als ihren großen Feind. Es gibt eine indigene Geschichte plurinationaler Verfassungsreformen wie die des AIM im Jahr 1972 (USA), von George Manuel im Jahr ’82 (Kanada), der Zapatisten im Jahr ’96 (Mexiko), von Evo Morales im Jahr 2009 (Bolivien) und von Chile im Jahr 2022. Peru führt diesen Kampf nun an und er betrifft das gesamte indigene Amerika. Derzeit ist es das Volk, das ohne direkte Bindung an eine Partei diese plurinationale Revolte in Peru anführt, und es wird Strategien bestimmen, die die indigene Bevölkerung in stark konservativen und Siedlerländern verfolgen kann. Alle Augen auf Peru gerichtet.“ engl. Thread von New Amauta vom 11. Dez. 2022 externer Link
  • Peru: Geteiltes Stimmungsbild nach Absetzung von Linkspräsident. Kaum Rückhalt für neue Präsidentin. Massenproteste im ganzen Land fordern Neuwahlen
    „… Die Amtsenthebung und anschließende Festnahme des Linkspräsidenten Pedro Castillo stößt innerhalb und außerhalb Perus auf ein geteiltes Echo. Landesweit kam es zu Protesten. In den Regionen Ayacucho, Puno, Cusco, Ica sowie in der Hauptstadt Lima gingen tausende Menschen auf die Straße. Während manche offen Castillo unterstützen, äußern viele ihre Ablehnung sowohl gegenüber dem Ex-Präsidenten als auch gegenüber dem von Rechtsparteien dominierten Parlament und fordern Neuwahlen. Auch wurden wieder Stimmen nach einer neuen Verfassung laut – ein Anliegen, das Castillo während seiner Amtszeit vergeblich verfolgt hatte. (…) Zuvor hatte die neue Präsidentin Dina Boluarte noch zu einer „politischen Waffenruhe“ aufgerufen. Die Politikerin, die an der Seite von Castillo 2021 für die Linkspartei Perú Libre kandidiert hatte, galt noch bis vor Kurzem als seine enge Verbündete. Vergangenes Jahr hatte sie angesichts des ersten Amtsenthebungsversuchs gegen ihn gar angekündigt, im Fall einer Absetzung des Linkspolitikers ebenfalls ihr Amt niederzulegen. Lucía Alvites, Mitglied der Linkspartei Nuevo Perú (NP), wirft Boluarte einen Pakt mit der rechten Opposition vor. Sie sieht in der Amtsenthebung Castillos die Verwirklichung des „rassistischen und klassistischen“ Ziels der Rechten, „den Willen des Volkes“ zu brechen. (…) Alvites geht noch weiter und fordert wie viele Demonstrant:innen eine neue Verfassung und die Beendigung des neoliberalen Systems in Peru: „Es braucht ein Referendum, damit dem Volk die Macht zurückgegeben wird. Man muss das Volk fragen, ob es eine neue Verfassung möchte“, führt Alvites aus. Politikwissenschaftler Eduardo Dargent hält die Kritik am Neoliberalismus als alleinige Ursache der aktuellen Probleme in der peruanischen Politik für zu kurz gegriffen: „Das Scheitern Castillos lässt sich durch andere Kontinuitäten erklären: dem Verteilen politischer Posten, Korruption sowie eine patrimoniale Staatsauffassung.“ Diese Probleme gingen über die Rechte hinaus und beträfen auch die Linke in dem südamerikanischen Land. (…) Auch im Ausland gibt es unterschiedliche Reaktionen und Auffassungen der Geschehnisse vergangene Woche. Das argentinische Außenministerium erklärte, man sei tief besorgt über die politische Krise, die die „Schwesterrepublik“ Peru im Augenblick durchläuft. Das brasilianische Außenministerium nannte die versuchte Entmachtung des rechtsdominierten Parlaments durch Castillo einen „Verstoß gegen die Demokratie und den Rechtsstaat“ und begrüßte seine Absetzung. Der designierte Präsident Luiz Inácio Lula da Silva hingegen sagte, es sei immer zu bedauern, wenn einen demokratisch