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Die enorme Solidarität mit dem indigenen Widerstand gegen die Pipeline-Pläne der kanadischen Regierung – der Beginn einer wirklichen Überwindung der kolonialistisch-rassistischen Gesellschaftsstruktur?

Barrikade an der Brücke: Im Kampf gegen eine kanadische Pipeline durch indigenes Gebiet„… Ein 6,6-Milliarden-Dollar-Projekt der Firma Coastal GasLink steht im Zentrum von Protesten in Kanada. Coastal GasLink plant den Bau einer Pipeline durch den Bundesstaat British Columbia, um Erdgas von der nordöstlichen Region in die Küstenstadt Kitimat zu transportieren.  Doch die Pipeline würde durch das Territorium des indigenen Stammes der Wet’suwet’en führen.  (…) Im Zuge der Proteste sind in den letzten zwei Wochen landesweit mehr als 400 Züge ausgefallen und der ostkanadische Zugverkehr kam zum Erliegen. Doch der Blockade des kanadischen Schienennetzes durch die indigene Bevölkerung kommt neben dem ökonomischen Druck eine weitere tiefer liegende Bedeutung hinzu. Die Eiserne Straße, wie das Schienennetz auch genannt wird, symbolisiert das Vordringen der nicht-indigenen Kanadier in die Gebiete der First Nations, wie die Eingeborenen in Kanada genannt werden. Es ermöglichte die systematische Besetzung ihrer Lebensräume, so wie das Auslöschen ihrer natürlichen Lebensweise und die Vertreibung in Reservate. Am 6. Februar eskalierten die Proteste in British Columbia zwischen den Angehörigen der Wet’suwet’en und der Royal Canadian Mounted Police. Die Polizei nahm mehr als zwei Dutzend Menschen fest, um den Weg für die Bauarbeiten frei zu machen. Das harte Durchgreifen der Polizei und die Festnahme der Protestierenden führten landesweit zu einer Welle der Solidarisierung. Von Vancouver bis Toronto protestieren Kanadier für die Rechte der Wet’suwet’en und den Schutz ihrer Gebiete…“ – aus dem Bericht „Die Pipeline, die Trudeau unter Druck setzt“ von Zsaklin Diana Macumba am 21. Februar 2020 beim ZDF externer Link – worin die Entwicklung bis dahin kurz zusammen gefasst wird. Siehe dazu einige aktuelle Beiträge – inklusive gewerkschaftlicher Erklärungen gegen den Polizeieinsatz – und Beiträge, die den gesellschaftlichen und geschichtlichen Hintergrund der aktuellen Auseinandersetzung deutlicher machen:

„Canada: 37 arrestations liées à des blocages ferroviaires à Toronto“ am 28. Februar 2020 bei Secours Rouge externer Link meldet weitere Festnahmen bei Zugblockaden – und steht hier als Beispiel für die landesweiten Solidaritätsaktionen und die bisher nutzlosen Repressionsmaßnahmen…

„Nicht das letzte Wort“ von Frederic Schnatterer am 26. Februar 2020 in der jungen welt externer Link fasst die aktuelle Entwicklung unter anderem so zusammen: „… Die nun geräumte Blockade in Tyendinaga im Osten des Landes war von Mohawk-Indigenen aus Solidarität mit der indigenen Gruppe der Wet’suwet’en in der westlichen Provinz British Columbia errichtet worden, durch deren Reservat Teile der Pipeline »Coastal Gaslink« gebaut werden sollen. Durch diese soll auf einer Länge von 670 Kilometern Erdgas vom Nordosten British Columbias bis an die Pazifikküste transportiert werden. Das 4,9 Milliarden US-Dollar schwere Projekt war 2012 auf den Weg gebracht worden. Obwohl das Unternehmen TC Energy, das mit dem Bau der Pipeline betraut ist, mit 20 gewählten Vertretern der Wet’suwet’en Abkommen erzielt hatte, verweigern sich sogenannte traditionelle Autoritäten der Indigenen dem Vorhaben. Sie sehen es als ihre Pflicht an, die traditionellen Territorien zu beschützen, die teilweise – wie im Fall des betroffenen Gebiets – nie offiziell an den kanadischen Staat abgetreten worden seien. Die gewählten Vertreter hingegen hätten nur die Funktion, die vom Staat gewährten Reservate zu verwalten. Dieser Auffassung schlossen sich in den vergangenen Monaten andere indigene Gruppen sowie Umweltschützer an. Neben dem nun geräumten Protestcamp in Tyendinaga gibt es im ganzen Land eine Vielzahl weiterer Blockaden und anderer Protestaktionen. Erst am Wochenende wurden zwei weitere Schienenblockaden in Saskatoon und Vancouver errichtet…“

