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[Interview „Die Bourgeoisie jubelt“] Keine „zwei Welten“, die da in der österreichischen Regierung zusammen gekommen sind

Die Alternative zum Kurs der Grünen nach Rechts - Demo in Wien„… Zwischen diesen zwei bürgerlichen Parteien lag immer nur ein kleiner Gartenzaun. Gesellschafts- und sozialpolitisch werden die Angriffe im erhöhten Takt vorgetragen: die Pflege wird zur häuslichen Aufgabe erklärt, Frauen ans Pflegebett gekettet und das Lohnniveau in der Branche gedrückt. Die Finanzmarktveranlagung der Daseinsfürsorge soll ausgeweitet, der Banken-Sektor dereguliert werden, natürlich im Namen der grünen Wirtschaftswende. Die Bewegung gegen die Klimakatastrophe wird als moralischer Rammbock zur Profitsteigerung missbraucht. Die langfristigen Ziele sind hochtrabend („Klimaneutral“ bis 2040), dahinter steckt aber keinerlei materielle Substanz, also keine entsprechenden Investitionen. Green Economy ist ein Subventionsprogramm für Kapitalisten. Finanziert werden diese Geldgeschenke durch die Arbeiterklasse. Kurz, das Bemühen ums Klima ist heiße Luft um eine verheißungsvolle Fata Morgana zu erzeugen und damit alle Angriffe ideologisch zu rechtfertigen…“ – so die erste Antwort von Emmanuel Tomaselli (Chefredakteur „Funke“) auf die Fragen von Andreas Schuchhardt in dem Interview „“Die Bourgeoisie jubelt““ vom Februar 2020 über seine Bewertung der neuen Regierungskoalition in Österreich, das wir im folgenden dankend dokumentieren:

„Die Bourgeoisie jubelt“

Ein Gespräch mit Emanuel Tomaselli über die schwarz-grüne Koalition in Österreich und die Herausforderungen der Arbeiterbewegung. Emanuel Tomaselli ist Chefredakteur der in Wien erscheinenden marxistischen Zeitschrift „Der Funke“. Interview: Andreas Schuchardt – wir danken!

Laut Bundeskanzler Sebastian Kurz vereint die neue österreichische Regierungskoalition seiner ÖVP mit den Grünen „das Beste aus beiden Welten“. Wie sehen Sie das?

Zwischen diesen zwei bürgerlichen Parteien lag immer nur ein kleiner Gartenzaun. Gesellschafts- und sozialpolitisch werden die Angriffe im erhöhten Takt vorgetragen: die Pflege wird zur häuslichen Aufgabe erklärt, Frauen ans Pflegebett gekettet und das Lohnniveau in der Branche gedrückt. Die Finanzmarktveranlagung der Daseinsfürsorge soll ausgeweitet, der Banken-Sektor dereguliert werden, natürlich im Namen der grünen Wirtschaftswende.
Die Bewegung gegen die Klimakatastrophe wird als moralischer Rammbock zur Profitsteigerung missbraucht. Die langfristigen Ziele sind hochtrabend („Klimaneutral“ bis 2040), dahinter steckt aber keinerlei materielle Substanz, also keine entsprechenden Investitionen. Green Economy ist ein Subventionsprogramm für Kapitalisten. Finanziert werden diese Geldgeschenke durch die Arbeiterklasse. Kurz, das Bemühen ums Klima ist heiße Luft um eine verheißungsvolle Fata Morgana zu erzeugen und damit alle Angriffe ideologisch zu rechtfertigen. Ein nicht ganz unwichtiges Detail ist: der Alleinanspruch der ÖVP auf den gesamten Staatsapparat ist wieder hergestellt.

Die „Neue Zürcher Zeitung“ sieht in dieser Verbindung ein mögliches „Modell für Europa“ auch zur Abwehr der rechtspopulistischen Parteien. Birgt die schwarz-grüne Koalition eine Chance für den Antifaschismus?

