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Der Kampf um die „Konzernverantwortungsinitiative“ in der Schweiz steht zur Entscheidung an – und die Unternehmen mobilisieren für das Recht auf Kinder schänden. Zum Beispiel die Ministerin des „Wahlkreises Glencore“

Dossier

Kampagentransparent KoVI Schweiz Oktober 2020„… Als Bundesrätin wäre Karin Keller-Sutter prinzipiell angehalten, ihre Position sachlich zu vertreten. Doch als sie Anfang Oktober zu einer Pressekonferenz gegen die Konzernverantwortungsinitiative (Kovi) lud, ging die innere Margaret Thatcher mit ihr durch. Im Sinn der früheren britischen Premierministerin, einer Pionierin des Neoliberalismus, warnte Keller-Sutter vor einem bislang nicht gekannten Eingriff in die Wirtschaftsfreiheit: Längst nicht nur Konzerne, sondern mindestens 80 000 KMUs wären von der Initiative betroffen. Von einem «Bürokratiemonster» sprach sie, von einer «Beweislastumkehr», die Firmen bei Klagen drohe. Dazu sei eine Überforderung der Gerichte zu erwarten. «Stellen Sie sich vor, das Regionalgericht Emmental-Oberaargau müsste nach Schweizer Recht beurteilen, ob ein Kakaolieferant in der Elfenbeinküste die Menschenrechte verletzt hat!» Im Interview mit dem «SonntagsBlick» drehte die Justizministerin die Geschichte dann vollends um: Weil sie in ausländische Rechtsordnungen eingreife, verfolge die Initiative «eine sehr koloniale Sichtweise». Die GegnerInnen der Kovi sind spät in den Abstimmungskampf gestartet. Jetzt mischen sie sich aber – und Keller-Sutter gibt dabei den Ton vor – umso dramatisierender in die Debatte ein. Auf der Kampagnenwebsite wird auf einem Flyer das Argument wiederholt, dass fast alle KMUs in der Schweiz betroffen seien. Im Bild zu sehen: ein Teufel. Der Spruch daneben: «Utopischer, teurer Kontrollwahn. Linke Träumerei, die nicht umsetzbar ist.» (…) 21 Tote, mindestens 7 teilweise schwer Verletzte, vernichtete Ernten und Existenzen, traumatisierte Überlebende: Das ist die Bilanz des Tanklastwagenunfalls in Tenke. Als der Fahrer die Kontrolle über sein Fahrzeug verlor, war der Lastwagen zur Mutanda-Mine unterwegs, die sich zu hundert Prozent in der Hand von Glencore befindet: eine der grössten Kobaltminen der Welt. Verantwortlich für den Unfall wollen aber weder der Konzern aus Baar noch die Tochterfirma Mutanda Mining (Mumi) aus der Katanga-Provinz sein. Stattdessen berufen sie sich auf eine komplizierte Firmenstruktur…“ – aus dem Beitrag „Die Republik in der Republik“ von Anna Jikhareva und Kaspar Surber am 22. Oktober 2020 in der WoZ externer Link (Ausgabe 43/2020) über die parlamentarische Vertretung von Glencores Kobalt-Abbau im Kongo (wofür sie sich auch weiterhin weigern Abgaben zu bezahlen) und den Ergebnissen einer Studie, sowie den (öffentlichen) Ergebnissen eines Theaterstücks zu Thema… Siehe dazu auch einen weiteren aktuellen Beitrag zur Kritik der Schweizer Regierungspolitik von Milos Rau, zwei Sach-Erklärungen der Initiative und zwei Hintergrundbeiträge – sowie den Hinweis auf unseren allerersten Beitrag zum Thema aus dem Jahr 2015:

  • Die politische Atmosphäre in der Schweiz hat sich verändert: Obwohl die Verantwortungsinitiative – trotz Mehrheit – gescheitert ist, sind die Konzerne in der Defensive New