gewählten Präsidenten dieses Schicksal ereilt. „Von Anfang an hat die peruanische Rechte versucht eine demokratisch gewählte Regierung zu stürzen, von der sich die unteren Klassen mehr soziale Inklusion und Gerechtigkeit erhofft hatten“, äußerte sich Boliviens Präsident Luis Arce. Der mexikanische Präsident Andrés Manuel López Obrador (Amlo) zeigte Verständnis für Castillos Entscheidung, das Parlament aufzulösen. „Interessen ökonomischer und politischer Eliten“ hätten ihn zu dieser Entscheidung gezwungen. Castillo hatte kurz vor seiner drohenden Absetzung Amlo um politisches Asyl gebeten gehabt – was ihm dieser nach eigenen Angaben auch gewähren wollte. Doch noch auf dem Weg zur mexikanischen Botschaft war Castillo verhaftet worden.“ Beitrag von Quincy Stemmler vom 11. Dezember 2022 bei amerika21 externer Link
  • Eine peruanische sozialistische Perspektive auf die Krise in Peru
    „… Am Dienstagnachmittag, dem 7. Dezember, setzte der Kongress der Republik Peru Pedro Castillo von seinem Amt als Präsident ab, nachdem er versucht hatte, ihn aufzulösen. Der mehrheitlich rechtsgerichtete Kongress stimmte über ein Amtsenthebungsverfahren gegen ihn ab, den dritten Amtsenthebungsversuch seit Castillos Amtsantritt im Juli 2021. Der Tag begann mit einem bonapartistischen Schachzug Castillos und endete damit, dass Castillo durch einen parlamentarischen Staatsstreich abgesetzt wurde. Der parlamentarische Staatsstreich war rechtlich durch die derzeitige und höchst fragwürdige Verfassung gerechtfertigt, die während der Herrschaft des ehemaligen peruanischen Diktators Alberto Fujimori eingeführt wurde und von der Polizei durch Drohungen und gewaltsame Repression aufrechterhalten wird. Die Aufhebung aller präsidialen Befugnisse wird die politische Krise des Landes nur noch verschärfen.
    Es ist wichtig festzuhalten, dass der rechte Teil des Kongresses bereits vor Castillos Manövern in Absprache mit der peruanischen Strafverfolgungsbehörde und der Justiz einen dritten Amtsenthebungsversuch gegen Castillo vorbereitet hat. (…) Pedro Castillos Sturz durch den Kongress zeigt einmal mehr die Unwirksamkeit einer politischen Strategie, die versucht, Veränderungen für das Volk herbeizuführen, indem sie sich auf den bürgerlichen Staat beruft, der, wie Marx sagte, nichts anderes ist als „ein Komitee zur Verwaltung der gemeinsamen Angelegenheiten der gesamten Bourgeoisie“. Es zeigt auch das Scheitern einer Strategie der Klassenkollaboration und der Suche nach nationaler Einheit mit den Kapitalisten, eine Strategie, die Castillo, der im Einklang mit der reformistischen/neoreformistischen Linken in Peru handelt, vom ersten Tag seiner Präsidentschaft an umzusetzen versuchte. Aus diesem Grund ließ er die politischen Grundlagen der Herrschaft des ehemaligen Diktators Fujimori intakt, und er ließ zu, dass die Wirtschaft auf neoliberalem Autopilot weiterlief, was, um nur einige Beispiele zu nennen, dazu führte, dass Die Beibehaltung von Julio Velarde, einem treuen Verbündeten des IWF, als Vorsitzender der Zentralbank von Peru, sowie die Ausweitung einer Reihe von Konzessionen und Privilegien für die reichsten Kapitalisten des Landes, wie die transnationalen Bergbauunternehmen Southern Cooper in Moquegua und MMG Las Bambas in Cusco und Apurímac. (…)
