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Branchen-Generalstreik und weitere Kämpfe für ein besseres „Post“-Covid-Gesundheitssystem in Südkorea

Dossier

„An der Grenze der Leistungsfähigkeit“ – Beschäftigte im südkoreanischen Gesundheitswesen in Zeiten des VirusIn Südkorea sind am 13. und 14. Juli 2023 im ganzen Land allein etwa 64.000 Pfleger*innen aus 128 Einrichtungen und 147 Häusern in den Streik getreten. Aufgerufen hatte die Korean Health and Medical Workers’ Union (KHMU), sie fordert spätestens seit der Pandemie eine bessere öffentliche Ausstattung des gesamten Gesundheitswesens und speziell der Pflege, um die Kosten der Behandlungen zu senken, einen Personalschlüssel von 1:5 und 10,7 Prozent Lohnerhöhung als Entschädigung für die Überstunden während der Pandemie. Die Streikenden erhielten eine breite Unterstützung aus der Öffentlichkeit. Die Regierung erklärte den Streik zunächst für ungerechtfertigt, sah sich dann aber gezwungen an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Siehe weitere Informationen und die Vorgeschichte sowie den Fortgang des Kampfes:

  • Tausende Ärzte in Südkorea riskieren mit Streiks ihre Zulassung New
    In Südkorea legen streikende Ärzte seit Wochen das Gesundheitssystem lahm. Die Regierung reagiert mit Drohungen, zahlreiche Protestierende geben auf (…) Den Ärztinnen und Ärzten, die weiter nicht zur Arbeit antreten, sollen ihre Zulassungen entzogen werden. Und notfalls könnten sie im Gefängnis landen.
    Seit nun mehr als zwei Wochen legen rund 9000 Assistenzärzte das Gesundheitssystem des ostasiatischen Landes lahm. Vermehrt müssen schon geplante Operationen verschoben werden, weil es an Personal mangelt. Die Assistenzärzte sind stattdessen auf der Straße zu finden, mit Schildern in der Hand, die sagen: »Unvorbereitete Ausbildungsexpansion macht das System kaputt«, »Patienten kommen vor der Politik« oder »Einseitige Politik bedroht die Gesundheit«.
    Worüber wird gestritten? Hierauf können sich in Südkorea jedenfalls alle Seiten einigen: In der rapide alternden Gesellschaft des ostasiatischen Landes mangelt es akut an medizinischem Personal, inklusive Ärzten, und dies insbesondere in ländlichen Regionen und in mehreren Fachbereichen. Bis auf Weiteres nehmen die Engpässe noch zu. Um dieses Problem zu beheben, plant die Regierung nun, künftig pro Jahr 2000 Ärztinnen und Ärzte mehr auszubilden als bisher. Doch diese Idee stößt auf herben Widerstand. Erst am vergangenen Wochenende waren Tausende Ärzte in Seoul auf der Straße. Viele der überwiegend jungen Doktoren fürchten, eine höhere Zahl an Medizinern würde das Problem nicht lösen, sofern nicht auch ein besseres Ausbildungssystem entstehe. »Die Qualität der Ausbildung wird stark sinken, was zu einem unsicheren Gesundheitssystem mit geringer Qualität führen wird«, sagte dieser Tage Lee Jeong-geun, Chef des Ärzteverbands, auf einer Demonstration. Zudem wird davor gewarnt, dass bei einer höheren Zahl von Medizinern auch mehr operiert wird, wo eigentlich nicht operiert werden müsste. (…)
    die Drohung, es werde zur Aberkennung ihrer Zulassung kommen, scheint die Sache eher noch schlimmer zu machen: Nur wenige Nachwuchskräfte lenkten ein. Viel mehr von ihnen reichten stattdessen ihre Kündigung ein. (…)
    Ärzte streiken gegen eine höhere Zulassungszahl von Ärzten: Auf den ersten Blick scheint es, als würde hier eine eher privilegierte Gruppe um ihren Status fürchten, weil es in Zukunft größere Konkurrenz geben könnte. Und während dies tatsächlich eine Rolle spielen mag, geht es zugleich um mehr: Schon länger klagen Ärzte über lange Arbeitszeiten und Überstunden. Zudem fordern sie insgesamt eine bessere Ausstattung des Gesundheitssystems, weit über eine Erhöhung der Zahl von Fachkräften.
    Jenseits dieses konkreten Kampfes haben die Proteste aber auch eine große Bedeutung für das Protestieren an sich: In Südkorea, offiziell eine liberale Demokratie mit Streikrecht und Versammlungsfreiheit, werden Proteste aus der Arbeiterbewegung immer wieder aufgelöst und enden mit Verhaftungen, sobald die Streikenden die Regeln nur wenig überschreiten, etwa indem sie Proteste über angemeldete Straßenabschnitte hinaus ausdehnen
    …“ Artikel von Felix Lill vom 10.03.2024 in ND online externer Link
  • Ärzte auf den Barrikaden: Mediziner in Südkorea streiken gegen Reform, die ihre Arbeitsbedingungen weiter verschlechtert. Gesundheitswesen kaputtgespart