    „… Am 29. November stand in der Schweiz die Konzernverantwortungsinitiative  zur Abstimmung. Gemäß den Schlussresultaten aus den Kantonen lag der Ja-Stimmen-Anteil bei 50,7 Prozent. Allerdings scheiterte die Initiative am Ergebnis der Stände, d.h. der Kantone: Nur 8,5 Stände sagten Ja, 14,5 Stände sagten Nein (die Dezimalzahl hängt mit der Tatsache zusammen, dass einige kleine Kantone bei der Auszählung der Stimmen nur halb so viel Gewicht haben). Da die Initiative eine Verfassungsänderung vorschlug, benötigte sie laut Schweizer Gesetzgebung neben der Unterstützung des Volkes genannt Volksmehr, auch die Zustimmung der Mehrheit der Kantone, das sogenannte Ständemehr, um angenommen zu werden. (…) Die Abstimmung am Sonntag hat in der Schweiz dementsprechend für viel Diskussion gesorgt. Deutliche Kritik es an der Kampagne der sogenannten «Konzern-Lobby», die die Initiative mit Falschaussagen zu diskreditieren versuchte. Dabei wurden im Vorfeld der Abstimmung medienwirksam irreführende Aussagen lanciert. So argumentierten die Gegner der Initiative, dass es mit der Gesetzesänderung zu einer Umkehrung der Beweislast käme, dass die Haftungsregeln weltweit einzigartig seien und dass zu einer Klageflut kommen werde. Je näher der Tag des Referendums rückte, desto größer der Widerstand der Wirtschaft gegen die Gesetzesvorlage. Eine Reihe von Führungskräften multinationaler Konzerne sprach sich dagegen aus. Mehrere Unternehmen schalteten ganzseitige Inserate in Schweizer Zeitungen, in denen sie die Bevölkerung zur Ablehnung des Vorschlags aufforderten. Auch die Schweizer Volkspartei SVP machte aggressiv Stimmung gegen die Initiative. Dagegen hatte die Klarstellung der falschen Argumente durch die Initiative wenig auszurichten...“ – aus dem Beitrag „Scheitern der Konzernverantwortungsinitiative“ von Eva Wuchold am 04. Dezember 2020 bei der Rosa Luxemburg Stiftung externer Link – der nicht zufällig den Untertitel „Ein letztes Aufbäumen der Konzerne in der Schweiz“ trägt… Siehe dazu auch einen weiteren aktuellen Beitrag zu den Auswirkungen des Referendums auf die politische Debatte in der Schweiz – sowie zwei Hintergrundbeiträge über die Auswirkungen des unkontrollierten Wirkens der Konzerne auf die Menschen, die für sie arbeiten müssen…

    • „Konzernverantwortung: Es braucht mehr als Versprechen“ von Markus Mugglin am 02. Dezember 2020 beim Infosperber externer Link zu den Nachwirkungen des Referendums unter anderem: „… Doch nicht nur die EU setzt über ihre Marktzugangs-Mechanik die Schweiz unter Druck. Auch die NGOs tun es. Sie sind nicht mehr der David von einst, der den Goliath herausfordert. Das ist die Lektion des Abstimmungssonntags und der vorangegangenen Kampagne, die nun alle zur Kenntnis nehmen müssen. Man hätte es längst ahnen können. Denn die neue Kraft hat sich seit den 1990er Jahren sukzessive aufgebaut. Zuerst waren die Themen meist auf Einzelfragen fokussiert, waren politisch weniger provokant. Es ging um die Entschuldung der ärmsten Entwicklungsländer oder um höhere Entwicklungshilfebudgets. In den 2000er Jahren folgten viele verschiedene Kampagnen – sei es gegen Nestlé, später gegen Glencore oder Syngenta, sei es gegen skandalöse Arbeitsbedingungen der Näherinnen, die unsere Billigkleider herstellen, gegen Steuerfluchtabflüsse aus armen Ländern, gegen strikten Patentschutz auf Kosten armer Länder. Als die UNO 2011 nach sechsjährigen Diskussionen die Prinzipien zu Wirtschaft und Menschenrechten verabschiedet hatte, war für die NGOs der Moment gekommen, den Schritt von einzelnen Kampagnen zur Grundsatzfrage Wirtschaft und Menschenrechten zu tun. Ein Jahr später reichten sie die Petition «Recht ohne Grenzen» ein, die im Parlament nach einem Abstimmungstrick scheiterte. Darauf verwandelten die NGOs die Petition in die Konzernverantwortungsinitiative. Die Konzernverantwortungskoalition ist nicht