    Wir können also feststellen, dass Castillo einen höchst bonapartistischen Schachzug unternahm, ohne die Unterstützung der lokalen Regierungen, der Kongressabgeordneten seiner eigenen Partei, der Streitkräfte und der Nationalpolizei (die ihn als „Terroristen“ betrachteten) und vor allem ohne die Unterstützung der Bevölkerung, die er im Laufe seiner 16-monatigen Amtszeit langsam verlor. (…)
    Die jüngsten Ereignisse haben einmal mehr gezeigt, dass lateinamerikanische Versuche des „Progressivismus“, den Staatsapparat zu umfassenden Strukturreformen aufzufordern, zum Scheitern verurteilt sind, wenn sie nicht die bürgerlichen und imperialistischen Grundlagen desselben Staates in Frage stellen. Castillos ländliche, indigene und populistische Wurzeln sind keine Garantie dafür, dass seine Regierung die Entkolonialisierung und Demokratisierung vorantreiben wird, im Gegenteil, seine Regierung garantiert das Überleben der reaktionären und antidemokratischen Mechanismen, die der derzeitigen politischen Struktur Perus innewohnen. (…)
    Es sind diese tief verwurzelten Beziehungen zwischen Politikern, öffentlichen Institutionen und Geschäftsinteressen, die zur Delegitimierung der peruanischen Regierung sowie zur Vertiefung und Verlängerung der ökologischen Krise geführt haben. (…)
    Es ist dringend notwendig, dass die Arbeiterklasse, die Studenten, die ländlichen Gemeinden und die populären Sektoren der Gesellschaft beginnen, eine politische Strategie zu diskutieren, um die korrupte politische Linie und das Regime von Fujimoris Erbe loszuwerden. Je mehr Zeit vergeht, desto notwendiger wird ein echter Verfassungskonvent, denn nur eine Überarbeitung von Fujimoris Verfassung kann einen demokratischen Weg in die Zukunft aufzeigen, der den Bedürfnissen und Forderungen der Arbeiterklasse sowohl in den Städten als auch auf dem Land gerecht wird. Ein Verfassungskonvent, der nicht an die Zwänge des gegenwärtigen Systems gebunden ist, wie es Mendoza vorziehen würde, sondern frei, souverän und vom Volk kontrolliert ist, kann beginnen, auf den unabhängigen Mobilisierungen der Arbeiterklasse aufzubauen
    …“ engl. Statement  von Corriente Socialista de las y los Trabajadores – CST am 10.12.2022 bei leftvoice externer Link („A Peruvian Socialist Perspective on the Crisis in Peru“, maschinenübersetzt)  – es ist eine Erklärung peruanischer Sozialisten, die in der Corriente Socialista de las y los Trabajadores (CST, Sozialistische Arbeiterströmung) organisiert sind, die zur trotzkistischen Fraktion der Vierten Internationale gehört
  • Nach Versuch, den Kongress aufzulösen: Peruanischer Präsident Castillo abgesetzt und verhaftet
    Am Donnerstag wurde der gewählte Präsident von Peru, Pedro Castillo, nach einer Reihe von außergewöhnlichen Ereignissen während des Vortags verhaftet und eingesperrt. Nachdem die Judikative und die Legislative angedroht hatten, ihn abzusetzen, hatte er verzweifelt versucht, ihnen zuvorzukommen und die Schließung des Kongresses angeordnet sowie einen autoritären Ausnahmezustand ausgerufen. Castillos Versuch, an der Macht zu bleiben, scheiterte, nachdem die Führungen sowohl der Streitkräfte als auch der Polizei sein Vorgehen in einer Stellungnahme als verfassungswidrig bezeichnet und gewarnt hatten, dass sie es nicht unterstützen würden.
    Der Kongress widersetzte sich dem Befehl, sich aufzulösen, und stimmte stattdessen mit überwältigender Mehrheit für ein Amtsenthebungsverfahren. Mehrere seiner Minister traten sofort zurück und verurteilten sein Vorgehen als „Putschversuch“. Nur wenige Stunden später ernannte der Kongress die Vizepräsidentin Dina Boluarte zu Castillos Nachfolgerin.
