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Der Fernverkehr in den Norden und Süden Perus steht still: Neue Blockaden der LandarbeiterInnen und eine wachsende Welle weiterer Streiks, sozialer Proteste und Widerstandsaktionen im ganzen Land

Strassenblockade der LandarbeiterInnen in Nordperu am 22.12.2020In Peru überschlagen sich in diesen Tagen die verschiedenen gesellschaftlichen Entwicklungen geradezu. Vor dem Hintergrund der breiten Massenbewegung, die den Rücktritt eines weiteren sogenannten Übergangspräsidenten erzwungen hat und den Rücktritt des Parlaments und der gesamten herrschenden Elite fordert, finden immer mehr soziale Kämpfe statt. Kämpfe, die sich immer auch gegen die Verfassung von 1993 richten, was deswegen naheliegend ist, weil diese Verfassung des Diktators Fujimori sowohl insgesamt ein extrem neoliberales Projekt war, als sie auch zahlreiche Einzelgesetze entweder enthielt oder anbahnte, die dies in konkrete, bis heute wirkende Maßnahmen umsetzten. Die erste große Bewegung in diesem Zusammenhang war die der LandarbeiterInnen, die sich gegen die Verlängerung der Geltungsdauer eines Arbeitsgesetzes in der Export-Landwirtschaft bis 2030 richtete und dies verhinderte. Nachdem das reaktionäre Parlament sich weigerte, ein neues Gesetz zu dieser Problematik zu verabschieden, das den Anliegen der LandarbeiterInnen ein Stück weit entgegen gekommen wäre, haben diese ihre Blockade-Bewegung wieder aufgenommen. Aber auch weitere soziale Bewegungen und Proteste breiten sich im ganzen Land aus. Ob es sich dabei um die wachsenden Zahl betrieblicher Streiks, um neue Proteste gegen die Preiserhöhungen im Nahverkehr (insbesondere in Lima) oder um langandauernde Widerstandsbewegungen gegen die zahlreichen Bergbauprojekte quer durchs Land handelt – allen ist ihnen aktuell gemeinsam, dass sie immer auch gegen die politischen Verhältnisse insgesamt richten und eine radikale Veränderung einfordern. Siehe dazu eine aktuelle Materialsammlung vor allem zum Kampf der LandarbeiterInnen, aber auch anderer sozialer Widerstandsbewegungen und zu ihren Zusammenhängen sowie den Hinweis auf unseren bisher letzten Betrag zu den Massenprotesten in Peru:

„Perú. Trabajadores agrarios reinician protestas“ am 21. Dezember 2020 bei Resumen Latinoamericano externer Link meldet die Wiederaufnahme der Proteste der LandarbeiterInnen – in der Form neuer Straßenblockaden – nachdem das Parlament nach einer zweitägigen Sitzung faktisch die Verabschiedung eines neuen Agrar-Arbeitsgesetzes verweigert hatte.  

„CGTP: Por una nueva ley favorable a los trabajadores de la agroexportación“ am 20. Dezember 2020 beim Gewerkschaftsbund CGTP externer Link ist die Erklärung des größten Gewerkschaftsbundes Perus, mit der die Verabschiedung eines neuen Arbeitsgesetzes für die Export-Agrarwirtschaft gefordert wird, das die Interessen der LandarbeiterInnen verteidige und sichere. Darin wird insbesondere darauf verwiesen, dass die Weigerung des Parlaments, solch ein Gesetz zu verabschieden, durch die Lobby-Arbeit des Verbandes der Agro-Exporteure zustande gekommen sei. Das stattdessen nun sozusagen alternativ im Parlament diskutierte neue Gesetz zur Förderung der Agrarwirtschaft sei, so der Gewerkschaftsbund in aller Eindeutigkeit, ein Projekt zur weiteren Begünstigung der Exportunternehmen, das rundweg abgelehnt werden müsse.