das einzige NGO-Bündnis, das die Aussenpolitik in Trab setzt. Es gibt auch die Klima-Allianz, in der mehr als 90 Organisationen ihre Kräfte für klimaverträgliche Finanzflüsse bündeln. Sie setzt die Schweizerische Nationalbank unter Druck, damit sie ihre seit der Finanzkrise geradezu explodierenden Wertanlagen klimafreundlich umschichtet. Die Klimajugend, der WWF und Greenpeace setzen mit Studien in hohem Rhythmus die Banken und die Politik unter Druck und fordern die Transformation des Finanzplatzes auf die Pariser Klimaziele ein. Zahlreiche parlamentarische Vorstösse zu nachhaltigen Anlagen der Finanzbranche drängen ihrerseits den Bundesrat zum Handeln. In der Plattform Agenda 2030 haben sich 50 Organisationen zusammengetan, um die Schweiz auf die UNO-Ziele der Nachhaltigen Entwicklung auszurichten. Und kaum ist der Abstimmungskampf zur Konzernverantwortung vorbei, startet ein breites Bündnis die Referendumskampagne «Stop Palmöl» gegen das Freihandelsabkommen mit Indonesien...“
    • „Schweiz vergibt die Chance, Bergbauopfern in Peru zu ihrem Recht zu verhelfen“ von Quincy Stemmler am 05. Dezember 2020 bei amerika21.de externer Link zu einer der Auswirkungen des Verfassungstricks gegen die Abstimmungsmehrheit unter anderem: „… Zwar sprach sich eine Mehrheit von 50,7 Prozent der Schweizer:innen für das Vorhaben aus, jedoch wurde nicht die notwendige Anzahl zustimmender Kantone erreicht – ein Fall, der so vor 65 Jahren zuletzt aufgetreten ist. Das Scheitern des Referendums hat direkte Konsequenzen für die Opfer solcher Verstöße in Lateinamerika, etwa in Peru. Dort hatten die Bewohner:innen der Bergbaustadt Cerro de Pasco auf einen positiven Ausgang der Abstimmung gehofft. Seit Jahren kämpfen Opfer von Metallvergiftungen, verursacht durch die lokale Zinkmine des Bergbauunternehmens Volcan für ihr Recht. Hauptaktionär von Volcan ist der Schweizer Konzern Glencore, die weltweit größte im Rohstoffhandel tätige Unternehmensgruppe. Mit Hilfe des Gesetzes hätten die Betroffenen das Unternehmen in der Schweiz vor Gericht bringen können. Glencore hatte sich zu den Vorwürfen geäußert und sie „entschieden“ zurückgewiesen. Die „Konzernverantwortungsinitiative“ hatte das Unternehmen und den Fall Cerro de Pasco in den Mittelpunkt ihrer Kampagne gestellt: Große Schautafeln in den Städten zeigten ein Mädchen aus Cerro de Pasco mit der Botschaft „Trinkwasser verseucht. Kind vergiftet. Rohstoffkonzern haftet“...“
    • „Orangenpflücker arbeiten sich krumm für einen Hungerlohn“ am 16. August 2020 beim Infosperber externer Link berichtete aus brasilianischen Plantagen über die Arbeit für nicht ganz unbekannte Schweizer Nahrungskonzerne: „… In der Kritik steht auch die Louis Dreyfus Company (LDC), einer der wichtigsten Player im millionenschweren Orangensaft-Business. Der Agrarrohstoffhändler mit Hauptsitz in Rotterdam wickelt einen Grossteil seiner globalen Geschäfte über die Genfer Schaltzentrale ab. In Brasilien besitzt LDC gemäss eigenen Angaben 38 Zitrusplantagen mit insgesamt über 25’000 Hektaren Anbaufläche. Hinzu kommen zahlreiche Zulieferbetriebe und drei Anlagen, in denen die Orangen zu Konzentrat oder Saft verarbeitet werden.  Gemäss Recherchen von Public Eye und Repórter Brasil haben die brasilianischen Behörden in den letzten zehn Jahren 200 Verstösse gegen das Arbeitsgesetz in LDC-Betrieben festgestellt. Die Hälfte davon betreffe die Gesundheit und Sicherheit der Arbeiter. Vor zwei Jahren musste das Unternehmen 120’000 Franken Busse zahlen, weil 34 Arbeiter in einem alten Hühnerstall untergebracht waren. Brasilien ist der wichtigste Exporteur von Orangensaft. 