    Der schmachvolle Sturz des ehemaligen Landschullehrers und Gewerkschaftsführers Castillo hat nicht nur den Bankrott seiner eigenen Herrschaft gründlich entlarvt, sondern auch den der Politik breiter Schichten von Pseudolinken, die seinen Wahlsieg als Sieg des „Sozialismus“ gefeiert hatten. Angesichts des unnachgiebigen Widerstands des Militärs und der Rechten erwies er sich als unfähig und unwillig, auch nur den Versuch zu unternehmen, die Bevölkerung zu seiner Verteidigung zu mobilisieren.
    Abgesehen von seinem persönlichen Schicksal bedeuten die Ereignisse in Peru auch einen deutlichen Kurswechsel der herrschenden Klassen in ganz Lateinamerika hin zur Diktatur, um den Arbeitern und ländlichen Massen die gesamte Last der ausufernden Wirtschaftskrise aufzubürden. (…)
    Castillo hat seit seiner Amtsübernahme im Juli 2021 fünf verschiedene Kabinette und 80 Minister ernannt, zwei Amtsenthebungsverfahren des Einkammer-Kongresses überstanden und seine Partei Perú Libre verlassen. Er ist ständig weiter nach rechts gerückt, u.a. durch seine Ernennungen, was die extreme Rechte mit ihren Vorwürfen über Korruption und Vetternwirtschaft nur noch weiter ermutigt hat. Es ist eine Tatsache, dass das gesamte politische Establishment, einschließlich der Polizei und des Militärs, völlig diskreditiert ist. Die Anschuldigungen gegen Castillo verblassen im Vergleich zu dem immensen Netzwerk aus Korruption, das alle staatlichen Institutionen umgibt. Laut einer Datum-Umfrage, die nur wenige Stunden vor der Debatte um ein Amtsenthebungsverfahren veröffentlicht wurde, hat Castillo zwar einen Zustimmungswert von lächerlichen 24 Prozent, liegt aber dennoch vor demjenigen des Kongresses mit elf Prozent. (…) Castillo verband ein rechtes Programm mit massenhaften Abschiebungen von Migranten, die er ständig als Verbrecher darstellte, und die nahezu vollständige Aufhebung aller Eindämmungsmaßnahmen gegen Covid-19 – obwohl Peru die höchste Pro-Kopf-Todesrate der Welt aufweist – mit demagogischen Parolen wie „Keine Armen mehr in einem reichen Land“. Doch eine Umverteilung von Einkommen fand unter ihm nur nach oben statt, in Form von Geldspritzen und anderen Anreizen für Unternehmen, die angeblich die Arbeitslosigkeit verringern sollten. Dieses Jahr erklärte er stolz, seine Politik habe die Armut stark verringert. Allerdings hat selbst die unsichere Wiederöffnung der Wirtschaft die Zahl der Menschen in Armut nur geringfügig von 9,93 Millionen auf 8,61 Millionen verringert. Vor der Pandemie lag sie bei 6,6 Millione
    n…“ Artikel von Andrea Lobo vom 10. Dezember 2022 bei wsws externer Link
  • Dina Boluarte übernimmt Präsidentschaft in Peru: Kongress setzt Pedro Castillo ab. Ex-Präsident wegen Verbrechen gegen die Staatsgewalten und Verfassungsbruch verhaftet
    „… Vizepräsidentin Dina Boluarte hat nach der Annahme des dritten Amtsenthebungsverfahrens gegen Pedro Castillo die Präsidentschaft in Peru übernommen. Der Kongress hatte ihn am Mittwoch wegen „moralischer Unfähigkeit“ abgesetzt und damit die Entscheidung des Präsidenten ignoriert, das Parlament aufzulösen. Castillo hatte zuvor angekündigt, der Kongress der Republik werde vorübergehend aufgelöst, neue Parlamentswahlen durchgeführt und das Justizsystem neu organisiert, um die politische Krise im Land zu beheben und die Regierbarkeit wieder herzustellen. Sein Vorhaben scheiterte, da die Chefs der Streitkräfte und der Polizei sowie der Oberste Gerichtshof ihre Unterstützung verweigerten. Auch die Premierministerin, der Außenminister sowie die Minister für Justiz, Wirtschaft, Arbeit, Außenhandel, Umwelt