Die Bourgeoisie jubelt, weil diese Konstellation zur politischen Stabilisierung der zerrütteten herrschenden Ordnung und ihrer Institutionen (EU) beiträgt. In Zeiten von Brexit und Verschärfung der Wirtschaftskrise kommt es gerade recht, eine politisch wirbellose Formation wie die Grünen einzuspannen.
Das mit dem Antifaschismus ist eine doppelte Fehlkonzeption. Österreich, wie alle europäischen Länder, stand aktuell nie vor dem Faschismus. Diese falsche Perspektive führte direkt zum politischen Opportunismus der Linken, die sich politisch in der Wahlunterstützung des amtierenden liberalen Präsidenten Van der Bellen äußerte. Unsere politische Strömung hielt hier dagegen, damit waren wir vom sozialdemokratischen Zentrum bis in die „linke Szene“ völlig isoliert.
Was haben wir heute? Eine „progressive Regierung“, die den anti-islamischen Rassismus zur liberal-feministischen Staatsideologie erhebt, und damit in einem Aufwasch auch Links- und Rechtsextremismus zu bekämpfen gedenkt. Ein Musterbeispiel des politischen Knieschusses. Und ja, das wirkt aktuell desorientierend. 

Warum gelingt den Sozialdemokraten der SPÖ auch in der Opposition kein Neuaufschwung?

Weil ihre Führungen obsessiv daran festhalten, sich als verantwortungsvollste politische Kraft für die Bourgeoisie zu präsentieren. Von ihrer gesellschaftlichen und historischen Rolle her ist sie eine Arbeiterpartei, aber sie verliert zunehmend die Haftung zur realen Lebenswelt der Arbeiterklasse.
Ohne Einbindung der SPÖ war nach 1945 kein kapitalistischer Staat zu machen. Dies erforderte jahrzehntelange strukturelle und soziale Zugeständnisse, aber jetzt wollen und können die Bürgerlichen sich das nicht mehr leisten. Die Essenz der Kurz-Regierungen ist die Zurückdrängung der organisierten Arbeiterbewegung. SPÖ und Gewerkschaften können und wollen das nicht wahrhaben.
Der politische Umschwung in der Arbeiterbewegung, wird aus dem offen geführten sozialen Konflikt kommen. Das ermöglicht das massenhafte Abtesten von Ideen, Organisationen und aller Schattierungen in ihren Führungen. So kann die Klasse nützliche und falsche Ideen in der Praxis aussortieren. Das ist mühsam, aber als Dialektiker verstehen wir, dass dieser schleichende Prozess an einem Punkt eine massive Beschleunigung und Umschlag erfahren wird.

Die FPÖ hat sich nach diversen Affären von ihrem ehemaligen Führer Heinz-Christian Strache getrennt. Der will ihr nun mit einer eigenen Liste Konkurrenz machen. Wie sind seine Erfolgsaussichten? Können wir mit einer Spaltung des rechtsradikalen Lagers rechnen?

Nur kurzfristig. Keine der Abspaltungen der FPÖ konnte langfristig überleben, so wird es auch diesmal sein.

Was halten Sie von den aktuellen Versuchen, eine neue linke Sammlungspartei ins Leben zu rufen?

Politische Formationen, die den sozialen Protest zu Wahlzwecken mittels „Erzählungen“ abrufen, um ihn dann in Parlamenten zu repräsentieren haben sich in der Klassenauseinandersetzung als nutzlose Instrumente erwiesen. Denken wir etwa an Syriza und ihresgleichen. Wir brauchen Formationen, die durch Inspiration und Erfahrung Erfolge im Klassenkampf vorbereiten können.

Wie sollten Linke und Arbeiterbewegung auf die neuen Herausforderungen reagieren?

Der „reaktionäre Nahe Osten“, die „konservative Wende Lateinamerikas“, wo liegen diese Erdteile? Chile, Ecuador, Irak, Libanon, Iran… Der Kapitalismus steckt in einer epochalen Krise, die Liste der revolutionären Massenbewegungen ist länger als vor hundert Jahren. Österreich ist zweifelsohne Teil dieser erschütterten Weltordnung. Mit liberalen Ideen, wie der Identitätspolitik, gilt es zu brechen. Sie sind dem Kapital völlig ungefährlich und Teil dieser Regierung. Und dann den Klassenkonflikt von unten organisieren, wo es nur geht. Der Lenin von 1917 ist nicht vorstellbar ohne den Lenin von 1915. Irgendwo dazwischen steht die Bewegung heute, aber man muss schon jetzt klar sagen wohin man will. Daher: Den Sozialismus auf die Tagesordnung setzen!

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=164067
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