85 Prozent der weltweiten Produktion stammen aus diesem Land. Dabei kontrollieren nur drei Betriebe 75 Prozent des Weltmarkts: die brasilianischen Unternehmen Cutrale und Citrosuco und die Louis Dreyfus Company. Mit dieser geballten Marktmacht können die Grossunternehmen massgeblich über die Produktionsbedingungen und Preise bestimmen – vom Anbau der Orangen auf den Plantagen über die Herstellung von Saft bis zum Abfüllen und Vertrieb. Gegenüber Public Eye versichert LDC, kein Mitarbeiter in LDC-Betrieben erhalte weniger als das gesetzliche Minimum von umgerechnet 190 Franken im Monat. Und wer die Leistungsziele des Betriebs übertreffe, könne den Lohn mit Produktionsprämien aufstocken. Allerdings beklagen sich ArbeiterInnen bitter, auch mit allfälligen Prämien reiche der Lohn nicht zum Leben, zudem sei das Bonus-System kompliziert und die Lohnabrechnungen nicht transparent. Noch schlechtere Bedingungen hat Public Eye auf Plantagen von LDC-Zulieferern angetroffen. Viele Pflückerinnen und Pflücker schuften dort zu Dumpinglöhnen im Akkord. Trotzdem erreichen einige nicht einmal den gesetzlichen Mindestlohn. Aus Angst, ihre Arbeit zu verlieren, nehmen sie die ausbeuterischen Arbeitsbedingungen stillschweigend hin. Die Erntehelfer stammen überwiegend aus dem Nordosten Brasiliens, wo es viele arme Dörfer und kaum Arbeit gibt. Hier, im Zitrusgürtel des Bundesstaats São Paulo, hoffen die Saisonarbeiter auf gutes Geld. Manche von ihnen wurden mit falschen Versprechen von zweifelhaften Vermittlern als Erntehelfer angeworben und Tausende Kilometer von ihrem Heimatort entfernt in einer Plantage abgeliefert. Die Arbeit zwischen den endlosen Orangenbaumreihen bei strömendem Regen oder bei brütender Hitze ist nicht nur hart, sondern auch gefährlich. Es drohen Stürze von der Leiter und Verletzungen durch die Dornen der Orangenbäume. Es gibt giftige Schlangen und Spinnen, zudem sind die PflückerInnen Pestiziden ausgesetzt, die in den Monokulturen massenhaft versprüht werden. Oft müssen die Pflücker ohne Schutzkleidung arbeiten...“
  • Konzernverantwortung in der Schweiz: Knappe Mehrheit der Abstimmenden für die Verantwortung der Konzerne, aber das „Ständemehr“ rettet die unkontrollierte Profitjagd der Unternehmen 
    Das „Ständemehr“ – eigentlich ein Instrument zur Verteidigung des Föderalismus – hat die Annahme der Konzernverantwortungs-Initiative verhindert, während eine knappe Mehrheit der Abstimmenden (50,7%) die Initiative befürwortete. (Ständemehr heißt, dass die jeweiligen Ergebnisse einer Abstimmung in den einzelnen Kantonen entscheiden – entfernt vergleichbar mit den Wahlmännern der Bundesstaaten bei der US-Präsidentschaftswahl: Und wenn eine Mehrheit der Kantone ablehnt, dann ist eben trotz Mehrheit abgelehnt). In dem Artikel „Tumult im Turm“ von Kaspar Spurber am 29. November 2020 in der WoZ online externer Link heißt es zur Bedeutung – und zu künftigen Auswirkungen dieser Abstimmung einleitend: „… Wie nervös sie doch geworden waren oben im Turm, in der Führungsetage dieses, unseres Konzernhauptsitzes namens Schweiz! Der Bundesrat, die Wirtschaftsverbände, ihre PR-Agenturen: Erst hatten sie im Parlament versucht, die Initiative zur Konzernverantwortung (Kovi) mit allen möglichen Winkelzügen auszubremsen, im Abstimmungskampf dann schalteten sie mit Millioneneinsatz eine zerstörerische Negativkampagne. Angeführt von Justizministerin Karin Keller-Sutter schreckten sie nachweislich nicht einmal vor Lügen zurück. Und jetzt dieses unglaublich