Major clashes are underway as of the afternoon of Dec. 22 as police attempt to forcibly disperse protesting workers who have erected roadblocks at several locations along the Pan-American Highwayam 22. Dezember 2020 im Twitter-Kanal von The 1&1 externer Link ist eine Fotoreportage von den vergeblichen Versuchen der Polizei, die neue Straßenblockaden auf der Panamericana zu verhindern. Bei diesen Auseinandersetzungen erlitt der polizeiliche Fahrzeugpark einige Verluste…

Hundreds of agricultural workers are blocking the Panamerican highway in the southern Ica region and the northern La Libertad regionam 22. Dezember 2020 im Twitter-Kanal von xinirim externer Link ist ein Thread in dessen Verlauf zahlreiche Videoberichte von verschiedenen Blockaden in verschiedenen Regionen des Landes und ihre Verteidigung dokumentiert werden.

„Ley Agraria: Terminal Terrestre de Plaza Norte suspende viajes al norte y al sur por protestas „ am 21. Dezember 2020 bei Peru21.com externer Link meldet die Einstellung des Bus-Fernverkehrs durch mehrere Busgesellschaften, die den Norden und den Süden des Landes „bedienen“ – eben wegen der Blockaden.

„VUELVE LA LUCHA DEL CAMPO“ am 21. Dezember 2020 bei Red Obrera externer Link meldet sowohl die Wiederaufnahme der Blockade-Bewegung nach der parlamentarischen Verweigerung eines Reformgesetzes, als auch, dass neben dieser Forderung nach einem neuen Gesetz auch die Forderung nach Erhöhung des Mindestlohns in der Landwirtschaft eine zentrale Rolle bei der Mobilisierung spielt.

The government of FSagasti sent the army to dissolve the blockade of the Panamericana Norte highway together with the policeam 23. Dezember 2020 im Twitter-Kanal von xinirim externer Link ist ein Videobericht vom Einsatz der Armee (zur Unterstützung der Polizei) beim Angriff auf die Blockade der Panamericana Norte.

„Glencore workers in Peru stage indefinite strike over labour abuse“ am 16. Dezember 2020 bei IndustriAll externer Link meldet – als Beispiel für eine ganze Reihe weiterer betrieblicher Aktionen – den Streikbeginn der Bergarbeiter von Glencore, die sich gegen Diktate des Unternehmens zur Verschlechterung der Arbeitsbedingungen zur Wehr setzen.

„Los controladores aéreos entran en paro indefinido desde el 22 de diciembre debido a explotación laboral“ am 21. Dezember 2020 bei Diario Uno externer Link meldet den Beginn des Streiks der Fluglotsen im ganzen Land, die sich gegen die faktische Verlängerung der Schichtzeiten während der Epidemie zur Wehr setzen.

„Reportan aglomeraciones en el Metropolitano“ am 20. Dezember 2020 ebenfalls bei Diario Uno externer Link meldet Proteste in der Hauptstadt gegen eine „in der Debatte befindliche“ Erhöhung der Preise im Nahverkehr…

„Paro de 72 horas en Ayacucho contra tres mineras“ am 20. Dezember 2020 bei Diario Uno externer Link meldet den Beginn eines dreitägigen zivilgesellschaften Streiks in Ayacucho gegen drei neue Bergbauprojekte – und steht hier ebenfalls nur als Beispiel für weitere Meldungen über solche Proteste und Widerstandsaktionen auch in anderen Bereichen des Landes.