und Frauenangelegenheiten trugen die Maßnahme nicht mit und traten von ihren Ämtern zurück. Castillos Vizepräsidentin Boluarte erklärte, sie lehne seine Entscheidung ab, denn es handle sich um einen „Staatsstreich, der die politische und institutionelle Krise verschärft“. (…) Die Absetzung Castillos wurde mit 101 Ja-, 6 Nein-Stimmen und 10 Enthaltungen beschlossen. Williams kündigte anschließend an, dass die Präsidentschaft der Republik gemäß Verfassung von Vizepräsidentin Boluarte übernommen wird. (…) Boluarte wurde am Mittwoch vor dem Plenum des Kongresses vereidigt. In ihrer ersten Rede erklärte sie: „Ich übernehme das Amt in Übereinstimmung mit der peruanischen Verfassung, von diesem Moment an bis zum 26. Juli 2026″, wenn die reguläre Amtszeit von Castillo enden sollte. Nach der Vereidigung kam es in mehreren Städten zu Protesten und zu Zusammenstößen zwischen Anhängern und Gegnern des abgesetzten Präsidenten. Einige riefen zu allgemeinen Neuwahlen auf, während Castillos Anhänger Boluarte als Lügnerin und Verräterin bezeichneten und ihren Rücktritt forderten. Vor etwa einem Jahr kündigte die damalige Vizepräsidentin noch an, dass sie Castillo im Falle seiner Amtsenthebung begleiten würde. Verschiedene peruanische Medien spekulieren, dass ihr Amtsantritt das Ergebnis eines Paktes mit der Opposition ist. (…) Angesichts der aktuellen Ereignisse in Peru riefen die Regierungen mehrerer lateinamerikanischer Länder und der USA zur Achtung des institutionellen Rahmens und der Menschenrechte auf und forderten einen Dialog zwischen den verschiedenen politischen Akteuren des Landes.“ Beitrag von Sophia Alvarez vom 9. Dezember 2022 bei amerika21 externer Link
  • Der Putsch gegen Pedro Castillo ist ein schwerer Rückschlag für Bewegungen in Lateinamerika. Er wurde 2021 demokratisch gewählt, wobei mehr als 8,8 Millionen Peruaner für ihn stimmten (50,13 %) gegen einen rechtsextremen Kandidaten. Von dem Moment an, als er gewann, erklärte die herrschende Elite Castillo den Krieg und schwor, das Land unregierbar zu machen. Sie konnten niemals akzeptieren, dass ein ländlicher Schullehrer mit einer linken Agenda Präsident werden könnte. Allein in den ersten Monaten gab es zwei Versuche, Castillo anzuklagen, und es gibt glaubwürdige Beweise dafür, dass wichtige Führer des Kongresses planten, den Präsidenten mit Unterstützung von rechtsextremen Gruppen in Europa zu stürzen.
    Angesichts dieser Angriffe verließ Castillo jedoch seine Partei, demobilisierte seine Bauernbasis, weigerte sich, die Reihen mit der peruanischen Linken zu schließen, gab in seinen zahlreichen Kabinetten den Forderungen der Rechten nach und nahm die OAS und die US-Botschaft an. Am Ende kämpfte Castillo allein, ohne Massenunterstützung. Der einzige Gewinner hier ist die peruanische Oligarchie und ihre US-Freunde. Dieser Putsch und die Verhaftung von Castillo sind deutliche Erinnerungen daran, dass die herrschenden Eliten Lateinamerikas keine Macht ohne einen Kampf bis zum Tod abgeben werden. Wahlen zu gewinnen, ohne politische Macht aufzubauen, macht die Linke unfähig, Lateinamerika für die Millionen armer, schwarzer und indigener Menschen zu verändern, die ein besseres Leben fordern. Left Unity wird immer dringender, sich gegen die ankommende Welle der Rechten zu wehren!
    “ engl. Thread von Manolo De Los Santos vom 8. Dez. 2022 externer Link
  • Siehe auch #PerúDDHH #SosPeru #InsurgenciaPopular

 Siehe zum Hintergrund im LabourNet:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=207009
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