knappe Resultat. Mit 50,7 Prozent hat eine Mehrheit der Stimmberechtigten die Kovi angenommen. (…) Wer aber hat nun tatsächlich gewonnen? Auf dem Papier selbstverständlich die Führungsetage oben im Turm: Sie muss nun nicht befürchten, dass die ArbeiterInnen tief unten in den Minen ihres Superreichtums die Möglichkeit haben, eine Klage nach oben zu schicken. Die moralischen SiegerInnen – und es klingt wie eine selbsterfüllende Prophezeiung in diesem Abstimmungskampf, in dem sie dauernd MoralistInnen geschimpft wurden – sind aber die InitiantInnen. Das breite zivilgesellschaftliche Bündnis aus NGOs, Parteien und Kirchen hat eine Mehrheit davon überzeugt, dass die Globalisierung eine Verrechtlichung braucht. Auch das überraschend gute Resultat der Kriegsgeschäfteinitiative, die mehr als vierzig Prozent Zustimmung erreichte, weist in diese Richtung...“
  • Im Kampf zur Verteidigung ihrer Profite gegen die Konzern-Verantwortungsinitiative setzen Schweizer Großunternehmen auf bekannte bundesdeutsche Nazi-Qualitätswerbung 
    Vor der Schweizer Volksabstimmung zu Konzernverantwortung tauchen Videos auf, die Befürworter und NGOs als gewalttätig diffamieren. Eine Recherche ergibt Hinweise auf die PR-Agentur Goal AG. In D ist Goal AG wegen verdeckter Wahlwerbung & illegaler Spenden für die AfD bekannt“- am 23. November 2020 im Twitter-Kanal von Lobby Control macht konkret deutlich, wie Schweizer Konzerne in ihrem Kampf gegen mögliche Einschränkung ihrer Profitjagd durch Kindesmisshandlung und andere Verbrechen auf bewährte rechtsradikale Traditionsunternehmen setzen. Großkapital und Nazi – ging schon immer und überall sehr gut… Siehe dazu auch einen weiteren aktuellen Beitrag kurz vor der Abstimmung am 29. November:

    • „Radikale Bürgerlichkeit“ von Tobias Eule am 24. November 2020 in der taz online externer Link merkt zu der Initiative und dem Konzern-Widerstand unter anderem an: „… Verschachtelte Unternehmensstrukturen, die den steuerlichen Hauptsitz von den Machenschaften ihrer Tochterunternehmen abschirmen sollen, werden hierbei also unterlaufen. Eine Begrenzung der Initiative ist gleichwohl, dass die Haftung sich nicht auf die gesamte Wertschöpfungskette bezieht. Ähnlich wie in der Debatte über das deutsche Lieferkettengesetz bleibt die Rolle unabhängiger Vertragspartner und Zulieferer weitgehend außen vor. (…) Statt eines linksradikalen Vorstoßes, wie die Abstimmungsgegner in ihrer oft hysterischen Gegenkampagne suggerieren, liefert die Initiative einen radikal bürgerlichen Entwurf zur Regulierung des Kapitalismus. Auch das Argument der Geg­ner*in­nen, die Initiative schade dem Wirtschaftsstandort Schweiz, hat damit womöglich weniger Überzeugungskraft – zumal sich die Initiative weitgehend auf Großunternehmen und Mittelstandsfirmen, die in einem Risikosektor tätig sind, beschränkt. In den letzten Jahren ist öffentliche Kritik an transnationalen Unternehmen und Banken zunehmend lauter geworden. Dass man die großen Kapitalisten nicht mehr frei walten und schalten lassen darf, scheint mehrheitsfähig(er) geworden zu sein. Wären „die Kleinen“ betroffen, hätte die Initiative in der Schweiz bestimmt einen schwereren Stand. Der Ausgang der Abstimmung ist zwar noch offen, ungewöhnlich für progressive Initiativen ist jedoch, dass gemäß letzten Umfragen die Befürworter*innen so kurz vor der Abstimmung noch immer deutlich vorne liegen…“
  • Der Kampf der Schweizer Unternehmen und ihrer politischen Rechten gegen die Konzernverantwortungsinitiative wird immer schmutziger – und durchsichtiger 