    „Das südkoreanische Gesundheitssystem befindet sich seit dem 20. Februar im Krisenmodus. Drei Viertel der 13.000 Assistenzärzte streiken seitdem und legen damit Krankenhäuser, Notaufnahmen sowie Kinder- und Geburtskliniken lahm. Sie protestieren allerdings nicht gegen die landesweite Aufstockung der Medizinstudienplätze an sich, auch wenn die drastische Erhöhung um 65 Prozent innerhalb eines Jahres kritisiert wird. Ohne Rücksprache mit den Ärzteverbänden hatte die Regierung Anfang Februar auch Maßnahmen beschlossen, um mehr Mediziner aufs Land und in die Fachgebiete mit Ärztemangel zu locken. Gleichzeitig will Seoul aber auch ein Ausbeutungssystem ausweiten, unter dem die Assistenzärzte bereits jetzt leiden. Derzeit funktioniert das durchkapitalisierte Gesundheitssystem Südkoreas mit seinen 95 Prozent privaten Krankenhäusern nur dank ihnen. Sie stellen dort rund 40 Prozent aller Ärzte, erhalten aber mit weniger als 3.000 Euro im Monat für durchschnittlich 77 Wochenstunden oft weniger als den Mindestlohn. Diese Tortur müssen sie fünf Jahre durchhalten, bevor sie entweder besser bezahlte Jobs in den Krankenhäusern bekommen, oder sich selbstständig machen können. Doch die Regierung will diese Frist noch weiter verlängern und auch die Eröffnung von Privatpraxen an Bedingungen knüpfen. Die Vereinigung der Assistenzärzte fordert deshalb eine Neuverhandlung des Reformpakets, damit ihre Arbeitsbedingungen von Präsident Yoon Suk Yeol berücksichtigt werden. Trotz des Ausmaßes des Streiks ging der Präsident jedoch nicht auf diese Forderung ein und erinnerte statt dessen daran, dass Gesundheitsversorgung ein Menschenrecht sei und er daher kein Verständnis dafür habe, dass »Patienten als Geiseln genommen werden«. Dass die Streikenden faktisch seit Jahren unter dem Mindestlohn bezahlt werden und auch die enormen Überstunden gegen das Gesetz verstoßen, interessiert Yoon wenig…“ Artikel von Martin Weiser in der jungen Welt vom 29. Februar 2024 externer Link
  • KHMU setzt Streik vorerst aus – Regierung will nun doch über alle sieben Forderungen verhandeln
    „… Am Nachmittag des 14. Tages, dem zweiten Tag des Streiks, beschloss die Korean Health and Medical Workers‘ Union (KHMU), den Generalstreik auf Branchenebene zu beenden und mit Verhandlungen und Streiks auf Branchenebene fortzufahren. Dies wurde auf einer Pressekonferenz bekannt gegeben, die nach der Sitzung der zentralen Streikleitung um 16:00 Uhr stattfand. Die KHMU erkannte an, dass der Streik effektiv das Bewusstsein für die sieben Kernthemen geschärft und zu einem öffentlichen Konsens beigetragen hat. Die Gewerkschaft berücksichtigte jedoch auch die Unannehmlichkeiten für die Patient*innen und die möglichen Risiken für die Patientensicherheit, wenn der Streik auf unbestimmte Zeit fortgesetzt wird. In Anbetracht des aufrichtigen Dialogs mit der Regierung hat die KHMU beschlossen, den Generalstreik vorübergehend auszusetzen. Im Anschluss an diese Entscheidung kehrten die Gewerkschaftsmitglieder, mit Ausnahme derjenigen, die den Streik vor Ort fortsetzten, an ihren Arbeitsplatz zurück. Der Schwerpunkt wird sich nun auf Verhandlungen und Streiks vor Ort verlagern, und je nach den Umständen könnten sich einige Branchen dafür entscheiden, Streiks als Teil ihrer Verhandlungsstrategie zu initiieren. (…) Der von der KHMU auf Branchenebene durchgeführte Generalstreik fand in der Öffentlichkeit großen Anklang und wurde zu einem Thema, das in der Öffentlichkeit breit diskutiert wurde. Die sieben Hauptforderungen des Generalstreiks wurden stark hervorgehoben und publik gemacht, darunter:
    1.       Umfassender Ausbau integrierter Pflegedienste, um die Belastung durch kostspielige Pflegekosten anzugehen;
    2.       Institutionalisierung eines Verhältnisses von Krankenpfleger*innen zu Patient*innen von 1:5, um die Sicherheit der Patient*innen zu gewährleisten und einen angemessenen Personalstandard einzuführen
    3.       Erhöhung der Zahl der Ärzte (MDs), um nicht lizenzierte und illegale medizinische Praktiken zu bekämpfen.
    4.       Einrichtung von öffentlichen Gesundheitsdiensten, die für die unverzichtbare medizinische Versorgung zuständig sind.
    5.       Unterstützung bei der Normalisierung von Krankenhäusern, die sich auf die Behandlung von COVID-19 Patient*innen spezialisiert haben.
    6.       Faire Entschädigung für die COVID-19-Helden, die tapfer an der Front gedient haben, und Umsetzung des Abkommens vom 2. September
    7.       Aussetzung der Verschlechterung des Arbeitsrechts und Abschaffung der Berufe mit Sonderarbeitszeiten
    Diese sieben Forderungen haben sich zu dringenden sozialen Prioritäten entwickelt, die sofortige Aufmerksamkeit erfordern und nicht länger ignoriert werden können. Der Generalstreik hat eine entscheidende Rolle dabei gespielt, bedeutende Veränderungen herbeizuführen und diese dringenden Probleme direkt anzugehen. (…) Historisch gesehen streikten 2004 etwa 10.000 Mitglieder der KHMU eine Woche lang für die Fünf-Tage-Woche. In den Jahren 2006 und 2007 gab es einen Streik auf der Ebene der Industriegewerkschaft, nachdem die zentralen Verhandlungen auf Branchenebene gescheitert waren. 2014 wurde gestreikt, um sich gegen die Privatisierung des Gesundheitswesens zu wehren. Als 2021 in letzter Minute eine Einigung erzielt wurde, wurde der Generalstreik auf Branchenebene zurückgezogen, aber etwa 5.000 Menschen aus 10 Branchen beteiligten sich an dem Streik auf Branchenebene.“ Pressemitteilung der KHMU vom 18. Juli 2023 externer Link („Shifts to Branch-Level On-Site Bargaining and Strikes Strike Validates Union’s Demands, Gains Public Support and Social Consensus”)