„No Surrender“ von Alleen Brown und Amber Bracken am 23. Februar 2020 bei The Intercept externer Link ist ein Beitrag, der einerseits den ungebrochenen aktuellen Widerstand darstellt, andrerseits aber auch die ganze Vorgeschichte und die Bedeutung dieses aktuellen Kampfes erläutert. Die betroffenen indigenen Gemeinschaften hatten einerseits niemals irgendeine Abtretung von Land vollzogen – und haben andrerseits ein Grundsatzurteil des Obersten Gerichtshofes Kanadas von 1997 auf ihrer Seite, das ihnen die Landrechte an diesem Gebiet zuspricht. Ohne allerdings, und damit arbeiten Unternehmen und Regierung, die Grenzen dieses Gebiets irgendwie konkret zu definieren. Was insofern gerade hier von besonderer Wichtigkeit ist, als der Bundesstaat British Columbia – ganz im Westen Kanadas am Pazifik – ein Gebiet ist (grob drei Mal so groß, wie die BRD), in dem die indigenen Landrechte die Mehrheit der Fläche umfassen. Wogegen etwa der British Columbia „Rat der Holzindustrie“ seit langem Sturm läuft – und wozu gerade jetzt verschiedene Dokumente veröffentlicht wurden, die deutlich machen, dass sowohl die verschiedenen Provinz- als auch Bundesregierungen stets eine Politik einschlugen, die die „Investorenfreundlichkeit“ Kanadas deutlich machen sollte. Hinzu kommt, dass das damalige Urteil des Obersten Gerichtshofes gefällt wurde im Zusammenhang mit einer entstandenen gesellschaftlichen Debatte über die zwangsweise Einschulung indigener Kinder in Einrichtungen fern von Heimat und Familie, die lange Jahre die Norm gewesen war – samt Sprachverbot. Und eines der dann eingerichteten „Heilzentren“ für traumatisierte Indigene liegt eben Mitten in dem jetzt umkämpften Gelände…

„Pipeline-Bau vor dem Aus“ von Jörg Michel am 11. April 2018 in der taz online externer Link war ein Bericht über den (erfolgreichen)  Widerstand gegen ein anderes Pipeline-Projekt in derselben Region – und auch dies war nicht die erste Auseinandersetzung: „… Geht es nach der Regierung von Premierminister Justin Trudeau, soll zukünftig eine neue Erdölpipeline von den Ölsandfeldern im Zentrum Kanadas über 1.000 Kilometer an die Pazifikküste führen. „Trans Mountain“ heißt die Röhre, die parallel zu einer bestehenden Pipeline über die Rocky Mountains nach Vancouver verlaufen soll. Die Regierung Trudeau hält den Ausbau aus wirtschaftlichen Gründen für unverzichtbar und hat die neue Erdölpipeline 2016 genehmigt. Auch die kanadische Aufsichtsbehörde hat sie unter Auflagen durchgewunken. Der texanische Energiekonzern Kinder Morgan hat 7,4 Milliarden kanadische Dollar bereitgestellt, um die Röhre durch die Wildnis zu rammen und zwölf neue Pumpstationen zu bauen. Trotzdem sieht es nun so aus, als wird die Pipeline womöglich nie gebaut. Am Sonntag kündigte Kinder Morgan überraschend an, alle vorbereitenden Bauarbeiten vorerst einzustellen. Grund sind massive Widerstände von Umweltschützern und Ureinwohnern sowie anhaltende juristische Probleme. Zudem lehnt die sozialdemokratische Regierung der Küstenprovinz British Columbia die Pipeline ab. Kinder Morgan Konzernchef Steve Kean betonte, die derzeitigen Unsicherheiten seien den Aktionären nicht weiter zuzumuten. Das Unternehmen hat bislang rund eine Milliarde Dollar in das Projekt investiert. Zugleich stellte Kean der Regierung ein Ultimatum: Man werde das Projekt endgültig fallen lassen, falls die Beteiligten bis Ende Mai keine Rechtssicherheit für die Pipeline hergestellt hätten…“

„CUPW Statement on the Land Defenders in Wet’suwet’en Territory“ am 20. Februar 2020 bei der kanadischen Postgewerkschaft externer Link ist eine Stellungnahme, in der der Widerstand der indigenen Gruppen gegen das Projekt rundweg unterstützt wird und gefordert, dass die Polizeieinsätze gegen die Aktivgruppen aufhören und stattdessen entsprechende Verantwortlichkeiten untersucht. Die Gewerkschaft unterstreicht, jetzt endlich müsse ein wirklicher Schlußstrich unter die kolonialistische und rassistische Praxis in Kanada gezogen werden.

„CUPE calls for dialogue and reconciliation in Wet’suwet’en territory“ vom 12. Februar 2020 externer Link ist die Stellungnahme der Gewerkschaft im Öffentlichen Dienst, in der unterstrichen wird, dass die entsprechenden First Nations dieses Land nie an Kanada abgetreten hätten – und dass in keinem Fall Polizeirepression irgendetwas zu einer Lösung beitragen könne und sofort beendet werden müsse.

„Wet’suwet’en solidarity: “This movement wouldn’t exist without everything that preceded it”“ am 25. Februar 2020 bei Toward Freedom externer Link ist ein Gespräch von Dawn Marie Paley mit dem Buchautor Gord Hill (dessen Buch 500 Jahre Widerstand sozusagen ein Klassiker indigener Kämpfe in Kanada ist), in dem Hill, wie in der Überschrift angedeutet, argumentiert, dass der aktuelle Kampf und seine überraschend breite Unterstützung nur denkbar seien auf der Grundlage „all dessen, was vorher passiert ist“.

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=163783
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