    „… Mit welcher Strategie die grossen Wirtschaftsverbände die Konzernverantwortungsinitiative bekämpfen, machte der «Tages-Anzeiger» schon zu Beginn des Abstimmungskampfs publik. Bloss nicht über Menschenrechte reden, lautet gemäss internen Dokumenten das Motto. PR-BeraterInnen legten den GegnerInnen stattdessen nahe: Man müsse «Defizite der angebotenen Lösung thematisieren. Und den Leuten einen Ausweg offerieren, mit gutem Gewissen Nein zu stimmen.» Die Initiative, über die am 29. November abgestimmt wird, verlangt, dass international tätige Schweizer Firmen vor hiesigen Gerichten für Verstösse gegen Menschenrechts- und Umweltstandards haften. Weil Rohstoffmultis mit Vorliebe dort Geschäfte machen, wo der Staat schwach ist und die Korruption gross. Während man der Initiative in wenigen Punkten Unausgegorenheit vorwerfen kann – so wird nicht restlos geklärt, welche Firmen ab welcher Grösse betroffen sind –, sind die meisten Argumente, mit denen die GegnerInnen sie zu diskreditieren versuchen, von beispielloser Haltlosigkeit. Die heraufbeschworene Klageflut etwa: widerlegt. (…) Chevalley, die vehementeste Kovi-Gegnerin ihrer Partei, ist in Burkina Faso mit eigenen Hilfsorganisationen tätig, verteidigt gleichzeitig regelmässig die dort ansässigen Schweizer Konzerne. Als 2019 ein Bericht der Schweizer Hilfsorganisation Solidar zu Kinderarbeit auf den Baumwollfeldern von Burkina Faso erschien, heuerte Chevalley einen lokalen Radiomoderator an, der mit einer unsorgfältigen Recherche die Studienergebnisse in Misskredit zu bringen versuchte. Chevalley hat in Burkina Faso offenbar eine Mission: Sie will das Land für ihre Kampagne gegen die Kovi einspannen. Bereits an einem Treffen im September 2019 soll sie die Regierung Burkina Fasos gewarnt haben, die Schweiz lanciere eine Initiative, die Unternehmen zum Abzug aus Burkina Faso zwinge...“ – aus dem Beitrag „Ein geheimes Treffen in Burkina Faso“ von Sarah Schmalz am 12. November 2020 in der WoZ externer Link (Ausgabe 46/2020). Siehe dazu einen weiteren aktuellen Beitrag und den Hinweis auf unseren ersten Beitrag zum „Kampf gegen KOVI“ im Auftrag der Schweizer Großunternehmen:

    • „Konzernverantwortung für fairen Wettbewerb“ von Thomas Kesselring am 11. November 2020 beim Infosperber externer Link hält zur Kampagne für kapitalistische Ausbeutungsfreiheit unter anderem fest: „… Daran, dass Schweizer Firmen den Menschen in Entwicklungsländern, etwa bei Medikamenten, hohe Preise aufbürden oder mit Leihfirmen kooperieren, die die Arbeiterlöhne drücken, nehmen die KVI-Gegner keinen Anstoss. Dass Tochterfirmen in diesen Ländern für Menschenrechtsverletzungen nach Schweizer Recht sollen eingeklagt werden können, kritisieren sie hingegen als neo-kolonialistisch! Kritik dieser Art lenkt davon ab, dass über die Strafwürdigkeit von Menschenrechtsverletzungen und Umweltschädigungen ein internationaler Konsens besteht. Die Menschenrechte sind keine Marotte schweizerischen Rechtsverständnisses, wie es der Vorwurf des Neokolonialismus unterstellt. Sie gelten auch in Staaten, in denen keine rechtsstaatlichen Verhältnisse herrschen. Ein fiktives Beispiel: Sollten in einer Schweizer Filiale in Saudi-Arabien firmen-internen Dieben die Hände abgehackt werden, würde kein vernünftiger Mensch eine Firmenklage mit dem Argument zurückweisen, das Abhacken der Hände sei in Ordnung, da sich Saudi-Arabien ja an der Scharia orientiere. Was nicht stimmt (3): Die KVI führe zum Auszug von Schweizer Firmen aus Entwicklungsländern. Das ist aus mehreren Gründen eine Fehleinschätzung: Rohstofffirmen sind dort aktiv, wo Rohstoffe vorkommen, und Chemiefirmen verkaufen ihre Pestizide am liebsten in Regionen mit vielen grossflächigen Monokulturen. Dass sich Glencore wegen der KVI aus Sambia oder Syngenta aus Brasilien zurückzieht, kann man deshalb praktisch mit Sicherheit ausschliessen.  