  • Südkorea: Tausende Pfleger*innen in weiß und mit blauen Mützen und roten Schildern demonstrierenKoreanische Gewerkschaft für Beschäftigte im Gesundheitswesen und in der medizinischen Versorgung erzielt Durchbruch
    „… Die Korean Health and Medical Workers‘ Union (KHMU) konnte während eines zweitägigen Generalstreiks am 13. und 14. Juli wichtige Fortschritte erzielen. Obwohl die Gewerkschaft beschlossen hat, den Generalstreik nach zwei Tagen zu beenden und sich stattdessen auf Arbeitskampfmaßnahmen vor Ort und Verhandlungen zu konzentrieren, um das Wohl der Patient*innen besser zu schützen, ist die KHMU entschlossen, dafür zu sorgen, dass die Regierung ihre Hauptforderungen erfüllt. Dazu gehören die Institutionalisierung eines Verhältnisses von Krankenpfleger*in zu Patient*in von 1:5, um die Sicherheit der Patient*innen zu gewährleisten, eine Aufstockung der Zahl der Ärzt*innen und eine faire Entlohnung der Arbeitenden, die während des COVID-19 ihr Leben aufs Spiel gesetzt haben. An dem Streik beteiligten sich 60.000 Mitglieder aus 140 Betrieben in 122 Branchen. Damit war es der größte Streik im Gesundheitssektor seit 2004, als die Arbeitenden für eine Fünftagewoche kämpften. Über 90% der Arbeitenden unterstützten den Arbeitskampf. Nach dem Beginn des Generalstreiks traf Na Soon-ja, Präsident*in der KHMU, mit dem Vizeminister für Gesundheit und Soziales Park Min-soo zusammen. Dieses Treffen führte zu konkreten Zusicherungen des Ministeriums an die KHMU, dass weitere Verhandlungen in gutem Glauben geführt werden würden, was zu der Entscheidung beitrug, den Generalstreik auszusetzen. Der Generalstreik der KHMU führte zu einer noch größeren Unterstützung der Forderungen der Arbeitenden im Gesundheitswesen durch die Öffentlichkeit. In der Presseerklärung der KHMU heißt es, dass während des Streiks „die öffentliche Meinung lauter wurde und der Regierung vorwarf, ihren Verpflichtungen nicht nachzukommen und sich den Herausforderungen passiv zu stellen“.
    Die breite Unterstützung des Streiks in der Öffentlichkeit und der Erfolg, das Ministerium an den Verhandlungstisch zu bringen, sind das Ergebnis der monatelangen Mobilisierung durch die KHMU. Seit Anfang 2023 hat sich die Gewerkschaft fast täglich an verschiedenen Aktivitäten beteiligt, um für ihre Forderungen zu werben. Aktivist*innen der Gewerkschaft nahmen an gemeinsamen Aktionen mit anderen Arbeitenden teil, während die Gewerkschaft ein ehrgeiziges Bildungsprogramm für ihre Mitglieder durchführte, darunter eintägige Bildungsveranstaltungen und industrielle Generalstreikschulen. Außerdem versammelten sich die Arbeitenden am 8. Juni zu einer Großkundgebung, um den Streik voranzutreiben…“
    Artikel von People‘s Health‘ Dispatch vom 19. Juli 2023 auf Peoples Dispatch externer Link („Korean Health and Medical Workers’ Union achieves breakthrough with general strike”)