„Peru: „Es geht um die Notwendigkeit radikaler Veränderungen““ am 21. Dezember 2020 bei amerika21.de externer Link ist ein Interview von Mónica Grados und Tamara Candela mit Lourdes Contreras, worin die Soziologin zur Forderung nach einer neuen Verfassung unter anderem ausführt: „… In der peruanischen Geschichte wurden alle Verfassungen von der Klasse der Oligarchie ausgearbeitet, ausgehend von ihren Interessen und einer kolonialen, patriarchalen, rassistischen und später auch neoliberalen Perspektive. Das betrifft auch die aktuell gültige Verfassung von 1993. Nie war die Bevölkerung demokratisch in die Erarbeitung der Verfassungen einbezogen worden und noch viel weniger implizierten diese deren Bedürfnisse. Es gibt für uns keinen Weg zurück. Wir Frauen und das Volk wollen Veränderungen und wir fordern zumindest minimale Übereinkommen, um gemeinsam als Land ein neues Projekt schaffen zu können. Wir wollen weder Reformen noch eine neue Verfassung, die von einer Expert:innenkommission vom Kongress ausgearbeitet wird. Wir wollen eine verfassungsgebende Versammlung, die sich an unseren Bedürfnissen und an unseren Träumen orientiert. Diese muss plurinational sein, damit das Leben dekolonialisiert wird und indigene, afroperuanische und andere Bevölkerungsgruppen anerkannt werden. Es muss eine demokratische Partizipation dieser Gruppen geben, damit die plurinationale Anerkennung gesichert wird. Außerdem muss die verfassungsgebende Versammlung feministisch sein. Leben und Normen müssen entpatriarchalisiert werden. Wir Frauen wollen wirkliche Teilhabe, um sicherzustellen, dass unsere Rechte als Frauen garantiert werden, um über unsere Körper, unser Leben, unsere Territorien entscheiden zu können“.

„Perus längste Woche“ von Lukas Oberndorfer am 15. Dezember 2020 in analyse&kritik externer Link (Ausgabe 666) unterstreicht abschließend den Zusammenhang zwischen den Massenprotesten gegen Übergangspräsidenten und Parlament und dem Kampf der LanderarbeiterInnen: „… Nachdem die Repression erfolglos blieb, kam es zu einem Strategiewechsel. Der einflussreiche Unternehmerverband CONFIEP, der den Putsch ursprünglich unterstützt hatte und seine Generalsekretärin zur Ministerin berufen ließ, drehte den Daumen; Merino trat am 15. November nach nur wenigen Tagen im Amt zurück. Wie gefährlich die Bewegung den im bisherigen Entwicklungsmodell verdichteten Interessen werden konnte, lässt sich an einer daran anschließenden Serie weiterer Zugeständnisse ablesen: Um die Situation zu beruhigen, berief der Kongress als Übergangspräsidenten und -vizepräsidentin bis zu den 2021 anstehenden Wahlen den Mitte-Rechts-Politiker Francisco Sagasti und die linke Menschenrechtsanwältin Mirtha Vásquez. Auf die anhaltendenden Proteste reagierte Sagasti mit der Ankündigung einer Polizeireform. Doch die Bewegung gibt sich damit bisher nicht zufrieden, greift zunehmend nach den Wurzeln der alten Ordnung und fordert einen verfassunggebenden Prozess von unten. Dass damit ein entscheidender Schützengraben der eingesessenen Interessen in Gefahr ist, lässt sich an der Reaktion von Sargasti ablesen: Eine Abstimmung über eine neue Verfassung halte er nicht für notwendig, vielmehr gehe es um wohl dosierte Verfassungsreformen: »Ich glaube nach einer so turbulenten Zeit ist es das Wichtigste, dem Volk die Ruhe zurückzugeben.« Ob sich die Protestbewegung damit zufriedengeben wird oder wie in Chile weiter auf einen konstituierenden Prozess drängt, ist derzeit offen. Vieles spricht dafür, dass mit der längsten Woche in der Geschichte des Landes auch die jahrelange neoliberale Lethargie in Peru zumindest vorerst ihr Ende gefunden hat. So gelang es Anfang Dezember einer im Anschluss an die Proteste entstandenen breiten Landarbeiterbewegung durch militante Streiks und Straßenblockaden, den Kongress zu zwingen, ein Gesetz aus der Fujimori-Zeit aufzuheben, das ein Arbeiten unter dem Mindestlohn ermöglicht hatte“.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=183735
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