Nicht wegen der KVI kam es jüngst zum Rückzug einiger kleiner Schweizer Firmen aus Mosambik, als dort infolge eines riesigen Kreditskandals die Wirtschaft einbrach und die absolute Armut zunahm. Ausgelöst wurde der Skandal durch unverantwortliche Milliardenkredite, die die Credit Suisse London 2013 an das Land vergeben hatte. Theoretisch könnten sich Firmen aus der Schweiz zurückziehen. Warum sollen z.B. die Firma Nornickel (Ölpest in Sibirien, Mai 2020) ein Standbein in Zug oder die Firma Transocean (Ölpest im Golf von Mexiko, 2010) ihren Hauptsitz in Steinhausen haben? Mehrere aus dem Ausland in die Schweiz zugezogene Firmen zeigen ein Geschäftsgebaren, das dem Ruf unseres Landes nicht gerade förderlich ist…“
  • „«Der Bundesrat will die Aufklärung krasser Verbrechen verhindern»“ ebenfalls am 22. Oktober 2020 in der WoZ externer Link ist ein Interview von Kaspar Surber mit dem Regisseur Milos Rau und dessen Theaterstück zum Thema eine ganz wesentliche Rolle in der Debatte spielt und der darin zur Schweizer Regierung ausführt: „… Was stört denn Frau Keller-Sutter daran, wenn all diese Verbrechen endlich untersucht werden? Vor allem aber: Niemand will einem anderen Land, etwa dem Kongo, irgendwelche Rechtsmittel aufdrücken. Es geht darum, Schweizer Firmen vor Schweizer Gerichten haftbar zu machen. Das ist das genaue Gegenteil von Kolonialismus. (…) Es ist interessant, einen Einblick in die Denkweise einer Regierung zu erhalten, die eine minimale rechtliche Aufklärung krassester Verbrechen aktiv verhindern will. Es geht hier nicht um moralische Spitzfindigkeiten, sondern um ganze ruinierte Volkswirtschaften, zu Tode gefolterte Menschen und Naturzerstörungen apokalyptischen Ausmasses. Keller-Sutters Einstellung erinnert an die kürzlich erschienenen Berichte über Schweizer Unternehmen im 19. Jahrhundert, die sich durch Sklavenarbeit bereicherten. Deren Entschuldigung lautete damals, dass die Sklaverei in den entsprechenden Ländern rechtens sei. Ich als St. Galler kann nur sagen: Es wäre schön, wenn endlich auch die Justizministerin aus meinem Heimatkanton einsehen würde, dass wir nicht ausserhalb der Geschichte stehen...“
  • „Initiative erklärt“ auf der Webseite der Kampagne KoVI externer Link in einem Argument gegen die Propagandakampagne der Regierung die Fakten: „Konzerne mit Sitz in der Schweiz sollen bei ihren Geschäften sicherstellen, dass sie die Menschenrechte respektieren und Umweltstandards einhalten. Damit sich auch dubiose Multis an das Gesetz halten, müssen Verstösse Konsequenzen haben und Konzerne sollen für verursachte Schäden haften. Die Initiative kommt bei rund 1‘500 Konzernen zur Anwendung. Kleine und mittlere Unternehmen (KMU bis 250 Mitarbeiter/innen) sind von der Initiative ausgenommen, ausser sie sind in Hochrisiko-Sektoren tätig. (z.B. Goldhandel.)…
  • „Organisationen“ ebenfalls auf der Kampagnen-Webseite externer Link stellt die tragenden Gruppierungen vor, was mit folgender Ausführung eingeleitet wird: „Die Konzernverantwortungsinitiative wird von einem beispiellos breiten Verein getragen. Er besteht aus 130 Hilfswerken, Frauen-, Menschenrechts- und Umweltorganisationen, kirchlichen, genossenschaftlichen und gewerkschaftlichen Vereinigungen sowie Aktionärsverbänden“.