  • Für eine Verbesserung des Gesundheitsektors: 64.000 Pfleger*innen treten in zweitägigen Streik
    „Die UNI Global Union-Mitgliedsorganisation Korean Health and Medical Workers Union (KHMU) hat am Donnerstag, den 13. Juli, in Seoul mit Streiks begonnen, denen die KHMU-Mitgliedsorganisationen in anderen Teilen Koreas am 14. Juli folgen werden. An dem Streik beteiligen sich über 64.000 KHMU-Mitglieder aus 127 Zweigstellen in ganz Korea. Der Streik begann am 13. Juli mit 45.000 entschlossenen KHMU-Mitgliedern in durchsichtigen Regenmänteln, die dem strömenden Regen trotzten, um die Rede von Präsident*in Na Sun-Ja zu hören. „Während der Covid-19-Pandemie haben wir Menschenleben gerettet. Aber als Covid-19 endete, wurden wir auseinandergerissen“, rief sie aus. Der Streik der KHMU findet parallel zu einem Generalstreik des koreanischen Gewerkschaftsbundes (KCTU) statt, der Anfang Juli begonnen hat, aber die Regierung hat die Streiks von KCTU und KHMU als illegal bezeichnet und behauptet, ihre Forderungen seien „politisch“. Präsidentin Na antwortete in ihrer Ansprache: „Wenn es ein politischer Streik ist, um zu fordern, dass die hohen Gesundheitskosten der Menschen gelöst werden und dass die öffentlichen Krankenhäuser, die Menschenleben gerettet haben, erhalten bleiben, sollte diese Art von politischem Streik dann nicht stattfinden?“
    Die KHMU ergreift diese Maßnahme, nachdem monatelange intensive Bemühungen um einen Dialog und eine Schlichtung mit den Arbeitgebern und der Regierung keine messbaren Fortschritte bei der Umsetzung wichtiger Zugeständnisse gemacht haben, die die KHMU in den letzten zwei Jahren erreicht hat und die in den Kernforderungen des Generalstreiks zum Ausdruck kommen (…) Die KHMU hat 2021 erstmals eine bahnbrechende Vereinbarung mit der Regierung getroffen, um die sich verschlechternden Arbeitsbedingungen für die Arbeitenden im Gesundheitswesen während der Covid-19-Pandemie zu verbessern. Die Vereinbarung vom 2. September zielte darauf ab, die erheblichen Systemmängel des koreanischen Gesundheitssystems zu beheben, das derzeit nur auf Kosten der Arbeitenden im Gesundheitswesen funktioniert. Im August 2022 folgte ein weiteres wegweisendes sektorales Abkommen mit der KHMU, die landesweit fast 80 medizinische Einrichtungen vertritt. Da sich jedoch das politische Klima nach der Wahl eines konservativen Präsidenten im Jahr 2022 geändert hat, sah sich die KHMU mit Hindernissen konfrontiert, um sicherzustellen, dass die Bestimmungen der erzielten Vereinbarungen in Zusammenarbeit mit den Arbeitgebern und der Regierung umgesetzt werden können…“
    Stellungnahme der Uni Global Union vom 14. Juli 2023 externer Link („64.000 Arbeitende des Gesundheitswesens in Korea legen die Arbeit nieder“)
  • Siehe zur vorherigen Arbeitsvereinbarung mit der vorherigen Regierung auch die Stellungnahme von Uni Global vom 17. August 2022 externer Link – „KHMU erzielt bahnbrechendes sektorales Abkommen für koreanische Arbeitende im Gesundheitswesen“ (engl.)

Siehe zuletzt zum Thema:

Siehe auch im LabourNet:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=213666
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