  • „Die Coltan-Kinder von Kivu“ von Jean Ziegler am 26. Juni 2020 in Work externer Link (Zeitung der Gewerkschaft Unia) zu den ungestraften Verbrechen im Kongo und ihrer Verteidigung durch die Schweizer Regierung unter anderem: „… Niemals werde ich die verängstigten Blicke und die abgemagerten Körper der Kinder und Jugendlichen vergessen, die sich für einen Hungerlohn und ständig bedroht von den Gewehren der Milizen in den Coltan-Minen von Kivu in Ostkongo abquälen. Coltan ist ein hochwertiges Mineral, das für Handys, unter anderem aber auch beim Flugzeugbau verwendet wird. Es wird in brüchigem Gestein abgebaut, in 20 bis 30 Meter tiefen Schächten, in die nur schmale Kinder heruntergelassen werden können. Die Minen werden von einheimischen afrikanischen oder libanesischen Unternehmen betrieben. Sie verkaufen ihre Ausbeute der staat­lichen kongolesischen Minengesellschaft Gecamines, und diese wiederum verkauft das Coltan an Weltkonzerne wie Glencore, Rio Tinto oder Freeport-McMoran. In Bern ist in diesem Monat ein über zweijähriger parlamentarischer Kleinkrieg zu Ende gegangen. Streit­objekt: die Volksinitiative zur Konzernverantwortung. Die Initiative will transkontinentale Konzerne für Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden ihrer Tochterfirmen und Zulieferer schadenersatzpflichtig machen. Gerichtsstand soll der Heimatort der Konzerne sein. Der Nationalrat arbeitete einen Gegenvorschlag aus, der ebenfalls die Schadenersatzpflicht festlegt, wenn auch mit einigen Einschränkungen. Getrieben vom Bundesrat, genauer von Justizministerin Karin Keller-Sutter, die sich von den Grosskonzernen inspirieren liess, machte der Ständerat seinerseits einen Gegenvorschlag. Dieser setzt auf «Selbstkontrolle» anstelle von rechtlicher Verantwortung und sieht lediglich eine unverbindliche Pflicht zur Berichterstattung der Konzerne vor. Am 4. Juni beschloss die Schlichtungskommission der beiden Räte, den ständerätlichen Gegenvorschlag durchzusetzen. Wieder einmal haben – wenigstens in der Zwischenzeit – die Konzern-Moguln und ihre Lakaien im Bundeshaus den Streit gewonnen…“
  • „Wenn Bundesrätinnen Kinderschinder verteidigen“ von Niklaus Ramseyer am 25. Oktober 2020 im Infosperber externer Link zur Politik einer Regierung (die natürlich gegen Kinderschänder ist – es sei denn, sie haben Aktien) unter anderem: „… Das geltende Schweizer Gesetz (StGB Art. 5,3) schützt Minderjährige im Ausland nämlich nur vor «a. Menschenhandel» und «a bis. sexuellen Handlungen mit Abhängigen», vor «b. sexuellen Handlungen mit Kindern» oder «c. qualifizierter Pornografie» – meist durch schmierige Schweizer Sextouristen. Nicht aber vor der Ausbeutung durch brutale Schweizer Plantagenbesitzer oder rücksichts- und verantwortungslose Minen-Manager. Kurz und ungut: Vor Schweizer Gerichten können «Straftaten gegen Minderjährige im Ausland» – entgegen Keller-Sutters Behauptungen – sehr wohl jetzt schon eingeklagt werden. Jedoch nur dann, wenn die Täter private Kinderschänder sind. Kommerzielle Kinderschinder in Konzernen und deren Zulieferern hingegen können bisher nicht einmal obligationenrechtlich (Schadenersatz) zur Verantwortung gezogen werden. Diesen Missstand will das «Volksbegehren für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt» (kurz KVI) am 29. November beheben. Nach einem Ja der Stimmberechtigen und der Kantone könnten hier ansässige weltweit operierende Firmen für im Ausland begangene Verstösse gegen das Verbot der Kinderarbeit oder bei Gefährdung der Entwicklung Minderjähriger und bei Schädigung der Umwelt in der Schweiz dann zumindest obligationenrechtlich zur Rechenschaft gezogen werden. Davon jedoch hält die freisinnige Justizministerin Karin Keller-Sutter gar nichts. Sie setzt mit ihrem trickreich in den Ständerat gebrachten, indirekten Gegenvorschlag zur Bekämpfung kommerzieller Kinder-Ausbeutung bloss auf jährliche «Berichterstattung» durch die Konzerne und auf «Dialog statt Klage». Denn das sei «der Schweizer Weg». Zum Vergleich: Dieser «Weg» müsste beim Schutz der Kinder vor sexueller Ausbeutung konsequenterweise folgendes bedeuten: Ein mit dem Fedpol-Formular im EJPD angezeigter Kinderschänder würde nach seiner Rückkehr aus Thailand nicht mehr festgenommen. Er müsste nur einen «Bericht» über sein Sexualleben mit Kindern in Südostasien abliefern. Wonach dann die Bundesbehörden mit ihm noch ein wenig den «Dialog pflegen» könnten, statt ihn zur Verantwortung zu ziehen, Klage zu erheben und ihn der gerechten Strafe zuzuführen...“
  • Siehe dazu unter anderem auch den allerersten Beitrag zur Konzernverantwortungsinitiative in der Schweiz – noch in der Phase ihrer Vorbereitung: „Weltwirtschaftsforum: Davos kreist um Euro, Armut, Terror“ am 26. Januar 2015 im LabourNet Germany
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=180105
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